Vier Fragen an… Gregor Aisch

Gregor Aisch (Foto: Benjamin Richter)

Welche besonderen Herausforderungen stellen sich für Datenjournalisten in Deutschland?
Zunächst gibt es in Deutschland noch einen großen Erklärungsbedarf bei den Redaktionen. Es geht um die Bedeutung des Datenjournalismus und der Datenvisualisierung. In USA ist dies seit langem keine Frage mehr. Jede Zeitung hat eine „Data-Driven-Journalism“-Abteilung. Dazu müssen die Redaktionen Mittel für den Datenjournalismus zur Verfügung stellen und Weiterbildungen für Journalisten ermöglichen. Journalisten brauchen auch eine Selbstmotivation, um sich mit Daten zu beschäftigen. Eine weitere Herausforderung ist es in Deutschland, dass die Anzahl von datenaffinen Journalisten zu niedrig ist. Sie sind nur 20 oder 30 im ganzen Land. Das reicht nicht für alle Zeitungen und Zeitschriften. Allein bei der New York Times sind wir mehr als 40. Zum Schluss ist die Datenverfügbarkeit in Europa noch nicht zufriedenstellend, wenn gleich dieser Prozess auf einem guten Weg ist.
Wo könnten Datenjournalisten mit Wissenschaftlern zusammenarbeiten?
Das Feedback von Wissenschaftlern ist entscheidend, um die Recherche und die Daten zu prüfen. Als ich zum Beispiel im Jahr 2012 eine Visualisierung des Fluglärms in der Umgebung der Flughäfen in Berlin programmiert habe, habe ich die Ergebnisse von Experten verifizieren lassen. Im Prinzip ist es auch möglich, dass Wissenschaftler bei der statistischen Analyse der Daten mitwirken. Was Forscher untersuchen, stimmt aber oft nicht mit den Anforderungen der Journalisten überein. Die tiefen statistischen Analysen sind manchmal zu kompliziert und nicht selbsterklärend. Man kann sie nicht in einem Artikel einsetzen. Bei der New York Times haben wir zwei Statistiker: Amanda Cox und Josh Katz. Sie prüfen die Beiträge und manchmal machen sie weiter, wo Datenjournalisten aufhören. Bei der Entwicklung mancher Geschichten – zum Beispiel über Prognosen für die Präsidentenwahl in den USA oder für die Fußballweltmeisterschaft – brauchen Datenjournalisten solche Hilfe, weil sie in gewissen Fällen die komplexen und vielfältigen Daten nicht allein anordnen und betrachten können.

Wie sollte man den Datenjournalismus fördern?

Die entscheidende Frage lautet eher: Wer sollte Datenjournalismus fördern? Die Förderung liegt zum Beispiel in den Händen der Redaktion. Sie sollte die Motivation unter den Journalisten fördern und Mittel zur Verfügung stellen. Weiterbildungen sollten innerhalb der Arbeitszeit organisiert werden und nicht davor oder danach. Ich moderiere oft Workshops und nach acht anstrengenden Stunden müssen manche Teilnehmer dann noch an ihren Storys weiterarbeiten.

Wo sind die Grenzen des Datenjournalismus vor dem Hintergrund jüngster Datenschutzdebatten?
Die Grenzen des Datenjournalismus sind dort, wo sie für andere Formen der Berichterstattung liegen. Es ist immer eine Sache der Abwägung mit der Privatsphäre. Verglichen mit Deutschland gibt es in den USA ganz andere Regeln. Die so genannten “Public Records” also Akten, die öffentliche Ämter erzeugen – werden auch genau so behandelt: öffentlich, d.h. für jeden zugänglich. Zum Beispiel kann man Strafakten einsehen, und findet darin Namen des Straftäters, Adresse, Strafbestand usw. Journalisten können diese Daten verantwortungsvoll oder verantwortungslos nutzen. In Deutschland gibt es diese Daten auch, aber nur, weil sie vor der Öffentlichkeit geschützt werden, heißt es nicht, dass niemand Zugriff auf diese Daten hat. Ein Beispiel sind etwa die Daten aus dem Melderegister, auf die, sofern man dem nicht explizit widerspricht, zum Beispiel auch Parteien – für Wahlwerbung – und öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften Zugriff haben. Und man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um einzusehen, dass auch einige private Unternehmen Zugang zu Melderegister-ähnlichen Adressbeständen haben. Es gibt ein Messen mit zweierlei Maß. In diesem Punkt bleibt Deutschland weniger fair als die Vereinigten Staaten; Daten, die Journalisten wegen der Datenschutzgesetze nicht erhalten können, werden von Firmen oder Behörden eingesetzt – und dies ohne Rücksicht für den Schutz der Privatsphäre.