nr19: Der deut­sche Jour­na­lismus-​ Seis­mo­graf

ver­öf­fent­licht von Gast­bei­trag | 25. Juli 2019 | Lese­zeit ca. 8 Min.

Ein Rück­blick von Jona­than Gruber, freier Jour­na­list

Ein Seis­mo­graf, der anzeigt, was deutsch­spra­chige Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen gerade beschäf­tigt – so bezeich­nete Gast­geber und NDR-​Inten­dant Lutz Marmor die nr-​Jah­res­kon­fe­renz.

2019 schlug dieser Seis­mo­graf vor allem bei den Themen Hal­tung, Relo­tius und Rezo beson­ders stark aus. Gleich zur Begrü­ßung sprach Jan Philipp Reem­tsma über den Unter­schied zwi­schen Lite­ratur/Fan­tasie und Jour­na­lismus. Ein Unter­schied, der bei­spiels­weise im Fall der Repor­tagen von Claas Relo­tius nicht nur undeut­lich wurde, son­dern schließ­lich ganz ver­schwand. Wie können wir also den Ver­su­chungen durch unsere Fan­tasie wider­stehen, Herr Reem­tsma? Indem man sich den ver­schie­denen Ansprü­chen bewusst­werde, ant­wor­tete dieser. „Die Lite­ratur kann machen was sie will. Die Repor­tage aber nicht.“ Es hinge alles von den Erwar­tungen des Publi­kums an einen Text ab. Von einem jour­na­lis­ti­schen Text erwar­teten Men­schen wahr­haf­tige Infor­ma­tionen. Die glei­chen Ansprüche würde aber nie­mand an einem Roman stellen. Wer diese Erwar­tungen wie Relo­tius miss­brauche, würde durch soziale Äch­tung – falls der Miss­brauch publik wird – bestraft.

Dass die Öffent­lich­keit vom Ver­trau­ens­miss­brauch durch Relo­tius erfuhr, dafür ist Juan Moreno ver­ant­wort­lich. Der freie Jour­na­list stol­perte über Unge­reimt­heiten in den Repor­tagen von Relo­tius und recher­chierte trotz hef­tigem Gegen­wind nach der Wahr­heit. Netz­werk Recherche zeich­nete ihn dafür mit dem Leucht­turm für beson­dere publi­zis­ti­sche Leis­tungen 2019 aus. (Die voll­stän­dige Lau­datio kann hier nach­ge­lesen werden.)

Vor zwei Jahren gewann eben diesen Preis auch Armin Wolf. Der öster­rei­chi­sche Jour­na­list vom ORF ist bekannt für seine Prä­senz in der poli­ti­schen Bericht­erstat­tung. Im Gespräch mit Juliane von Schwerin erzählte er von den Her­aus­for­de­rungen eines Inter­views mit Poli­ti­ke­rinnen und Poli­ti­kern. Grund­sätz­lich wisse er, dass diese – so wie alle Men­schen, die etwas ver­kaufen wollten – selektiv mit der Wahr­heit umgingen. „Ich möchte aber merken, wenn ich ange­logen werde, weil ich nicht will, dass das Publikum ange­logen wird.“ Des­halb sei die Vor­be­rei­tung auf ein Inter­view auch so wichtig. „Ich bin so etwas, wie ein öffent­li­cher Lügen­de­tektor.“

Wolf saß anschlie­ßend auch in einem Panel, das über Hal­tung im Jour­na­lismus dis­ku­tierte. Im Mit­tel­punkt stand der Satz: Einen guten Jour­na­listen [und eine gute Jour­na­listin] erkenne man daran, dass er [und sie] sich nicht gemein mache mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache. Zuge­schrieben würde dieser Satz oft­mals Hanns Joa­chim Fried­richs, er käme aber ursprüng­lich von Charles Wheeler, sagte Wolf. Und erklärte, er hielte Hal­tung für über­schätzt. Es gäbe unter­schied­liche Formen von Jour­na­lismus. Wäh­rend ein Kom­mentar Hal­tung brauche, käme es bei­spiels­weise in einem Inter­view auf die Fragen an. Zudem sei das Pro­blem des Jour­na­lismus nicht, dass es Hal­tungen gäbe, son­dern dass diese sich zu stark ähnelten. Es würden zu viele Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen aus dem­selben Milieu rekru­tiert und somit fehle ein breites Mei­nungs­spek­trum.

Bild-​Chef­re­dak­teur Julian Rei­chelt sprach von der Wich­tig­keit, durch eine Hal­tung nicht bere­chenbar zu werden. Dann bestehe die Gefahr, dass die­je­nigen, über die man schreibt, einen instru­men­ta­li­sierten. rbb-​Inten­dantin Patricia Schle­singer fragte: Was will das Publikum? „Die wollen doch, dass wir uns der Wahr­heit annä­hern und nicht im Vor­hinein mit unserer eigenen Hal­tung an ein Thema gehen.“ Jochen Bittner (Die Zeit) argu­men­tierte, es gäbe weder Objek­ti­vität noch Neu­tra­lität, aber ein Bemühen darum. Er habe eine „Hal­tung zum Jour­na­lismus“. Ganz ähn­li­ches sagte auch Anja Reschke (NDR): „Ich glaube nicht an den neu­tralen Jour­na­listen, das halte ich für eine Chi­märe.“ Jeder Mensch habe eine Hal­tung. Des­halb könne sie auch nichts mit dem Satz „Sagen, was ist“ anfangen. „Ist“ sei immer eine Frage der Per­spek­tive. (Das Panel
„Sich (nicht) gemein machen“ – Hal­tung(en) im Jour­na­lismus ist als Mit­schnitt abrufbar.)

Wäh­rend in Momenten sol­cher Dis­kus­sionen der nr19-​Seis­mo­graf wild nach oben aus­schlug, zeichnen die Kon­fe­renz auch die vielen klei­neren Aus­schläge zwi­schen den Höhe­punkten aus. Da sind die Begeg­nungen, Gespräche und der Aus­tausch zwi­schen, vor und nach den Ver­an­stal­tungen. Da sind die Work­shops und Panels abseits der großen Bühnen, in denen intensiv über Ideen, Methoden und Dar­stel­lungs­weisen im Jour­na­lismus dis­ku­tiert und infor­miert wird. Da sind die Stu­die­renden, Prak­ti­kan­tinnen und Berufs­an­fänger in der Schlange zum Buffet, an den Bier­ti­schen und im Publikum direkt neben den Chef­re­dak­teu­rinnen großer Medi­en­häuser und vielen erfah­renen Jour­na­listen. Gerade Letz­teres sei eine der Beson­der­heiten der Kon­fe­renz, sagte Marmor in seiner Begrü­ßung am Samstag: Junge und Alte seien hier ver­bunden durch einen Grund­kon­sens für jour­na­lis­ti­sche Frei­heit und Recherche.

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In einer der klei­neren Ver­an­stal­tungen erzählten Martin Kaul (taz) und Paul Ron­zheimer (Bild) von einer beson­deren Art der Bericht­erstat­tung: (Spon­tane) Live­streams per Smart­phone aus Kri­sen­si­tua­tionen. Bei­spiels­weise wäh­rend der G20-​Aus­schrei­tungen in Ham­burg (Kaul) oder von einer Gruppe Flücht­linge auf ihrem Weg durch Europa (Ron­zheimer). Dieses Angebot des unmit­tel­baren Ein­bli­ckes habe jedoch ihren Preis, sagte Ron­zheimer. Man ver­liere die schüt­zende Hülle der Anony­mität und werde dadurch angreifbar.

Ob und wie angreifbar Medi­en­häuser durch ihre poten­zi­elle Abhän­gig­keit von Google oder Face­book sind, dar­über dis­ku­tierten Alex­ander Fanta (netz­po­litik.org) und Stefan Ott­litz (Spiegel-​Gruppe). Fanta erklärte, Google und Face­book wollten mit ihren Inves­ti­tionen in Mil­lio­nen­höhe eine Ver­bin­dung bezie­hungs­weise eine Part­ner­schaft mit den Medi­en­kon­zernen auf­bauen. Dazu trügen nicht nur die För­der­gelder bei, son­dern auch die zahl­rei­chen kos­ten­losen Ange­bote, wie Google Docs oder Google Ana­ly­tics. Es werde ein Öko­system auf­ge­baut, das schwie­rige Fragen bezüg­lich der Unab­hän­gig­keit von Jour­na­lismus auf­werfe. Ott­litz nannte dies die „Soft Power“ der Internet-​Giganten und bezeich­nete sie als „Fre­ne­mies“.

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Am Samstag spra­chen dann unter anderem die Jour­na­listen Klaus Ott (SZ) und Chris­tian Deker (NDR) über ihre zahl­rei­chen Besuche an ver­schie­denen Schulen, bei denen sie über die Arbeits­weisen von Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen infor­mieren. Die Initi­al­zün­dung dafür kam für Ott mit der Sil­ves­ter­nacht 2015/16 in Köln. Damals hätten selbst Stamm­leser die SZ-​Redak­tion gefragt, ob sie tat­säch­lich wahr­heits­gemäß über die Vor­gänge berichtet hätten. „Da haben wir uns gesagt: Wir müssen raus­gehen und Jour­na­lismus erklären.“ Man sähe beim jour­na­lis­ti­schen End­pro­dukt eben nicht, welche Arbeit dahin­ter­stecke. Ähn­lich argu­men­tierte auch Deker: Aus eigener Erfah­rung beruhten Lügen­presse-​Vor­würfe oft­mals nicht auf Miss­trauen, son­dern auf Wis­sens­lü­cken über Jour­na­lismus.

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Starke Aus­schläge ver­zeich­nete der nr19-​Seis­mo­graf auch am Sams­tag­nach­mittag. Zunächst in der Dis­kus­sion über die „neue Medi­en­macht“ You­Tube. Im Mit­tel­punkt stand dabei das Video „Die Zer­stö­rung der CDU“ des You­Tubers Rezo. Im Gespräch mit Tilo Jung (Jung & Naiv), Ste­phan Lamby und Hanne Bohm­hammel (Deutsch­land3000) sagte der Autor Stefan Schulz, dass sich Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen im Internet nor­ma­ler­weise immer zwi­schen Rele­vanz und Reich­weite ent­scheiden müssten. Rezo hätte es jedoch mit seinem Video geschafft, beides zu ver­binden. Dabei habe er eigent­lich keine neuen Infor­ma­tionen ans Tages­licht gebracht. Statt­dessen habe er für uns alle öffent­li­chen Quellen aus den letzten zwei bis drei Jahren durch­ge­lesen und zusam­men­ge­fügt. Anschlie­ßend habe er sich bei der Prä­sen­ta­tion einer Sprache bedient, die für viele „klas­si­sche“ Jour­na­listen unge­wohnt sei.

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Unge­wohnt bei der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung ist die Frei­gabe von Infor­ma­tionen. Die Koali­tion aus CSU und Freien Wäh­lern blo­ckiert ein Infor­ma­ti­ons­frei­heits­recht, wie es in den meisten anderen Bun­des­län­dern bereits exis­tiert. Dafür wurde der Regie­rung vom Netz­werk Recherche der Nega­tiv­preis Ver­schlos­sene Auster 2019 ver­liehen (wei­ter­füh­rende Bei­träge zur Auster 2019: Begrün­dung nr, Lau­datio von Arne Sems­rott und Stel­lung­nahme der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung). Auf die Kritik folgte das Lob für drei Pro­jekte aus dem Non­pro­fit­jour­na­lismus, die sich auf unter­schied­liche Weise für die Frei­gabe von und den Zugang zu Infor­ma­tionen ein­setzen. Die Netz­werk-​Recherche-​Jury zeich­nete das Online-​Magazin dis:orient, die geplante Daten­bank Follow the Grant und der Pod­cast Plas­ti­phere wurden jeweils mit einem Grow-​Sti­pen­dium aus (aus­führ­li­cher Bericht über die Grow-​Fina­listen sowie zu den Gewin­nern der Grow-​Sti­pen­dien).

https://twitter.com/Kars­ten­Ka­minski/status/1139980606169919488?s=20

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