Verbraucherjournalismus: Basis für mündige Entscheidungen
Zusammenfassung der nr-Fachkonferenz „Wissen ist Macht – Verbraucherjournalismus zwischen Lebenshilfe und PR-Geflüster“
Ein Bericht von Renate Daum, Lena Sington, Christine Throl und Franziska Senkel (Fotos)
Spielschleim für Kinder setzt unerlaubt viel gesundheitsschädliches Bor ab, Apps übermitteln Daten ihrer Nutzer, die für ihre Funktion gar nicht nötig sind, dubiose Finanzanbieter aus Zypern ziehen Anlegern mit hochriskanten Geschäften das Geld aus der Tasche. Verbraucherjournalisten decken viele Themen von der Altersvorsorge bis zur Zahngesundheit ab, die das Leben ihrer Leser, Zuhörer und Zuschauer unmittelbar betreffen. „Die wissen, was sie an guten Recherchen in diesem Bereich haben“, stellte Spiegel-Redakteurin Cordula Meyer bei der nr-Fachtagung „Wissen ist Macht – Verbraucherjournalismus zwischen Lebenshilfe und PR-Geflüster“ am 16. November 2018 bei Stiftung Warentest in Berlin fest. Gemessen daran, „hat Journalismus zu Verbraucherthemen einen größeren Stellenwert verdient, auch in der Branche selbst.“ Diese Kluft zwischen großem Publikumsinteresse, hohem Rechercheaufwand und manchmal geringer Wahrnehmung in den Redaktionen und der Branche war in mehreren Gesprächsrunden und Workshops mit gut 100 Teilnehmern zur Lage der Branche, zu Praxisfragen und -fällen und zu innovativen Ansätzen zu spüren. Auch Hubertus Primus, Vorstand der Stiftung Warentest, hob die Bedeutung seriöser Arbeit in diesem Bereich hervor, damit Verbraucher in der Lage sind, mündige Entscheidungen zu treffen.
Umfeld hat sich massiv verändert
Alina Reichardt aus der Zentralredaktion der Funke Mediengruppe mit dem Schwerpunkt Ernährung, Gesundheit, Umwelt in Berlin berichtete in der Eingangsgesprächsrunde zur Lage der Branche vom hohen Leserinteresse – samt schneller Rückmeldung. „Leser lieben solche Artikel, Nutzer klicken sie im Internet“, bestätigte Barbara Brandstetter, Professorin für Wirtschaftsjournalismus und Leiterin des Kompetenzzentrums Media & User Experience an der Hochschule Neu-Ulm. Das hätten Medienhäuser auch schon vor Jahren festgestellt, es sei aber bei Lippenbekenntnissen zur Stärkung des Bereichs geblieben: „Personell hat sich aber wenig getan.“
Massiv verändert hat sich das Umfeld. „Tests“ und „Empfehlungen“ von zweifelhafter Qualität sind im Internet überall zu finden. Lutz Frühbrodt, Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt verwies auf Vergleichsportale, die nicht immer unabhängig sind auch Influencer auf YouTube, die Produkte „testen“.
Olaf Langner, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Chefsyndikus, Leiter Recht, Steuern und Verbraucherpolitik, sah aber auch Defizite im Verbraucherjournalismus selbst. Nur etwa ein Drittel der Beiträge schätzt er als gut recherchiert und präsentiert ein. Kritisch sieht er Beiträge mit markigen Schlagzeilen, die Verbraucher ohne sachlich gerechtfertigte Grundlage aufwühlen und verunsichern statt sie seriös aufzuklären. Als Beispiel nannte er einem Online-Artikel, der ein Gerichtsurteil zu Zinsen zunächst korrekt darstellte, später aber eine reißerische, in die Irre führende Überschrift erhielt.
„Quick and Dirty“ zu arbeiten funktioniere im Verbraucherjournalismus nicht, ergänzte Brandstetter. Sie riet dazu, Grenzen aufzubrechen und zum Beispiel Projekte mit Datenjournalisten oder investigativen Journalisten zu verwirklichen.
Gute Beispiele aus aller Welt präsentierte sie in einem eigenen Vortrag. Sie betonte, wie wichtig es ist, die Zielgruppe zu kennen. Daraus ließen sich Prototypen identifizieren, die für eine Gruppe von Nutzern und ihr Verhalten stehen (Personas). Beliebte Formate seien Frage-Antwort-Stücke, Beispielrechnungen, Listicles wie „Fünf Gründe für….“, Entscheidungsbäume. Hilfreich seien Verlinkungen zu Studien oder Statistiken für Interessierte, wie es die New York Times vor dem Hintergrund Fake News tue. Gut eigneten sich auch multimediale Darstellungsformen wie Erklärvideos, interaktive Grafiken oder Chatbots. Dafür gebe es viele, einfach anwendbare Tools. Das Abfragen von Daten der Leser und Darstellen in Grafiken oder Statistiken zeige Wertschätzung für die Leser und biete die Chance, sie an sich zu binden.
Einem angeblichen Schweizer Geheimtipp auf der Spur
In mehreren Workshops setzten Praktiker Schwerpunkte bei einzelnen Themen. Wie es gelingt, strukturiert zu recherchieren, schilderte Lars-Marten Nagel aus für das Investigativ-Team des Handelsblatts. Er ging einem angeblichen „Schweizer Geheimtipp“ nach, der Anlegern mit einem ausgefeilten Handelssystem sagenhafte Renditen bescheren sollte. Wie das genau funktionieren sollte, blieb im Informationsmaterial des „Picam Unternehmensverbunds“ vage. Bei einem Gespräch vor Ort hatte der Anbieter Antworten auf alle Fragen. In einem ersten Artikel trug Nagel daher Auffälligkeiten zusammen. Viel später wurde offenbar, dass er mit seinen Zweifeln richtig lag: Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Nagel riet dazu, Dateien nach einem festen Ordnungssystem zu benennen, um sich auch noch lange nach Recherchebeginn leicht wieder aufzufinden. Wichtig ist es ihm, Firmenstrukturen aufzuzeichnen. Statt auf Papier tut er dies mittlerweile mit einer Software. Das hat den Vorteil, dass sich Veränderungen leicht darstellen lassen. Wenn seine Artikel fertig, aber noch nicht veröffentlicht sind, erstellt er eine „Fußnotenversion“: „Ich gehe den Text Absatz für Absatz durch und schreibe dazu, was meine Quellen und Belege sind.“
Einen roten Faden bilden oft Protagonisten, die sich öffentlich äußern. Gerade für Fernsehjournalisten sind sie wichtig, um trockene Themen in Fernsehbeiträgen anschaulich zu erklären. Die beiden Fernsehjournalisten Maja Helmer und Marcus Lindemann von der Fernsehproduktionsgesellschaft autorenwerk gaben einen Einblick, wie sie bei der Suche vorgehen. Sie fragen sich, an welchen Orten geeignete Protagonsiten sein könnten und wie sie sich bewegen. Fälle suchen dann zum Beispiel über Verbände, Organisationen, persönliche Kontakte, Handzettel, Kleinanzeigenportale im Internet oder soziale Medien, vor allem Facebook. In Foren bitten sie gegebenenfalls den Administrator, Kontakte herzustellen. Die Google-Bildersuche nutzen sie, um an Kontaktdaten zu Bildern zu kommen.
In zwei Workshops schilderte Britta Langenberg, Redakteurin vom Wirtschaftsmagazin Capital, wie aus sperrigen Themen spannende Magazingeschichten werden. Ein Thema mit Nutzwert für Verbraucher zu bearbeiten sei keine Ausrede, einen langweiligen Text abzuliefern, schärfte sie ihrem Publikum ein. Eine Magazingeschichte mit Nutzwert müsse nicht nur präzise recherchiert, sondern auch gut konzipiert sein. Das Thema müsse klar umrissen sein und der Artikel klare Antworten geben. Quellen für Themenideen und spannende Fallbeispiele bildeten Leserbriefe, Foren, Kommentare zu Artikeln. Die Autoren müssten eine Vorstellung ihrer Zielgruppe haben, und eine gut begründete Haltung transparent und überprüfbar darstellen.
Langenberg empfahl, „in Strecken zu denken“, also die Kombination aus Text, Grafiken, Tabellen und Schaubildern und deren jeweiliger Funktion im Blick zu behalten. Tipps und Ratschläge müssen praktikabel für die Leser sein. Zahlen oder Tipps sollten aus dem Lauftext ausgelagert werden, sie stören den Lesefluss. Es lohnt sich, Anekdoten/Kurioses zu sammeln, die sich beispielsweise als Einstiege eignen, etwa den Fall einer Boa Constrictor, die einen Wasserschaden auslöst. Zitate sollten Bewertungen transportieren, nicht Erklärungen liefern. Bei der Auswahl von Experten sei deren Interessenslage zu berücksichtigen und einzuordnen. Autoren sollten eigene Texte immer gegenlesen lassen, zur Not von Kollegen, wenn es keinen Textchef gebe. „Textchefs sind nicht unsere Feinde“, sagte sie und rief dazu auf, mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihr Feedback zu nutzen.
Verbraucherschützer im Schafspelz und sinnlose Siegel enttarnen
Eine ganz besondere Interessenslage haben Christian Fuchs von der ZEIT und Volkmar Lübke vom Verein Transfair bei vermeintlich unabhängigen Verbraucherschützern oder Patientenvereinigungen und sinnlosen Gütesiegeln an die Öffentlichkeit gebracht. Christian Fuchs schilderte, wie er seit Jahren Tarnorgansationen entlarvt. Unternehmen und Lobbys gründeten Vereine und Arbeitskreise, um zum Beispiel angeblich unabhängig über Gesundheitsthemen aufzuklären. In den Bereichen Medizin, Ernährung, Gesundheit gebe es besonders viele Tarnorganisationen. Die Namen gäben keinerlei Hinweis darauf, wie seriös oder unseriös eine Organisation sei. Sein erster Blick gelte dem Impressum. Manchmal seien dort Personen zu finden, die für Kommunikations- und Werbeagenturen tätig seien, an der Adresse sei zum Beispiel eine Niederlassung der Agentur zu finden. Einige Agenturen seien für mehrere solcher Organisationen tätig. Karrierenetzwerke könnten Aufschluss über solche Personen geben. Vielversprechend sei es auch, Geldflüsse zu verfolgen. Er habe dafür sogar vermeintliche Spender und Sympathisanten eingeschleust. Eine Anleitung zum Enttarnen solcher Vereine und Organsationen hat er auf zeit.de veröffentlicht . In seinem neuesten Fall schildert er, wie ein Rechtsanwalt mehrere Vereine aufgebaut hat, die sich für Anlegerschutzinteressen einsetzen sollten. Der Rechtsanwalt arbeitete zudem auch für Vereine und eine Partei mit deutlich rechtem Drall.
Volkmar Lübke ist ehrenamtlich als Labelling- und Fairtrade-Experte aktiv. „Ich frage, ob hinter dem Siegel ein System steckt, das die behauptete Wirkung wirklich erreicht“, sagte er. Wichtig: Der Zertifizierer müsse unabhängig sein. Dazu verwies er auf Datenbanken, unter anderem von der Deutschen Akkreditierungsagentur sowie das Portal Siegelklarheit.de, das aus einem Projekt stammt, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) initiiert und finanziert wurde. Umgesetzt hat es die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Es komme darauf an, wie ein Siegelanbieter mit Verstößen umgehe: „Wenn ein Anbieter sagt, dass es hundertprozentig nicht zu Verstößen kommt, ist das unglaubwürdig.“ Von „Supersiegeln“, die Siegel auszeichnen sollen, verspricht er sich nur einen begrenzten Nutzen: „Das sind immer Kompromisslösungen.“
Einsatz versteckter Kameras ist nicht immer zulässig
Gerade bei kritischen Themen sind aber auch rechtliche Fragen zu beachten, etwa wenn Journalisten vor Produkten warnen oder versteckte Kameras einsetzen. Die Rechtsanwältin Nadine Dinig, die für Öko-Test tätig ist, und der Fernsehjournalist Stefan Hanf von der Produktionsfirma Macondo, die unter anderem Beiträge für die ARD und das ZDF produziert, gingen in zwei Workshops auf spezielle Fragen ein, die im Verbraucherjournalismus wichtig sind. Dinig erklärte, dass Waren- und Dienstleistungstest neutral durchgeführt werden müssen. Die Auswahl der Testobjekte müsse transparent, die Testmethoden sachkundig ausgewählt sein. Wichtig sei es auch, zu beschreiben und zu begründen, warum was wie bewertet wurde und die Getesteten vor der Veröffentlichung mit den Testergebnissen zu konfrontieren. Grundsätze dazu ließen sich Gerichtsurteilen entnehmen, unter anderem vom Bundesgerichtshof.
Hanf erläuterte, dass Aufnahmen mit versteckter Kamera nur zulässig seien, wenn ein gesteigertes öffentliches Interesse bestehe und die Bilder nicht anders zu beschaffen seien. Es gehe dabei immer um eine Einzelfallunterscheidung. Dabei ist zu beachten, dass schon die Aufnahme selbst strafbar sein könne. Aufnahmen mit versteckter Kamera verletzten Persönlichkeitsrechte und Hausrechte. Daher sei die Recherche transparent zu dokumentieren und beispielsweise Nachweise zu sammeln, dass eine Drehgenehmigung beantragt und abgelehnt wurde.
Tonaufnahmen seien grundsätzlich verboten. Technisch sei in solchen Fällen die Aufnahme der eigenen Protagonisten mit einem speziellen Mikrofon möglich, dass nur seine Stimme aufzeichnet, ein Stenograf erstelle ein Wortprotokoll. Hanf riet dazu, immer zu zweit mit versteckter Kamera zu arbeiten, anschließend fertigen beide zeitnah ein Gedächtnisprotokoll – zum Beispiel anhand eines vorbereiteten, formularartigen Gesprächsprotokolls – an. Am Telefon müsse das Einverständnis bei laufender Aufzeichnung eingeholt werden, falls jemand mithöre. Es reiche nicht, einer Person, die unerkannt bleiben soll, einen schwarzen Balken vor die Augen zu setzen. Auch an der Umgebung, Bekleidung oder Art sich zu Bewegen sei es möglich, auf die Identität einer Person zu schließen.
Brigitte Alfter, Autorin des Handbuchs „Grenzüberschreitender Journalismus“ zum Cross-Border-Journalismus betonte, dass mittlerweile viele Entscheidungen, die Verbraucher betreffen, in Brüssel fallen. Multinationale Konzerne böten Produkte und Dienstleistungen weltweit an. Daher sei es an der Zeit, auch bei der Recherche über nationale Grenzen zu schauen. Die alltägliche Kooperation zwischen Journalisten aus verschiedenen Ländern sei nicht nur bei großen Fällen wie den Panama-Papers von Vorteil. Konkurrenzdenken sei bei Journalisten aus verschiedenen Ländern nicht nötig. Es sei wichtig, die Organisationen und Abläufe in der EU zu kennen. Es gebe auch viele Einfallstore, an interessante Informationen zu kommen, da 28 Länder vertreten seien, die selten in einem Thema einig sind. Alter warnte davor, es reiche nicht, einfach Artikel aus einer anderen Sprache zu übersetzen. Erforderlich sei es, die Leserschaft und ihre Struktur im jeweiligen Land der Veröffentlichung zu kennen.
Der Algorithmus belohnt Aufregerthemen, nicht nüchterne Information
Mehrere Gesprächsrunden befassten sich zudem mit den Herausforderungen, vor denen der Verbraucherjournalismus steht. Marcus Niehaves, Redaktionsleiter der Verbrauchersendung WISO im ZDF, setzt stark auf soziale Medien. So hat WISO Auftritte bei Facebook und YouTube, auch Twitter wird genutzt. Er berichtete, dass sich die Nutzer der verschiedenen Kanäle stark unterscheiden. Er erläuterte, wie der Algorithmus zum Beispiel von Facebook beeinflusse, welche journalistischen Beiträge erfolgreich seien. Es sei aber zu spät, um noch eine große europäische Plattform als Gegenentwurf zu starten.
Die Regeln setzten große Konzerne, die Anbieter sozialer Medien. Als Beispiel nannte er das Format, „WISO Tipp“ mit Tipps für die Nutzer, das in sozialen Netzwerken schlecht laufe. Die Nutzer läsen das gerne durch und hätten auch etwas davon, teilten solche Inhalte aber nicht. Sie diskutierten auch nicht darüber. „Alles, was aber zu Diskussionen führt, was provozierend ist, was zugespitzt ist, was vielleicht ein Aufregerthema ist, das leitet dann zu Diskussionen, das wird geteilt, da wird gewarnt davor – und das belohnt der Algorithmus“, sagte Niehaves. Ein anderes Format, die „WISO Oma“ mit dem „Oma-Trick“, sei auf den ersten Blick unterhaltsam und biete Stoff zum Aufregen. Es werde unverändert vom Fernsehen übernommen und laufe auf YouTube.
Es wurde darüber diskutiert, eine Art europäisches YouTube zu etablieren, das mit sogenannten guten Algorithmen arbeite. Der Vorschlag komme aber „ein bisschen spät“. Niehaves sehe es eher als Herausforderung, mitzumachen und Formen zu finden, die journalistischen Ansprüchen genügen, aber auch im Blick haben, wie Medienkonsum heute funktioniere, auch bei der jüngeren Generation. Es werde nicht gelingen, dagegen zu arbeiten. Er sprach sich dafür aus, authentisch zu berichten und die Zuschauer teilhaben zu lassen.
Noch weiter geht Funk, ein Onlineprojekt von ARD und ZDF, das gar keinen Sendeplatz im Fernsehprogramm mehr hat, sondern nur für soziale Netzwerke produziert. Zu den Kanälen von Funk gehört Strg_F vom NDR für junge Erwachsene. Christian Deker hat dafür zwei Beiträge über die Hintergründe von Werbeclips gemacht, die schnelles Geld mit wenig Aufwand versprechen. Er zeigte Ausschnitte aus seiner preisgekrönten Folge „CFD-Trading: Wer sind die YouTube-Typen, die dich reich machen wollen?“ und machte darin deutlich, wie sich die Erzählweise von herkömmlichen Fernsehbeiträgen unterscheidet. Seine Recherchen führten ihn bis nach Zypern zu einem unseriösen Anbieter hochriskanter Finanzwetten. Dabei ließ er die Zuschauer an seinen Recherchen teilhaben. Er legte auch offen, dass sie zu einem Punkt in eine Sackgasse geraten schienen. Im Gegensatz zu den WISO-Formaten für die sozialen Medien erkennen Nutzer bei dem Strg_F-Beitrag aber nicht leicht, dass sie ein Angebot aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor sich haben.
Wenn das Produkt erkennt, dass es im Prüflabor steht
Über neue Herausforderungen für Tests und Tester diskutierten Holger Brackemann, Leiter des Bereichs Untersuchungen bei Stiftung Warentest und Jürgen Steinert, Leiter des Testressorts bei Öko-Test. „Größtes Problem ist die Digitalisierung“, sagte Brackemann. Produkte blieben durch Softwareupdates nicht konstant. Sie verrieten zudem viel über ihre Nutzer. Produkte sind auch viel eher in der Lage festzustellen, dass sie getestet werden. Ein Saugroboter zum Beispiel müsse eine andere Umgebung vorfinden als die in einer Norm beschriebene. Produktzyklen würden immer kürzer. Ein wirkliches Problem seien unsichere Waren direkt aus Fernost, die nach Produktwarnungen verschwänden und danach unter neuem Namen wieder auftauchten. Individualisierte Preise seien bisher eher in Einzelfällen nachgewiesen worden. Eher sei zu beobachten, dass sich Preise sehr schnell ändern, aber dann für alle Verbraucher.
Steinert ging unter anderem darauf ein, dass die Unternehmensverantwortung zunehmend eine Rolle spiele, etwa die Umständen, unter denen ein Produkt hergestellt werde. Hersteller sollten in der Lage sein, ihre Produkte zurückzuverfolgen bis an den Produktionsstandort, samt Kontrollen vor Ort. Er wies auch auf die Schwierigkeiten hin, herauszufinden, wie eine Kombination aus Schadstoffen wirke und wie mit immer neuen Problemstoffen umzugehen sei.
Ganz neue Wege beschreiten aber auch Journalisten. So nutzen sie unter anderem Sensoren, um neue Datenquellen zu erschließen. Andreas Baum und Michael Gegg präsentierten das Projekt „Radmesser“ des Tagesspiegel. Sie haben Sensoren selbst entwickelt und gebaut, mit denen sich messen lässt, mit welchem Abstand Autos Fahrräder überholen. Die Idee: Viele Radfahrer haben Angst im Straßenverkehr, weil sie das Gefühl haben, zu eng überholt zu werden. Das Projekt sollte Daten sammeln, wie berechtigt die Sorge ist und wie oft der in der Straßenverkehrsordnung vorgeschriebene Mindestabstand von 1,50 Meter unterschritten wird. Sie stießen auf großes Interesse. Mehr als 2500 Leute wollten allein in Berlin mitmachen. Aus ihnen wählten die Initiatoren 100 Freiwillige aus, die ein möglichst breites Spektrum an Fahrradfahrern abdecken. Eineinhalb Monate lang fuhren diese durch die Stadt. Das Projekt stieß national und international auf große Resonanz. Die Ergebnisse sollen sowohl multimedial als auch in der Printausgabe verarbeitet werden.
Eine Möglichkeit, Daten auf die jeweiligen Nutzer zuzuschneiden, stellte Christina Elmer von Spiegel Online vor. Beim Pendler-Projekt nutzten die Journalisten die Möglichkeiten, die personalisiertes Storytelling bietet. Sie nutzten dafür Daten, wer in Deutschland von wo nach wo mit welchem Verkehrsmittel pendelt. Schon der Einführungstext, den Nutzer zu sehen bekamen, variierte je nach Tageszeit. Die Nutzer gaben dann einige persönliche Daten ein, etwa zu ihrem Wohn- und Arbeitsort. Sie bekamen daraufhin einen Text und Grafiken angezeigt, der auf ihre spezielle Situation einging. So erfuhren sie, wie viele Menschen in ihrem Ort so wie sie pendeln. Das war auch auf einer Deutschlandkarte angezeigt. Die Redaktion und die Programmierer stellte das Projekt vor große Herausforderungen. So mussten die Journalisten Textschablonen erstellen, die jede erdenkliche Variante umfassten. 300 Milliarden mögliche Versionen ergäben sich aus den Eingaben der Nutzer, rechnete Elmer vor. Die Ergebnisse seien auch interessant für die Forschung.
Fotoimpressionen (© F.Senkel)
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