Gefördert mit einem Recherchestipendium von Netzwerk Recherche berichteten Julian Busch und Paul Lovis Wagner 2016/17 über minderjährige, in Griechenland inhaftierte Geflüchtete (die Beiträge können hier gelesen werden). Gemeinsam mit Franziska Grillmeier beobachtet Julian Busch derzeit die Situation auf Lesbos. Die beiden wurden während ihrer Arbeit von Maskierten angegriffen. Wir haben sie gebeten, ihre Erlebnisse zu schildern:

Mit Steinen und Schlagstöcken bewaffnet hat am Montag eine Gruppe von Rechtsradikalen uns, Franziska Grillmeier (freie Journalistin) und Julian Busch (Fotograf) auf der Insel Lesbos angegriffen. Die Gruppe patrouillierte in den Abendstunden mit Schlagstöcken, Ketten und Steinen bewaffnet an der Küstenstraße, die von der Hafenstadt zum Flüchtlingslager von Moria führt. Sie versperrten uns den Weg zu einer Durchfahrt an der Küstenstraße, versuchten auf unser Auto zu springen, mit Schlagstöcken die Fenster einzuschlagen und die Türen aufzureißen – wir schafften es, umzudrehen und zu entkommen, während Männer vor das Auto sprangen, um uns erneut den Weg zu versperren.

Am 26. Februar kommt es auf der Insel Lesbos zu Protesten aus der lokalen Bevölkerung gegen den geplanten Neubau von Flüchtlingslagern. Später am Tag eskaliert die Situation: Es werden Straßenblockaden errichtet, die Polizei setzt massiv Tränengas ein. Foto: Julian Busch

Im Gegensatz zu anderen KollegInnen und humanitären HelferInnen sind wir unversehrt geblieben. In den vergangenen Tagen ist auf der Insel Lesbos immer wieder zu Angriffen gekommen:

Der Foto-und Videojournalist Michael Trammer wird von rechtsradikalen Männern an der Hafensohle angegriffen worden, nachdem er Fotos von der Situation am Hafen von Thermi macht, in der hunderte Menschen versuchen, ein Schlauchboot am Anlegen zu hindern, das Boot wegstoßen und Gegenstände auf die Geflüchteten werfen.

Auch ÄrztInnen müssen sich eines Nachts vor Angreifern in das Flüchtlingslager Moria retten, nachdem ihr Auto schwer attackiert wird. Internationale Helfer werden aus ihren Autos gezogen und diese zertrümmert. Mittlerweile sind fast alle humanitären Operationen auf der Insel eingestellt worden und immer mehr Helfer verlassen aus Sicherheitsgründen die Insel.

Auch wir JournalistInnen sind von der Eskalation der Gewalt betroffen. Es ist in den letzten Tagen viel schwieriger geworden, zu arbeiten. Die Wege zum Camp Moria waren immer wieder durch rechtsradikale Gruppierungen blockiert. Während es dort Proteste von Geflüchteten gibt, die Polizei mit Tränengas massiv gegen diese vorgeht, können wir nicht berichten und damit nicht unserer Dokumentationspflicht nachkommen.

Am 3. März kommt es nahe des Safqus Squares in Mytilini auf der Insel Lesbos zu Protesten zwischen Geflüchteten und der griechischen Polizei. Im Flüchtlingslager Moria gehen Gerüchte herum, dass es eine Fähre für alle nach Athen geben soll. Daraufhin versammeln sich mehrere hundert Geflüchtete im Hafen von Mytilini. Die Polizei versucht diese zur Rückkehr nach Mytilini zu bewegen und geht dabei massiv gegen diese vor. Foto: Julian Busch

Während sich humanitäre HelferInnen und JournalistInnen nach Angriffen, Demütigung und Missachtung teilweise an Anwälte, an die Polizei und die Medien richten können – wissend, irgendwann wieder an einem sicheren Ort zu sein – stecken die Flüchtenden an den Stränden und im Lager von Moria fest, in dem sie keine rechtlichen und medizinischen Ansprechpartner mehr finden.

Nach wie vor gibt es eine große Unsicherheit, sich auf der Insel zu bewegen. Wir versuchen, das Haus nicht mehr alleine zu verlassen und abends nicht mehr in der Stadt unterwegs zu sein. In den sozialen Medien trifft uns mittlerweile ein rechtsradikaler Shitstorm.

Die lokale Polizei bleibt bei den meisten Vorkommnissen abwesend. Immer wieder kontrolliert sie selbst die Ausweise der internationalen HelferInnen und JournalistInnen.

Wir sind sehr besorgt über die aktuellen Entwicklungen in Griechenland und dem Schweigen der EU-Mitgliedstaaten. Europa gründete sich einst u.a. auf Idealen verbindlicher Rechtsnormen, die durch demokratische Institutionen zusammengehalten werden. Doch die Rechtsstaatlichkeit und völkerrechtliche Idee der Schutzverantwortung scheinen in den letzten Tagen auch an den eigenen Grenzen ausgehebelt.

Mehr denn je brauchen wir einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs, was wir diesem Hass entgegensetzen können, wie wir die Menschenverachtung auch gegenüber JournalistInnen eindämmen können und weitere Angriffe nicht folgenlos lassen.

Wir fordern umgehend rechtstaatliches Handeln, damit eine Pressefreiheit gewährleistet werden kann.

Franziska Grillmeier und Julian Busch, Lesbos

Aufruf von Reporter ohne Grenzen (3.3.2020): Behörden müssen Journalisten schützen