Störfaktor Kind: Warum Familie und Journalismus so schwer vereinbar sind

Ein Report von Tamara Keller und Corinna Cerruti

Greenhouse Report Nr. 3 (Bild: Ute Lederer)

Greenhouse Report Nr. 3 (Bild: Ute Lederer)

Wer im Journalismus arbeitet und eine Familie gründet, steht vor massiven Hürden: unflexible Arbeitszeiten, schlechte Bezahlung, geringe Wertschätzung und fehlende Karriereperspektiven. Der Journalismus ist aufgrund seiner starren Strukturen bei gleichzeitig hohen Anforderungen an die individuelle Flexibilität anfällig für Diskriminierung von Journalist:innen mit Kindern. Die Diskriminierung trifft Journalist:innen nicht nur punktuell, sondern systematisch. Für viele Medienschaffende ein Grund, der Branche den Rücken zu kehren.

Der neue Greenhouse Report, herausgegeben von Netzwerk Recherche und gefördert von der Schöpflin Stiftung, beleuchtet anhand von 28 Interviews aus Deutschland und Österreich, wie schwer sich Beruf und Familie im Journalismus vereinbaren lassen. Die Autorinnen haben mit 23 Frauen und fünf Männern gesprochen – darunter Festangestellte, Freie und ehemalige Journalist:innen.

Der Report zeigt nicht nur die strukturellen Probleme auf, sondern stellt auch konkrete Lösungsansätze vor, wie Medienhäuser ein familienfreundlicheres Arbeitsumfeld schaffen und so Journalist:innen mit Kindern langfristig im Beruf halten können.

Ein herzlicher Dank geht an Dennis Bühler und Jana Rick für ihre Mitarbeit in der Jury des Greenhouse Fellowships und ihre inhaltliche Beratung der Autorinnen.

Die Ergebnisse des Reports sind in gekürzter Form auch im Medium Magazin erschienen.

 

Erkenntnisse über die Vereinbarkeit von Familie und Journalismus

Zentrale Hindernisse

In den Interviews wurden vier Herausforderungen im Journalismus besonders häufig genannt, die unmittelbar mit dem Elternsein in Verbindung stehen: mangelnde Planbarkeit, geringe Bezahlung, fehlende Wertschätzung und begrenzte Karriereperspektiven. Alle vier Faktoren treffen alleinerziehende Journalist:innen besonders hart.

Mangelnde Planbarkeit
Frühschichten oder Termine am Nachmittag sind oft nur schwer mit der Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen – genauso wie spontanes Reagieren auf tagesaktuelle Ereignisse. Individuelle Arbeitszeitmodelle werden aber nur selten angeboten und hängen oft vom Wohlwollen der Vorgesetzten ab. Wer keine flexiblen Arbeitgeber:innen hat, dem drohen weniger Schichten (was für Freie ein finanzielles Problem darstellen kann), die Versetzung in eine andere Abteilung oder gar der Jobverlust, wenn befristete Arbeitsverträge in oder nach der Elternzeit nicht verlängert werden. 

Geringe Bezahlung
Mit der Geburt des Kindes wächst das Bedürfnis nach finanzieller Sicherheit. Für viele Journalist:innen bedeuten die oft prekären Arbeitsverhältnisse im Journalismus aber nicht selten eine ungewollte finanzielle Abhängigkeit von dem Partner oder der Partnerin. Mehrere Befragte schildern, dass sie nur deshalb weiterhin im Journalismus arbeiten können, weil das Einkommen des Partners oder der Partnerin den Lebensunterhalt sichert. Dies belastet vor allem Mütter, die nicht in klassische Geschlechterrollen rutschen wollen. Auf Grund der finanziellen Unsicherheit denken viele Befragte über einen Ausstieg aus dem Journalismus nach. 

Fehlende Wertschätzung
Sowohl Väter als auch Mütter berichten davon, dass ihr Ansehen in der Redaktion unter ihrer Elternrolle leidet. Sie gelten demnach als nicht mehr belastbar und als zu unflexibel für den Job. Außerdem sehen sie sich mit dem Vorurteil konfrontiert, wegen Kinderbetreuung häufig auszufallen. Dabei geben fast alle Befragten an, dass sie, seit sie Familie und Kinder managen, viel effizienter arbeiten. 

Begrenzte Karriereaussichten
Die Mehrheit der Befragten wünscht sich, auch nach der Familiengründung im Journalismus tätig zu sein und sich beruflich weiterzuentwickeln. Doch für viele bedeutet die Geburt des Kindes ein Stopp auf der Karriereleiter. Befördert würden in erster Linie Mitarbeitende ohne Kinder, sagen sie. Eltern werden nicht selten aus journalistischen Arbeitsrollen auf Planungs- oder Koordinierungsstellen versetzt, weil die Arbeitszeiten dort vermeintlich flexibler sind. 

Ausstieg aus dem Journalismus

Viele Befragte streben nach beruflicher Sicherheit. Finden sie die im Journalismus nicht, sind die meisten nicht abgeneigt, die Branche zu verlassen. All jene, die bereits ausgestiegen sind, bezeichneten den Jobwechsel als eine Erleichterung. Dies sollte Medienhäuser alarmieren. 

Lösungsansätze für die Vereinbarkeit von Familie und Journalismus

Viele Betroffene wünschen sich strukturelle Veränderungen hin zu mehr Flexibilität, Teamgeist und besseren Karrierechancen – etwa durch Jobsharing oder Doppelspitzen. Erste positive Ansätze wie Betriebskitas, Teilzeit-Volontariate sowie Jobsharing-Modelle existieren bereits und erleichtern es Journalist:innen, Kinder und Beruf besser unter einen Hut zu bringen. Die Recherche zeigt, dass Medienhäuser im eigenen Interesse neue Arbeitsmodelle entwickeln müssen. Langfristig könnten solche Maßnahmen nicht nur die Zufriedenheit und Verweildauer der Mitarbeitenden erhöhen, sondern auch die journalistische Qualität sichern. 

Der Report liefert eine umfassende Analyse der strukturellen Probleme – und zeigt Wege auf, wie der Journalismus elternfreundlicher werden kann. Jetzt den ganzen Report lesen!

Greenhouse Report Nr. 3 (Bild: Ute Lederer)Die Recherche für den Greenhouse Report von Tamara Keller und Corinna Cerruti wurde mit dem Greenhouse Fellowship unterstützt. Wir bedanken uns bei Dennis Bühler und Jana Rick für ihre Mitarbeit in der Jury des Greenhouse Fellowships. Das Fellowship ist ein Angebot im Grow Greenhouse, dem Zentrum für gemeinnützigen Journalismus und Medienvielfalt von Netzwerk Recherche. Ermöglicht wurde das Fellowship von der Schöpflin Stiftung.

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