Leuchtturm-Preis 2020 für drei Rechtsextremismus-Experten

veröffentlicht von Netzwerk Recherche | 10. Juni 2020 | Lesezeit ca. 6 Min.

Der „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche e.V. geht in diesem Jahr an Andrea Röpke, Julian Feldmann und Anton Maegerle. Alle drei recherchieren seit Jahren in der rechten Szene.

Einen Sonderpreis verleiht die Journalistenvereinigung in diesem Jahr an das gemeinnützige Science Media Center für seine engagierte Unterstützung von Journalistinnen und Journalisten bei Themen mit Wissenschaftsbezügen.

Andrea Röpke, Julian Feldmann und Anton Maegerle haben sich durch ihre langjährigen Recherchen im rechten Milieu eine hohe Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit bei vielen Redaktionen erworben. Sie sind ausgewiesene Experten, wenn es um Personen, Strukturen und Verflechtungen in der rechten Szene geht. Alle drei behalten diese Szene auch dann im Blick, wenn das Thema Rechtsradikalismus für viele Medien gerade mal „keine Konjunktur“ hat. Umso gefragter ist ihre Expertise immer dann, wenn das Thema wieder die Schlagzeilen beherrscht. Wegen ihrer Hartnäckigkeit, ihrer Ausdauer und ihren detaillierten Kenntnissen werden sie immer wieder angegriffen und bedroht – nicht nur verbal. Julia Stein, Vorsitzende von Netzwerk Recherche:  „Besonders beeindruckend ist für uns, dass alle drei Preisträger/innen als Freie, also ohne den Schutz einer Redaktion, sich durch all diese Anfeindungen der rechten Szene nicht einschüchtern lassen und so uns allen immer wieder wichtige Einblicke in diese gefährliche Szene ermöglichen“.

Mit einem Sonderpreis zeichnet Netzwerk Recherche in diesem Jahr das Science Media Center (SMC) aus. Die unabhängige Wissenschaftsredaktion unterstützt nach britischem Vorbild die mittlerweile mehr als 1100 registrierten Journalistinnen und Journalisten kostenlos bei der Berichterstattung über Themen mit Wissenschaftsbezug. Derzeit erstellt sie beispielsweise kommentierte Listen von relevanten Studien über Covid-19. Ihre Datenreports helfen bei der Einordnung von Statistiken, ihre Factsheets erklären komplizierte Themen und ihre (Online-) Pressekonferenzen vermitteln Kontakt zu Forscherinnen und Forschern. Julia Stein: “ Gerade in Zeiten wie diesen profitieren viele Redaktionen von der Kompetenz der Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten. Deshalb wollen wir alle diejenigen würdigen, die sich durch ihre langjährige Erfahrung diese Kompetenz erworben habe. Das SMC ist dafür ein herausragendes Beispiel“.

Vergeben wird die Auszeichnung auf der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche, die dieses Jahr in veränderter Form an zwei Tagen mit Online-Veranstaltungen stattfindet. Die Preisverleihung für Andrea Röpke, Julian Feldmann und Anton Maegerle ist am 19. Juni 2020 um 14 Uhr. Die Laudatio hält Ilka Brecht, die Redaktionsleiterin und Moderation von Frontal21. Die Auszeichnung für das Science Media Center wird am 20. Juni um 14 Uhr vergeben. Laudatorin ist die freie Wissenschaftsjournalistin Nicola Kuhrt. Nähere Informationen zum Programm der gesamten Tagung unter nrch.de/nr20

Der Leuchtturm wird seit 2002 jährlich verliehen und ist mit 3.000 Euro dotiert. Im vergangenen Jahr ging er an den Spiegel-Reporter Juan Moreno für seine Aufdeckung des Relotius-Skandals.

Laudatio von Ilka Brecht

Leuchtturmpreisträger 2020: Für die drei Rechtsextremismus-Experten Andrea Röpke, Julian Feldmann und Anton Maegerle
Laudatorin: Ilka Brecht, Redaktionsleiterin und Moderatorin Frontal21 / ZDF

19. Juni 2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gruß aus Berlin!

Zunächst ein Rückblick: 2007, also vor dreizehn Jahren, hieß es in der Begründung vom Netzwerk Recherche für den Leuchtturm: „Ausgezeichnet werden Journalisten, die seit vielen Jahren in der rechten Szene mit unermüdlichem persönlichen Einsatz und anerkannter fachlicher Qualifikation recherchieren.“ Andrea Röpke und Anton Maegerle kennen diese Worte, denn sie zählten damals zu jenen – mit dem Leuchtturm ausgezeichneten – Journalisten.

2007, das ist lange her, und Julian Feldmann war noch nicht dabei – aber die Begründung ließe sich für alle drei auch heute wiederholen. Beziehungsweise toppen. Denn zu den „vielen Jahren der Recherche in der rechten Szene“ sind schließlich nochmal einige hinzugekommen.

Der lange Atem von Andrea Röpke, Julian Feldmann und Anton Maegerle ist beeindruckend. Sie recherchieren, dokumentieren, analysieren hartnäckig und ausdauernd. Sie bleiben dran. Nicht mal eben so, als „Wir bleiben dran“-Abmoderation im Fernsehmagazin, sondern – wie gesagt – über Jahre, sogar Jahrzehnte. Sie tun das auch dann, wenn das Thema Rechtsradikalismus in den diversen Redaktionen gerade keine „Konjunktur“ hat. Kurzum: Sie stehen, während andere sich wieder hinlegen. Diese Standhaftigkeit auf diese lange Strecke, das nenne ich Haltung.

Und sie machen daraus kein Bohei, sondern einfach immer weiter ihren Job. Obwohl sie dafür immer wieder aus der rechten Szene angegriffen werden – und das nicht nur verbal. Sie sind unerschrockene Sachverständige im Sinne der Aufklärung. Nur ein paar Beispiele für ihre Leistung:

Durch das akribische Protokollieren von Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund über Jahrzehnte wird nachgewiesen, dass die Zahl weit höher liegt als behördlich erfasst. Das ist auch für die Opfer und ihre Angehörigen unfassbar wichtig.

Durch das Fotografieren und Filmen bei Treffen im rechten Milieu, verdeckt und unter hohem persönlichen Risiko vorgenommen, wird entlarvt, dass der eine oder andere AfD-Politiker einen rechtsradikalen Bezug hat.

Durch das Stellen eines verurteilten Kriegsverbrechers wird dokumentiert, dass dessen Gewissenlosigkeit ewig ist.

Ihre tiefgründige Kenntnis der Personen, der Strukturen und Verflechtungen des Rechtsextremismus ist also das Fundament für Aufklärung und wird in der Gesellschaft dringend gebraucht. Diverse Medien, auch investigativ arbeitende Redakteurinnen und Redakteure, die selbst durchaus im Thema sind, nutzen ihre Hinweise für die Berichterstattung.  Ich stelle mir folgenden Dialog mit Anton Maegerle, der ja über ein enormes Archiv verfügt, als typisch vor. Frage: „Hast Du zu XY Hinweise zu einem rechtsextremen Hintergrund?“, Antwort: „Habe ich. Aber die Redaktion XY aus Hamburg, Köln, Berlin, München oder sonstwo hat schon vor Dir angefragt.“

Also, liebe Preisträger*innen: Immer dann, wenn wieder mal etwas passiert, dann klopfen wir mal wieder an. Medien, Magazine, Redaktionen profitieren von ihrer Expertise. Salopp gesagt – auch selbstkritisch: Sie drei laufen eine Marathonstrecke – wohlgemerkt als freie Journalist*innen, die dafür nicht durchgängig honoriert werden in Form von Geld. Wir übernehmen den Staffelstab mitunter erst auf den letzten hundert Metern, laufen dann aber armereckend durchs Ziel und freuen uns über die Exklusivmeldung „Nach Recherchen von Frontal21“, usw usw.

Hinzu kommt, dass Andrea Röpke, Julian Feldmann und Anton Maegerle als freie Journalist*innen da draußen nicht so geschützt sind wie Diejenigen drinnen in den Redaktionen – so wie ich zum Beispiel. Ich habe durch das ZDF ein Justitiariat im Hintergrund – und ganz nebenbei auch ein sicheres Gehalt. Dass die drei Preisträger*innen trotzdem weiter standhaft sind und dranbleiben, verdient allerhöchste Anerkennung. Dass sie ihren Mut nicht verlieren, macht uns allen Mut. Auch in diesem Sinne bringen sie immer wieder Licht ins Dunkel.

Liebe Andrea Röpke, lieber Julian Feldmann, lieber Anton Maegerle. Ich gratuliere zum Leuchtturm.

Die Laudatio von Ilka Brecht ist als Videomitschnitt hier verfügbar.

Weiterführende News-Artikel

Infos
Menu