Mehr Daten in den Wis­sen­schafts­jour­na­lismus

ver­öf­fent­licht von Gast­bei­trag | 14. Februar 2016 | Lese­zeit ca. 6 Min.

Eine Chance für das Sci­ence Media Center Ger­many

Die Webseite re3data.org sammelt Forschungsdatenbanken nach Themen sortiert. Könnte auch das SMC Germany Daten bereitstellen und einschätzen? Bild: Screenshot re3data.org

Die Seite re3data.org ver­linkt For­schungs­da­ten­banken. Wie könnte das SMC Jour­na­listen helfen, For­schungs­daten für ihre Geschichten zu nutzen? Bild: Screen­shot re3data.org

Von Jana Burczyk

Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion (WHO) hat wegen des Zika-​Virus den inter­na­tio­nalen Gesund­heits-​not­stand aus­ge­rufen. Ein Warn­si­gnal zur rechten Zeit oder eine Über­re­ak­tion nach Ebola? Es kommt oft vor, dass Jour­na­listen kom­plexe Sach­ver­halte aus Medizin und Wis­sen­schaft schnell ein­ordnen müssen. Einen Ansprech­partner zur Hand zu haben, der diese zuver­lässig ein­schätzen kann, ist in einer sol­chen Situa­tion Gold wert. Genau dort will das Sci­ence Media Center Ger­many (SMC) ansetzen und Experten, Hin­ter­grund­in­for­ma­tionen oder mög­liche Recher­che­an­sätze für Jour­na­listen zur Ver­fü­gung stellen. Dar­über hinaus könnte das SMC aber auch den daten­ge­trie­benen Wis­sen­schafts­jour­na­lismus vor­an­bringen.

Das Vor­bild  des deut­schen Sci­ence Media Cen­ters kommt aus Groß­bri­tan­nien: Seit 2002 ver­sorgt das bri­ti­sche SMC Jour­na­listen mit Kon­takten zu Experten und Hin­ter­grund­in­for­ma­tionen zu den neu­esten Ereig­nissen und Durch­brü­chen aus der Wis­sen­schaft. Dabei agiert es zwar mög­lichst unab­hängig von ein­zelnen Insti­tu­tionen und För­de­rern, aller­dings ver­steht sich das bri­ti­sche SMC als pro-​wis­sen­schaft­li­ches „press office for sci­ence“, also als eine Pres­se­stelle für die Wis­sen­schaft.

Kritik am bri­ti­schen Sci­ence Media Center

An der Aus­rich­tung des bri­ti­schen SMC wurde von Wis­sen­schaft­lern und Jour­na­listen immer wieder Kritik geäu­ßert. Diese beschreibt die Wis­sen­schafts­pres­se­kon­fe­renz (WPK), der größte Berufs­ver­band von Wis­sen­schafts­jour­na­listen in Deutsch­land und Mit­ge­sell­schafter des deut­schen SMC, in einem Bericht wie folgt: „Es gehe ein­seitig um Erfolgs­mel­dungen aus der Wis­sen­schaft, um neue For­schungs­er­geb­nisse. Damit bediene das SMC vor allem den tra­di­tio­nellen Wis­sen­schafts­jour­na­lismus, der sich für Fort­schritte aus der Labor­welt inter­es­siere. Der Fokus liege auf der wis­sen­schaft­li­chen Main­stream-​Mei­nung, die Aus­wahl der Experten sei ent­spre­chend ver­zerrt.“

Das deut­sche SMC solle daher zwar an die erfolg­rei­chen For­mate des bri­ti­schen Vor­bilds anknüpfen, jedoch auch eine „viel­sei­tige, kom­pe­tente und auch wo sinn­voll auch kri­ti­sche Bericht­erstat­tung för­dern“. Zu diesem Zweck soll es zum Bei­spiel Hil­fe­stel­lungen zu eigenen Geschichten geben und Recher­che­an­sätze vor­schlagen. Ziel des deut­schen SMC sei es, „die Ein­ord­nungs-​ und Kri­tik­fä­hig­keit von Jour­na­listen zu stärken und sie vor ver­meid­baren Fehl­ur­teilen zu schützen“, heißt es in dem WPK-​Bericht.

Kon­tro­versen abbilden, Inter­es­sen­kon­flikte trans­pa­rent machen

Auch soll das deut­sche SMC nicht nur Main­stream-​Mei­nungen trans­por­tieren. Es sei es wichtig, dass auch „Wis­sen­schaftler mit abwei­chenden, aber wis­sen­schaft­lich begrün­deten Ansichten (…) bei bestimmten echten Kon­tro­versen zu Wort kommen“. Welche Experten auf dem jewei­ligen Gebiet kom­pe­tent sind, möchte das SMC-​Team zukünftig nicht nur durch jour­na­lis­ti­sche Recherche ermit­teln, son­dern auch durch Daten­ana­lysen: „Wir ent­wi­ckeln Tools, die unsere Redak­teure nutzen können, um schnell zu sehen, wer auf wel­chem Gebiet wichtig ist. Das werten wir anhand von Publi­ka­tionen aus“, sagt Meik Bitt­kowski, Pro­jekt­ma­nager für IT und Daten­wis­sen­schaft am SMC.

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Das Finan­zie­rungs­mo­dell für das deut­sche Sci­ence Media Center soll wei­test­ge­hend aus Groß­bri­tan­nien über­nommen werden: Viele ver­schie­dene För­derer, die jeweils nicht mehr als fünf Pro­zent des gesamten Bud­gets bei­tragen. „Eine Aus­nahme ist der­zeit die Klaus Tschira Stif­tung, welche die Anschub­fi­nan­zie­rung des Pro­jekts über­nommen hat“, sagt Volker Stol­lorz, Wis­sen­schafts­jour­na­list und Redak­ti­ons­leiter des SMC.  Für ihn ist es zwin­gend, dass das neue Sci­ence Media Center jour­na­lis­tisch unab­hängig und trans­pa­rent arbeitet: „Wir wollen bei­spiels­weise mög­liche Inter­es­sen­kon­flikte von Wis­sen­schaft­lern sowie die För­derer des SMC trans­pa­rent machen.“ Glaub­wür­dig­keit, so Stol­lorz, sei das wich­tigste Kapital des SMC Ger­many.

Im Früh­jahr 2016 wollen Stol­lorz und seine Kol­legen richtig los­legen und von Köln aus Jour­na­listen mit Online-​Pres­se­kon­fe­renzen und -​Hin­ter­grund­ge­sprä­chen, Exper­ten­kom­men­taren, O-​Tönen, Fak­ten­blät­tern und wei­ter­füh­renden Links ver­sorgen. Geplant sind auch „Follow-​Ups“, die über die Ent­wick­lung von Themen auf dem Lau­fenden halten sollen.

SMC-​Ange­bote auch für daten­jour­na­lis­ti­sche Pro­jekte

Die Ange­bote des SMC könnten ins­be­son­dere auch für daten­jour­na­lis­ti­sche Pro­jekte inter­es­sant sein. „Fact-​Sheets können gerade auch im Bereich des Daten­jour­na­lismus Anwen­dung finden und die jour­na­lis­ti­sche Recherche mit gut auf­be­rei­teten Daten erleich­tern“, sagt Bitt­kowski. Dar­über hinaus plane das SMC, auch Ori­gi­nal­daten zur Ver­fü­gung zu stellen.

Noch steht das deut­sche SMC ganz am Anfang seiner Arbeit, doch es gibt bereits wei­tere Ideen, wie es sich im Bereich Daten­jour­na­lismus auf­stellen könnte – etwa durch die Bereit­stel­lung von Daten­ana­lyse-​ oder Recher­che­tools. Vor­bild dafür könnte der Ope­ra­ti­ons­Ex­plorer sein, eine von Stol­lorz mit­ent­wi­ckelte Soft­ware, mit deren Hilfe sich in den Daten der amt­li­chen Kran­ken­haus­sta­tistik recher­chieren lässt. Auch „Horizon-​Scan­ning“, also das Vor­her­sagen von The­men­ent­wick­lungen durch Daten­ana­lyse, könnte eine Dienst­leis­tung des SMC werden. „Dieses Pro­jekt ist aber noch Zukunfts­musik“, so Stol­lorz. Vor­stellbar sei es auch, Daten­sätze aus erfolg­rei­chen Behör­den­an­fragen nach dem Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz (IFG) auf der Inter­net­seite des SMC zur Ver­fü­gung zu stellen.

Weg­weiser und Ein­schät­zung zu rele­vanten Daten­quellen

In der Datenbank des Robert-Koch-Insituts lassen sich Gesundheitsdaten suchen und visualisieren. Könnte das SMC solche Angebote sammeln und kuratieren? Bild: Screenshot survstat.rki.de

In der Daten­bank des Robert-​Koch-​Insi­tuts lassen sich Gesund­heits­daten suchen und visua­li­sieren. Könnte das SMC solche Ange­bote sam­meln und kura­tieren? Bild: Screen­shot survstat.rki.de

Chris­tina Elmer ist Daten­jour­na­listin und ehe­ma­lige Wis­sen­schafts­re­dak­teurin bei Spiegel Online. Sie wünscht sich, dass das SMC eines Tages viel­leicht sogar mehr kann als Daten­sätze bereit­stellen: „Ich erhoffe mir vor allem einen Weg­weiser zu rele­vanten Daten­quellen und eine Kritik der­selben. Welche Pri­mär­quellen bieten welche Daten­sätze und was müssen wir bei der Arbeit damit beachten?“ Auch sei nicht jeder Wis­sen­schafts­jour­na­list zwangs­läufig ein Daten­jour­na­list, sagt Elmer. Des­halb wünscht sie sich mehr Tools wie den Ope­ra­tions Explorer, in denen Daten­sätze schon auf­be­reitet sind, sodass Jour­na­listen direkt darin recher­chieren können.

Der freie Wis­sen­schafts­jour­na­list Philipp Hummel würde sich wün­schen, dass das Sci­ence Media Center einen Open-​Data-​Ansatz ver­folgt – also recher­chierte Daten für jeden ver­fügbar online stellt. „Außerdem könnte sich gerade für Regio­nal­zei­tungen ohne große Gra­fik­re­dak­tion eine Chance darin bieten, vor­ge­fer­tigte Gra­fiken und Karten vom SMC mit­ge­lie­fert zu bekommen“, sagt Hummel. „Grund­sätz­lich fände ich auch Sta­tistik-​Schu­lungen für Jour­na­listen sinn­voll. Da hapert es doch bei man­chen gewaltig und das bei weitem nicht nur in Regio­nal­zei­tungen.“ Hummel würde zudem eine starke Posi­tion des SMC Ger­many bei IFG-​Anfragen begrüßen. „Es scheint ja doch noch so zu sein, dass viele Behörden nur unter Druck koope­rieren. Eine Insti­tu­tion wie das SMC könnte mit­helfen, den Druck zu erhöhen.“

Wenn es einige dieser Wün­sche erfüllt, könnte das Sci­ence Media Center Ger­many nicht nur für Jour­na­listen gene­rell inter­es­sant werden, son­dern ins­be­son­dere zwei Gruppen anspre­chen: Wis­sen­schafts­jour­na­listen, die gerne häu­figer daten­ba­sierte Geschichten machen würden und Daten­jour­na­listen, die sich end­lich einmal wis­sen­schaft­li­chen Themen widmen wollen. Indem das SMC Daten zur Ver­fü­gung stellt sowie bei deren Beschaf­fung, Ein­schät­zung und Ana­lyse hilft, würde es zudem auch seinem eigenen Ziel näher­kommen – näm­lich kein unre­flek­tiertes Megafon für die Wis­sen­schaft zu sein, son­dern ein unab­hän­giger Dienst­leister für fun­dierte Wis­sen­schafts­be­richt­erstat­tung.

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