Verschlossene Auster 2012 für die FIFA

veröffentlicht von Netzwerk Recherche | 2. Juni 2012 | Lesezeit ca. 18 Min.

Die Verschlossene Auster, der Negativ-Preis der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche, geht im Fußballjahr 2012 an die Féderation Internationale de Football Association (FIFA) und ihren Präsidenten Sepp Blatter. „Die FIFA hat in den vergangenen Jahren alle Versuche kritischer Journalisten, über Korruption und Ungereimtheiten bei der Postenvergabe zu recherchieren abgeblockt”, sagte Oliver Schröm, Vorsitzender von Netzwerk Recherche, zur Jurybegründung. „Gerichtsverfahren werden gegen Millionenzahlungen der FIFA eingestellt, gegen eine Offenlegung der entsprechenden Gerichtsbeschlüsse wehrt sich Blatter weiter mit allen Mitteln. Die jetzt beim FIFA-Kongress in Budapest verkündeten Maßnahmen in Sachen Ethik und Compliance seien nur Kosmetik, sagte Schröm: „Das zeigt sich schon daran, dass sie lediglich in Zukunft gelten sollen und keinesfalls die kritische Aufarbeitung der Vergangenheit geplant ist”.

Das bestätigte bei der Jahrestagung von Netzwerk Recherche auch der Laudator der verschlossenen Auster, der ehemalige FIFA-Mitarbeiter und heutige Schweizer Nationalrat Roland Büchel. Selbst die bereits vor vier Jahren gerichtsfest bewiesenen Schmiergeldzahlungen von mehr als 140 Millionen Franken, die zu einem großen Teil an die Spitzenfunktionäre der FIFA gingen, hätten an Blatters Selbstverständnis nicht viel geändert. „Dass dieser von Demokratie nicht viel hält, ist augenscheinlich”, so Büchel. Als Beispiel nannte Büchel das weiterhin völlig intransparente System von Löhnen, Aufwandsentschädigungen und Boni bei der FIFA. „Im letzten Jahr schüttete die FIFA 96,8 Millionen Dollar an Löhnen, Zahlungen an Ehrenamtliche und Boni aus – nicht übel für einen nicht gewinnorientierten Verein mit extremen steuerlichen Privilegien und einem ideellen Zweck”, so Büchel. Anstatt kritische Medien-Anfragen zu diesem Thema zu beantworten, belohne die FIFA lieber positive Berichterstattung. Auch staatlicher Institutionen – wie die von Büchel initiierte Parlamentsinitiative zur Aufklärung von Korruptionsfällen im Sport – versuche die FIFA durch durchsichtiges Lobbying abzuschwächen. „Die FIFA ging davon aus, dass die Politik wie gewohnt nach ihrer Pfeife tanzen würde. Die ehrenwerte Gesellschaft ließ uns Schweizer Volksvertreter sogar wissen, dass sie – was für ein Glück für uns alle – nicht über dem eidgenössischen Recht stünde”, so Büchel. Dabei sei der Europarat bereits Ende April „in 124 akribisch aufbereiteten Punkten zu einem vernichtenden Urteil” über die Fußball-Weltorganisation gekommen. „Selbstregulierung ist sehr wichtig. Aber wenn die Probleme nicht aufhören, sollten Regierungen einschreiten. Autonomie ist für die Interessen des Sports da, nicht für die Interessen von skrupellosen Individuen”, zitierte Büchel den Kernsatz der Europarat-Resolution.

Die FIFA selbst erschien nicht zur Entgegennahme des Preises. Ihr Kommunikationsdirektor Walter De Gregorio schreibt Netzwerk Recherche: „Ich wäre gerne zur Veranstaltung gekommen, da ich Austern mag, aber ich bin zurzeit in Brasilien. Der Präsident selber verträgt keine Meeresfrüchte, zudem ist seine Agenda proppenvoll. Grundsätzlich glaube ich, dass Sie zu spät sind mit der Auszeichnung. Die Auster hat sich inzwischen geöffnet. Es geht in der Regel eine Weile, bis auch Recherchierjournalisten das merken. Die Austern im Kopf bleiben oft über das Verfalldatum hinaus geschlossen.” De Gregorio rät, sich über den letzten FIFA-Kongress in Budapest zu informieren: „Da werden Sie ein paar Ansätze finden, um Ihre Meinung zu ändern. Wenn Sie denn daran interessiert sind.” Falls man tatsächlich an einer Sachdiskussion interessiert sei, sei er aber „jederzeit bereit, mich Ihren Fragen zu stellen”, so De Gregorio.

Der Kritik-Preis wird in diesem Jahr zum elften Mal verliehen. Er steht als mahnendes Symbol für mangelnde Offenheit und Behinderung der Pressefreiheit von Personen oder Organisationen gegenüber den Medien. Die Preisträger erhalten zur Erinnerung und als Mahnung zur Besserung eine Skulptur des Marburger Künstlers Ulrich Behner aus reinem Schiefer. Die ausgezeichneten Preisträger erhalten das Recht auf Gegenrede oder Stellungnahme vor der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche, an der in diesem Jahr mehr als 800 Medienvertreter teilnehmen.
Preisträger der vergangenen Jahre waren der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, der Lebensmittelkonzern Aldi, die Hypo-Vereinsbank (stellvertretend für die DAX-Unternehmen), der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, der damalige Chef der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, der damalige russische Präsident Wladimir Putin, das Internationale Olympische Komitee, der Bundesverband deutscher Banken und die Deutsche Bischofskonferenz.

Einladung an die FIFA

Herrn
Präsident Joseph S. Blatter
Fédération Internationale de Football (FIFA)

Sehr geehrter Herr Präsident,

im Namen des Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche möchte ich Sie zu unserer Jahrestagung, Europas größter Konferenz kritischer Journalisten, am Freitag, 1. Juni 2012, nach Hamburg einladen.

Hier wird jährlich vor bis zu 1.000 Journalisten die “Verschlossene Auster” verliehen. Wir möchten Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, mitteilen, dass 2012 dieser hochbeachtete Preis an die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) geht. Der Preis wird für Behinderung von Aufklärung, für Blockade von Information und/oder Behinderung der Presse vergeben.

Die FIFA erhält den Preis für mangelnde Bereitschaft, u.a. die Korruptionsaffäre im Zusammenhang mit der ehemaligen Vermarktungsgesellschaft ISL aufzuklären und für den Versuch, kritischen Medien gerichtliche Einstellungsverfügungen vorzuenthalten. Ebenso für die Intransparenz bei der Aufklärung von Korruptionsvorwürfen gegen Mitglieder der FIFA-Exekutive sowie die andauernde Verweigerung als “gemeinnütziger Verein” mit Milliardenumsatz über Löhne, Boni und Vergütungen Auskunft zu erteilen.

Der Preis versteht sich nicht als Tribunal, sondern als Angebot zum Gespräch und zur kritischen Auseinandersetzung. Wir würden uns deshalb freuen, wenn Sie, sehr geehrter Herr Präsident, oder ein Vertreter der FIFA den Preis persönlich in Empfang nehmen.

Viele Preisträger (u.a. der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, der Bundesverband deutscher Banken und sogar die Katholische Bischofskonferenz) haben in den vergangenen Jahren die Auszeichnung als Chance ergriffen, nach der Laudatio eine Gegenrede zu halten und ihre Position gegenüber uns und der Öffentlichkeit darzulegen. Die Laudatio auf die FIFA wird kein geringerer als der Schweizer Nationalrat Ronald Rino Büchel halten.

Im Anschluss an die festliche Preisverleihung gibt es eine prominent besetzte Diskussionsrunde zum Thema “Kritische Fragen unerwünscht: Recherchefreie Zonen im Sport”, u.a. mit Uli Hoeneß (Präsident FC Bayern München), Thomas Kistner (Buchautor und Redakteur Süddeutsche Zeitung) und Reinhold Beckmann (ARD) als Moderator, zu der wir Sie, sehr geehrter Präsident, oder ein Vertreter der FIFA hiermit einladen.

Die Verleihung der “Verschlossenen Auster” 2012 findet am Freitag, 1. Juni 2012, ab 14.00 Uhr, statt. Veranstaltungsort ist das Sendegelände des Norddeutschen Rundfunks (NDR Fernsehen) in Hamburg, Hugh-Greene-Weg 1. Erwartet werden bis zu 1.000 Journalisten aus dem In- und Ausland, darunter auch Chefredakteure großer Tageszeitungen, Wochenzeitschriften und Fernsehanstalten. Das Programm der Veranstaltung finden Sie auf unserer Website unter http://jahreskonferenz.netzwerkrecherche.de

Wir würden uns sehr freuen, sehr geehrter Herr Präsident, Sie in Hamburg als Gast begrüßen zu dürfen und mit Ihnen in eine konstruktive Diskussion treten zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen,

Oliver Schröm
1. Vorsitzender Netzwerk Recherche e.V.

Laudatio von Roland Rino Büchel

Austerpreisträger: Féderation Internationale de Football Association (FIFA) und ihren Präsidenten Sepp Blatter
Laudator: Roland Rino Büchel, ehemalige FIFA-Mitarbeiter und heutige Schweizer Nationalrat

Grüezi mitenand
Das Netzwerk Recherche vergibt die elfte „Verschlossene Auster“ an einen Schweizer Verein mit einem ideellen Zweck.
Wenn es um Nichtigkeiten geht, ist dessen Vorsitzender sehr eloquent und alles andere verschlossen. So weiss bald jedes Kind, dass er mehr als zwei Monate zu früh zur Welt kam, nur halb so schwer war wie ein normales Baby und offenbar genau darum ein zäher Bursche wurde.
Als Chef trifft er die wichtigen Entscheidungen zusammen mit 23 „Engeln” und „Teufeln”. Das sage nicht ich, das sagt er selbst. Es sind die Bezeichnungen, die „Le Président” seit einem guten Jahr verwendet, wenn es um seine 23 Vorstandskollegen geht.
Wer aber ist ein Engel, und wer ist ein Teufel? Das ist die entscheidende Frage. Doch die will „Le Président” partout nicht beantwortet haben.
Im Gegenteil, er hat schon acht Millionen Franken aufbringen lassen und dazu die teuersten Anwälte engagiert, um die Namen von korrupten Mitgliedern seines Exekutiv-Komitees unter dem Deckel zu halten. Somit erscheinen ein paar Teufel weiterhin als Engel. Vor den Teufeln hat er Angst, Engel kann man auch mal fallen lassen.
Dies im Moment zum Innenleben der Institution, die jedes Jahr ohne sonderlichen Aufwand einen Milliardenbetrag einnimmt.
Für den Preis kommen nun nicht mehr alle Vereine nach Artikel 60 ff des Schweizer Zivilgesetzbuchs in Frage. Davon gibt es übrigens weit mehr als 100‘000.
Bei uns existiert ein Bonmot: „Was haben drei Schweizer gemacht, wenn sie eine Stunde zusammengesessen sind? – Logisch, sie haben einen Verein gegründet.”
Ich verrate Ihnen noch nicht, welcher Verein mit der Auster ausgezeichnet worden ist. Ich sage Ihnen zuerst, wer sie nicht erhalten wird. Gewonnen hat keines der zahlreichen Jodelchörli aus einem Bergdorf. Gewonnen hat auch kein Kaninchenzüchterverein. Das Werk des Marburger Künstlers Ulrich Behner geht nicht an keinen Quartierkegelclub.
Die Auster geht an einen multinationalen Konzern. Die Struktur des Unternehmens sei diejenige von einem mit Gangstern durchsetzten „Gentlemen’s Club”, sagt der Rechtsprofessor, der sich seit Monaten mit dessen Innenleben befasst. Der Vorsitzende des Clubs, „Le Président”, spricht hingegen von einer „Familie”.
Buchautor Thomas Kistner, der heute unter uns ist, denkt dabei an eine etwas spezielle, sizilianische Familienform. Er nennt das Kind beim Namen und den „Gentlemen’s Club” deshalb schlicht „Mafia”. Der Gentlemen’s Club muss sich diese Bezeichnung aufgrund der Faktenlage gefallen lassen.
Dabei will die Familie doch nur Gutes tun und die Welt verbessern. Das hat sie sich auf die Fahne geschrieben. Und sogar in das Logo. „For the Game. For the World.” Der Anführer des Clans hat seine Ambitionen auf den Friedensnobelpreis schon mehrmals kundgetan.
Wer den unzähligen Verlautbarungen des 76jährigen Familienoberhauptes Glauben schenkt – als Beispiel sei das lange Interview in der Schweizer Wochenzeitschrift „Weltwoche” Nummer 49 vom Dezember 2010 genannt – kann nicht mehr den geringsten Zweifel haben: seine Organisation ist dazu bestimmt, unseren Planeten zu retten.
Müsste die Auster oder deren „Grosse reine Perle” den Friedensnobelpreis nicht schon längst erhalten haben?
Was noch nicht ist, kann noch werden. Seit einigen Tagen gibt es eine Vereinbarung – den so genannten „Handschlag für den Frieden” – zwischen der heutigen Preisträgerin und dem „Nobel Peace Centre”.
Dieses hat einen deklarierten Hauptzweck, nämlich „to promote familiarity with the lives and work of the Nobel Peace Prize laureates”, also das Leben und das Wirken der Nobelpreisträger bekannt zu machen.
Nochmals: Der Friedensnobelpries ist das Lebensziel des Präsidenten der heutigen Preisträgerin. Und nicht die „Verschlossene Auster”.
Schliesslich wird „Le Président” auf der bekannten Forbes-Liste der 70 allerwichtigsten Personen dieser Welt nur knapp hinter dem Dalai Lama, dem CEO von Apple und dem russischen Präsidenten geführt.
Die „Grosse reine Perle”, hat nicht nur Ambitionen. Sondern auch Qualitäten. Sie kann gut „Danke” sagen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Der Journalist, der das genannte Interview für die Weltwoche führte, steht heute im Sold der Auster. Er darf sich „Direktor für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit” nennen und ist für deren umfangreiche PR-Aktionen verantwortlich.
Bei den wirklich relevanten Fragen jedoch, da amtet der ehemalige Journalist quasi als Zuhalter. „Zuhalter”, habe ich gesagt. Das Wort hat kein „ä”. Trotzdem, ein paar journalistische Grundsätze über Bord werfen und sich ein bisschen prostituieren, das muss man schon, wenn man sich entscheidet, „his Master’s Voice” zu werden und sein Einkommen zu verzehnfachen.
In jüngster Zeit hat der Gentlemen’s Club nicht nur die PR-, sondern auch die Lobbyarbeit ausgebaut. Einer der Gründe für die Hysterie im Umfeld der „Grossen reinen Perle” mag ein „offener Brief” gewesen sein. Ich schrieb ihn am 11. Januar 2011 als Antwort auf die diversen Interviews, welche die „Grosse reine Perle”, alias „Le Président”, damals um den Jahreswechsel gegeben hatte.
Noch am Tag, als mein Schreiben im Briefkasten des Gentlemen’s Club landete, sandte jener eine Einladung an sämtliche 246 eidgenössischen Parlamentarier.
Der Anlass war ein Flop. Nur jeder zwanzigste Abgeordnete wollte dem Hausjuristen der ehrenwerten Gesellschaft zuhören, als er im nobelsten Berner Hotel darlegte, wie wichtig sie für die Schweiz sei. Er verschwendete keinen Gedanken darüber, dass sie auch ein Reputationsrisiko für unser Land bedeuten könnte.
Insgesamt war die Welt noch in Ordnung. Und die „Grosse reine Perle” ging davon aus, dass die Politik wie gewohnt nach ihrer Pfeife tanzen würde. Die ehrenwerte Gesellschaft liess uns Schweizer Volksvertreter sogar wissen, dass sie – was für ein Glück für uns alle – nicht über dem eidgenössischen Recht stünde.
Wenn die Clanmitglieder oder Angestellte jener Milliardenfirma also eine kriminelle Tat begehen, müssen sie genauso ins Gefängnis wie zum Beispiel die Lebensmittel-Verkäuferin, welche das gleiche Delikt begeht…
Was ist seither passiert?
Mein parlamentarischer Vorstoss mit dem Auftrag an das Sportministerium, die Korruptionsprobleme im Sport resolut anzupacken und Lösungen zu präsentieren, wurde im Nationalrat ohne eine einzige Gegenstimme angenommen.
Dann wurde die Sache in der zweiten Kammer und in der Verwaltung verschleppt. Das war unklug.
Umso härter kam der Keulenschlag aus Strassburg. Der Europarat verabschiedete vor fünf Wochen eine Resolution. Sie basiert auf einem präzisen 21seitigen Bericht und zielt mitten ins Herz der heutigen Preisträgerin.
Das Papier kommt in 124 akribisch aufbereiteten Punkten zu einem vernichtenden Urteil. Der Europarat verlangt, dass im Gentlemen’s Club ein für alle Mal aufgeräumt wird und stellt sogar die Wahl dessen Oberhauptes zur Diskussion.
Was schreibt Europa zur Korruption innerhalb der Institution? Ich zitiere aus der Resolution, die fast einstimmig verabschiedet wurde:
„Selbstregulierung ist sehr wichtig. Aber wenn die Probleme nicht aufhören, sollten Regierungen einschreiten. Autonomie ist für die Interessen des Sports da, nicht für die Interessen von skrupellosen Individuen”, lauten die unmissverständlichen Worte aus Strassburg.
Jetzt wissen Sie, in welchem Gesellschaftsbereich die Auster tätig ist, nämlich im Sport.
Es ist noch nicht lange her, da hatte die „Grosse reine Perle” standhaft behauptet, dass es in der Auster keine Korruption gäbe.
Die bereits vor vier Jahren gerichtsfest bewiesenen Schmiergeldzahlungen von mehr als 140 Millionen Franken, die zu einem grossen Teil an die Perlen der „Verschlossenen Auster” gingen, änderten nichts am Selbstverständnis der „Grossen reinen Perle”.
Dass diese von Demokratie nicht viel hält, ist augenscheinlich. „Wenn ein Diktator einer ist, der diktiert, dann bin ich ein Diktator”, sagte die „Grosse reine Perle” jüngst in verschiedenen TV-Interviews.
Wie kam es dazu, dass der Diktator im letzten Jahr plötzlich anfing, von himmlischen und höllischen Gestalten zu fabulieren? Der Grund ist klar: Eine der 23 Perlen wollte selbst zur „Grossen Perle” werden, und zwar diejenige, welche der Diktator einst seinen „Bruder” nannte. Das war zu viel des Unguten. Darum wurde aus dem „dear brother” ein etwas weniger dearer „devil”.
Die Wahl zur „Grossen Perle” fand übrigens heute auf den Tag genau vor einem Jahr statt. Der als „Teufel” bezeichnete Herausforderer hatte sich wenige Tage vorher unter mysteriösen Umständen zurückgezogen.
Bevor ich Ihnen mehr über das Innenleben der Auster sage, gibt es etwas zu Slobodan. Ich war gerade darin vertieft, diese Zeilen in den Computer zu tippen, als der junge Mann sich im Zug zu mir setzte. Er kam vom Muskeltraining und fragte mich im typischen Slang der Jungen: „Hey Mann, was hackst Du da in Deine krasse Maschine?”
Ich antworte, dass ich daran sei, eine Laudatio auf die „Verschlossene Auster” zu verfassen. Weil er wissen wollte, was so ein „Lauda-Ding” denn sei, versuchte ich, es zu erklären. Dabei rutschte mir der Name der Preisträgerin heraus.
Wegen dieser Unachtsamkeit wusste ein junger Mann schon ein paar Tage vor Ihnen, wer heuer mit der „Verschlossenen Auster” ausgezeichnet wird.
„Hey Mann, Du machst Deinen „Lauda-Toni” nicht für eine normal verschlossene Auster, wo jeder knacken kann”, schoss es aus ihm heraus. Er klopfte mir dabei anerkennend und etwas gar fest auf die Schulter. „Hey, Deine Muschel ist krass eine voll integral verschlossene Auster.”
Der Begriff gefällt mir. Ich kürze ihn ab und verwende nur die Anfangsbuchstaben von „Voll Integral Verschlossene Auster”. Ich nenne den Preisträger von jetzt an VIVA. Das Copyright gehört Slobodan.
Schauen wir uns den nicht gewinnorientierten Verein, der die Auster erhalten wird, etwas genauer an:
Die „Voll Integral Verschlossene Auster”, also die VIVA, zählt einen Präsidenten und 23 ehrenamtliche Spitzenfunktionäre in ihren Reihen. Das wissen Sie schon. Zudem hat die VIVA 390 Angestellte in der Administration. In der letzten Woche waren viele von ihnen in Ungarn.
Schon im Vorfeld schienen sich die Perlen auf den Aufenthalt dort zu freuen. Die Ankündigung auf der Webseite der VIVA lautete: „Die Perle an der Donau, wie Budapest auch genannt wird, bietet der VIVA eine malerische Kulisse für ihren 62. Kongress, bei dem die 208 Mitgliedsverbände über weitreichende Reformen in den Bereichen Good Governance, Compliance und Ethik befinden werden.”
– “Reformen”
– “Good Governance”
– “Compliance”
– “Ethik”
Das sind gar grosse Begriffe für die patriarchalisch geführte VIVA, die es seit 108 Jahren gibt.
In Budapest wurde beschlossen, bald zum ersten Mal eine weibliche Perle in den Altherrenzirkel aufzunehmen. Wenn man die VIVA in diesem Tempo weitermachen lässt, werden frühestens unsere Urenkel etwas von ernsthaft gelebter Good Governance und Ethik in der VIVA spüren.
Nur nebenbei: Kennen Sie das schweizerische „Unwort des Jahres 2010″? – „VIVA-Ethikkommission”.
Wechseln wir von der Pseudoethik zur konkreten Raffgier. Wie vergolden sich die Perlen der VIVA ihre Nasen?
Die VIVA schüttete im letzten Jahr 96.8 Millionen Dollar an Löhnen, Zahlungen an Ehrenamtliche und Boni (67.3 + 29.5 = 96.8 Mio) aus. Das macht bei 414 Personen 233‘000 Dollar pro Kopf.
Nimmt man die Luxus-Sozialleistungen der VIVA dazu, dann weist die Rechnung sogar 118.5 Millionen Dollar aus (89 + 29.5 = 118.5 Mio). Das macht im Schnitt 286‘000 Dollar pro Person.
Nicht übel für einen nicht gewinnorientierten Verein mit extremen steuerlichen Privilegien und einem ideellen Zweck.
Für den Europarat sind solche Vergütungen schlicht jenseits von Gut und Böse. Wenn wir etwas genauer hinschauen, kommt es noch dicker.
Seit 2004 wird in aller Stille viel Geld für so genannt „kurzfristig fällige Leistungen” ausbezahlt. Das sind zum allergrössten Teil Boni für die „Grosse Perle” und deren 23 Mitperlen. In den letzten acht Jahren hat der nicht gewinnorientierte Verein VIVA seinem ehrenamtlichen Vorstand und dem Präsidenten, der nach eigener Darlegung keinen Lohn nimmt, sondern nur eine „Entschädigung” erhält, mehr als 100 Millionen Dollar an Boni zukommen lassen.
Früher gab es keine Bonuszahlungen. Da liessen sich die Perlen von aussen mit Sauerstoff versorgen.
„Oxygène”, also Sauerstoff, so nennen Insider die Schmiergeldzahlungen von 140‘785‘618 Franken und 93 Rappen, welche die damals führende Sport-Agentur zahlreichen Sportfunktionären während zwölf Jahren zuschanzte. Heimlich und über allerlei verschlungene Wege.
Eine Frage interessiert mich brennend: Wer nahm die 93 Rappen?
Empfänger schwarzen Geldes gab es nicht nur unter den 23 VIVA-Perlen. Es waren, das belegen Gerichtsakten, auch Perlen des Preisträgers von 2008 darunter: Offenbar konnten heute noch stimmberechtigte Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees dank des verabreichten Sauerstoffs besser atmen!
Logisch, dass die Schmiergeldagentur Konkurs ging. Die Luft war ihr ausgegangen. Nach dem Tod jener „Sugar-Mama” aus dem schönen Schweizer Städtchen Zug musste ein neuer Sauerstoff-Lieferant her. Die VIVA fand eine hausinterne Lösung.
Ein solches Husarenstück war nur möglich, weil die TV- und Marketingrechte der Schmiergeldagentur nach deren Konkurs auf geradezu wundersame Art an die VIVA gingen. Anstatt in die Konkursmasse, wie es sich gehört hätte.
Dank dieser neuen milliardenschweren Lizenz zum Gelddrucken konnten allein in den letzten beiden Jahren mehr als 60 Millionen Dollar für „kurzfristig fällige Leistungen” ausgeschüttet werden.
„Le Président” und jedes einzelne seiner 23 ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder bedienen sich – im Schnitt – mit jährlich rund einer Million Dollar aus der VIVA-Kasse.
Haben diese neuen Boni die alten Schmiergeldzahlungen ersetzt? Ein Schelm, wer einen Zusammenhang sieht und Böses dabei denkt.
Zum Schluss muss ich Ihnen noch zwei wichtige Dinge mitteilen:
a) wer die Auster gewonnen hat und
b) dass wir Schweizer manchmal Mühe haben, das „V” wie „Vögeli” vom „F” wie Fussball zu unterscheiden.
Die diesjährige „Verschlossene Auster”, oder die gemäss Slobodan „Voll Integral Verschlossene Auster” geht an die Féderation Internationale de Football Association.
Oder kurz gesagt: Die VIVA geht an die FIFA.

Antwort der FIFA

Sehr geehrter Herr Schröm,

meine Kollegen der Medienabteilung haben Ihnen bereits geantwortet. Erlauben Sie mir bitte ein paar persönliche Zeilen nachzuliefern. Ich wäre gerne an die Veranstaltung gekommen, da ich Austern mag, aber ich bin zurzeit in Brasilien. Der Präsident selber verträgt keine Meeresfrüchte,
zudem ist seine Agenda propenvoll.

Grundsätzlich glaube ich, dass Sie zu spät sind mit der Auszeichnung. Die Auster hat sich inzwischen geöffnet. Es geht in der Regel eine Weile, bis auch Recherchierjournalisten das merken. Die Austern im Kopf bleiben oft über das Verfalldatum hinaus geschlossen. In der Zwischenzeit informieren Sie sich über den letzten FIFA-Kongress in Budapest. Da werden Sie ein paar Ansätze finden, um Ihre Meinung zu ändern. Wenn Sie denn daran interessiert sind.

Ganz ohne Ironie: Falls Sie wirklich an einer Sachdiskussion interessiert sind, bin ich jederzeit bereit, mich Ihren Fragen zu stellen. Sollten Sie aus diesem Mail zitieren wollen, dann bitte ganz und nicht nur auszugsweise. Wäre nett. Ansonsten wünsche ich Ihnen viel Erfolg für Ihre Veranstaltung. Ich wäre ab Montag wieder in Zürich und für Sie erreichbar.

Mit bestem Gruß aus Sao Paulo
Walter De Gregorio
Direktor Kommunikation

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