Ein Rückblick auf die GIJC19 von Tanja van Bergen

Vor nicht allzu langer Zeit war das Arbeitsleben eines investigativen Journalisten eigentlich ganz einfach. Als Angestellter oder Freiberufler arbeitete man für ein professionell geführtes Medienunternehmen und wurde für seine Recherchen ziemlich gut bezahlt.

Die Frage, wie eine nachhaltige Finanzierung von investigativer Recherche gelingen kann, war ein Schwerpunktthema der GIJC. Foto: Raphael Hünerfauth

Den Verkauf dieser Geschichten übernahmen andere Leute mit anderen Berufen: Herausgeber, Verlagsmanager, Marketing-Menschen. Als Journalisten hatte man mit diesen ‘kommerziellen Typen’ nichts zu tun – höchstens auf Firmenfeiern.

Dann aber stürzte das traditionelle Geschäftsmodell in sich zusammen. Den sinkenden Auflagen begegnete die Branche mit einem immer schriller geführten Kampf um Aufmerksamkeit. In diesem “24/7 Clickbait Race” geriet auch der investigative Journalismus unter Druck. Ein Scoop alle drei Monate? Für die Aufmerksamkeitsökonomie zu wenig.

Zum Glück scheint sich die Panik in letzter Zeit etwas zu legen. Medienhäuser lernen wieder, ihrer journalistischen Qualität zu vertrauen. Das liegt auch an Phänomenen wie dem Trump Bump, womit die steigenden Auflagen und Nutzerzahlen seriöser US-Medien als Folge von Trumps Wahl zum Präsidenten gemeint ist, und die allgemeine Sorge um gezielte Desinformation, die sich etwa über soziale Medien verbreitet. Gleichzeitig gewöhnen wir uns durch die Etablierung von Streaming-Anbietern daran, für Online-Dienste zu bezahlen. Das könnte für den Übergang zu kostengünstigen, digitalen Publishing-Modellen hilfreich sein. Noch hat die Branche die Talsohle nicht durchschritten, aber sie ist bestimmt auf dem Weg nach oben.

Neue Aufgaben: Fundraising, Projektmanagement, Reporting

In dieser relativ kurzen Zeit hat sich das Biotop des investigativen Journalisten jedoch bereits grundlegend verändert. Neben den etablierten Medienhäusern hat sich eine neue Organisationsform herausgebildet – der Nonprofitjournalismus, der größtenteils aus Beiträgen institutioneller und privater Geldgeber finanziert wird. In den USA hat die Philanthropie eine viel längere Tradition, aber auch in Europa haben zuletzt immer mehr Stiftungen den Journalismus als Förderbereich entdeckt.

Eine eigentlich großartige Entwicklung. Doch der Aufbau einer Nonprofit-Organisation geht weit über die berufliche Praxis klassischer Journalisten hinaus.

Plötzlich muss man sich um Dinge kümmern, für die die einst prosperierenden Verlage eigene Abteilungen aufgebaut hatten: Geschäftspläne, Zielgruppenforschung, Projektmanagement, Buchhaltung, Fundraising, Vertrieb etc. Und das alles neben dem eigentlichen Kerngeschäft, der Recherche. Bei Stiftungsfinanzierung kommt noch ein mitunter erheblicher Aufwand für Rechenschaftsberichte hinzu. Um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen, hatten Netzwerk Recherche und das Global Investigative Journalism Network – unterstützt von der Schöpflin Stiftung – im Programm der Global Investigative Journalism Conference einen ganzen Track zum Nonprofitjournalismus und zu Fragen der nachhaltigen Finanzierung eingebaut.

GIJC19 – Highlights

Bridget Gallagher war eine gefragte Gesprächspartnerin auf der Konferenz. Sie berät Redaktionen zum Umgang mit Stiftungen.  Foto: Nina Weymann-Schulz

Was bei den Veranstaltungen bei der Konferenz in Hamburg auffiel: der Informationshunger der Kollegen. Es wurde mit überdurchschnittlicher Aufmerksamkeit zugehört und mitgeschrieben. Die Smartphone-Kameras klickten bei jeder neuen Powerpoint-Folie. Zu Recht, denn die Referenten hatten es in sich. Insbesondere beim Panel “Fundraising Tips & Tools” gab es eine Flut praktischer Tipps und Tricks von drei Schwergewichten aus der Fundraising-Welt: Bridget Gallagher von der Gallagher Group LLC, Caroline Jarboe, Entwicklungsdirektorin beim Global Investigative Journalism Network (GIJN) und Christine Liehr von der Thomson Foundation.

 1. Suche nach dem passenden Förderer

Alle drei betonten, dass wichtige Aspekte beim Einwerben von Stiftungsgeldern der journalistischen Arbeit überraschend ähnlich sind. So kommt es zu Beginn auf eine gründliche Recherche an: Welcher Förderer passt zum eigenen Projekt, zur eigenen Nonprofit-Organisation? Und fast noch wichtiger: Welchen Nutzen hat der Spender, eben jenes Projekt zu unterstützen? Philanthropen werfen ihr Geld nicht einfach so zum Fenster raus, sie suchen nach Projekten, die zu ihrer Vision und Mission passen. In der Frühphase ist es daher entscheidend, die Agenda des Spenders zu verstehen. Nur so lässt sich übrigens auch herauszufinden, ob die eigene journalistische Freiheit in der Zusammenarbeit garantiert ist.

Es macht keinen Sinn, wenn alle bei Bill und Melinda Gates oder der Open Society Foundations die Türen einrennen. Bessere Aussicht auf Erfolg hat man bei kleineren Stiftungen. Vor allem bei solchen, die aus der Region kommen. Vielleicht kennt man sogar jemanden aus dem persönlichen Umfeld, der einen ersten Kontakt herstellen kann.

2. Verführe den potenziellen Spender mit einem maßgeschneiderten Pitch

Um den Spender von eurer Idee zu überzeugen, sollte der Pitch maximal einen Absatz lang sein, damit er auf den Bildschirm eines Smartphones passt. Viel länger dürfte die Aufmerksamkeitsspanne des Spenders nicht sein. Der Pitch sollte sich lesen wie der Teaser eines journalistischen Artikels. Wer sein Projekt nicht in zwei eingängigen Sätzen zusammenfassen kann, sollte sich nochmal genau überlegen, was den Kern der eigenen Arbeit ausmacht.

Weil Emotionen in der Philanthropie eine große Rolle spielen, mag es der investigative Journalismus schwerer haben als ein Projekt zur Rettung verwaister Pandababys. Deshalb ist es für den Pitch ratsam, neben der Bedeutung des Journalismus für eine freie Gesellschaft auch immer die menschlichen Aspekte des Projektes zu betonen.

 3. In Erinnerung bleiben

Hat ein Stifter angebissen, ist es nach dem “Match” wichtig, die Aufmerksamkeit des Förderers zu behalten. So wie guter Journalismus nicht nur in den Scoop investiert, sondern auch später an einem Thema dranbleibt, sollte eine gute Nonprofit-Organisation in die Beziehung zum Förderer investieren. Der Rat von Bridget Gallagher lautet deshalb: “Lass alle vier bis sechs Wochen von dir hören. Stell sicher, dass die Spender die Herausforderungen deiner Arbeit begreifen.”

Zum Beziehungsmanagement gehört auch, dass man die Spender durchaus um Rat fragen kann, wenn etwas schiefgeht. Sie nicht nur als Geldquelle zu betrachten, sondern auch ihre betriebswirtschaftliche Expertise zu nutzen, kann hilfreich sein.

 Die Finanzierung durch engagierte Stiftungen ist das eine. In der Veranstaltung Nonprofits: building a membership” gab es Tipps, wie die Finanzierung auf andere (ob ergänzende oder alleinige) Weise gelingen kann: durch Mitgliedsbeiträge.

Macht es Sinn, das Publikum, also Leser, Zuhörer und Zuschauer, als Mitglieder in das eigene Medienunternehmen einzubeziehen? Pauschal lässt sich diese Frage nicht beantworten. Denn es kommt darauf an, wonach man sucht.

Anders als bei klassischen Abonnenten, die für ihre Abo-Gebühren schlicht eine Gegenleistung verlangen (in diesem Fall: Journalismus), ist die Beziehung und Interaktion zwischen Mitgliedern und der Redaktion enger. Mitglieder möchten einen sinnvollen Beitrag leisten oder sich an wichtigen redaktionellen Überlegungen beteiligen, sie möchten auf jeden Fall wahrgenommen und gehört werden. Dies erfordert Zeit und Aufmerksamkeit von Seiten der Journalisten. Eine Garantie, dass Mitglieder treuer sind als Abonnenten und mehr oder länger Beiträge zahlen, gibt es nicht. Umgekehrt bedeuten sie aber mehr Arbeit.

Wann und warum sich ein Mitgliedermodell trotzdem rechnen kann, zeigt das Beispiel The Bristol Cable. Die Redaktion bezieht inzwischen rund 35 Prozent ihres Einkommens aus Mitgliedsbeiträgen. Die zusätzliche Arbeit bis hin zur Jahreshauptversammlung nehmen die Macher gerne in Kauf. Denn die Beweggründe, mit den Mitgliedern zusammenarbeiten zu wollen, sind nicht in erster Linie finanzieller Natur. The Bristol Cable möchte das gesellschaftliche Miteinander in Bristol stärken. Mitbegründer Alon Aviram verwies auf dem Podium auf  einen Tweet des amerikanischen Journalismus-Professors Aron Pilhofer: ‘Reden wir nicht mehr darüber, wie wir die Leute dazu bringen können, für lokale Nachrichten zu bezahlen. In unserem Gespräch sollte es darum gehen, wie wir lokale Nachrichtenprodukte herstellen können, für die die Leute bezahlen möchten.’

 

Neue Modelle

Darauf konterte einen Tag später im Panel  “Nonprofits & New Models: Best Practices”  Mohamed Nanabhay vom Media Development Investment Fund: “Jedes Jahr sind wir auf Konferenzen wie dieser im Bann neuer Einnahmemodelle. Jetzt haben wir alle Augen auf das Mitgliedermodell gerichtet. Nächstes Jahr könnte es genauso gut der Podcast sein.” Nanabhay sieht nur eine Konstante: “Die überwiegende Mehrheit der scheinbar so vielversprechenden innovativen Entwicklungen schmilzt dahin.”

Anya Schiffrin von der Columbia University stimmte ihm zu: In der Welt der investigativen Nonprofit-Organisationen garantieren selbst Erfolgsgeschichten keine finanzielle Stabilität. “Du brauchst dich nicht schlecht fühlen, wenn du dich nach fünf Jahren entscheiden musst, das Projekt aufzugeben. Viele Muckraker haben genau das getan: Sie sind weitergezogen.” Für zwei Bücher, die Shiffrin über die Geschichte des investigativen Journalismus schrieb, Global Muckraking (2014) und African Muckraking (2017), interviewte sie Dutzende von Kollegen: “Keiner sagte: ‘Ich mache diese Arbeit, um reich zu werden’. Es ging allen darum, etablierte Mächte zur Rechenschaft zu ziehen.”

Scheitern – keine Schande, aber auch keine Auszeichnung

Ross Settles, Experte für Medieninnovationen am Journalismus- und Medienforschungszentrum der Universität von Hongkong stellte fest, dass es einen intrinsischen Konflikt gibt: “Die Dinge, die man tun muss, um ein Unternehmen aufzubauen, sind normalerweise nicht die Dinge, die Journalisten tun möchten.” Und was es noch schwieriger macht: “Sicherlich ist nicht jede Innovation eine Verbesserung. Ohne ausreichendes Wissen kann man sich ganz leicht in den Bankrott innovieren.”

Oder zu einem Burnout. Denn das war ein weitverbreitetes Gefühl im Publikum: Ja, es gibt wunderbare Beispiele für nachhaltige Nonprofit-Organisationen im investigativen Journalismus, aber für den durchschnittlichen Freiberufler ist die Gründung einer Organisation vor allem wegen der unsicheren Finanzierung mit viel Ungewissheit und Frustration verbunden. Zumal es vor allem im Bereich des spendenfinanzierten Journalismus sicherlich noch Aufklärungsbedarf auf beiden Seiten gibt.

Das wirft die Frage auf, ob die ja eigentlich begrüßenswerte Entwicklung von philanthropischem Engagement im Journalismus nicht auch strukturelle Probleme mit sich bringt. Denn welcher Teil der Fördermittel, die derzeit ausgeschüttet werden, trägt wirklich zu einer nachhaltigen Stabilisierung des Journalismus bei? Wie viel Geld versandet in gut gemeinten, aber schlecht geplanten, kaum zu realisierenden oder auch gar nicht nachgefragten Projekten und Produkten?

Scheitern ist keine Schande, aber auch keine Auszeichnung. Sollten Geldgeber bei der Förderung künftig vielleicht verstärkt auch auf unternehmerisches Denken in journalistischen Startups achten? Besseres Projektmanagement, besseres Controlling?

Oliver Schröm, ehemaliger Chefredakteur von Correctiv, unterstrich im Panel “Innovative Nonprofits: What we Can Learn From Eachother“: “Wir sind keine Geschäftsleute. Wenn Sie ein journalistisches Unternehmen gründen, brauchen Sie einen Geschäftsführer. Wir haben dieses Fachwissen nicht, es ist ein Beruf für sich.”

Eine im Rahmen der GIJC vorgestellte Studie der DW Akademie der Deutschen Welle (How to fund Investigative journalism – Insights from the field and its key donors) nimmt deshalb auch die Förderer in die Pflicht. Zwei wichtige Empfehlungen, die aus Gesprächen mit erfahrenen Spendern abgeleitet wurden:

  • ‘Stellen Sie nach Möglichkeit eine Grundfinanzierung bereit und zwar für mehrere Jahre. Dies schützt die Unabhängigkeit von investigativem Journalismus, bietet maximale betriebliche Flexibilität und schließt auch die Möglichkeit ein zu experimentieren. Widerstehen Sie der Versuchung, einzelne Inhalte oder bestimmte Recherchen zu finanzieren.’
  • ‘Seien Sie bereit, auch “unsexy stuff” zu finanzieren, von denen Stipendiaten möglicherweise nicht einmal wissen, dass sie Teil der Förderung sein können – etwa einen Finanzmanager. Die Professionalisierung der Organisationsstruktur ist für die Entwicklung von Unternehmen/Organisationen unglaublich wertvoll.’

Das ist es also, worüber wir sprechen müssen, wenn wir dieses neue investigativ-journalistische Biotop nachhaltig machen wollen: eine Unterstützung der Infrastruktur. Das gilt insbesondere für die wachsende Zahl grenzüberschreitend agierender investigativer Netzwerke. Wäre deren nachhaltige Finanzierung nicht ein hervorragendes Thema für eine separate internationale Konferenz für Spender?

Die Autorin ist freiberufliche Journalistin in Amsterdam. Bis April 2019 war sie Direktorin der Niederländisch-Flämischen Assoziation der investigativen Journalisten | VVOJ