„Muster erkennen, Strukturen verstehen“
Vier Fragen an… Volker Stollorz, freier Journalist mit Schwerpunkt Medizin
1. Welche besonderen Herausforderungen stellen sich für den Datenjournalismus in Deutschland?
Ich sehe – vor allem in meiner Rolle als Medizinjournalist – drei Dinge, die zu verbessern wären. Erstens: Transparenz. Während es in den Ländern wie den USA Projekte wie Dollars for Docs von ProPublica gibt, wo Zahlungen von Pharmafirmen an Ärzte veröffentlicht werden, um Interessenkonflikte erkennen zu können, sind solche Daten in Deutschland nicht zugänglich. Vielleicht wird so etwas ab 2016 möglich, aber fehlende Daten und mangelnde Transparenz sind in der gesamten Medizin hierzulande ein Problem. Zweitens: Teambildung. Die Kompetenzen im Datenjournalismus sind meist verteilt auf mehrere Personen. Es braucht aber Koordination und Strukturen für eine Teambildung, zur Auswertung diffiziler Datensätze und zum Geschichten finden und aufbereiten. Drittens: Bewusstseinsbildung. Im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Daten muss sich ein stärkeres Bewusstsein für die Macht von Daten entwickeln – und dafür, wie sich damit Geschichten auf originelle Art erzählen lassen.
2. Wo können Wissenschaftler und Journalisten zusammenarbeiten?
Der größte Unterschied zwischen einem Data-Wissenschaftler und Journalisten besteht wohl darin, dass der Wissenschaftler darin kompetent ist, Strukturen und Muster in Daten zu erkennen, während der Journalist stärker auf Ausreißer und eine mögliche Skandalisierung fokussieren wird. Man kann sagen, dass sich beide Kompetenzen berühren und befruchten können und sollten, aber Wissenschaftler und Journalisten letztendlich unterschiedliche Rollen einnehmen. Statistische Kenntnisse und Programmier-Kniffe helfen bei der Ordnung von Datensätzen und verkürzen Projektzeiten enorm. Als Journalist habe ich vielleicht eher die Chance, ein Risiko zu wagen, weil ich unabhängig von Akteuren im System agieren kann.
3. Wie sollte man den Datenjournalismus in Deutschland fördern?
Ich sehe ein paar Probleme in der Förderung in Deutschland. Das eine ist ein Ressourcenproblem: Es gibt für Datenjournalismus zu wenig Geld, Zeit und Manpower. Es wäre gut, wenn man Kompetenz-Zentren oder Einheiten mit Experimental-Charakter einrichten würde, die professionelle Datenauswertung routinemäßig betreiben und damit Erfahrungen haben. Da hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher. Wenn man Mentoring- oder Partner-Projekte bilden könnte, die in Redaktionen Kompetenzen aufbauen helfen, wäre das schon ein Fortschritt. Dafür muss aber auch das Bewusstsein für das Potenzial von Datenjournalismus in den Redaktionen wachsen. Vor allem, weil das Geld vermutlich anderweitig gespart oder reingeholt werden muss. Guter Datenjournalismus kostet nun einmal Geld.
4. Wo sind die Grenzen des Datenjournalismus vor dem Hintergrund der jüngsten Datenschutzdebatten?
Die Debatte um Daten und Datenschutz ist hochkomplex, auch in der Medizin. Meine Grenzen als Journalist liegen an dem Punkt, wo einzelne Patienten als solche identifizierbar werden könnten. Natürlich kann man durch Aggregation von Datensätzen de-anonymisieren, aber für mich zählt nicht der einzelne Name und seine Behandlung, sondern Ziel meiner Berichterstattung ist die Qualität der Behandlung und der generellen medizinischen Qualität in Deutschland. Datenjournalismus kann Muster erkennen, Strukturen verstehen, Qualität erkennen und schlechte Institutionen finden. Die Verantwortung des Journalisten liegt auch darin, dass man nicht einfach in den Daten wühlt, sondern dass man einen sorgfältigen Umgang mit den Daten und den Regeln des Datenschutzes pflegt. Hier müssen jeweils Qualitätsstandards erarbeitet werden.