Guten Morgen, und herzlich Willkommen allen hier zu einer besonderen Verleihung der Verschlossenen Auster.

Dieser Preis schaut ja inzwischen auf eine 21-jährige Tradition zurück, übrigens auch keine schlechte, das zeigt schon ein einfacher Blick in die Liste der Ausgezeichneten oder besser: Der Getadelten.

Unter ihnen finden sich – früh – Facebook, die Katholische Kirche und – bereits im Jahr 2007 – ein russischer Präsident mit dem Namen Wladimir Putin. 

Das Netzwerk Recherche kann stolz darauf sein. Es beweist, dass eben nicht alle den Verstand verloren hatten, wenn es um Russland ging. 

Das Jahr 2023 nun wird ebenfalls in die Historie dieses Preises eingehen. 

Weil heute erstmals niemand ausgezeichnet wird, der die Auskunft verweigert – wie es in den Regularien eigentlich vorgesehen ist. Sondern jemand der Auskunft gegeben hat, obwohl er dazu verpflichtet gewesen wäre, zu schweigen. Jemanden der eine Quelle, einen Informanten, nicht schützte. Jemanden, der den Informantenschutz missachtete. 

Jemanden also, der unserem Berufsstand, unserer Glaubwürdigkeit schweren Schaden zufügte. 

Jemanden, der uns daran erinnerte, dass die Pressefreiheit nicht nur von Außen bedroht werden kann: Sondern auch von innen. 

Die Verschlossene Auster des Jahres 2023 geht also an Holger Friedrich, den Verleger und Eigentümer der Berliner Zeitung. Er erachtete es am 19. April dieses Jahres als notwendig und gerechtfertigt, die Rechtsabteilung des Springer-Verlages schriftlich davon in Kenntnis zu setzen, dass der entlassene Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, Julian Reichelt, sich mit Informationen an ihn gewandt hat. 

Jetzt ist Holger Friedrich Zeuge in einer Arbeitsgerichtsklage des Springer-Verlages gegen seinen früheren Angestellten Julian Reichelt und Zeuge in einem Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Berlin. 

Es ist unklar, ob Holger Friedrich das Prinzip des Informantenschutzes nicht verstanden hat. Oder aber ob er es versteht, aber er findet, dass es ihm auch frei steht, dieses zu ignorieren. 

Die genaue Motivation muss nicht näher aufgeklärt werden: Beides ist so irre, dass es unbedingt preiswürdig ist. 

Kommen wir zum angerichteten Schaden. Verunsicherung im Bereich des Quellenschutzes darf es nicht geben. Das ist der Fels auf dem wir stehen. Anonymität wird, wenn gewünscht, unbedingt gewährt – und um jeden Preis geschützt. Das gilt unbedingt in unserem Beruf, so wie es auch für jede Ärztin und jeden Rechtsanwalt selbstverständlich ist: Es ist eine Garantie. Unverrückbar. Unumstößlich. 

Dass man das noch sagen muss. 

Im Umdeuten und eigenwilligen Ausdeuten dieser Grundfesten liegt der von Holger Friedrich angerichtete Schaden. 

Mancher da draußen wird sich jetzt fragen, ob uns anvertraute Geheimnisse wirklich so gut aufgehoben sind, wie wir es unablässig versprechen. Ob es vielleicht noch einen Holger Friedrich gibt. Oder mehrere. Ob ihre Mail, ein Anruf, ein Brief vielleicht versehentlich im Verlag oder in der Geschäftsführung landet, wo jemand finden könnte, dass die Regeln der Redaktion hier doch nicht gelten. 

Oder ob in Medienunternehmen wirklich das Reglement derjenigen gelten könnte, die das Geld haben, sie aufzukaufen. Die aus anderen Welten kommen und so gar nicht finden, dass die unverrückbaren Regeln des journalistischen Handwerks auch von ihnen respektiert werden müssen. Bei denen Ego vor Credo kommt. Holger Friedrich jedenfalls sagt, er habe sich an die Standards gehalten, die in der Finanz- und Automobilwirtschaft Gültigkeit hätten. 

Wo man seine Vorbilder halt so finden kann. 

Dabei ist dies hier zwingend: Eine Eigenschaft als Verleger, Eigentümer, Anteilseigner eines Medienhaus verpflichtet zur Einhaltung der einschlägigen Regeln. Der Informantenschutz ist nicht verhandelbar. 

Anzurechnen, um auch das zu sagen, war, dass Holger Friedrich, mit dem Verstoß offen umgegangen ist. Er begründete dies mit dem Wunsch „über den schmalen Grat zwischen Denunziation und Aufklärung“ und über unsere Standards in den Medien nachzudenken. 

Über Standards zu reden immer eine gute Idee – und deshalb hat das Netzwerk Recherche Holger Friedrich nicht nur eingeladen, heute hier zu sein, die Gegenrede zu dieser Laudatio hier zu halten. Und an einer anschließenden Diskussion teilzunehmen. 

Das findet jetzt ohne ihn statt. Denn Holger Friedrich hat abgesagt, er sei nicht in Deutschland. 

Lieber Herr Friedrich, zu Anfang klangen Sie mutiger. Aber Sie werden dieser  Diskussion nicht ausweichen können. 

Wir werden es Ihnen das nicht durchgehen lassen. Wir können Ihnen das nicht durchgehen lassen. Wenn also schon nicht heute hier, dann sagen sie wann und wo die doch von Ihnen selbst eingeforderte Debatte nun stattfinden wird. 

Ich jedenfalls käme gern. 

An dieser Stelle könnte es auch schon vorbei sein, mit dieser Laudatio. Wären da nicht noch ein paar Fragen, die sich an uns richten. Gut, dass heute dieser Preis verleihen wird. Gut, dass der Presserat in dieser Woche das Verhalten von Holger Friedrich gerügt hat. 

Aber war es anfangs nicht doch ziemlich still angesichts dieses Tabu-Bruchs? Ja, wenn es um Springer und Reichelt geht, klebt überall der Schlamm. 

Man wünscht sich andere Gelegenheiten, Prinzipien zu verteidigen. 

Aber gerade dann wird ein Prinzip verteidigt. Wenn es weh tut. 

Was mich zu der Frage bringt, wie es sonst um unsere Aufmerksamkeit steht, wenn es um Bedrohungen unserer Arbeit geht. Im vergangenen Jahr haben wir hier über die Überwachung durch die furchterregende Pegasus-Technologie gesprochen. Sie gefährdet die Zukunft des Widerspruchs. Sie gefährdet Journalistinnen und Journalisten in allen Staaten der Welt, vor allem in jenen Ländern, in denen der Beruf schon immer lebensgefährlich war. Ja, sie gefährdet unsere Quellen. 

Schaut heute noch jemand hin? Wie die Bundesregierung alle Fragen wegdrückt, in denen es darum geht, wie sie selbst diesen Markt befeuert? Indem BKA und BND solche Trojaner bei Firmen einkaufen, die auch Diktatoren beliefern? Wie die Mitgliedsstaaten der EU die Aufklärungsbemühungen eines Sonderausschusses des EU-Parlaments unterlaufen?

Oder nehmen wir das Jahr, 2015, als wir hier über das Verfahren gegen die Kollegen von Netzpolitik.org sprachen. Wir erinnern uns, weder der Generalbundesanwalt und das Justizministerium hatten ein Geschichtsbuch zur Hand und leiteten erstmals seit der Spiegel-Affäre ein Verfahren gegen Journalisten wegen Beihilfe zum Landesverrat ein. Dann versprach der damalige Justizminister Heiko Maas eine Gesetzesänderung, die war zwingend. 

Aber bis heute gibt es sie nicht. Ja, Heiko Mass ist heute Anwalt, aber seine Partei stellt den Bundeskanzler. 

Warum lassen wir das der Regierung durchgehen? 

Leider ist es zu oft doch so: Unsere Sprunghaftigkeit, unsere Vergesslichkeit trägt dazu bei, dass nicht erreicht erreicht wird, was erreicht werden könnte. 

Was erreicht werden muss. 

Nur die ersten Tage der großen Aufregung überstehen, das Thema wechseln, diese Methode steht im Handbuch jeder Pressesprecherin und jedes Pressesprechers. 

Das funktioniert leider auch ziemlich gut im Umgang mit uns hier. 

Nur: Wir sollten schon aufmerksamer sein, wenn es um die Bedrohung eines großen Freiheitsrechtes geht – und eben das ist die Pressefreiheit. Wir sind nicht die vierte Macht. Aber wir haben die Aufgabe, dass alle Rechenschaft ablegen, die Macht haben. 

Dies ist übrigens auch kein Sonderrecht für uns Journalistinnen und Journalisten. Es gehört in der Demokratie allen Bürgerinnen und Bürgern. 

Wir nehmen es nur stellvertretend wahr. 

Diese und vor allem diese Aufgabe macht den Journalismus unverzichtbar, es macht ihn unersetzlich. 

Diese Aufgabe verträgt keine Leidenschaftslosigkeit. 

Schlimmer ist nur noch Zynismus.