Breite × Tiefe × Nähe
Auf der Suche nach der Erfolgsformel für spendenfinanzierten digitalen Lokaljournalismus im ländlichen Raum.
Ein Report von Dörthe Ziemer
Der Greenhouse Report Nr. 1 (PDF-Datei) geht der Frage nach, welche Chancen der spendenfinanzierte und gemeinnützige digitale Lokaljournalismus im ländlichen Raum hat. Denn in den vergangenen Jahren wurden in Deutschland zwar zahlreiche neue, meist digitale Lokalmedien gegründet, diese haben ihren Sitz und Schwerpunkt jedoch sehr häufig in Städten. Der Report analysiert daher die Situation und Einstellungen abseits der urbanen Zentren. Für welche Art von Lokaljournalismus sind die Menschen dort bereit zu zahlen oder zu spenden?
Im Mittelpunkt der Betrachtung steht der Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg. Er ist einerseits gekennzeichnet durch die Nähe zu Berlin, den Flughafen BER in Schönefeld, die benachbarte Gigafactory des Autoherstellers Tesla und zahlreiche Wissenschaftseinrichtungen. Im südlichen Teil ist der Landkreis ländlich geprägt und reicht bis in den Spreewald und die Lausitz. Der Landkreis ist die Heimat der Autorin dieses Reports; hier hat sie 2021 das lokale Online-Magazin Wokreisel gegründet.
Für den Report wurden 21 Interviews mit kommunalen Multiplikatoren und Multiplikatorinnen geführt und ausgewertet. Zu Wort kamen dabei z. B. Menschen aus Vereinen, Kultureinrichtungen, Schulen, örtlichen Unternehmen und der Kommunalpolitik, darunter der Landrat des Landkreises Dahme-Spreewald, Stephan Loge (SPD). Außerdem haben 39 Personen aus der Region an einer nicht-repräsentativen Online-Umfrage zu ihrer Sicht auf den Lokaljournalismus teilgenommen. Gespräche mit Gründern digitaler Lokalmedien aus anderen Regionen Deutschlands sowie die Auswertung aktueller Studien und Literatur ergänzten die Recherche.
Die Lage des Lokaljournalismus vor Ort wird insgesamt sehr kritisch bewertet. Viele Befragte im Landkreis Dahme-Spreewald bemängeln, dass die Qualität der Berichterstattung gelitten habe, und machen dafür u. a. Redaktionszusammenlegungen und Stellenstreichungen verantwortlich. Auch der Vertrauensverlust der Medien insgesamt spiegelt sich in manchen Äußerungen wider: Einige Befragte unterstellen dem Journalismus wirtschaftliche oder politische Abhängigkeiten.
In den vergangenen Jahren wurden im Landkreis einige digitale, nicht-journalistische Informationsangebote entwickelt. Auf Webseiten, in Newslettern oder in Dorf-Apps wird beispielsweise über Auslegungsfristen von Bebauungsplänen oder Beratungsergebnisse aus politischen Gremien informiert, es werden Kartoffeln verkauft oder Baumaterialien getauscht. Diese Foren helfen, Informationen aus der direkten Nachbarschaft zu erhalten. Eine kritische Einordnung des Geschehens ist von ihnen jedoch nicht zu erwarten.
Dieser Greenhouse Report destilliert aus den Antworten der Interview-Partner und Umfrage-Teilnehmer eine Faustformel für die Wünsche des Publikums an journalistische Angebote im Lokalen: Breite × Tiefe × Nähe. Damit sind drei Dimensionen umrissen – die Breite der Informationen aus der Nachbarschaft („Themen-Marktplatz“), die tiefgründige Analyse und Recherche (Vierte Gewalt) sowie die räumliche Nähe der Journalisten zu den Menschen vor Ort. Das ist im untersuchten Landkreis, wo zwischen den Gemeinden bis zu 100 Kilometer liegen können, deutlich schwieriger als in der Stadt.
Aber können Lokal- und Regionalmedien dieser anspruchsvollen Formel (Breite × Tiefe × Nähe) überhaupt genügen? Die Interviews mit Machern neuer digitaler Lokalmedien in urbanen Räumen zeigen: Sie setzen bewusst auf tiefgründige Schwerpunkt-Themen. Medienprojekte wie RUMS aus Münster oder die Relevanzreporter in Nürnberg fokussieren sich zudem in räumlicher Hinsicht auf das Publikum in der Stadt, Leser im Umland spielen eine untergeordnete Rolle.
Es ist daher eine offene Frage, wie die Informationen in ihrer Vielfalt und Breite das Publikum im ländlichen Raum erreichen können, wenn weder die Lokalzeitung noch die neuen digitalen Lokalmedien diesen Wünschen gerecht werden (können). Eine denkbare Lösung sind gemeinwohlorientierte Plattformen, die Informationen aus verschiedenen Quellen bündeln. In Deutschland wird beispielsweise derzeit die lokale Info-App molo.news weiterentwickelt, die Nachrichten von etablierten Lokalmedien ebenso abbildet wie Informationen von Vereinen und Kulturveranstaltungen. In der Schweiz entwickelt Polaris derzeit eine gemeinnützige News-Plattform, die Nachrichten von Nutzer:innen erstellen lässt und u. a. auf Open Data zurückgreifen soll.
Das Bezahlen für digitalen Lokaljournalismus wird von den Befragten ambivalent bewertet. Auf der einen Seite ist den meisten Befragten durchaus bewusst, dass die journalistische Leistung nicht gratis sein kann. Auf der anderen Seite hadern sie mit den üblichen Bezahlsystemen. Das kann praktische Gründe haben (z. B. als umständlich empfundene Anmeldeprozesse) oder an der Logik der Digital-Abos der Tageszeitungen liegen: Wer im Grenzraum von zwei oder drei Verbreitungsgebieten konkurrierender Zeitungen lebt, müsste zwei oder drei Blätter abonnieren, um in alle Richtungen informiert zu sein. Hier könnten z. B. unkomplizierte, anbieterübergreifende Plattformen für digitalen (Lokal-)Journalismus eine Lösung sein.
Der gemeinnützige Journalismus als neues Angebot neben privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Medien ist dem Großteil der Befragten unbekannt. Auch das Spenden für gemeinnützigen Journalismus wird von den Befragten im ländlichen Raum als ungewöhnlich wahrgenommen, denn sie verbinden Spenden sehr stark mit klassischen humanitären Zwecken. Einige assoziieren mit einer Spendenfinanzierung sogar Gefahren für die journalistische Unabhängigkeit.
Der Greenhouse Report leitet aus diesen Befunden sechs konkrete Empfehlungen ab, um den Lokaljournalismus zu stärken:
- Der ländliche Raum muss in der Debatte über die Zukunft des Lokaljournalismus einen größeren Stellenwert bekommen. Wenn digitale Angebote die Heimatzeitung im Sinne der Medienvielfalt ergänzen sollen, müssen sie auch zu den Bedürfnissen der Menschen auf dem Land passen.
- Der Journalismus jenseits der urbanen Zentren muss im Kontext des digitalen Wandels auf dem Land insgesamt verstanden werden, so dass zum Beispiel auch die Digitalkompetenz der Bevölkerung oder die Netzabdeckung stets mitgedacht werden.
- Kommunalpolitiker und andere Multiplikatorinnen aus dem ländlichen Raum sollten sich aktiv in die Debatten um die Zukunft des Lokaljournalismus einbringen, weil sie unmittelbar erleben, wie das Gemeinwesen und die örtliche Demokratie unter der Schwäche des Lokaljournalismus leiden.
- Lokaljournalistische Medien, die in Städten gegründet wurden, sollten Ideen entwickeln und erproben, um auch die Bevölkerung in den Gemeinden im Umland anzusprechen. Ein gezieltes Förderprogramm könnte diese Ausdehnung bestehender Medienprojekte in den ländlichen Raum stimulieren.
- Die Wächterfunktion des Lokaljournalismus sollte gestärkt werden, zum Beispiel durch fokussierte Recherche-Stipendien. Ebenso sollten innovative Pionierprojekte gefördert werden, die gemeinwohlorientierte Plattformen für digitalen Lokaljournalismus und Informationen aus der Nachbarschaft entwickeln und erproben.
- Das Modell des gemeinnützigen Journalismus und seine Bedeutung für eine lebendige Demokratie müssen im ländlichen Raum durch eine Informationsoffensive bekannt gemacht und besser erklärt werden, um dort die Grundlagen für spendenfinanzierte Medienprojekte zu legen.
Die Recherche für den Greenhouse Report von Dörthe Ziemer wurde mit dem Greenhouse Fellowship unterstützt. Das Fellowship ist ein Angebot im Grow Greenhouse, dem Zentrum für gemeinnützigen Journalismus und Medienvielfalt von Netzwerk Recherche. Ermöglicht wurde das Fellowship von der Schöpflin Stiftung.