Son­der­preis 2020 für das Sci­ence Media Center (SMC)

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 20. Juni 2020 | Lese­zeit ca. 6 Min.

Mit einem Son­der­preis zeichnet Netz­werk Recherche 2020 das Sci­ence Media Center (SMC) aus. Die unab­hän­gige Wis­sen­schafts­re­dak­tion unter­stützt nach bri­ti­schem Vor­bild die mitt­ler­weile mehr als 1100 regis­trierten Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen kos­tenlos bei der Bericht­erstat­tung über Themen mit Wis­sen­schafts­bezug. Der­zeit erstellt sie bei­spiels­weise kom­men­tierte Listen von rele­vanten Stu­dien über Covid-​19. Ihre Daten­re­ports helfen bei der Ein­ord­nung von Sta­tis­tiken, ihre Facts­heets erklären kom­pli­zierte Themen und ihre (Online-​) Pres­se­kon­fe­renzen ver­mit­teln Kon­takt zu For­sche­rinnen und For­schern. Julia Stein: „Gerade in Zeiten wie diesen pro­fi­tieren viele Redak­tionen von der Kom­pe­tenz der Wis­sen­schafts­jour­na­lis­tinnen und -​jour­na­listen. Des­halb wollen wir alle die­je­nigen wür­digen, die sich durch ihre lang­jäh­rige Erfah­rung diese Kom­pe­tenz erworben habe. Das SMC ist dafür ein her­aus­ra­gendes Bei­spiel“.

Die Aus­zeich­nung für das Sci­ence Media Center wird am 20. Juni um 14 Uhr ver­geben. Lau­da­torin ist die freie Wis­sen­schafts­jour­na­listin Nicola Kuhrt. Nähere Infor­ma­tionen zum Pro­gramm der gesamten Tagung unter nrch.de/nr20.

Lau­datio von Nicola Kuhrt

Sonder-​Leucht­turm­preis­träger 2020: Sci­ence Media Center (SMC)
Lau­da­torin: Nicola Kuhrt, Medi­zin­jour­na­listin

20. Juni 2020

Es war der 31. März 2015. Martin Schneider, Vor­sit­zender der Wis­sen­schafts­pres­se­kon­fe­renz, und der freie Wis­sen­schafts­jour­na­list Volker Stol­lorz hatten einen wich­tigen Termin. Sie waren unter­wegs nach Hei­del­berg. Dort sollte Klaus Tschira die finale Unter­schrift unter die Grün­dungs­ur­kunde des Sci­ence Media Center Deutsch­land setzen. Seit mehr als vier Jahren hatten die beiden Wis­sen­schafts­jour­na­listen, zusammen mit wei­teren Kol­legen und klugen Köpfen aus dem Wis­sen­schafts­jour­na­lismus – ich möchte stell­ver­tre­tend Franco Zotta und Holger Hettwer nennen – an dem Pro­jekt gear­beitet, ihre Idee vor­an­ge­trieben, eine deut­sches Sci­ence Media Center zu gründen und auf­zu­bauen.

Die Idee war ori­en­tiert am bri­ti­schen Vor­bild, das bereits 2002 gestartet war mit dem erklärten Ziel die Öffent­lich­keit mit evi­den­z­ba­sierten Infor­ma­tionen vor irre­füh­render Bericht­erstat­tung zu schützen. Ziel war und ist es, der Wis­sen­schaft eine Stimme geben, wenn Wis­sen­schafts­themen auf dem Weg in Schlag­zeilen sind. Mit dem Ziel „to get the news right“ ori­en­tiert sich das bri­ti­sche Vor­bild ins­be­son­dere an den Schlag­zeilen der wich­tigsten News­me­dien und adres­siert spe­ziell Nach­richten-​ und Leit­me­dien-​Jour­na­listen. Die Ange­bote waren und sind genau auf den Bedarf dieser Jour­na­listen zuge­schnitten: rapid reac­tions, Pres­se­kon­fe­renzen, daneben fact sheets und crib sheets („Spick­zettel“).

Das wollten Franco, Volker, Martin und ihre wei­teren Mit­strei­te­rinnen und Mit­streiter auch. Aber anders als in Groß­bri­tan­nien, galt dieses doch als “press office for sci­ence” – ten­den­ziell also eher ein­seitig, nur wis­sen­schafts­freund­liche Bericht­erstat­tung würde geför­dert, der Output daher ein­di­men­sional.
Das Grün­dungs­team plante seinen eigenen Weg: Unter­stüt­zung der Bericht­erstat­tung von Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen JA – aber trans­pa­rent und unab­hängig. Man wollte zum ver­läss­li­chen Partner im Dschungel wis­sen­schaft­li­cher Nach­richten werden, evi­den­z­ba­siert, man plante eine unab­hän­gige Exper­ten­da­ten­bank auf­zu­bauen und allen Kol­le­ginnen und Kol­legen diesen Ser­vice kos­ten­frei zur Ver­fü­gung stellen.

Man wird doch einmal träumen dürfen.

Und das taten die Grün­der­köpfe und mehr noch, sie machten sich stark für diese Idee, stellten eigene Stu­dien zu Mach­bar­keit an und warben für ihren ehr­gei­zigen Plan. Durch bei­nahe einen Zufall – Volker Stol­lorz war als Jour­na­list in Resi­dence eine zeit­lang am Hei­del­berger Institut für Theo­re­ti­sche Stu­dien (HITS) in Karls­ruhe und lernte Klaus Tschira kennen. Der Wis­sen­schaftler war eben nicht nur einer der Gründer des Soft­ware­un­ter­neh­mens SAP, son­dern er initi­ierte auch das HITS. Tschira war begeis­tert von der Idee eine deut­schen SMCs und erklärte sich bereit, dieses finan­ziell zu unter­stützen.

Neben seiner Stif­tung sollte auch die Wis­sen­schafts­pres­se­kon­fe­renz – mit 10 Pro­zent – Gesell­schafter des SMCs werden, geplant war ein Föder­kreis und ein Fach­beirat, um größt­mög­liche Trans­pa­renz her­zu­stellen.

Unter vielen freien wie fest­an­ge­stellten Kol­legen rumorte es. Dass da etwas kommen sollte, war schnell durch­ge­si­ckert. Würde das SMC ihnen wirk­lich ein hilf­rei­ches Bei­boot in der eigenen Bericht­erstat­tung werden, ihnen Arbeit abnehmen – ohne das eigene Geschäfts­mo­dell kaputt zu machen? Auch hier war viel Über­zeu­gungs­ar­beit zu leisten. Doch nun schien alles geschafft. Martin und Volker saßen im Zug, eine wich­tige Unter­schrift noch, dann könnte es los gehen.

Doch es kam anders. Im Zug sit­zend, kurz vor der Haustür Tschiras stehen, erhielten die beiden die Nach­richt, dass dieser ver­storben war. In die Trauer mischten sich schnell auch die bange Frage: War es das nun auch für das SMC? Waren alle Pla­nungen und Bemü­hungen umsonst gewesen?

Es ist der Familie Klaus Tschiras zu ver­danken, dass das SMC auch danach seine Chance bekam. Einiges musste neu gere­gelt werden, aber am 1. Juli 2015 war tat­säch­lich alles geschafft: Die Klaus Tschira Stif­tung gibt die Pres­se­mit­tei­lung heraus, dass man den Aufbau des SMC als gemein­nüt­zigen Ein­rich­tung ermög­licht. Das „SMC hilft Jour­na­listen bei der Ori­en­tie­rung, wenn Wis­sen­schaft Schlag­zeilen macht“.

Seit dieser Zeit hat sich das SMC seinen Stand erar­beitet.

Die Exper­ten­da­ten­bank besteht aus mitt­ler­weile über 400 Wis­sen­schaft­lern, die das SMC-​Zer­ti­fi­zie­rungs­ver­fahren absol­viert haben und je nach Fach­ge­biet immer dann um eine kurze Stel­lung­nahmen gebe­beten werden, wenn ein tages­ak­tu­elles Ereignis mit Wis­sen­schafts­bezug Schlag­zeilen macht.

Die kurzen State­ments werden Jour­na­listen, die sich beim SMC ange­meldet haben, zur Ver­fü­gung gestellt. Meist gibt es drei bis vier Wis­sen­schaft­ler­stimmen, die dem Jour­na­listen helfen, das wis­sen­schaft­liche Ereignis ein­zu­schätzen. Egal ob es um die Debatte um Grenz­werte bei Koh­len­di­oxid, zu E-​Ziga­retten, zum Kli­ma­wandel oder zuletzt und vor allem Ein­schät­zungen zu Covid19, zur Impf­stoff­ent­wick­lung oder den Pro­blemen der Corona-​Warn-​App geht. Die State­ments kommen tages­ak­tuell und ermög­li­chen es Jour­na­listen, fun­diert über diese Themen zu berichten.

Neben den aktu­ellen State­ments bietet das SMC Fact Sheets (zu „Fein­staub“, „Can­nabis“, zu „Der Weg zum selbst­fah­renden Auto“ bis zu „Wie berech­tigt sind Hoff­nungen auf RNA-​Impf­stoffe gegen SARS-​CoV-​2?“), es gibt Online-​Press­brie­fings, „Rese­arch in Con­text, und hilf­reiche Tools wie den „Ope­ra­tion Explorer“. Das SMC Lab ermög­lichte zuletzt unter anderem eine Daten­ana­lyse über die regio­nalen Unter­schiede beim Ein­satz von künst­li­chen Knie­ge­lenken in Deutsch­land. Dieser Report erregte bun­des­weit Auf­sehen.

Knapp 20 Men­schen arbeiten mitt­ler­weile im SMC, das seinen Sitz in Köln hat.

2019 wurde einmal das eigene Angebot auf den Prüf­stand gestellt, damals stellte man fest, wie häufig Infor­ma­tionen des SMC in Arti­keln auf­ge­griffen werden: Seit der Grün­dung wurden vom SMC ver­mit­telte Experten-​Ein­schät­zungen mehr als 7.000 Mal in knapp 4.000 Berichten zitiert, und das in rund 500 unter­schied­li­chen Medien.

Spä­tes­tens mit seinem gigan­ti­schen Ser­vice in der Corona-​Krise – 27 Rapid Reac­tions, 14 Online-​Pres­se­kon­fe­renz, zehn Fact-​Sheets, vier Rese­arch in Con­text – Unter­stüt­zung des COSMO-​Pro­jekts – ist das SMC zu einem unver­zicht­baren Unter­stützer vieler (nicht nur) Wis­sen­schafts­jour­na­listen geworden.
Ich bin sehr stolz und froh, euch ein wenig dabei begleitet zu haben und euch heute als über­zeugte Nut­zerin eures Ange­bots den Netz­werk-​Recherche-​Son­der­preis über­rei­chen zu dürfen.

Für euer Enga­ge­ment, dafür dass ihr brennt für Wis­sen­schaft und dafür, ver­läss­li­ches Fach­wissen in die Bericht­erstat­tung zu bringen, jeden Tag.

Vielen Dank.

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