Millionen von Datenpunkten mit tausenden Variablen, das ist die Welt von Claus Weihs. Er erforscht Methoden zur Analyse gewaltiger Datenmengen, eben jener, die Suchmaschinen, Behörden und Wirtschaftsunternehmen sammeln und speichern – von uns allen.

Auf dem Campus der TU Dortmund ragt ein architektonisch nicht gerade anziehender Turm aus Beton und Glas in den Himmel. Claus Weihs‘ Büro in der Fakultät Statistik liegt im 7. Stock. Sein blasses, etwas aus der Mode gekommenes Sakko ist stimmig: So stellt man sich einen Statistikprofessor vor. Doch Weihs ist alles andere als der blutleere Hochschullehrer, den man dem Klischee nach vielleicht erwarten würde. Seine Studenten kennen ihn als immer lustigen Professor, der gerne Geschichten erzählt. Zum Beispiel von seiner Arbeit in der Industrie, vor seiner wissenschaftlichen Karriere. Denn als Professor für Statistik ist er Quereinsteiger.

Auch seine vorherige Arbeitsumgebung war weniger grau als der Turm auf dem Campus. Frisch in Mathematik promoviert, entschied sich Claus Weihs zunächst gegen eine Karriere in der Wissenschaft und nahm eine Stelle in der Schweizer Vorzeigestadt Basel an, beim Chemie- und Pharma-Konzern Ciba. Von 1985 an arbeitete er dort als Statistikberater mit Naturwissenschaftlern, Medizinern und Ingenieuren zusammen. Natürlich spielten Datenbanken schon damals eine wichtige Rolle, gerade bei einem Wirtschaftsunternehmen. Von Big Data redete aber noch niemand. „Früher hatte man Papierordner – die standen alle in einer Reihe. Die Daten waren da, aber man konnte nicht so leicht damit arbeiten“, erinnert sich Weihs. Hinreichend leistungsfähige Rechner, um aus großen Datenmengen sinnvolle Informationen ziehen zu können, standen noch nicht zur Verfügung.

Bei Ciba faszinierte ihn die interdisziplinäre Arbeit an praxisrelevanten Problemen. Dass er seinen Posten im idyllischen Basel neun Jahre später dennoch gegen ein Büro im 7. Stock auf dem Dortmunder Universitätscampus tauschte, ist seiner Neugier geschuldet – und seiner Lust, noch einmal etwas ganz Neues zu machen. Schweren Herzens verließ er seine Wirkungsstätte. Als die TU einen Professor für Computergestützte Statistik suchte, lockte ihn die Möglichkeit, sich noch grundlegender mit statistischen Problemen beschäftigen zu können, als es bei Ciba möglich war.

Aktuell forscht Claus Weihs an Lösungen zur Analyse komplexer Datenstrukturen. Diese Gebilde entstehen, wenn man unterschiedliche Datenbanken miteinander verknüpft. Dann werden die Daten zu inhomogen und meist zu sperrig für die statistischen Standardmethoden. Weihs treibt nun die Frage um, wie man die klassischen Methoden ändern kann, damit sie sich auf solche komplexen Datenbanken anwenden lassen. Ihm geht es, wie er es nennt, um die Anpassung der Methoden der Mathematik an die Wirklichkeit.

Derlei mathematische Probleme überdehnen allerdings leicht die Wirklichkeit und Vorstellungskraft von Laien. Aber Claus Weihs ermutigt, gedanklich dran zu bleiben, am Thema Statistik und Big Data: „Alles was sich an Computersystemen und Software auf diesem Gebiet durchsetzt, ist nicht kompliziert – sonst werden die Leute ungeduldig und wollen etwas anderes“, beruhigt er.

Zwar ist Big Data derzeit vor allem noch ein schillernder Begriff, die Auswertung großer Datenmengen wird jedoch an Bedeutung gewinnen – nicht zuletzt im Datenjournalismus. Dort fehle es aber häufig an Sachkenntnis; Weihs bemängelt, dass bei der Jagd nach Storys die fundierte Datenanalyse allzu oft auf der Strecke bleibe. Dem Datenjournalismus fehle in vielen Fällen die statistisch-methodische Seite, sagt er, weil sie bei Journalisten im Normalfall nicht auf dem Lehrplan stehe.

Claus Weihs ist dabei, das zu ändern. Seit Jahren arbeitet er eng mit dem Institut für Journalistik in Dortmund zusammen. Er vermittelt dem journalistischen Nachwuchs die Fähigkeit, Qualität und Aussagekraft von Datenbanken und statistischen Kennzahlen richtig einzuschätzen. Vom Wintersemester 2014 an wird es an der TU Dortmund im Studiengang Wissenschaftsjournalismus zudem einen Schwerpunkt Datenjournalismus geben. Weihs ist einer der Architekten davon.