Die digitale Büchse der Pandora
Sei es im Sand, Matsch oder Schnee: Wo der Mensch auch hingeht, hinterlässt er sichtbare Spuren. Es lässt sich zurückverfolgen, wo er herkam, wo er hingeht. In der realen Welt kann er seine Spuren verwischen – im digitalen Internet ist das schwieriger. Spätestens seit dem NSA-Skandal lässt sich die permanente Massenüberwachung durch Behörden nicht mehr leugnen. Der Zugang zu privaten Telefonaten und E-Mails ist maschinell in Sekundenschnelle möglich.
„Es ist wie die Büchse der Pandora. Sie wurde geöffnet, nun gibt es kein Zurück mehr. Man kann nur versuchen, sich zu schützen“, sagt Sebastian Mondial, Journalist bei der „Zeit“. Der Erfolg seiner Arbeit und der seiner Kollegen in der investigativen Recherche hängt auch von der nötigen Geheimhaltung und Privatsphäre ab, die durch die Überwachung sabotiert und gefährdet wird. Welche Daten Geheimdienste über Journalisten gespeichert haben, können diese erfragen. Um dies möglichst einfach zu gestalten, hat das „netzwerkrecherche“ einen Antragsgenerator auf seiner Internetseite eingerichtet. Damit solle den Behörden gezeigt werden, dass ihr Handeln in der Öffentlichkeit kritisch betrachtet wird.
Ein absoluter Schutz vor Überwachung ist nämlich nicht möglich. Hat zum Beispiel die NSA eine Person im Visier, kann sie diese in jedem Fall überwachen – auch trotz persönlicher Sicherheitsmaßnahmen. Doch Sebastian Mondial geht es um die breite Masse: Wenn alle ihre Daten verschlüsselten, wäre deren flächendeckende Erfassung auch für Geheimdienste schlicht zu aufwendig. Einige Programme und Tricks, die die Überwachung zumindest erschweren, stellte Mondial auf der Jahrestagung des „netzwerkrecherche“ vor.
Eine große Rolle spielt dabei die Kryptografie, also die Verschlüsselung von Nachrichten. Der Handy-Messenger Threema generiert dafür zwei individuelle Schlüssel: Einen öffentlichen und einen privaten. Der öffentliche darf verbreitet werden und kann in Kombination mit dem Privaten eine Nachricht verschlüsseln. Eine Nachricht entschlüsselt dann nur der private Schlüssel, der unbedingt geheim bleiben sollte. Dabei speichert der Threema-Server die Nachricht nur im verschlüsselten Zustand. Ruft der Empfänger die Nachricht auf, wird diese direkt vom Server gelöscht.
Mit diesem Prinzip arbeiten auch diverse andere Programme wie PGP („PrettyGood Privacy“), mit denen E-Mails abgesichert werden können, oder “Tor”, das die verschlüsselte Nachricht erst durch mehrere Knotenpunkte im Web leitet, bis sie den Empfänger erreicht. Damit wird es nahezu unmöglich, den Weg eines Datenpakets durch das Internet zurückzuverfolgen. Dem Entwickler von „Tor“, Jacob Appelbaum, kann es gar nicht sicher genug sein: Er rät gänzlich von Smartphones ab, vor allem denjenigen mit einer GPS- Funktion. Denn auch viele der angebotenen Software und Apps, sowohl für den Computerals auch für das Telefon, stehen in der Kritik, Sicherheitslücken zu haben.
Besondere Vorsicht ist bei allen Programmen geboten, die Zugang zum Internet haben und ständig private Daten von dem Mobiltelefon auf den Server schicken – dazu gehören auch die Betriebssysteme selbst, etwa Android oder iOs. Es bringt schließlich nichts, wenn ein Brief verschlossen beim Empfänger ankommt, jedoch beim Schreiben schon mitgelesen werden kann.
Momentan schrecken viele Journalisten noch vor solchen Tools zurück. Für die einen sind es die Kosten, für die anderen der Aufwand. Manche Journalisten setzen auf absolute Transparenz ihrer Recherche, andere wiederum sehen einfach (noch) keinen Sinn in der Verschlüsselung. „Ich habe keine Themen am Wickel, die die NSA oder ein anderer großer Bruder, der uns beobachtet, nicht wissen dürfte“, sagte Birte Siedenburg, freie Wirtschaftsjournalistin in einem Zapp-Interview während der Netzwerk Recherche-Tagung. Georg Mascolo, Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung wirft zudem die Frage auf, ob es nicht sicherer wäre, „sich im Heuhaufen zu verstecken“, anstatt mit der Benutzung von Anonymisierungssoftware die Aufmerksamkeit erst recht auf sich zu lenken. Denn offenbar gelten deren Nutzer vielen gleich als besonders verdächtig, dass sie etwas zu verbergen haben könnten.
Für die Standpunkte der beiden Kollegen hat auch Mondial Verständnis. Trotzdem schaut er optimistisch in die Zukunft der Kryptografie und hofft, dass einige Sicherheitsmaßnahmen bald Standard sind und „quasi mit zum Tarif“ gehören. Damit wäre dann auch der digitale Heuhaufen nicht mehr nötig – und die massenhafte Überwachung vielleicht schon bald Vergangenheit. Oder zumindest deutlich schwieriger.