Verschlossene Auster 2004 für die HypoVereinsbank

veröffentlicht von Netzwerk Recherche | 5. Juni 2004 | Lesezeit ca. 9 Min.

Die “Verschlossene Auster”, der Kritik-Preis des Netzwerk Recherche für Info-Blocker in Wirtschaft und Politik, geht in diesem Jahr an die HypoVereinsbank. Sie erhält den Preis stellvertretend für fast alle DAX-Unternehmen, die Hörfunk- und TV-Journalisten an einer umfassenden Berichterstattung über ihre Hauptversammlungen hindern und damit die Freiheit der Presse in einem wesentlichen Punkt einschränken.

Fast alle der 30 DAX-Unternehmen in Deutschland untersagen es Hörfunk- und TV-Journalisten, bei ihren Hauptversammlungen die Aussprache zwischen Vorstand und Aktionären in Bild und Ton mitzuschneiden. Während die Rede der Vorstandsvorsitzenden noch gefilmt und gezeigt werden darf, werden die anschließenden, oftmals kritischen Stimmen der Aktionäre den Hörern und Zuschauern vorenthalten. “Die Praxis der DAX-Konzerne grenzt an Zensur”, sagt Dr. Thomas Leif, Vorsitzender des Netzwerk Recherche. “Moderne Wirtschaftsunternehmen sind auf die kritische Begleitung der Medien angewiesen, wenn sie gegenüber ihren Kunden glaubwürdig bleiben wollen. Die Öffentlichkeit hat das Recht, umfassend über die Unternehmen informiert zu werden, die für zehntausende Arbeitsplätze Verantwortung tragen und mit ihren Entscheidungen die Wirtschaftspolitik des Landes entscheidend mitprägen.”

Die Unternehmen berufen sich bei ihrer Weigerung, die Aussprache zwischen Vorstand und Aktionären mitschneiden zu lassen, zum einen auf das Persönlichkeitsrecht der Aktionäre, zum anderen darauf, dass TV-Kameras den Charakter einer geschlossenen Gesellschaft von Hauptversammlungen ändern würden. Beide Argumente halten nicht nur Vertreter der Schutzvereinigungen der Aktionäre für fadenscheinig. Schließlich haben Hauptversammlungen mit zum Teil mehreren tausend Aktionären keinen privaten Charakter mehr und das Recht der Redner am eigenen Bild könnte auf Wunsch jederzeit respektiert werden. „Die Unternehmen wollen mit ihren Verboten verhindern, dass Kritik am Management öffentlich wird, da kritische Bilder und Aussagen in den Nachrichten ihre PR-Strategie durchkreuzen könnten “, sagt Dr. Thomas Leif. “Alle anderen Gründe sind nur vorgeschoben.” Dies zeige sich etwa auch darin, dass beispielsweise die HypoVereinsbank Rednerlisten mit Namen und Wohnort der Aktionäre an die Journalisten verteilt, ohne auf die Persönlichkeitsrechte Rücksicht zu nehmen.

“Die Unternehmen setzen alles daran, die Journalisten mit ihren PR-Botschaften einzunebeln”, sagt Dr. Thomas Leif. Sie beliefern die Medien mit eigenproduziertem Material (sogenanntem footage Material) und vorgestanzten Aussagen. Für Journalisten werde es immer schwieriger, unkontrolliert in den Unternehmen zu recherchieren und selbständig Bilder und Töne zu produzieren, so Leif.

Die “Verschlossene Auster” wurde in diesem Jahr zum dritten Mal verliehen. Bisherige Preisträger waren Bundesinnenminister Otto Schily und der Lebensmittelkonzern ALDI. Die Auster steht als mahnendes Symbol für mangelnde Offenheit und Kooperationsverweigerung von Personen oder Organisationen gegenüber den Medien. Die Preisträger erhalten zur Erinnerung eine Skulptur des Marburger Künstlers Ulrich Behner.
Die diesjährige Laudatio hielt Christoph Arnowski vom Bayerischen Rundfunk. Der Fernsehjournalist hatte sich in den vergangenen Jahren intensiv für die freie Berichterstattung der Medien während der Hauptversammlungen eingesetzt.

Laudatio von Christoph Arnowski

Austerpreisträger: Info-Blocker HypoVereinsbank – Dr. Albrecht Schmidt
Laudatorin: Christoph Arnowski, Bayerischen Rundfunk

5. Juni 2004 in Hamburg

“Stellen Sie sich vor, Sie werden als Fernseh- oder Hörfunk-Journalist zu einer Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft eingeladen. Und erfahren dann, dass Sie nur das aufnehmen dürfen, was die Firma will, die Rede des Chefs, nicht aber die Aussprache mit den Aktionären. Sie sagen unvorstellbar? Ich muss Ihnen leider sagen, dass ist bundesdeutscher Alltag. Was Schrempp und Co an Kritik zu hören bekommen, kann so nur noch sehr indirekt berichtet werden. Das Drehverbot in der Halle, ein einfaches, aber wirksames Mittel. Deutsche Aktiengesellschaften verhalten sich wie Staatskombinate im Ostblock.

Freie Berichterstattung ist für Unternehmen oft ein Fremdwort, das man allenfalls in Sonntagsreden schreibt. Werktags gilt Zensur. Manager, die für zehntausende Arbeitsplätze Verantwortung tragen, die mit ihren Standortentscheidungen mehr Politik machen als Wirtschafts- und Finanzminister zusammen, mögen es noch weniger als die Minister, wenn sie von uns kritisch begleitet werden. Und deshalb tun sie, was sie können, um unsere Arbeit zu beeinflussen.

Auch bei Hauptversammlungen.
Und dafür gehört Herrn Dr. Albrecht Schmidt, dem Aufsichtsratsvorsitzenden der HypoVereinsbank, die verschlossene Auster. Netzwerk Recherche zeichnet Sie stellvertretend für alle Informationsverhinderer aus. Sie befinden sich – ich muss leider sagen – schlechter Gesellschaft. Von 30 deutschen DAX-Unternehmen handeln 29 wie das Ihre. Nur Adidas-Salomon nicht. Bei der Hauptversammlung des Sportartiklers darf alles aufgenommen werden. Und die AG ist außerordentlich erfolgreich.

“Transparenz durch Vertrauen” schreibt die Münchner Rück, der Großaktionär der HVB, auf seine Homepage, predigt das hohe Lied der Cooperate Governance. Wenn aber Frauke Ancker, die Geschäftsführerin des Bayerischen Journalisten-Verbandes auf der Hauptversammlung mit einer Aktie in der Hand per Geschäftsordnungsantrag unbehinderte Berichterstattung einfordert, verweist sie Aufsichtsratschef Ulrich Hartmann vom Rednerpult, läßt sie nichteinmal ausreden. Sie sagen unvorstellbar, ich muss Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, lsagen, das ist letztes Jahr leider passiert.

Die bayerischen Journalisten, und das darf ich jetzt hier im hohen Norden einmal mit einem gewissen Stolz sagen, wir lassen uns von dieser Pressefeindlichkeit nicht beeindrucken. Wir haben uns was einfallen lassen. Wir sind unter die Kleinaktionäre gegangen, haben uns damit das Rederecht erkauft und fordern jetzt auf jeder Hauptversammlung eigentlich nur Eines: Lasst uns bitte ganz normal arbeiten, wie auf Parteitagen beispielsweise.

Und dann treffen wir auf Herren wie Herrn Schmidt. Und was machen die? Mit unhaltbaren Argumenten versuchen sie uns weis zu machen, dass die Berichterstattung rechtlich nur so möglich ist, wie Sie das wollen. Sagen, dass so ein Treffen mit mehreren tausend Besuchern eine private Veranstaltung sei. Ich frage Herrn Schmidt und seine Kollegen nochmal: Ja warum laden Sie uns dann überhaupt ein? Und warum fragen Sie nicht einmal ihre Aktionäre, was die davon halten? Stattdessen bevormunden sie die Besitzer der Unternehmen, und geben dabei vor, deren Persönlichkeitsrechte zu schützen.

Das Motiv ist durchsichtig: Gerade in Zeiten, in denen die Gehälter mit Optionsprogrammen in Höhen gepuscht werden, die selbst dem Bayerischen Ministerpräsidenten suspekt sind, in diesen Zeiten, wo gleichzeitig jeden Tag die Arbeitsplätze zu tausenden gestrichen werden, sind Hauptversammlungen für das Unternehmensführungen der vermutlich unangenehmste Arbeitstag des Jahres. Stundenlang bekommen Sie meist sehr fundiert entgegengehalten, was Sie alles falsch gemacht haben. Klar dass Sie das am Abend nicht auch noch in der Tagesschau sehen wollen.

Da wollen Sie lieber ihre salbungsvollen Prognosen hören, dass zum Beispiel – ich will mal den HypoVereinsbankvorstand zitieren – die Bank im Rahmen ihrer ambitionierten Erwartungen liege. Die Börse hat es an jenem Vormittag nach Veröffentlichung der Quartalszahlen anders gesehen, die HVB-Aktie ist innerhalb von vier Stunden um zehn Prozent abgeschmiert, ein unvorstellbarer Crash für ein solches Börsenschwergewicht. Den Aktionären hat man das in der Halle übrigens gar nicht gesagt, das nenne ich doch eine Informationspolitik, so wie sie Ihrem Großaktionär, der Münchner Rück, vorschwebt: Vertrauen durch Transparenz.

Im Ernst, ich bin überzeugt, mehr Transparenz täte der Börse wirklich gut. Wenn Sie den Leuten endlich vermittelten, dass Sie nichts zu verbergen haben, dann wird das Vertrauen in die Wirtschaft wachsen. Und das brauchen wir ganz dringend.

Doch statt mit einer offenen Informationspolitik versuchen Sie ihre Aktionäre lieber mit Bockwürsten und Leberkässemmeln zu ködern. Uns Journalisten speisen Sie auf der Hauptversammlung anders ab. Trotz gestrichener Dividende, das Essen im Pressezentrum ist nach wie vor erstklassig, nach dem Motto, wenn die Reporter schon nicht richtig berichten dürfen, sollen sie wenigstens gut essen. So hält man uns bei Laune. Nicht alle von uns, aber doch manche.

Und an dieser Stelle komme ich nicht umhin, einige kritische Anmerkungen an die eigene Zunft zu richten. Und ich bleibe beispielhaft wieder beim Preisträger, der HypoVereinsbank. Dass man sich ab und zu trifft, im lockeren Rahmen, beim Neujahrsempfang oder beim Sommerpressefest, das gehört zu unserem Job. Aber muss ein solches Fest über zwei Tage gehen mit Golf-Schnupperkurs oder Bootsausflug, kostenlosem Limousinen-Service ins Hotel, in dem dann die Zimmer für auswärtige Kollegen, wie man so hört, auch noch von der Bank bezahlt werden.

Wundert das dann einen noch, das die kritsiche Distanz irgendwann verloren geht, wenn man so herzlich umsorgt wird? Wundert man sich noch, – ich will ein letztes Mal ein konkretes Beispiel unserer Preisträgers nennen -, wundert man sich also, wenn diese Bank vom Bundesgerichtshof erstmals in einem Streit um sogenannte Schrottimmobilien zur vollständigen Rückabwicklung verurteilt wird, und in dieser Auseinandersetzung geht es um zehntausende von Fällen , wundert man sich, dass dann rennomierte Agenturen und Zeitungen dieses Landes völlig einseitig berichten. Ausführlich schreiben, wie die Bank dieses Urteil bewertet, aber kein Wort davon zun lesen ist, was Verbraucheranwälte oder auch unabhängige Juristen dazu sagen?

Wenn ich soetwas lese, muss ich sagen, diese Kollegen haben ihren Beruf verfehlt. Wir dürfen uns nicht als wohlwollende Begleiter der Unternehmen sehen, wir sind nicht die heimlichen Pressesprecher, deren Aufgabe es ist, Managementfehler oder Innovationsschwäche mit blumigen Formulierungen herunterzuspielen. Wir müssen kritische Distanz wahren, auch und gerade in der Wirtschaftsberichterstattung. Verluste sollten wieder Verluste genannt werden und nicht, wie es Pressestellen schönfärberisch verbreiten: negative Ergebnisbeiträge oder negative Gewinne.

Ich appelliere an alle Kollegen, auch wenn ich weiß, dass ich hier beim Netzwerk Recherche eigentlich die Falschen vor mir habe: Zeigen Sie wieder mehr Distanz, ereifern Sie sich nicht nur völlig zu Recht über die Weltecke-Sause, sondern lassen Sie sich selbst ein bißchen weniger einladen!

So jetzt hätte ich fast unseren Info-Blocker vergessen. Gegenüber einem Preisträger wäre das natürlich unhöflich. Mein Apell an Herrn Schmidt und alle anderen Schmidt’s in der deutschen Wirtschaft, und davon gibt es in den Vorständen und Aufsichtsräten leider viel zu viele: Sparen Sie sich so manchen Euro für Sachen, die wir gar nicht brauchen. Wir kommen auch so zu Pressekonferenzen, ohne Geschenke. Viel wichtiger aber: Lassen Sie uns vernünftig arbeiten, behindern Sie uns nicht dabei. Auf Hauptversammlungen genauso wie auch sonst in ihren Unternehmen.”

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