16. Mai 2012 – Chris­tian Bom­ma­rius

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 16. Mai 2012 | Lese­zeit ca. 4 Min.

Die Bild-​Zei­tung ist kein Jour­na­lismus

Manche Zei­tungen leben von Exklu­siv­be­richten, andere von ihrem inter­es­santen Lokal­teil, die Bild-​Zei­tung ernährt sich von Ruf­mord, Mani­pu­la­tion und Lüge. Gäbe es keine Leser, die auf ihrer täg­li­chen Ration üble Nach­rede und Häme, nackte Brüste und Nutten-​Inse­rate bestehen, bräche das Geschäfts­mo­dell des Blattes schlag­artig zusammen. Das ist kein pole­mi­sches Wert­ur­teil über die größte Zei­tung der Repu­blik, son­dern die umgangs­sprach­liche Über­set­zung eines Revi­si­ons­ur­teils des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH) von 1981, in dem die Richter im Bou­le­vard-​Blatt „Fehl­ent­wick­lungen eines Jour­na­lismus“ erkannten, der die Auf­gabe der Presse und deren Ver­ant­wor­tung aus dem Auge ver­loren habe. Die Ent­schei­dung – obwohl über dreißig Jahre alt – ist noch immer aktuell. Es genügt ein Blick in eine belie­bige Aus­gabe, um sofort zu erkennen, dass alle tat­säch­li­chen oder ver­meint­li­chen Ver­suche des Springer-​Ver­lags und der Chef­re­dak­tion, dem Blatt den Gos­sen­ge­ruch aus­zu­treiben, zum Schei­tern ver­ur­teilt sind. Denn die Gosse ist – wie es Ger­hard Hen­schel vor ein paar Jahren ein­drück­lich beschrieb – nicht nur die Geschäfts­grund­lage und das Haupt­be­tä­ti­gungs­feld der Bild-​Zei­tung, son­dern ihre Her­kunft, von der man sich im besten Falle distan­zieren, aber nie­mals lösen kann. Mit anderen Worten: Die Bild-​Zei­tung ist kein Jour­na­lismus, son­dern seine Per­ver­sion.

Daran ändert, nur nebenbei bemerkt, auch nichts der Hin­weis, die gesamte Branche sei mitt­ler­weile von der Liebe zum Bou­le­vard ergriffen und die Bild-​Zei­tung in weiten Kreisen der bür­ger­li­chen Welt als Tages­zei­tung aner­kannt wie der Por­no­film als Bett­hup­ferl. Was das Letz­tere betrifft, so besagt das nichts über die gestie­gene Qua­lität der Bild-​Zei­tung, aber einiges über die her­ab­ge­sun­kene Qua­lität des deut­schen Bür­ger­tums. Und was die Annä­he­rung der gesamten Branche an den Bou­le­vard betrifft: Die Ent­wick­lung etli­cher Medien – nicht nur im Fern­sehen, zuneh­mend auch in Zei­tungen – lässt sich kaum bestreiten, aber eben­so­wenig bestreiten lässt sich der Unter­schied von Bou­le­vard und Gosse. Auf dem Bou­le­vard fla­niert, wer dem Schmutz des Rinn­steins ent­kommen will.

Es gäbe über­zeu­gende Gründe, die Bedin­gungen für die Teil­nahme am Henri-​Nannen-​Preis um den Satz zu ergänzen: „Aus­ge­schlossen von der Teil­nahme sind Mit­glieder der Redak­tion der Bild-​Zei­tung.“ Warum das nicht geschehen ist, kann nur ver­mutet werden. Denkbar ist die begrün­dete Befürch­tung der Preis-​Aus­richter, sich mit einer „Lex Bild“ eben dem Vor­wurf aus­zu­setzen, den sie bei anderer Gele­gen­heit dem „Drecks­blatt“ (Ley­en­de­cker) machen – unlieb­same Per­sonen und Ein­rich­tungen beden­kenlos öffent­lich in die Tonne zu treten. Wahr­schein­lich aber spielte vor allem die Erwar­tung eine Rolle, kein Bild-​Redak­teur würde jemals eine jour­na­lis­ti­sche Arbeit in einer der fünf Kate­go­rien zustande bringen, die einer Jury, der Licht­ge­stalten und Sprach­ath­leten wie Ulrich Reitz und Helmut Mark­wort ange­hören, preis­würdig erscheinen könne. Wäre es so, dann hätte sich die Hybris in diesem Jahr fürch­ter­lich gerächt.

Ob der von der Jury aus­ge­zeich­nete Bei­trag zweier Bild-​Redak­teure tat­säch­lich die „Beste inves­ti­ga­tive Leis­tung“ des deut­schen Jour­na­lismus im Jahr 2011 gewesen ist, steht hier nicht zur Debatte. Anders die Frage, ob die Teil­nahme am Henri-​Nannen-​Preis Bild-​Redak­teuren erlaubt, ihre Aus­zeich­nung aber allein mit der Begrün­dung ver­wei­gert werden kann, ihr Bei­trag sei in der Bild-​Zei­tung erschienen. Das ist natür­lich Unsinn, vor allem aber han­delt es sich offen­sicht­lich um ein Schein­pro­blem. Würde ein Lite­ra­tur­preis ohne beson­dere Teil­nah­me­be­schrän­kungen zu dem Thema aus­ge­lobt „Innen­an­sichten eines Mör­ders“ und stellte sich später heraus, dass der poe­tischste, empa­thischste, kom­pro­miss­lo­seste, über­zeu­gend bru­talste und des­halb von der Jury mit dem ersten Preis bedachte Bei­trag von der Hand eines Mör­ders im Dunkel einer Zelle geschrieben worden ist, würde das Feuil­leton die Authen­ti­zität des Textes und den Mut der Jury loben, und nie­mand – aus­ge­nommen der Bund der Straf­voll­zugs­be­diens­teten – würde die Preis­wür­dig­keit des Gerühmten bezwei­feln. Warum sollte für Bild-​Redak­teure anderes gelten? Sie sind zuhause in der Welt der Lüge, des Zwie­lichts und der Mani­pu­la­tion, hier haben sie sich umge­sehen und nach Ansicht der Jury am Bei­spiel Chris­tian Wulffs Bemer­kens­wertes her­aus­ge­funden und beschrieben. Rühmen wir also die Authen­ti­zität des prä­mierten Bei­trags und den Mut der Jury.

Chris­tian Bom­ma­rius, Jahr­gang 1958, ist Autor der DuMont-​Redak­ti­ons­ge­mein­schaft.

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