Straf­rechts­re­form zur Abschaf­fung von § 353d Nr. 3 StGB

ver­öf­fent­licht von Thomas Schnedler | 11. Januar 2024 | Lese­zeit ca. 5 Min.

Gemeinsame Stellungnahme der Organisationen:

Der Koali­ti­ons­ver­trag der Regie­rungs­par­teien ent­hält den Auf­trag, das Straf­ge­setz­buch sys­te­ma­tisch auf Hand­hab­bar­keit, Berech­ti­gung und Wer­tungs­wi­der­sprüche zu über­prüfen. Dabei soll ein Fokus auf his­to­risch über­holten Straf­tat­be­ständen, der Moder­ni­sie­rung des Straf­rechts und der schnellen Ent­las­tung der Justiz liegen.1 Das Bun­des­mi­nis­te­rium der Justiz hat kürz­lich Eck­punkte für die anste­hende Reform vor­ge­legt. 2 Jeden­falls an einer Stelle ent­hält der Vor­schlag aus Sicht der Unter­zeich­nenden eine erheb­liche Lücke: Der Gesetz­geber sollte die Reform zur Abschaf­fung von § 353d Nr. 3 StGB nutzen, jeden­falls aber den Straf­tat­be­stand an die zwin­genden Vor­gaben des Grund­ge­setzes und der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­tion (EMRK) anpassen und eine Aus­nahme für Medi­en­schaf­fende vor­sehen. Die Norm richtet sich nach ihrer Ent­ste­hungs­ge­schichte in erster Linie gegen die Presse, wird schon seit langem kri­ti­siert und aktuell im Zusam­men­hang mit der Ver­öf­fent­li­chung von Gerichts­be­schlüssen zur Letzten Gene­ra­tion dis­ku­tiert.3
Nach § 353d Nr. 3 StGB wird mit Frei­heits­strafe bis zu einem Jahr oder mit Geld­strafe bestraft, wer den Wort­laut der Ankla­ge­schrift oder anderer amt­li­cher Doku­mente eines Straf­ver­fah­rens, eines Buß­geld­ver­fah­rens oder eines Dis­zi­pli­nar­ver­fah­rens ganz oder in wesent­li­chen Teilen öffent­lich mit­teilt, bevor sie in öffent­li­cher Ver­hand­lung erör­tert worden sind oder das Ver­fahren abge­schlossen ist. Die Norm soll Ver­fah­rens­be­tei­ligte (Lai­en­richter und Zeugen) davor schützen, durch die vor­zei­tige Ver­öf­fent­li­chung amt­li­cher Schrift­stücke in ihrer Unbe­fan­gen­heit beein­träch­tigt zu werden, sowie die Per­sön­lich­keits­rechte der vom Ver­fahren Betrof­fenen wahren.4 Eine Fest­stel­lung, ob diese Schutz­güter im Ein­zel­fall über­haupt betroffen sind, oder eine Abwä­gung, etwa mit dem für die Medien strei­tenden öffent­li­chen Inter­esse an der Ver­öf­fent­li­chung, sieht sie nicht vor.

353d Nr. 3 StGB greift damit in die Pres­se­frei­heit ein. Das strikte Ver­öf­fent­li­chungs­verbot unter Andro­hung einer Frei­heits­strafe ent­faltet eine erheb­liche Abschre­ckungs­wir­kung für die Pres­se­be­richt­erstat­tung, ver­stärkt durch den unklaren Anwen­dungs­be­reich der Norm. Was „amt­liche Doku­mente“ sind,5 ist ebenso umstritten wie die Fragen, wann ein Ver­fahren abge­schlossen6 ist oder eine Ver­öf­fent­li­chung in „wesent­li­chen Teilen“ erfolgt.7 Das Ver­öf­fent­li­chungs­verbot kann dem­ge­gen­über seinen Schutz­zweck kaum errei­chen. Die Norm ver­bietet allein die Wie­der­gabe im Wort­laut, die sinn­ge­mäße Wie­der­gabe ist Medien hin­gegen gestattet.8 Gerade die wort­laut­ge­treue Ver­öf­fent­li­chung gewähr­leistet in Fällen von großem öffent­li­chen Inter­esse die sach­liche und fak­ten­ba­sierte Aus­ein­an­der­set­zung mit den Akten­in­halten. Dar­über hinaus gehört es gerade zum Kern jour­na­lis­ti­scher Sorg­falts­pflichten, die Per­sön­lich­keits­rechte von Betrof­fenen zu schützen und eine Abwä­gung im Ein­zel­fall zu treffen, ob und unter wel­chen Umständen die Ver­öf­fent­li­chung gerecht­fer­tigt ist, etwa durch umfang­reiche Anony­mi­sie­rungen. Diese über zivil­recht­liche Ansprüche abge­si­cherte Pflicht besteht unab­hängig von der Straf­bar­keit nach § 353d Nr. 3 StGB. Eine Schutz­lücke droht daher nicht.

Dem­entspre­chend for­derten bereits vor mehr als zehn Jahren Medi­en­ver­bände9 sowie die Frak­tionen von Bündnis 90/Die Grünen10 und der FDP11 die Abschaf­fung der Norm. Die Ein­schät­zung der ehe­ma­ligen Bun­des­jus­tiz­mi­nis­terin Sabine Leutheusser-​Schnar­ren­berger, wonach die Norm kor­rekte Bericht­erstat­tung kri­mi­na­li­siere und es zugleich höchst frag­lich sei, ob sie das Ziel des Gesetz­ge­bers errei­chen könne,12 trifft weiter zu. Zwi­schen­zeit­lich hat zudem der Euro­päi­sche Gerichtshof für Men­schen­rechte (EGMR) mehr­fach ent­schieden, dass eine Ver­ur­tei­lung von Medi­en­an­ge­hö­rigen wegen der Ver­öf­fent­li­chung von Doku­menten aus Straf­ver­fahren gegen die EMRK ver­stößt, wenn die Gerichte zuvor keine Beein­träch­ti­gung der Wahr­heits­fin­dung oder der Unschulds­ver­mu­tung fest­ge­stellt und mit den Rechten der Presse abge­wogen haben.13 Auch der Bun­des­ge­richtshof äußerte kürz­lich Zweifel, ob die Norm ver­fas­sungs-​ und kon­ven­ti­ons­mäßig ist.14

In der Gesamt­schau ist jeden­falls die Anpas­sung von § 353d Nr. 3 StGB an die Gewähr­leis­tungen der Pres­se­frei­heit nicht nur rechts­po­li­tisch geboten, son­dern auch ver­fas­sungs­recht­lich zwin­gend.

Zu den Orga­ni­sa­tionen der gemein­samen Stel­lung­nahme :

  • Open Knowledge Foundation Deutschland e.V.
  • Deutscher Journalisten-Verband
  • Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju in ver.di)
  • Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V.
  • Reporter ohne Grenzen e.V.
  • Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.

Die Stel­lung­nahme als PDF

1 Koali­ti­ons­ver­trag 2021-2025 zwi­schen SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und FDP, S. 106.

2 Bun­des­mi­nis­te­rium der Justiz (BMJ), Eck­punkte zur Moder­ni­sie­rung des Straf­ge­setz­buchs, November 2023, abrufbar unter https://www.bmj.de/Shared­Docs/Gesetz­ge­bungs­ver­fahren/DE/2023_Moder­ni­sie­rung_Straf­ge­setz­buch.html

3 Siehe nur Süd­deut­sche Zei­tung, Ver­klagt vom Staat, 4. Dezember 2023, abrufbar unter www.sued­deut­sche.de/medien/frag­den­staat-​353d-​bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt-​1.6313936 Legal Tri­bune Online, 25. August 2023, abrufbar unter www.lto.de/recht/hin­ter­gru­ende/h/353d-​stgb-​reform-​noetig-​bgh-​urteil-​zitieren-​urteil-​presse/.

4 BVerfG, Nicht­an­nah­me­be­schluss vom 27.06.2014 – 2 BvR 429/12, Rn. 25-27.

5 Dazu zuletzt BGH, Urteil vom 16. Mai 2023, Az. VI ZR 116/22.

6 Vgl. LG Ham­burg, Beschluss vom 2. Sep­tember 2013 – 629 Qs 34/13: „um die Bestimmt­heit der Vor­schrift […] dürfte es schlechter denn je stehen.“

7 Siehe zu Unter­schieden in der Recht­spre­chung etwa Bran­den­bur­gi­sches Ober­lan­des­ge­richt, Urteil vom 20. Juli 2016 – (1) 53 Ss 3/16 (18/16) und LG Amberg, Beschluss vom 9. Februar 2015 – 11 Qs 5/15.

8 BVerfG, Urteil vom 3. Dezember 1985 – 1 BvL 15/84, Rn. 25.

9 ARD, BDZV, DJV, Deut­scher Pres­serat, VDZ, Ver.di, VPRT und ZDF, Gemein­same Stel­lung­nahme vom 9. Juni 2010, Seite 9, abrufbar unter https://www.djv.de/file­admin/user_upload/INFOS/Themen/Medi­en­po­litik/Pres­se­recht/Quel­len­schutz/Pr StG-​E-​21-06-10.pdf.

10 Ent­wurf eines Gesetzes zum Schutz von Jour­na­listen und der Pres­se­frei­heit in Straf-​ und Straf­pro­zess­recht, BT-​Drs. 16/576.

11 Ent­wurf eines Gesetzes zur Siche­rung der Pres­se­frei­heit, BT-​Drs. 16/956.

12 Leutheusser-​Schnar­ren­berger, Zeit­schrift für Rechts­po­litik (ZRP) 2007, 249 (251).

13 EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011, Pinto Coelho v. Por­tugal – 28439/08.

14 BGH, Urteil vom 16. Mai 2023, Az. VI ZR 116/22, Rn. 18.

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