SEED-Newsletter Nr. 34 – Ausgabe vom November 2025
Unsere Themen:
- Lückenfüller: Was kommt nach der Zeitung?
- Kooperation: Plattform für gemeinsame Lokalrecherchenverband
- Gutachten: Neue Ideen zur Medienförderung
Liebe Leser:innen,
ich habe einen Lieblingsnewsletter. Ihm verdanke ich immer wieder kluge Denkanstöße und Ratschläge. Er heißt „Second Rough Draft“ und wird von Richard Tofel verschickt, einem Pionier des gemeinnützigen Journalismus in den USA. Kürzlich hat der frühere ProPublica-Präsident dort eine Studie analysiert, die es in sich hat. Es geht um die Frage, wie wir über unser Anliegen, relevanten Journalismus für die Demokratie zu sichern, öffentlich sprechen sollen. Um es kurz zu machen: ohne über „Journalismus“ und „Demokratie“ zu sprechen.
In Auftrag gegeben wurde die Untersuchung von der philanthropischen Initiative Press Forward. Sie hat auf der Grundlage einer sehr aufwendigen Methodik (Online-Befragung von 3.000 Erwachsenen, Expert:inneninterviews, Fokusgruppen und Tests mit rund 5.000 Personen) ein Toolkit mit Empfehlungen für die Kommunikationsarbeit von Lokalmedien entwickeln lassen. In dem Report „Words That Work: A Toolkit for Newsrooms“ heißt es: Begriffe wie „Journalismus“ wecken bei vielen Befragten negative Assoziationen. Er gilt als parteiisch oder meinungslastig, der Begriff „Demokratie“ als überstrapaziert und politisch aufgeladen. Richard Tofel fasst es so zusammen: „Democracy Dies from Overuse.“
Sicherlich lassen sich diese Ergebnisse aus den USA nicht 1:1 auf Deutschland übertragen. Aber auch hier sollten wir uns fragen, ob wir nicht mit unseren Begriffen Assoziationen beim Publikum provozieren, die schädlich sind. Henryk Balkow, Vorsitzender des Mediennetzwerks Thüringen, erzählte mir, dass es dort Reizwörter gebe, die sofort eine Abwehrhaltung erzeugten. Dazu zählt nach seiner Erfahrung auch der Begriff „Journalismus“ (ebenso wie „Veggie“). Er rät, lieber von „Nachrichten“ zu sprechen. Das passt zu den Ratschlägen der US-amerikanischen Kommunikationsstrategen. Sie empfehlen positiv getestete Begriffe wie „faktenbasiert“, „Qualität“, „unabhängig“ und „News“ statt „Journalismus“ oder „Medien“. Auch Begriffe wie „News Desert“ oder „Watchdog“ seien zu vermeiden.
Ich finde es reichlich seltsam, als Journalist nicht über den Wert von „Journalismus“ zu sprechen. Marketing liegt mir fern. Aber natürlich kann es uns nicht egal sein, wenn wir mit unseren Begriffen nicht überzeugen, sondern unbeabsichtigte Effekte bei jenen auslösen, die wir eigentlich gewinnen möchten. Wählen wir unsere Worte also mit Bedacht. Here we go: Willkommen bei SEED, dem Newsletter mit faktenbasierten und vertrauenswürdigen Informationen aus der Welt der Nachrichten. Viel Spaß bei der Lektüre!
Gute Lektüre!

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Schnedler
PS: Regelmäßige Leser:innen von SEED werden sich vielleicht erinnern, dass ich den wöchentlichen Newsletter von Dick Tofel hier schon einmal empfohlen habe. Er hat es verdient! Zum kostenlosen Abo von „Second Rough Draft“ geht es hier.
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Dialogprojekt: Leben ohne Lokalzeitung?
Was passiert, wenn sich die Lokalzeitung im ländlichen Raum zurückzieht? Wenn es keine Papierzeitung mehr zum Frühstück gibt? Wir haben im Rahmen eines Dialogprojekts in Thüringen nachgefragt, was das für die Menschen in der Region bedeutet. In Diskussionsrunden mit Bürger:innen aus Greiz und Umgebung haben wir über Informationslücken, die Papierzeitung und andere Nachrichtenangebote, das Gefühl des Abgehängtseins, den Wunsch nach einem analogen Leben bei den Alten und die Social-Media-Welt der Jungen gesprochen. Erste Erkenntnisse haben wir in einem Zwischenbericht zum Projekt „Lückenfüller – Leben ohne Zeitung?“ zusammengefasst. Ein ausführlicher Report erscheint dazu im Frühjahr 2026.
News
+++ Abgezockt: Der E-Sport soll gemeinnützig werden. Da werden wir fast neidisch, denn eine ähnliche Jubelmeldung hätten wir auch gerne zur Anerkennung des gemeinnützigen Journalismus verschickt. Doch dieses Anliegen muss weiter warten. Das Kabinett hat beschlossen, dass mit dem Steueränderungsgesetz 2025 nur der E-Sport ab 2026 als gemeinnützig anerkannt wird – unter dem Dach der Sportförderung in der Abgabenordnung. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird exakt beschrieben, wann ein Game als gemeinnütziger E-Sport gelten kann. Diese Definitionsarbeit – an der die E-Sport-Verbände wohl kräftig mitgewirkt haben – wird auch beim gemeinnützigen Journalismus benötigt. +++
+++ Hört auf die Jugend! Bei der Hamburger Konferenz „Beyond News“ haben rund 150 junge Medienschaffende sieben zentrale Forderungen für die Zukunft des Journalismus erarbeitet. Sie verlangen zum Beispiel transparente Einstellungsverfahren, faire Bezahlung und stärkere Förderung von Angeboten für junge Zielgruppen. Außerdem schreiben sie: „Journalismus erfüllt eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe und muss daher als gemeinnützig anerkannt werden.“ So wahr! Die Konferenz war Teil der Hamburger Woche der Pressefreiheit und wurde veranstaltet von ARD, Publix, Zeit Stiftung Bucerius und der Zeit-Verlagsgruppe. +++
+++ Forscherdrang: Zwei neue Studien widmen sich dem gemeinnützigen Journalismus in Deutschland. Sebastian Gall und Uwe Krüger fragen in ihrer Untersuchung nach der Unabhängigkeit der Medien in diesem Feld und ihrer Arbeitsweise. Was die Befragten in den Interviews erzählen, klingt gut: Es gebe große Autonomie bei der Themenwahl, Lust auf Recherche-Kooperationen, kein Clickbait. In der zweiten Analyse nimmt Mika Dittler (€) den Lokaljournalismus in Münster und Konstanz in den Blick. Am Beispiel der Klima-Berichterstattung der Lokalmedien RUMS und Karla sowie der Lokalzeitungen vor Ort kommt er zu dem Schluss, dass die neuen Medien kritischer gegenüber der Lokalpolitik agieren und das Publikum intensiver einbinden. Beide Studien basieren auf Masterarbeiten. Bravo! +++
+++ Hopp Schwyz: In unserem Nachbarland entsteht eine neue Plattform für mehr investigative Recherchen im Lokaljournalismus. Dafür verbündet sich Correctiv.Schweiz mit den Teams vom WAV Recherchekollektiv und Reflekt. Die drei Partner möchten zum einen eigene lokale Recherchen vorantreiben, im Verbund mit Lokalmedien vor Ort. Zum anderen bietet die „LokalHub“ genannte Plattform Expertise und Rechercheleistungen an, wenn ein:e Lokaljournalist:in bei einer Recherche an Grenzen stößt. Wie schön, dass Reflekt und das WAV Recherchekollektiv mit im Boot sind, die bereits beide mit dem Grow-Stipendium von Netzwerk Recherche und der Schöpflin Stiftung ausgezeichnet wurden. +++
+++ Stabil: Der Sektor gemeinnütziger Medienorganisationen in den USA befindet sich laut aktuellem INN Index in einer Phase der Konsolidierung. Das Institute for Nonprofit News (INN), das die Erhebung bereits zum achten Mal durchgeführt hat, berichtet von einem Wachstum sowohl beim Umsatz als auch der Zahl der Redaktionen. Während die Zahl von Neugründungen unter den 407 teilnehmenden Medienorganisationen zurückging, stellen Lokalmedien erstmals die Mehrheit der INN-Mitglieder. Ob der gegenüber kritischem Journalismus aggressive Politikstil der Trump-Regierung dieser positiven Entwicklung ein jähes Ende setzt oder die Öffentlichkeit gerade jetzt unabhängige Berichterstattung stärker unterstützt, wird erst der INN Index 2026 zeigen. Die Datenerhebung der diesjährigen Ausgabe fand bereits im Januar statt, als Trump gerade erst sein Amt antrat. +++
Werkzeugkasten für neuen Journalismus
Unser Werkzeugkasten für Gründer:innen und alle, die neue Formen und Formate im Journalismus ausprobieren wollen, wächst weiter. In unserem neuesten Beitrag geht es um typische Hürden, vor denen Gründer:innen im gemeinnützigen Journalismus stehen. Unsere Autorin Marie Helen Fleßner hat sich in der Branche umgehört und Journalist:innen mit Start-up-Erfahrung gefragt, aus welchen ihrer Erfahrungen künftige Gründer:innen lernen können. Herausgekommen sind sieben Tipps für den Start deines eigenen Mediums.
Auslese
„Ohne TikTok kein Lokaljournalismus von morgen?“
Wie lokale Medien junge Zielgruppen erreichen können
„Wer TikTok ignoriert, riskiert, eine ganze Generation zu verlieren“, warnt Pauline Tillmann. Denn für viele junge Menschen ist diese Plattform mehr als Unterhaltung. Hier suchen sie Informationen über Geschehnisse vor Ort und in der Welt. Wie können lokale Medien also diese Zielgruppe erreichen? Tillmann hat das erforscht – und ausprobiert. Für ihr „Future of News Fellowships 2025“ beim Media Lab Bayern hat sie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen darüber gesprochen, was diese bei TikTok am liebsten sehen – und welche Inhalte sie sich von lokalen Medien wünschen. Außerdem kommen Medienprofis von Verlagen und Gründer:innen zu Wort, die von den Chancen und Herausforderungen ihrer Arbeit auf TikTok berichten. Vor allem aber hat Tillmann selbst Videos zu lokalen Veranstaltungen und auch zu Gesundheitsthemen erstellt und getestet, wie gut diese ankommen. Ihre Ergebnisse teilt sie in einem Report. Dazu gibt es konkrete Tipps für Medien, die ihr Engagement auf TikTok starten oder ausbauen wollen.
Suche nach dem richtigen Hebel
Studie „Demokratie beginnt im Lokalen“ empfiehlt Neuaufstellung der Medienförderung
Wie lässt sich der Verlust von Medienvielfalt im Lokalen bremsen oder gar aufhalten? In einem von der Heinrich Böll Stiftung in Auftrag gegebenen Gutachten geht ein interdisziplinär besetztes Expert:innen-Team der Frage nach, welche Formen von Medienförderung in der sich stark verändernden Medienlandschaft besonders wirksam wären. Die drei Instrumente, die die stärkste Wirkung versprechen, sind demnach: die Anerkennung des Journalismus als gemeinnützig, die Förderung von Redaktionskosten (keine Produktion von Inhalten) mit einer Ausschüttung nach festen Kriterien sowie eine projektbasierte Innovationsförderung.
Guck-Tipp
„Die letzte Zeitung – Regionaljournalismus auf dem Prüfstand“
Ein Schweizer Dokumentarfilm begleitet den Überlebenskampf der Regionalzeitung „Südostschweiz“ aus dem Kanton Graubünden. Mit einem klaren Digitalkurs und einem Fokus auf Inhalte, die stärker den Bedürfnissen des Publikums entsprechen, will die Chefredaktion um Joachim Braun und Nikola Nording die Abwärtsspirale bei den Abozahlen stoppen. Nicht alle sind von dem neuen Kurs überzeugt. Ein Film von Paula Nay und Stefanie Hablützel für das Rätoromanische Radio und Fernsehen.
Steueroasen in Deutschland
Fortsetzung der Recherche zu „Bismarcks Hütte im Wald“
Unter anderem mit Hilfe von Wildtierkameras hatten Frag den Staat und das ZDF Magazin Royale aufgedeckt, dass viele im steuerbegünstigten Sachsenwald bei Hamburg gemeldete Firmen nur Briefkastenfirmen waren. Nun das Follow-up: Die Rechercheur:innen haben sich 37 Gemeinden im ganzen Land genauer angeschaut, „in denen Unternehmen nur eine sehr niedrige Gewerbesteuer zahlen müssen und in denen zugleich überdurchschnittlich viel Gewerbesteuer eingenommen wird“. Nicht unbedingt illegal, aber oft fragwürdig.
Tödliche Ausnahmesituation
Warum Polizist:innen bei Einsätzen mit psychisch kranken Menschen oft überfordert sind
Auch die inklusive Redaktion von andererseits hat erneut mit dem ZDF Magazin Royale zusammengearbeitet und zu Polizei-Einsätzen recherchiert, bei denen Menschen in psychischen Ausnahmesituationen getötet wurden. Unter anderem geht es in der Sendung um den Fall des in Dortmund mit einer Maschinenpistole erschossenen Senegalesen Mouhamed Dramé. Laut Gerichtsurteil zu dem Fall stellte Dramé keine Gefahr für die Beamten dar, dennoch hätten diese mit dem tödlichen Schusswaffengebrauch keine Einsatzregeln verletzt. Für Polizist:innen braucht es deshalb besseres Training und für Betroffene mehr psychologische Unterstützungsangebote. Die Redaktion von andererseits hat ein kleines Special zusammengestellt, in dem das Thema aus unterschiedlichen Winkeln beleuchtet wird.
Aus dem Nähkästchen
Ein Buch über die Geschichte von Correctiv
David Schraven hat ein Buch darüber geschrieben, wie die Idee zu Correctiv und daraus das erste gemeinnützige Medienhaus des Landes entstanden ist. In „Die Correctiv-Story“ zeichnet der Gründer den Weg vom vor zehn Jahren mit sieben Mitarbeitenden gestarteten Projekt hin zu einem gemeinwohlorientierten Unternehmen mit mittlerweile 180 Angestellten nach. Oliver Schröm, der in der Planungsphase damals dabei war, sagt, das Buch enthalte „selbst für Insider und Weggefährten die ein oder andere bislang nicht gekannte Geschichte“. Wer verstehen will, wie Schraven, der jüngst sein eigenes kleines Lokalmedium in Bottrop aufgegeben hat, tickt und was ihn antreibt, findet in dem Buch Antworten.
Jobs: Suchst du eine neue Herausforderung?
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Der SEED-Newsletter ist Teil des Grow Greenhouse, dem Zentrum für gemeinnützigen Journalismus und Medienvielfalt, das von der Schöpflin Stiftung gefördert wird.

