Mehr Daten in den Wissenschaftsjournalismus
Eine Chance für das Science Media Center Germany
Von Jana Burczyk
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat wegen des Zika-Virus den internationalen Gesundheits-notstand ausgerufen. Ein Warnsignal zur rechten Zeit oder eine Überreaktion nach Ebola? Es kommt oft vor, dass Journalisten komplexe Sachverhalte aus Medizin und Wissenschaft schnell einordnen müssen. Einen Ansprechpartner zur Hand zu haben, der diese zuverlässig einschätzen kann, ist in einer solchen Situation Gold wert. Genau dort will das Science Media Center Germany (SMC) ansetzen und Experten, Hintergrundinformationen oder mögliche Rechercheansätze für Journalisten zur Verfügung stellen. Darüber hinaus könnte das SMC aber auch den datengetriebenen Wissenschaftsjournalismus voranbringen.
Das Vorbild des deutschen Science Media Centers kommt aus Großbritannien: Seit 2002 versorgt das britische SMC Journalisten mit Kontakten zu Experten und Hintergrundinformationen zu den neuesten Ereignissen und Durchbrüchen aus der Wissenschaft. Dabei agiert es zwar möglichst unabhängig von einzelnen Institutionen und Förderern, allerdings versteht sich das britische SMC als pro-wissenschaftliches “press office for science”, also als eine Pressestelle für die Wissenschaft.
Kritik am britischen Science Media Center
An der Ausrichtung des britischen SMC wurde von Wissenschaftlern und Journalisten immer wieder Kritik geäußert. Diese beschreibt die Wissenschaftspressekonferenz (WPK), der größte Berufsverband von Wissenschaftsjournalisten in Deutschland und Mitgesellschafter des deutschen SMC, in einem Bericht wie folgt: “Es gehe einseitig um Erfolgsmeldungen aus der Wissenschaft, um neue Forschungsergebnisse. Damit bediene das SMC vor allem den traditionellen Wissenschaftsjournalismus, der sich für Fortschritte aus der Laborwelt interessiere. Der Fokus liege auf der wissenschaftlichen Mainstream-Meinung, die Auswahl der Experten sei entsprechend verzerrt.”
Das deutsche SMC solle daher zwar an die erfolgreichen Formate des britischen Vorbilds anknüpfen, jedoch auch eine “vielseitige, kompetente und auch wo sinnvoll auch kritische Berichterstattung fördern”. Zu diesem Zweck soll es zum Beispiel Hilfestellungen zu eigenen Geschichten geben und Rechercheansätze vorschlagen. Ziel des deutschen SMC sei es, “die Einordnungs- und Kritikfähigkeit von Journalisten zu stärken und sie vor vermeidbaren Fehlurteilen zu schützen”, heißt es in dem WPK-Bericht.
Kontroversen abbilden, Interessenkonflikte transparent machen
Auch soll das deutsche SMC nicht nur Mainstream-Meinungen transportieren. Es sei es wichtig, dass auch “Wissenschaftler mit abweichenden, aber wissenschaftlich begründeten Ansichten (…) bei bestimmten echten Kontroversen zu Wort kommen”. Welche Experten auf dem jeweiligen Gebiet kompetent sind, möchte das SMC-Team zukünftig nicht nur durch journalistische Recherche ermitteln, sondern auch durch Datenanalysen: “Wir entwickeln Tools, die unsere Redakteure nutzen können, um schnell zu sehen, wer auf welchem Gebiet wichtig ist. Das werten wir anhand von Publikationen aus”, sagt Meik Bittkowski, Projektmanager für IT und Datenwissenschaft am SMC.
Science Media Center Germany: Navigationshilfe und "Experten-Explorer" im Meer des (Nicht-Wissens) https://t.co/KyzK1Ia9Hi
— WPK (@wpk_daily) September 16, 2015
Das Finanzierungsmodell für das deutsche Science Media Center soll weitestgehend aus Großbritannien übernommen werden: Viele verschiedene Förderer, die jeweils nicht mehr als fünf Prozent des gesamten Budgets beitragen. “Eine Ausnahme ist derzeit die Klaus Tschira Stiftung, welche die Anschubfinanzierung des Projekts übernommen hat”, sagt Volker Stollorz, Wissenschaftsjournalist und Redaktionsleiter des SMC. Für ihn ist es zwingend, dass das neue Science Media Center journalistisch unabhängig und transparent arbeitet: “Wir wollen beispielsweise mögliche Interessenkonflikte von Wissenschaftlern sowie die Förderer des SMC transparent machen.” Glaubwürdigkeit, so Stollorz, sei das wichtigste Kapital des SMC Germany.
Im Frühjahr 2016 wollen Stollorz und seine Kollegen richtig loslegen und von Köln aus Journalisten mit Online-Pressekonferenzen und -Hintergrundgesprächen, Expertenkommentaren, O-Tönen, Faktenblättern und weiterführenden Links versorgen. Geplant sind auch “Follow-Ups”, die über die Entwicklung von Themen auf dem Laufenden halten sollen.
SMC-Angebote auch für datenjournalistische Projekte
Die Angebote des SMC könnten insbesondere auch für datenjournalistische Projekte interessant sein. “Fact-Sheets können gerade auch im Bereich des Datenjournalismus Anwendung finden und die journalistische Recherche mit gut aufbereiteten Daten erleichtern”, sagt Bittkowski. Darüber hinaus plane das SMC, auch Originaldaten zur Verfügung zu stellen.
Noch steht das deutsche SMC ganz am Anfang seiner Arbeit, doch es gibt bereits weitere Ideen, wie es sich im Bereich Datenjournalismus aufstellen könnte – etwa durch die Bereitstellung von Datenanalyse- oder Recherchetools. Vorbild dafür könnte der OperationsExplorer sein, eine von Stollorz mitentwickelte Software, mit deren Hilfe sich in den Daten der amtlichen Krankenhausstatistik recherchieren lässt. Auch “Horizon-Scanning”, also das Vorhersagen von Themenentwicklungen durch Datenanalyse, könnte eine Dienstleistung des SMC werden. “Dieses Projekt ist aber noch Zukunftsmusik”, so Stollorz. Vorstellbar sei es auch, Datensätze aus erfolgreichen Behördenanfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) auf der Internetseite des SMC zur Verfügung zu stellen.
Wegweiser und Einschätzung zu relevanten Datenquellen
Christina Elmer ist Datenjournalistin und ehemalige Wissenschaftsredakteurin bei Spiegel Online. Sie wünscht sich, dass das SMC eines Tages vielleicht sogar mehr kann als Datensätze bereitstellen: “Ich erhoffe mir vor allem einen Wegweiser zu relevanten Datenquellen und eine Kritik derselben. Welche Primärquellen bieten welche Datensätze und was müssen wir bei der Arbeit damit beachten?” Auch sei nicht jeder Wissenschaftsjournalist zwangsläufig ein Datenjournalist, sagt Elmer. Deshalb wünscht sie sich mehr Tools wie den Operations Explorer, in denen Datensätze schon aufbereitet sind, sodass Journalisten direkt darin recherchieren können.
Der freie Wissenschaftsjournalist Philipp Hummel würde sich wünschen, dass das Science Media Center einen Open-Data-Ansatz verfolgt – also recherchierte Daten für jeden verfügbar online stellt. “Außerdem könnte sich gerade für Regionalzeitungen ohne große Grafikredaktion eine Chance darin bieten, vorgefertigte Grafiken und Karten vom SMC mitgeliefert zu bekommen”, sagt Hummel. “Grundsätzlich fände ich auch Statistik-Schulungen für Journalisten sinnvoll. Da hapert es doch bei manchen gewaltig und das bei weitem nicht nur in Regionalzeitungen.” Hummel würde zudem eine starke Position des SMC Germany bei IFG-Anfragen begrüßen. “Es scheint ja doch noch so zu sein, dass viele Behörden nur unter Druck kooperieren. Eine Institution wie das SMC könnte mithelfen, den Druck zu erhöhen.”
Wenn es einige dieser Wünsche erfüllt, könnte das Science Media Center Germany nicht nur für Journalisten generell interessant werden, sondern insbesondere zwei Gruppen ansprechen: Wissenschaftsjournalisten, die gerne häufiger datenbasierte Geschichten machen würden und Datenjournalisten, die sich endlich einmal wissenschaftlichen Themen widmen wollen. Indem das SMC Daten zur Verfügung stellt sowie bei deren Beschaffung, Einschätzung und Analyse hilft, würde es zudem auch seinem eigenen Ziel näherkommen – nämlich kein unreflektiertes Megafon für die Wissenschaft zu sein, sondern ein unabhängiger Dienstleister für fundierte Wissenschaftsberichterstattung.