Liebe Kolleg:innen,

der bekannte Journalist Hubert Seipel hat Recherchen zufolge 600.000 Euro von einem Putin-Freund bekommen, um ein Buch über Putin zu schreiben. Zusätzlich zu seinen Verlagshonoraren. Transparent hat er das offenbar nicht gemacht, weder intern bei seinen Arbeitgebern, noch öffentlich. Selbst auf explizite Nachfrage in einem Interview verschwieg er die Zahlungen.

Für uns im Vorstand des Netzwerk Recherche war natürlich schnell klar, dass diese Zahlungen allen Regeln der journalistischen Redlichkeit widersprechen. Und dass Seipel damit allen Journalist:innen schweren Schaden zugefügt hat. Deshalb haben wir gleich am Tag nach der Enthüllung eine E-Mail an Seipel geschrieben, ihn um eine Stellungnahme gebeten und ihm einen sofortigen Austritt aus dem Netzwerk Recherche nahegelegt.

Wir haben außerdem seine stimmberechtigte Mitgliedschaft ruhend gestellt. Dies können wir, weil wir seine Arbeit nach den von ihm eingeräumten Zahlungen als PR einstufen. Ein Mitglied aus dem Verein ausschließen kann jedoch nur die Mitgliederversammlung. Diese trifft sich jedoch das nächste Mal erst am 19. Juli 2024, bei der Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche. Sollte Seipel bis dahin nicht selbst aus dem Verein austreten, werde ich als Vorsitzender dort seinen Ausschluss beantragen.

Seipel war in der Vergangenheit auch mehrfach Referent und Moderator auf unseren Jahrestagungen – vor allem in den Jahren 2007 bis 2012. Anfang Juni 2012 diskutierte er seinen Film „Ich, Putin“. In der Veranstaltung wurde den damaligen Berichten zufolge kontrovers über Seipels Nähe zu Putin diskutiert.

„Zwischenzeitlich kommt – auch bei den Interviewsequenzen des Films – der Verdacht auf, es handle sich mehr um ein Selbstportrait als um den kritischen Blick eines westlichen Journalisten auf den mächtigsten Mann Russlands“, heißt es in der Dokumentation zur Jahreskonferenz 2012.

Ich hoffe, dass der Fall Seipel zu einer kritischen Überprüfung der Russland-Berichterstattung in deutschen Medien führt. Und den Blick schärft für mögliche Abhängigkeiten, auch in weniger prominenten, weniger hoch dotierten Konstellationen.

Euer
Daniel Drepper

Daniels Tipps des Monats:

#CyprusConfidential

Die Recherche, die auch Hubert Seipels Nebeneinkünfte ans Licht brachten: In einem internationalen Team haben Journalist:innen Daten aus Zypern untersucht, die offenlegen, mit welchen Tricks das russische Regime seine Milliarden schützt, auch gegen die Sanktionen aus dem Westen. Aus Deutschland waren Spiegel, ZDF und Paper Trail Media dabei. Hier geht’s zur Projektseite.

Putins Netz

„Putins Netz“ von Catherine Belton erzählt sehr eindrücklich, mit welchen Tricks und politischen Manövern Putin sich Russland zum Untertan gemacht hat, wer ihm dabei geholfen hat und welche Verbrechen Putin und seine Helfershelfer auf diesem Weg begangen haben. Vier russische Milliardäre und der Staatskonzern Rosneft haben versucht, das Buch zu verhindern beziehungsweise sind nach der Veröffentlichung gegen die Verbreitung vorgegangen. Alle Klagen hat der Verlag HarperCollins abgewendet.

About a Boy

Dieser Podcast erzählt die Geschichte von Putins Aufstieg aus der Perspektive der russischen Bürger:innen und ihrer kollektiven Erfahrungen. Journalistin Julia Ioffe erklärt, aus welchen Verhältnissen Putin stammt und wie ihn diese Verhältnisse zu dem gemacht haben, der er heute ist. Ein herausragend erzählter, intimer, besonderer Podcast.

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Aus dem Netzwerk Recherche:

Helpline für Journalist:innen angelaufen

Seit dem 2. November ist unsere Helpline, die anonyme und kostenlose Beratung für mental belastete Journalist:innen, telefonisch zu erreichen. Alle Kolleg:innen, ob frei oder fest, können die Helpline anrufen, wenn sie traumatisiert, gestresst oder verängstigt sind. Sei es wegen eines schrecklichen Ereignisses, über das sie berichtet haben (Unfall, Krieg, Naturkatastrophe etc.), wegen prekärer Arbeitsbedingungen oder Drucksituationen im Redaktionsalltag. Mit diesem Projekt wollen wir akut Betroffenen eine niedrigschwellige Anlaufstelle bieten und langfristig die psychische Gesundheit und Belastbarkeit aller Journalist:innen im deutschsprachigen Raum stärken. In einer neuen „Hinter den Zeilen“-Folge hat Malte mehr zum Projekt erzählt.
Die Helpline ist während der offenen Sprechzeiten (montags und dienstags von 18-20 Uhr, donnerstags von 16-18 Uhr und freitags von 8-10 Uhr) unter 030 – 7543 7633 erreichbar. Wenn keine der Zeiten passt, einfach eine Mail schreiben (gerne anonym und mit Terminvorschlägen) und wir machen einen Termin aus.

Öffentlicher NR-insights zur Helpline am 28. November

Wir freuen uns sehr über das große (mediale) Interesse an der Helpline und möchten im öffentlichen NR-insights am Dienstag, den 28. November ab 20:15 Uhr einige Fragen dazu beantworten, einen Blick hinter die Kulissen werfen und die Beteiligten der Helpline vorstellen. Als Referentinnen für den NR-insights zugesagt haben Friederike Engst (Psychologische Psychotherapeutin), Barbara Hans (Journalistin und Professorin), Dagmar Möbius (Journalistin und Peer-Supporterin der Helpline) sowie Jeanny Gering (Netzwerkmanagerin Dart Centre) als Moderatorin. Mehr Infos gibt es hier. Dieses Mal können alle teilnehmen – ihr braucht kein NR-Mitglied zu sein. Gerne weitersagen und registrieren!

Grow-Preisträger:innen 2023

Die Gewinnerprojekte des Grow-Stipendiums vom Netzwerk Recherche und der Schöpflin Stiftung stehen fest: Journalistin Nalan Sipar wird die deutsch-türkische Community auf Instagram und TikTok mit „Klima=İklim News“ sensibilisieren, einem bilingualen Medium über den Klimawandel. Podcasterin Nine-Christine Müller entwickelt ihren Podcast „Ostwärts: Gespräche über ostdeutsche Identitäten“ weiter, um vielfältige Stimmen aus Ostdeutschland zu präsentieren. Und die Gründer Tobias Hübers und Daniel Moßbrucker starten „incipIT“, ein gemeinnütziges Unternehmen, das Redaktionen mit IT-Know-how unterstützt und Schulungen zur IT-Sicherheit anbietet.
Die Grow-Stipendien, zum achten Mal vergeben, umfassen eine Anschubfinanzierung von je 3.000 Euro sowie ein Jahr lang Beratung vom Netzwerk Recherche, exklusive Webinare und Workshops.

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Nachrichten:

Datenteam von rbb24 vor dem Aus

Während der rbb sein Datenteam 2021 noch als „digitales Kompetenzzentrum zur Recherche, Analyse und Visualisierung“ bezeichnete, ist jetzt Schluss. Das Team spielte laut rbb eine zentrale Rolle in der Corona-Berichterstattung und stieß „mit millionenfachen Abrufen auf ein sehr hohes Interesse.“ Datenjournalist Haluka Maier-Borst schrieb dazu auf X: „Trotzdem konnten wir nie wachsen, haben nie mehr Support in Sachen Stellen und Finanzen bekommen. Und so fiel am Ende die gemeinsame Entscheidung, dass wir das Projekt hier beenden.” Uns hat er außerdem erzählt, dass das Aus des Teams stets verneint wurde.

GroKo-Versagen beim Thema Presse

Nie war es einfacher und billiger, neue Medien zu gründen – trotzdem macht es kaum jemand. Wie lässt sich das ändern? Subventionen für die Zustellung von Zeitungen sind der falsche Weg, meint Sebastian Turner im Spiegel (€). Passend zum Thema hat Netzpolitik.org Akten veröffentlicht, die zeigen, dass die Große Koalition beim Thema Presse „von Anfang an ohne Ziel“ war. „Sie war getrieben von Mathias Döpfner und der Lobby der Verlage. Die Ampel könnte nun die gleichen Fehler wiederholen“, meint Ingo Dachwitz. Und David Schraven (Correctiv) meint, dass „die Bundesregierung droht einen gewaltigen Fehler zu machen, wenn sie den gemeinnützigen Journalismus nicht – wie im Koalitionsvertrag versprochen – einführt.“

Himmel- und Hölle-Preise verliehen

Jedes Jahr zeichnet „Freischreiber“ mit dem Himmel-Preis eine Person oder Redaktion aus, die sich besonders für freie Journalist:innen einsetzt – und mit dem Hölle-Preis entsprechend Menschen oder Institutionen, die Freien das Leben schwer machen. „Wir haben uns in diesem Jahr vor Kandidaten für den Hölle-Preis kaum retten können“, sagt der „Freischreiber“-Vorsitzende Joachim Budde. Gewonnen hat schließlich Thomas Rabe (RTL/Bertelsmann) in der Hölle- und Joachim Telgenbüscher (Geo Epoche) in der Himmel-Kategorie.

Journalist:innen mit Behinderung ausgezeichnet

Bis Ende September konnten Journalist:innen mit Behinderung sich bei der Otto Brenner Stiftung um zwei Stipendien und einen Preis bewerben. Mit dem Preis, dotiert mit 2.000 Euro, werden Melissa Wessel und Antonia Ricke ausgezeichnet. Sie erhalten die Auszeichnung für ihren Artikel „Gebärdensprache: Deins, meins, unseres?“, der im Juni in der Deutschen Gehörlosen Zeitung erschienen ist. Die Recherche-Stipendien, jeweils dotiert mit 3.000 Euro, haben Leonie Schüler (andererseits) und Nadire Biskin (freie Journalistin) erhalten.

Absage an Chatkontrolle

Über die umstrittene Chatkontrolle haben wir hier in der Vergangenheit bereits viel berichtet. Nun hat das EU-Parlament dagegen gestimmt, dass private und verschlüsselte Nachrichten in ganz Europa anlasslos und massenhaft durchsucht werden dürfen. Der Verein Digitalcourage begrüßte die Absage an „​​geplante Massenüberwachung und fordert von der Bundesregierung, die Chatkontrolle im Rat der EU abzulehnen.“

Neue Charta zu KI und Journalismus

„Reporter ohne Grenzen“ veröffentlicht gemeinsam mit 16 Partnerorganisationen die Pariser Charta für Künstliche Intelligenz (KI) und Journalismus. Sie definiert zehn Grundsätze und Prinzipien, die Journalist:innen, Redaktionen und Medienunternehmen bei ihrer Arbeit mit KI anwenden können. Erarbeitet wurde die Charta von einer Kommission, die von „Reporter ohne Grenzen“ ins Leben gerufen wurde. Beteiligt war u.a. das GIJN.

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Veranstaltungen, Preise & Stipendien:

Investigating War Crimes

Derzeit finden weltweit mehr als 100 bewaffnete Konflikte und Kriege statt: Der Einmarsch Russlands in die Ukraine und in jüngster Zeit der Krieg zwischen Israel und der Hamas sind in den Nachrichten besonders präsent – aber auch in Syrien, im Jemen, in Afghanistan, in Bergkarabach und an vielen anderen Orten gibt es gewaltsame Konflikte. GIJN hat daher einen neuen Reporter’s Guide to Investigating War Crimes veröffentlicht. In einem Webinar geht eine Expert:innenrunde genauer auf den Guide ein, gibt Hintergrundinfos und Tipps. Das Webinar findet am 28. November um 15 Uhr deutscher Zeit statt.

Erinnerung: Wächterpreis der Tagespresse

Im letzten Newsletter haben wir bereits auf den Wächterpreis für „herausragende publizistische Leistungen“ hingewiesen. Der Preis ist mit 10.000 (erster Platz) bzw. 6.000 und 4.000 Euro (zweiter und dritter Platz) dotiert. Die Bewerbungsfrist endet am 30. November 2023.

Studienreise in die USA

Studierende aufgepasst! Die RIAS Berlin Kommission bietet ein Studienprogramm zum Thema Journalismus in den USA an, das Einblicke in transatlantische Angelegenheiten bietet. Die Teilnehmenden verbringen eine Woche in New York, treffen Journalist:innen, politische Akteur:innen und besuchen in zwei Station Weeks Universitäten und Think Tanks. Das Programm findet vom 17. bis 26. März 2024 statt, die Bewerbungsfrist endet am 20. Dezember.

Reisestipendien und Preis zu Humanitärer Hilfe

Junge Journalist:innen (21 bis 35 Jahre) aufgepasst: Die Aktion Deutschland hat Reisestipendien zur Entwicklung von digitalen Beiträgen zu humanitärer Hilfe ausgeschrieben. Mit dem „Journalistenpreis Humanitäre Hilfe“ zeichnet die Aktion Deutschland Hilft (mit Unterstützung des Auswärtigen Amts) herausragende journalistische Arbeiten zum Thema Humanitäre Hilfe aus. Das Stipendium umfasst alle anfallenden Kosten, einen Kickstarter-Workshop und eine Preisverleihung im November 2024 in Berlin. Bewerbungsschluss ist der 7. Januar 2024.

European Collaborative Journalism Programme (ECJP)

Die Alfred Toepfer Stiftung und Arena for Journalism in Europe haben erneut das zweiteilige ECJP ausgeschrieben, das sich dem grenzüberschreitenden, investigativen Journalismus verschrieben hat. Journalist:innen aus ganz Europa mit ersten Erfahrungen oder großem Interesse am kollaborativen crossborder Journalismus treffen sich im April an der Ostsee und Ende Mai auf der Dataharvest in Belgien, erhalten Know-How zum Thema, vernetzen sich und bilden Rechercheteams. Alle Kosten werden von der Alfred Toepfer Stiftung übernommen. Die Bewerbungsfrist endet am 8. Januar 2024.

Calls for Participation: Dataharvest und re:publica

Welche journalistischen Themen bewegen dich? Welche deiner Erfahrungen könnten für andere Medienschaffende relevant sein? Möchtest du einen Vortrag halten? Oder brennt dir was ganz anderes auf dem Herzen? Dann reich jetzt deine Vorschläge für die re:publica und die Dataharvest 2024 ein. Beide Deadlines sind am 15. Januar.

Fortbildungen

Zum Schluss:

Deutschland goes digital: Im Haushaltsbeschluss hat die Ampel-Koalition ihre Ausgaben für BAföG, BPB und co. beschlossen – vor allem aber auch, dass zum 30. Juni 2024 alle Faxgeräte im Bundestag abgeschafft werden sollen. Na dann!