7 – Fak­ten­checks

ver­öf­fent­licht von Sarah Ulrich | 3. März 2025 | Lese­zeit ca. 11 Min.

von Mariam Elba

Zum Ori­ginal auf Eng­lisch

Ihr habt wochen-​ oder mona­te­lang eine Geschichte recher­chiert und den Ent­wurf dafür geschrieben, der*die Redak­teur*in hat diesen abge­segnet. Und jetzt?

Jetzt steht ihr vor der scheinbar gewal­tigen Auf­gabe des Fact­che­cking – sicher­stellen, dass jede Aus­sage in eurem Artikel einer genauen Prü­fung stand­hält. Ohne die rich­tigen Tools, die eine Recherche von Beginn an orga­ni­sieren und eine gut orga­ni­sierte Quel­len­do­ku­men­ta­tion kann es schwer werden, eure Geschichte auf Fakten zu über­prüfen.

Das muss aber gar nicht schwer sein. In diesem Kapitel erklären wir, wie man das Fact­che­cking im Recher­che­pro­zess ein­fach vor­be­reiten kann.

Wir kon­zen­trieren uns auf die Praxis des Fact­che­cking der eigenen Geschichte oder der von Kolleg*innen inner­halb der Redak­tion und vor der Ver­öf­fent­li­chung oder Aus­strah­lung des Bei­trags – was als interner Fak­ten­check vor der Ver­öf­fent­li­chung bezeichnet wird. In diesem Kapitel wird nicht auf die externe oder unab­hän­gige Fak­ten­checks ein­ge­gangen, die bei­spiels­weise von Anbie­tern wie Poli­ti­factFact­Check.orgReu­ters Fact Check, der African Fact­che­cking Alli­ance oder Fact­Che­cker.in durch­ge­führt wird, um Des­in­for­ma­tionen auf Social-​Media-​Web­sites oder anderswo zu ent­larven. (Dazu findet ihr mehr Infos im Guide zum Fact-​Che­cking von inves­ti­ga­tiven Geschichten.)

Fact­che­cking heute

Im „Chi­cago Guide to Fact­che­cking“, von der Autorin Brooke Borel, wird John Banta, Leiter der Recherche-​Abtei­lung des Maga­zins Vanity Fair zitiert. Er fasst die Rolle des Fact-​che­ckers wie folgt zusammen: „Wir bieten einen Ser­vice an, bei dem wir alles aus­ein­an­der­nehmen – wir nehmen den Motor aus dem Auto, werfen die Teile auf den Boden und setzen ihn wieder zusammen.“

Beim Fak­ten­check wird die Recherche also aus­ein­an­der­ge­nommen, um sicher­zu­stellen, dass sie solide, prä­zise und fair ist. Vor Jahr­zehnten war diese wich­tige Auf­gabe in Nach­rich­ten­re­dak­tionen noch Stan­dard. Heute sind haupt­be­ruf­liche Fact-​Che­cker in Nach­rich­ten­re­dak­tionen jedoch selten, vor allem, weil die Bud­gets in den letzten Jahr­zehnten geschrumpft sind und sich Nach­rich­ten­re­dak­tionen diese nicht mehr leisten können.

Den­noch gibt es in einigen Nach­rich­ten­ma­ga­zinen noch Fact­che­cking Res­sort, wie z. B. bei The New Yorker. Andere US-​Nach­rich­ten­ma­ga­zine prüfen Fakten mit den ihnen zur Ver­fü­gung ste­henden Res­sourcen: Bei The Nation bei­spiels­weise ist eine rotie­rende, aber solide Gruppe von Freien mit der Fak­ten­prü­fung betraut. Den­noch ist es heut­zu­tage in Nach­rich­ten­re­dak­tionen weitaus übli­cher, dass Reporter*innen allein für das Fact­che­cking ihrer eigenen Geschichten ver­ant­wort­lich sind, wobei die Rechts­ab­tei­lung das letzte Wort hat.

Wer auch immer das Fact­che­cking durch­führt – ein*e frei­be­ruf­liche*r Fact-​che­cker, ein Mit­glied eines inves­ti­ga­tiven Pro­jekt­teams oder der*die Reporter*in selbst – macht in der Regel immer die selben Schritte, näm­lich in etwa diese: Man hat einen Ent­wurf fertig, teilt diesen mit dem Fact-​Che­cker, zusammen mit den Quellen, Notizen und allem anderen, was ihr für die Bericht­erstat­tung über die Geschichte ver­wendet habt. Sofern die Redak­tion nicht den „maga­zin­ar­tigen“ Fak­ten­check macht, bei dem jede ein­zelne Tat­sa­chen­be­haup­tung über­prüft wird, kann der Fact-​Che­cker mit dem Reporter bespre­chen, welche Abschnitte der Geschichte wie über­prüft werden sollten.

Nach dem Fak­ten­check dis­ku­tiert man mit den Fact­che­ckern, welche Ände­rungen gemacht werden könnten/sollten, welche Begrün­dungen es dafür gibt und welche als ange­messen erscheinen. Anschlie­ßend geht der fer­tige Ent­wurf an die Rechts­ab­tei­lung (manchmal prüft die Rechts­ab­tei­lung den Ent­wurf, bevor der Fak­ten­check abge­schlossen ist) und dann an die Text­re­dak­tion, bevor er ver­öf­fent­licht wird.

Unab­hängig davon, ob der Fak­ten­check von den Reporter*innen oder von jemand anderem durch­ge­führt wird, muss jede Recherche unbe­dingt auf ihre Rich­tig­keit über­prüft werden. Warum ist das so wichtig? In ihrem Buch bringt Borel es auf den Punkt: „Zwi­schen all dem Lesen, den Inter­views und dem Nach­denken kann die Grund­lage brö­ckeln und zer­fallen. Viel­leicht ist das Pro­blem minimal – ein ein­fa­ches Miss­ver­ständnis oder ein Kopier­fehler (…) Wenn der Riss klein ist und die ver­blei­benden Quellen solide sind, könnte die Geschichte über­leben. Den­noch ist es ein Riss, und auf­merk­same Leser*innen könnten an dem Rest der Geschichte zwei­feln.“

Wenn meh­rere dieser kleinen Risse auf­treten, könnte dies die Glaub­wür­dig­keit des Arti­kels und das Ver­trauen der Leser*innen gefährden – umso mehr, wenn es ein fal­sches Zitieren einer Quelle oder die feh­lende Angabe von Kon­text für ein Zitat ist.

Da es jedoch in der Rea­lität selten ist, dass die eigene Arbeit von einem internen Fact­che­cker über­prüft wird, zeigen wir euch, wie ihr eure inves­ti­ga­tiven Geschichten mit der glei­chen Sorg­falt über­prüfen könnt wie ein Fact­che­cker in einer Nach­rich­ten­re­dak­tion.

Tipps und Tools

Orga­ni­siert bleiben

Das Wich­tigste ist ein ein­heit­li­ches Orga­ni­sa­ti­ons­system. Ent­wi­ckelt ein System, mit dem ihr gut klar kommt – Dropbox, Google Drive oder ein­fach die Fest­platte des eigenen Com­pu­ters ver­wenden (achtet darauf, dass ihr ein Backup-​Lauf­werk habt) – und richtet Ordner mit leicht erkenn­baren Titeln ein. Wenn ihr mit einem Team zusam­men­ar­beiten, besprecht mit den anderen Mit­glie­dern, wie ihr die Zusam­men­ar­beit orga­ni­sieren wollt, und ver­ein­bart, dass ihr euch an die Abspra­chen haltet. Erstellt für jede Quelle, mit der ihr sprecht, ein Kon­takt­blatt, doku­men­tiert, wann ihr mit ihr gespro­chen habt, und erstellt einen eigenen Ordner für die Auf­zeich­nungen der Inter­views.

Selbst wenn ihr noch keine kon­krete Vor­stel­lung davon habt, wie eure Geschichte ver­laufen soll, ist es wichtig, ein System ein­zu­richten und sich daran zu halten. Meine ehe­ma­lige Kol­legin, die Archi­varin Talya Cooper, gibt hier viele gute Tipps für die Orga­ni­sa­tion Ihrer Recherche, ins­be­son­dere für den Umgang mit sen­si­blem Mate­rial.

Refe­renzen hin­zu­fügen

Refe­renzen zu den Quellen sind der Schlüssel, um jede Tat­sa­chen­be­haup­tung leicht belegen zu können.

Notiert euch bei der Arbeit am Ent­wurf, woher jede ein­zelne Tat­sa­chen­be­haup­tung stammt. Es gibt ver­schie­dene Mög­lich­keiten dafür, aber ich per­sön­lich bevor­zuge Fuß­noten, um die Quellen nach jedem Satz zu doku­men­tieren. Einige Jour­na­list*innen lassen ihre Geschichten durch einen Text­editor laufen und sam­meln jede Tat­sa­chen­be­haup­tung in einer Tabelle, die in Tat­sa­chen­be­haup­tung und Quellen unter­teilt ist, ein­schließ­lich Links, Datei­namen und Audio-​Time­codes.

Achtet darauf, dass ihr kon­sis­tent bleibt. Euer System zur Spei­che­rung und Orga­ni­sa­tion des Mate­rials ist zen­tral dafür, Quellen für Tat­sa­chen­be­haup­tungen ein­fach nach­voll­ziehen zu können.

Stellt sicher, dass die Quellen solide sind

Um das Fact­che­cking zu erleich­tern, stellt sicher, dass eure Quellen zuver­lässig, fair und genau sind.

Übli­cher­weise stützt man sich bei der Recherche viel auf Pri­mär­quellen, dar­unter (aber nicht aus­schließ­lich): Doku­mente und Daten­sätze von Regie­rungs­be­hörden, Archiv­ma­te­rial, Gerichts­akten, Inter­views und Pres­se­mit­tei­lungen. Ver­lasst euch nicht auf Social-​Media-​ oder Blog-​Bei­träge, die die Quelle ihrer Infor­ma­tionen nicht angeben.

Wiki­pedia kann eine gute Res­source sein, wenn man mit der Recherche zu einer Geschichte beginnt. Es ist jedoch keine zuver­läs­sige oder akzep­table Quelle, da jede*r eine Seite bear­beiten und Infor­ma­tionen hin­zu­fügen kann, ohne diese zu belegen.

Inzwi­schen werden Apps für künst­liche Intel­li­genz wie ChatGPT immer häu­figer ein­ge­setzt, aber sie sind oft unzu­ver­lässig. 2023 ver­wen­dete ein Anwalt, der einen Kläger in einem zivil­recht­li­chen Ver­fahren im Luft­fahrt­be­reich in den USA ver­trat, ChatGPT, um einen Schrift­satz vor­zu­be­reiten. Wie Ben­jamin Weiser für die New York Times berich­tete: „Es gab nur ein Pro­blem: Nie­mand – weder die Anwälte der Flug­ge­sell­schaft noch der Richter selbst – konnte die Ent­schei­dungen oder die in der Kla­ge­schrift zitierten und zusam­men­ge­fassten Zitate finden. Das lag daran, dass ChatGPT alles erfunden hatte.“

Spei­chert alle Links

Zusätz­lich zu Doku­menten, öffent­li­chen Auf­zeich­nungen und Quel­len­in­ter­views kann man auch Quel­len­ma­te­rial aus dem Internet ver­wenden. Da Web­seiten, Artikel und Social-​Media-​Bei­träge im Hand­um­drehen ent­fernt oder geän­dert werden können, ist es wichtig, die Links nicht nur zu spei­chern, son­dern auch zu archi­vieren, falls sie nicht mehr funk­tio­nieren. Die Way­back Machine ist hierfür ein unver­zicht­bares Tool und bietet außerdem eine her­vor­ra­gende Mög­lich­keit, auf archi­vierte Ver­sionen alter Web­seiten zuzu­greifen: Man kann zu ver­schie­denen Zeit­punkten zurück­gehen, um zu sehen, wie eine Web­seite vor Jahren oder sogar Jahr­zehnten aus­ge­sehen hat. Wenn man bei­spiels­weise einen Social-​Media-​Bei­trag spei­chern möchte, den man auf X (ehe­mals Twitter) findet, kann man diesen auf archive.is spei­chern.

Wich­tige Fragen zum Fact­che­cking

Wäh­rend meines ersten Jobs als Fact­che­cker bei The Inter­cept ent­wi­ckelte die frü­here Fact­che­cking-​Abtei­lung eine Reihe von Richt­li­nien. Das half eine Tat­sache zu über­prüfen, für die es keine aus­rei­chende Quel­len­an­gabe gab, oder wenn die Quel­len­an­gabe die Aus­sage nicht unbe­dingt bestä­tigte. Fol­gende Fragen stellen sich dann:

  • Können wir mit Sicherheit sagen, dass diese Aussage wahr ist?
  • Können wir Beweise vorlegen, die Kritiker*innen überzeugen?
  • Können wir uns ein realistisches Szenario vorstellen, in dem Gegenbeweise vorgelegt werden, die die Publikation dazu zwingen würden, eine Korrektur zu veröffentlichen?

Wenn sich her­aus­stellen sollte, dass wir eine dieser Fragen nicht mit Sicher­heit beant­worten können, dann wissen wir, dass wir andere Quellen finden oder den*der Reporter*in eine alter­na­tive For­mu­lie­rung vor­schlagen müssen. Wenn ihr eure eigene Arbeit auf Fakten über­prüft, solltet ihr diese Fragen im Hin­ter­kopf behalten.

Prio­ri­täten beim Fact­che­cking

Ebenso wichtig wie sicher­zu­stellen, dass jede Tat­sa­chen­be­haup­tung in der Recherche kor­rekt ist, ist es, zu erkennen, welche Art von Fakten am meisten Pro­bleme bringen, wenn sie sich als falsch her­aus­stellen. Hier ist eine prak­ti­sche Liste dieser Fakten:

  • Aussagen, die eine Person oder Organisation herabsetzen, alles, was als verleumderisch angesehen werden könnte;
  • Technische oder finanzielle Informationen, insbesondere wenn sie nicht zuvor gemeldet wurden;
  • Zusammenfassungen wissenschaftlicher Studien;
  • Beschreibungen rechtlicher Auseinandersetzungen (prüft Dokumente von beiden Seiten eines Falls);
  • Statistiken, Opferzahlen und andere numerische Daten;
  • Daten und Chronologie von Ereignissen;
  • Vom/von der Reporter*in durchgeführte statistische oder andere Analysen;
  • Beschreibungen oder Zusammenfassungen offizieller Richtlinien oder Gesetze;
  • Beschreibungen der Berichterstattung einer anderen Person;
  • Formale Schreibweisen von Namen;
  • Beschreibungen bekannter historischer Ereignisse;
  • Pauschale Aussagen und Superlative: „Eine der höchsten Raten von …“;
  • Biografische Informationen, die durch Interviews recherchiert wurden.

Häu­fige Fehler ver­meiden

Wenn Fact­che­cker gefragt werden, auf welche Art von Feh­lern sie am häu­figsten stoßen, ist die häu­figste Ant­wort: Durch Texte, die auf dem Gedächtnis basieren. Fol­gende Pro­bleme häufen sich:

  • Namen und Titel: Es ist leicht, Titel von Führungskräften wie z. B. „Vorsitzende*r“ oder „CEO“ zu verwechseln;
  • Superlative: Wenn man beispielsweise sagen will: „Der Hurrikan Beryl war der schlimmste Hurrikan seit Beginn der Aufzeichnungen.“ Wie war er „der schlimmste“? In Bezug auf die Kategorie des Sturms, in die er fällt? In Bezug auf die Anzahl der Todesopfer? Es ist besser, genauer zu sein, als sich auf Superlative zu verlassen;
  • Kontextinformationen: Daten, Uhrzeiten, Orte;
  • Zahlen und Statistiken;
  • Zitate

Über­prüft alles, was ihr zu wissen glaubt. Das mensch­liche Gedächtnis kann selbst bei den erfah­rensten Jour­na­list*innen leicht ver­sagen. Es kommt nicht selten vor, dass sich ein*e Reporter*in nicht mehr daran erin­nert, in wel­chem Jahr ein bestimmtes Gesetz erlassen wurde oder wie der Titel eines*r Unter­neh­mens­leiter*in lau­tete. Ver­lasst euch nicht auf euer Gedächtnis als Quelle, son­dern über­prüft alles immer noch einmal.

Bes­sere Jour­na­list*innen, bes­sere Geschichten

Zusam­men­fas­send lässt sich sagen, dass ihr euer eigenes System schaffen solltet mir dem ihr das ver­wen­dete Mate­rial leicht abrufen könnt. Außerdem solltet ihr euren Ent­wurf wäh­rend der Arbeit mit Anmer­kungen ver­sehen. Ver­lasst euch nicht auf euer Gedächtnis. Über­prüft alles dop­pelt.

Wenn ihr euch diese Rou­tine ent­wi­ckelt, dann wird das dabei helfen, dass die Über­prü­fung von Fakten zu einem inte­gralen Bestand­teil eurer Recherche wird. Ihr werdet dadurch bes­sere Jour­na­list*innen – und uere Recher­chen glaub­wür­diger und wir­kungs­voller.

Mit­ar­beit an diesem Kapitel: Margot Wil­liams

Mariam Elba ist Nach­rich­ten­jour­na­listin und lebt in New York. Der­zeit ist sie bei Pro­Pu­blica als Recherche-​Repor­terin tätig und unter­stützt lokale Recher­chen in den USA. Zuvor war sie als Asso­ciate Rese­arch Editor bei The Inter­cept tätig, wo sie die Fact­che­cking-​Abtei­lung lei­tete.

Margot Wil­liams ist Redak­teurin für Recher­chen bei The Inter­cept. Sie hat zuvor bei der New York Times, NPR, dem Inter­na­tional Con­sor­tium of Inves­ti­ga­tive Jour­na­lists und der Washington Post gear­beitet, wo sie wäh­rend ihrer 14-​jäh­rigen Tätig­keit bei der Zei­tung Mit­glied von zwei Teams war, die mit dem Pulitzer-​Preis aus­ge­zeichnet wurden: Für eine Recherche zu Schie­ße­reien der Polizei in Washington, D.C., auf Zivi­list*innenen im Jahr 1998 und für eine natio­nale Bericht­erstat­tung über Ter­ro­rismus im Jahr 2001.

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