Newsletter Netzwerk Recherche 225 vom 22.09.2023
Liebe Kolleg:innen,
bevor ich anfing, selbst bei einer Zeitung zu arbeiten, habe ich hin und wieder E-Mails an Journalist:innen geschrieben, wenn mich ein Text besonders beeindruckt hat. Einfach so, spontan, direkt nach dem Lesen, um mich zu bedanken. Später dann, im Job, hätte ich mich so etwas nicht mehr getraut. Ich hatte zu viel Sorge, es könnte anbiedernd oder gar überheblich rüberkommen. Dabei habe ich mich selbst immer unglaublich gefreut, wenn es Lob gab für Texte, gerade von Kolleg:innen.
In letzter Zeit verteile ich deshalb wieder aktiv Zuspruch, persönlich, schriftlich, und über die sozialen Medien, auch viel öffentlicher als früher. Ich mache das bewusst, weil ich mich oft genug über unsere Branche ärgere, die so unsolidarisch gegenüber Kolleg:innen sein kann. Natürlich ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig auf die Finger schauen, falschen Berichten widersprechen, auch inhaltlich öffentlich streiten. Aber wo Kolleg:innen Angriffen und Beleidigungen ausgesetzt sind, schlicht weil sie ihren Job machen, könnten wir viel klarer redaktions- und medienübergreifend zusammenstehen.
Wo sich Altrocker mit perversen Castingmethoden und Politiker mit Neo-Nazi-Vergangenheit statt an ihren Taten an der angeblichen „Hetze“ und „Kampagnen“ der berichtenden Medien abarbeiten und damit dann auch noch in den Kommentarspalten Widerhall finden, da schadet sich unsere Branche selbst. Wenn Kolleg:innen ihre Recherchewege transparent machen und offenlegen, was sie wissen und was sie nicht wissen (können), dann gehören sie dabei unterstützt und nicht zerfleischt.
In diesem Sinne: Seid solidarisch und hakt euch unter – virtuell oder auch persönlich bei einer der tollen Konferenzen/Treffen, von denen ihr auch in diesem Newsletter wieder lesen könnt – diese Gesellschaft braucht mutige und ermutigte Reporter:innen.
Eure
Elisa Simantke
P.S.: Ich bin für dieses Editorial sehr tief in mein E-Mail Archiv gestiegen, um die allererste E-Mail zu finden, die ich in dieser Art verschickt habe. Leider sind die frühen 2000er darin nicht mehr auffindbar. Ich weiß aber noch genau, dass ich zu meiner großen Überraschung noch am selben Tag eine überschwängliche Antwort zurückbekam, in der sich der Autor für das Lob bedankte. Allzu häufig scheint er solche Post wohl nicht bekommen zu haben.