Die Strukturierte
Strahlenbelastung in Fukushima, halsbrecherische Snowboardstunts, Flüchtlingstote vor den Toren Europas – das sind Geschichten, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Sylke Gruhnwald ist die Frau, die die Verbindung schafft, denn in ihrer Hand laufen alle Fäden zusammen.
Sylke Gruhnwald ist Datenjournalistin mit Leib und Seele; sie sucht, findet, analysiert Daten, mischt Daten, erhebt eigene Daten. Folgt man etwa dem einen Faden in ihrer Hand, landet man bei dem Porträt über Iouri Podladtchikov, einem weltberühmten Schweizer Snowboarder. Um seinen bekanntesten Trick für die Leser zu veranschaulichen, haben Sylke Gruhnwald und ihr Team von der Neuen Zürcher Zeitung den Sprung „einfach“ unter Laborbedingungen nachgestellt – mit einem IPhone. Das Ergebnis: die multimediale Visualisierung des „Yolo-Flips“, später ausgezeichnet mit dem Grimme Online Award 2014.
Für Sylke Gruhnwald könnte man das auch einen Aufstieg in die Königsklasse des Datenjournalismus nennen. Sie selbst versteht unter „Königsklasse“ allerdings etwas völlig anderes. Eine eigene Datenbank zu erstellen, also „Source Data“ – das sei königlich und kröne die „Vier Level des Datenjournalismus“.
Level 1: Show Data –Datenvisualisierungen.
Level 2: Mashup Data – das Mischen von Datensätzen.
Level 3: Analyze Data – saubere Datenanalyse.
Level 4: Source Data – eine eigene Datenbank aufbauen.
Alle datenjournalistischen Projekte ließen sich nach diesem Schema gliedern, sagt sie. So auch das Projekt The Migrant Files, eine Dokumentation der Flüchtlingstoten vor den Toren Europas. Eine Gruppe europäischer Journalisten (darunter auch das Team um Sylke Gruhnwald von NZZ-Data) begab sich auf die Spuren der Flüchtlinge und stellte die Ergebnisse in einer großen Datenbank zusammen – Source Data, Königsklasse.
Als Teamleiterin von NZZ Data ist Sylke Gruhnwald in der Welt der Daten zuhause, die Daten sind ihr tägliches Brot. Vorgezeichnet war dieser Weg nicht, vom Sinologie- und BWL-Studium hin zum Datenjournalismus. Noch während sie ihr Diplom machte, begann sie, für den Economist in Wien zu arbeiten, danach ging sie als Wirtschaftsredakteurin zu NZZ-Online. Dort kam sie nach und nach in den Bereich des Datenjournalismus‘, erst mit 40 Prozent ihrer Stelle, dann zu 100 Prozent. Sie kämpfte dafür, ein eigenes Team zu bekommen, denn sie sah in den Daten mehr als Zahlen – eigene Geschichten und die Chance, neue Felder des Online-Journalismus zu erschließen. Ihr Bemühen hatte Erfolg.
Seit nunmehr fast zwei Jahren ist NZZ Data fester Bestandteil der Neuen Zürcher Zeitung und längst aus den Kinderschuhen raus: bereits zwei Nominierungen für den Grimme Online Award, einmal für das preisgekrönte Snowboarder-Porträt, einmal für eine multimediale Webdoku zur Situation in Fukushima, zwei Jahre nach der Katastrophe.
Bei solchen Projekten reize besonders die Recherche, sagt Sylke Gruhnwald. Recherchieren, das ist ihre Kernkompetenz. Dabei sei „Trial and Error“ das wichtigste – der mögliche Fehler ist nämlich vor der Recherche nicht sichtbar. So könne man mit einer spannenden These in die Datensuche starten und dann merken: Die Recherche gibt nichts her! „Man muss auch den Mut haben, eine Geschichte nicht zu machen.“
Anderen Problemen, die dem Journalisten-Dasein häufiger Steine im Weg sind, begegnet Sylke Gruhnwald mit Hartnäckigkeit. „Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe und es wirklich will, erstreite ich es mir auch schon mal“. Und damit hat sie Erfolg – so wie damals bei der Etablierung von NZZ Data.
Was sie dort aufgebaut hat, gibt sie nun jedoch in die Hände ihrer Kollegen ab. Im August 2014 verlässt sie die NZZ und beginnt neu beim Schweizer Radio und Fernsehen. „Mein Chef sagt, Leute wechseln nur, wenn es ihnen im Büro nicht mehr gefällt“, lacht sie. Doch das sei nicht der Grund für den Wechsel. Beim SRF wird sie für den Aufbau von „SRF Data“ verantwortlich sein, die Fäden des Datenjournalismus im Haus werden bei ihr zusammenlaufen, ähnlich wie zuvor bei der NZZ. Was anders sein wird, ist die Medienvielfalt. Datenjournalismus in Radio und Fernsehen bringt viele Herausforderungen und Möglichkeiten, die es so im rein Digitalen nicht gibt. Das reizt, findet Sylke Gruhnwald.
Positiv blickt sie in die Zukunft. Nicht nur in ihre eigene, auch in die des Journalismus im Allgemeinen. Zurzeit würden viele neue Felder erschlossen, das seien immer wieder auch neue Chancen für den Journalismus. „Wir haben die Möglichkeit, alles anders zu gestalten.“ Was dabei hilft, ist Biss. Den hat sie. Und was noch? „Eine positive Grundeinstellung!“