Der Datenbefreier
Von Markus Meyer-Gehlen
“Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen”, lautet ein Punkt aus der “Hackerethik” des Chaos Computer Clubs. Und dieser weit verbreitete Leitspruch wird gerade im Internet gerne zitiert. Kurt Jansson, Datenjournalist in der Rechercheabteilung des Spiegel, stimmt diesem Motto zu. Es sei zwar nicht immer direkt zu erkennen, wo “öffentlich” aufhört und “privat” anfängt, sagt er, das hänge vom Einzelfall ab. Eine solche Gratwanderung könnte etwa die Frage sein, welche Informationen über verurteilte Straftäter veröffentlicht werden sollten – gerade, wenn sie wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden sollen. Insgesamt sieht Jansson sich aber selbst eher als einen Anwalt der Transparenz von Daten und Wissen. “Tja, ich bin ein Kind des Internets”, sagt er.
Janssons Einsatz für frei zugängliches Wissen hat schon in den frühen 2000er Jahren begonnen: Als man sich noch im Schneckentempo ins Internet einwählen musste und jede Surf-Minute sich auf der Telefonrechnung wiederfand, betreute der studierte Soziologe den Aufbau der deutschsprachigen Wikipedia. Zwischen 2004 und 2009 war Jansson Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Wikimedia Deutschland, der sich für die Weiterentwicklung der Web-Enzyklopädie einsetzt.
Revolution gegen überbordende Bürokratie
In einem Rückblick zum Anlass des zehnten Wikipedia-Geburtstages beschreibt er das damals wohl revolutionäre Feeling: “Ignoriere alle Regeln” sei eine der grundlegenden Wiki-Regeln gewesen. “Das klingt nach einem klassischen Aufruf zur Revolution gegen überbordende Bürokratie”, schreibt Jansson, “und genauso war sie damals auch gemeint.” Jeder kann sein Wissen einbringen – das ist das Prinzip der berühmten Internet-Enzyklopädie. Und dieser “Open Knowledge”-Ansatz ist auch heute noch eines der Grundprinzipien von Kurt Jansson.
Seit acht Jahren arbeitet Jansson inzwischen für den Spiegel, unter anderem half er dabei, das Spiegel-Archiv online zu stellen und konzipierte Themenseiten für Spiegel Online. Für investigative Projekte, erzählt er, hat er sich selbst ins Programmieren eingearbeitet. Seit einigen Jahren packt er bei Spiegel Online auch immer wieder datenjournalistische Projekte an. So entwickelte er etwa gemeinsam mit Maximilian Schäfer und drei weiteren Kollegen ein technisch anspruchsvolles Projekt zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland.
Einordnung muss sein im Datenjournalismus
Inzwischen ist der Datenjournalismus eine seiner Hauptbeschäftigungen geworden – auch wenn er “ehrlich gesagt etwas müde ist, darüber zu diskutieren, was genau Datenjournalismus jetzt ist”. Er sammelt Daten, er präsentiert sie, und – für ihn ganz wichtig: kommentiert sie. Eine eigene Geschichte, wie man sie aus dem klassischen Journalismus kennt, müsse es zu den Daten nicht immer geben, sagt Jansson, aber zumindest eine Einordnung gehört für ihn zwingend dazu. Umgekehrt müsse eine datenjournalistische Arbeit auch nicht zwingend in einer anspruchsvollen Visualisierung münden.
Maximilian Schäfer aus der SPIEGEL-Dokumentation erklärt auf dem #datenlabor15 Data-Mining bei @DerSPIEGEL. #ddj pic.twitter.com/fAk5cEoePI
— Rainer Striewski – @striewski@mastodon.social (@RainerStriewski) October 24, 2015
In der Dokumentationsabteilung hat Jansson mit allerlei Datenalpträumen zu tun. “PDFs sind die schlimmsten”, sagt er, “es gibt keinen vernünftigen Grund, Daten als PDF weiterzugeben!” Doch insgesamt sieht Jansson einen Ausfwärtstrend sowohl in der Verfügbarkeit von Daten, als auch in dem Willen, von ihnen Gebrauch zu machen: Erstens scheinen komplexe Datensätze inzwischen öfter auch Journalisten zur Verfügung zu stehen – ein Privileg, das früher eher den Wissenschaftlern vorbehalten war. “Die können schließlich anständig damit umgehen”, habe es damals oft geheißen, sagt Jansson. Zweitens sieht er eine Entwicklung bei den Kollegen: Auch die nicht so Daten-und-Algorithmen-affinen Journalisten würden nach und nach lernen, wie Datenjournalismus ihnen beim Geschichtenerzählen helfen kann, sagt Jansson.
Vielleicht können sie dabei ja ab und zu auf Janssons Kenntnisse zurückgreifen – so kann er nicht nur den Lesern etwas bieten, sondern auch anderen Journalisten. Und dann ist da ja noch sein vielleicht größter Beitrag zu unzähligen journalistischen Recherchen: Wikipedia.