Newsletter Netzwerk Recherche 236 vom 30.08.2024
Liebe Kolleg:innen,
Journalismus, besonders der Investigativjournalismus, wird immer noch häufig als Branche mit Ellenbogen-Mentalität verstanden. Gegeneinander, nicht miteinander. Konkurrenz, innerhalb der Redaktionen, zwischen den Redaktionen. Eine Nachwuchs-Journalistin hat mich kürzlich gebeten, einer Kollegin bloß nichts von ihrem Interesse an einem Thema zu erzählen, zu dem diese bereits gearbeitet hatte – aus Angst, diese würde sie dann als Konkurrentin ansehen.
Natürlich gibt es einen Wettbewerb und Konkurrenz zwischen den Medien, aber für mich liegt die besondere Kraft des Journalismus in der Kooperation. In meiner Arbeit kooperiere ich querbeet. Je nach Recherchethema arbeite ich mit ganz unterschiedlichen Partner:innen, da gab es schon das mexikanische Lokalradio oder die Investigativ-Redaktion von ProPublica. Jede:r zusätzliche Journalist:in bringt ein eigenes Adressbuch mit, einen kulturellen Hintergrund, eine eigene kritische Herangehensweise an ein Thema, neue Expertise – und nicht zuletzt wächst der Impact, je mehr Journalist:innen gleichzeitig veröffentlichen. Wenn Journalist:innen sich einander öffnen, sind tiefere Recherchen möglich, die zu besseren Ergebnissen führen – die letztlich mehr bewegen.
Deshalb ist mein Appell: Kooperiert miteinander! Mehr Augen sehen mehr. Findet Verbündete vor Ort, wenn ihr mit einer Recherche nicht weiterkommt. Sprecht Reporter:innen an, die etwas zu einem Thema veröffentlicht haben, das euch interessiert, statt eure Energie damit zu verschwenden, eure Recherche zu verstecken. Kolleg:innen sind eine weit unterschätzte Quelle, und wer weiß, vielleicht kann ja eine Kooperation daraus entstehen.
Kooperation kann eine der Antworten sein auf Stellenstreichungen und Zeitmangel, um gemeinsam dennoch den bestmöglichen Journalismus zu machen. Und dann ist vielleicht auch irgendwann Schluss mit dem Ellbogen-Ruf.