Datenstau im Amt
Von Markus Meyer-Gehlen
So ein Informationsfreiheitsgesetz ist eine feine Sache: Jeder kann sich Fakten über die Angelegenheiten des Bundes besorgen, um sich dann eine Meinung zu bilden. Welcher Abgeordnete war auf welcher Konferenz anwesend? Welche Daten beziehen Bundesministerien von Telefonanbietern? Und wer kann überhaupt auf sie zugreifen? Eine Anfrage genügt – und jedem Bundesbürger müssen alle öffentlichen Informationen zu beliebigen Themen zugänglich gemacht werden. Zumindest theoretisch. Doch was steht der Datenfreiheit nicht alles im Weg: Schutz der Privatsphäre einzelner, Schutz von Staatsgeheimnissen, laufende Verfahren … Es scheint immer einen Grund zu geben, warum Daten gerade doch nicht öffentlich gemacht werden können.
Bei Gesundheitsthemen sind Patientendaten natürlich streng vertraulich; bei politischen Recherchen muss die Privatsphäre der Abgeordneten geschützt werden. Und selbst, wenn es sich um ein vermeintlich harmloses Thema handelt, garantiert das nicht immer ein reibungsloses Verfahren. Denn ist der Arbeitsaufwand „unzumutbar“, kann es unter Umständen ewig dauern, bis der Bund die geforderte Information herausrückt; oder es wird teuer. Und zwar so teuer, dass die Anfrage dann oft doch fallen gelassen wird.
Werden Daten systematisch zurückgehalten?
Angesichts solchen Hürden stellt sich die Frage: Steckt Methode dahinter? Werden Bürger und Journalisten so systematisch hinters Licht geführt? Oder bringen diejenigen, die eine Auskunft suchen, bloß zu wenig Verständnis für die organisatorischen Schwierigkeiten einer solchen Anfrage auf?
Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz will organisatorische Hürden oft nicht als Ausrede gelten lassen. „Früher war das natürlich etwas anderes“, sagt er, „wenn da aus Datenschutzgründen 10.000 Dokumente überprüft und geschwärzt werden mussten, dann war das natürlich ein ziemlicher Aufwand.“ Doch heute müsse niemand mehr mit dem schwarzen Marker vor den Unterlagen sitzen und von Hand persönliche Daten zensieren. „Natürlich kommt es immer auf den Einzelfall an“, sagt Stollorz, „aber oft hat man das Gefühl, es könnte alles viel einfacher gehen.“
Ein Flaschenhals, der mit Technik zu beseitigen wäre
Bei seinen Recherchen im Gesundheitswesen ist er dabei selbst an diese Grenze gestoßen. Zulassungsdaten für bestimmte Medikamente sind zwar theoretisch frei zugänglich, doch die zuständige Mitarbeiterin kann pro Tag eben nur ein bestimmtes Arbeitspensum erfüllen. Und je nach Größe der Anfrage stauen sich die Daten dort auf unabsehbare Zeit. Ein klassischer Flaschenhals, der den Informationsfluss hemmt – und der nach Ansicht von Stollorz mithilfe der heute zur Verfügung stehenden Technik zu beheben wäre.
Auch Kurt Jansson, Datenjournalist beim Spiegel, kann manche Praktiken nicht ganz verstehen: „Wenn man ein PDF-Dokument erhält, hat man schon den Verdacht, dass da jemand die Arbeit behindern will“, sagt er, „es gibt keinen vernünftigen Grund, etwas als PDF weiterzugeben.“ Denn dann müssten die Daten erst wieder extrahiert werden, was Zeitaufwand und Fehleranfälligkeit bedeute.
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Vom analogen Blickwinkel aus betrachtet, könnte man das PDF hingegen schon als fortschrittlich bezeichnen: Denn viele Daten, mit denen Behörden arbeiten, existieren nach wie vor nur auf Papier – und das ist für eine reibungslose Verarbeitung noch schlimmer als ein PDF-Dokument. Computer gab es nun einmal früher nicht und alle verstaubten Aktenordner aus Behördenkellern in eine digitale Form zu bringen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Den perfekten Datenfluss gibt es nicht
Iryna Gurevych, Professorin an der TU Darmstadt und Expertin für maschinelles Lernen sieht hier große Schwierigkeiten: Generell sei zwar von Texterkennung bis zum automatischen Sortieren von großen Datenmengen schon vieles möglich, doch es könne im Einzelfall oft noch sehr aufwändig sein, heterogene Quellen auszuwerten. Und Gurevych glaubt nicht an den perfekten Datenfluss. Es werde immer Fälle geben, in denen das Rohmaterial nur sehr schwer zu bearbeiten ist. Ist ein Generalverdacht gegen Institutionen, die Daten mit vermeintlichen Ausreden zurückhalten also unberechtigt?
Vielleicht sollte man sich, um diese Frage zu beantworten, auf das Sprichworts von “Hanlon’s Razor” besinnen: „Gehe niemals von Böswilligkeit aus, wenn Dummheit eine ausreichende Erklärung ist.“ Oder im Fall der IFG-Anfragen: Schlechte Organisation. Ja, technisch gäbe heute längst die Möglichkeiten, Daten (fast) jeder Art effizient zu speichern und weiterzuverarbeiten. Aber in vielen Behörden und anderen Institutionen mahlen die Mühlen langsam. Auch pflegt nicht jeder Mitarbeiter gerne Datenbanken oder Excel-Tabellen (und nicht jeder kann es). Ein Beispiel: Hochschulnoten – entscheidend für den Abschluss der Studierenden – werden im Prüfungsamt der Technischen Universität Dortmund zumindest teilweise noch in Word-Dateien festgehalten. Das ist fehleranfällig und alles andere als übersichtlich. Ist dahinter böse Absicht zu vermuten? Vermutlich nicht – doch so gespeicherte Daten sind eben nur von Hand weiterzuverarbeiten. Und das hemmt den Datenfluss erheblich.
Das papierlose Zeitalter ist noch jung
Jeder Fehler, der durch schlechte Organisation entsteht, ist prinzipiell ein vermeidbarer Fehler. Aber Journalisten und andere, die staatlichen Stellen Informationen entlocken wollen, brauchen Geduld. Die Zeit, in der Papier noch das beste vorstellbare Speichermedium war, ist noch nicht so lange her, wie wir manchmal glauben. Noch sind die meisten Menschen nicht in der digitalen Welt aufgewachsen und brauchen deswegen auch noch ein Weilchen, sich an die neuen Möglichkeiten zu gewöhnen. Egal, wie gut die Technik zur Archivierung von Daten sein mag: Sie ist immer nur so gut wie die Menschen mit ihr umgehen können. Wenn also das nächste Mal Informationen des Bundes aus organisatorischen Gründen leider nicht herausgegeben werden können, ist das sicher ärgerlich. Es muss aber keine böse Absicht dahinter stecken – vielleicht hat nur ein Beamter seinen USB-Stick verlegt.