Netzwerk Recherche präsentiert Werkstatt-Heft zum Quellenmanagement – renommierte Journalisten und Journalistinnen legen auf 140 Seiten ihre Methoden offen und berichten von ihren Erfahrungen in der Praxis

Wiesbaden. Von den Grundlagen im Umgang mit Quellen bis hin zu spektakulären Enthüllungen in der Siemens-Korruptionsaffäre: Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche hat ein Werkstatt-Heft zum Quellenmanagement vorgelegt. Unter dem Titel „Quellen finden und öffnen“ erklären namhafte Journalisten und Journalistinnen, wie sie sich Informanten und Informationsmaterial annähern, wie sie Akten auswerten und prüfen – und wie sie ihre Kontakte pflegen, um sie auch für künftige Geschichten gewinnen zu können. Die Werkstatt steht als PDF-Dokument auf der Homepage von Netzwerk Recherche zum Download bereit und liegt in gedruckter Form vor.

Das Werkstatt-Heft dokumentiert eine Fachtagung von Netzwerk Recherche. Die Veranstaltung im Dezember 2007 in Sörgenloch bei Mainz war ein Novum: In der Regel sprechen Journalisten nicht über ihre Quellen; Informantenschutz und Eitelkeit stehen dem entgegen. Bei der dreitägigen Konferenz hingegen legten renommierte Autoren und angesehene Rechercheure ihre Methoden offen und berichteten so konkret wie möglich von ihren Erfahrungen in der Praxis.

In dem Werkstatt-Heft bemängeln mehrere Rechercheure, dass sich viele Journalisten nicht ausreichend auf ihre Gesprächspartner vorbereiten und damit Chancen verschenken. „Man sollte den Gesprächspartnern möglichst auf Augenhöhe begegnen, also wichtige Quellen niemals unvorbereitet treffen“, mahnt etwa der preisgekrönte Dokumentarfilmer und Buchautor Egmont R. Koch. Neben einer soliden Vorbereitung müssten Rechercheure auch erbarmungslose Ausdauer mitbringen. Koch schreibt: „Im Extremfall kann die Suche nach möglichen Quellen und Interviewpartnern nicht unähnlich sein der Tätigkeit von Drückerkolonnen, die von Tür zu Tür ziehen, um einen neuen Zeitungs-Abonnenten zu gewinnen.“

Hans Leyendecker, leitender Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ und zweiter Vorsitzender von Netzwerk Recherche, plädiert für den Mut, auf mögliche Quellen zuzugehen – statt in der Meute der Journalisten unterzugehen. In der Werkstatt schreibt er, bei Minister-Empfängen sei beispielsweise oft zu beobachten, dass sich zwei Gruppen bildeten: auf der einen Seite die Journalisten, die über die vielfältigen Probleme ihres Berufes plaudern, und auf der anderen Seite die Beamten, die wiederum miteinander über ihre Probleme reden. „Es wäre gut“, schreibt der Enthüllungsjournalist, „wenn, wie in der Tanzstunde, beide Gruppen zusammenkämen.“

Der heutige Parlamentskorrespondent des „Stern“, Hans-Martin Tillack, beschreibt in seinem Essay ganz offen die Gefahr, „im Einklang mit seiner Umwelt“ zu leben. „Kurz nacheinander hatte ich eher freundliche Porträts über (erstens) den neuen grünen Oppositionsstar Joschka Fischer und (zweitens) die taff wirkende neue Umweltministerin Angela Merkel veröffentlicht“, schreibt Tillack über seine Arbeit im Jahr 1995 in der Bonner Republik. „Es war irgendwie beglückend.“ Gleichwohl habe ihm seine Arbeit in der Regel einen „Überhang an Artikeln, die mir Feinde eintrugen“, beschert. In seinem Text erklärt Tillack zudem, wie wichtig ihm die Pflege von Kontakten ist – und wie er dabei vorgeht.

Ausführlich widmet sich die Netzwerk-Recherche-Werkstatt Nr. 9 außerdem dem Fall Barschel. Sowohl ein Recherche-Team des „Spiegel“ (Markus Dettmer/Britta Sandberg) als auch der NDRAutor Patrik Baab berichten, wie sie im vergangenen Jahr in parallelen Recherchen den Fall Barschel – zwanzig Jahre nach dessen Tod in Genf – aufgearbeitet haben. Es habe bei der Recherche problematische Quellen vom Hörensagen, dubiose geheimdienstliche Quellen und Nebelkerzen beim Umgang mit Quellen gegeben, resümiert Baab. Und auch in der insgesamt 25-seitigen „Spiegel“-Geschichte hieß es im Oktober 2007: „Wem soll man glauben? Kein wichtiger Eckpunkt in dieser Affäre kann ohne einen Rest an Zweifel rekonstruiert werden“ („Der Spiegel“, Nr. 42/2007).

Das 140-seitige Werkstatt-Heft präsentiert nicht nur handwerkliche Tipps wie das Abklopfen von Internetquellen auf ihre Glaubwürdigkeit (IT-Journalist Albrecht Ude) oder den Zugang zu glaubwürdigen Quellen in der Pharma- und Gesundheitsbranche (Markus Grill, „Stern“). Es skizziert zudem aktuelle Entwicklungen im Informationsfreiheitsrecht (Manfred Redelfs, Greenpeace) und dient als Leinwand für anschauliche Recherche-Berichte. So beschreibt der in Berlin angesiedelte Sonder-Korrespondent des „Wall Street Journal Europe“, David Crawford, wie er kistenweise Ermittlungsakten aus der Korruptionsaffäre um Siemens sicherte und auswertete.

Das Heft zeigt aber auch, dass es keineswegs immer brisante interne Unterlagen oder Insider mit Spezialwissen sind, die eine Recherche voranbringen. In vielen Fällen kann auch die Analyse frei zugänglicher Dokumente helfen – zum Beispiel die Auswertung von Geschäftsberichten betroffener Unternehmen oder von Organisationsplänen der Behörden.

Nicht zuletzt bündelt das Heft Nachdrucke von wichtigen Praxis-Beiträgen, die zunächst in den Werkstatt-Heften der Journalistik-Fachzeitschrift „message“ erschienen sind. Sie beschäftigen sich mit Interviewtechniken sowie mit klassischer Recherche und Quellenauswertung.

 

Zur nr-Werkstatt #09: Quellenmanagement. Quellen finden und öffnen