Am 14. September wurde Netzwerk Recherche mit dem Werbund Label 2018 des Deutschen Werkbunds Baden-Württemberg ausgezeichnet.

Bei der Preisverleihung im Burda Media Tower in Offenburg forderte nr-Geschäftsführer Günter Bartsch, die Presse- und Meinungsfreiheit kämpferisch zu verteidigen. Journalisten und Öffentlichkeit dürften nicht zulassen, dass Medien diffamiert werden: “Lassen wir nicht zu, dass ein transparenter Umgang mit Fehlern als Eingeständnis einer Fälschung verleumdet wird. Lassen wir nicht zu, dass ein Verfassungsschutzpräsident Medien das Recht abspricht, zu berichten, was geschieht. Lassen wir nicht zu, dass sich dieser Verfassungsschutzpräsident hinterher damit herausreden kann, er habe das ja ganz anders gemeint.”

Das Werkbund Label wird für Projekte und Initiativen vergeben, die sich durch herausragende, innovative oder gestalterische Qualitäten und soziale oder politische Vorbildfunktion auszeichnen. Die Verleihung an das Netzwerk Recherche begründete die traditionsreiche Vereinigung von Gestaltern, kulturell-gesellschaftlich engagierten Personen, Selbstständigen und Unternehmen wie folgt: “Seit seiner Gründung 2001 befasst sich Netzwerk Recherche e.V. mit zentralen medienpolitischen Fragen und setzt sich für einen glaubwürdigen Journalismus ein durch Qualität, Handwerk und gute Rahmenbedingungen bei der Recherche unter Berücksichtigung der Chancen und Herausforderungen durch neue Technologien.” Weitere Preisträger 2018 sind Die Mitfahrerbank, die Fibr GmbH, die Glashütte Lamberts Waldsassen GmbH, das Online-Magazin Marlowes, die Druckwerkstatt p98a, das Immobilienentwicklungsunternehmen Senn, die Strandbeest-Kunstobjekte von Theo Jansen, die Architekturinitiative Transfer Wohnraum und das Projekt Warka Water.

Beitrag auf der Website des Deutschen Werkbunds

Die Rede von Günter Bartsch im Volltext:

Sehr geehrte Damen und Herren,

eigentlich wollte ich Ihnen von unserer Arbeit erzählen, von unseren tatsächlich ziemlich tollen Konferenzen und Projekten. Aber als ich mich gestern Abend in den Zug gesetzt habe, hatte ich den Eindruck, dass ich meine Redezeit für etwas Dringlicheres nutzen sollte. Was jetzt folgt, ist vielleicht so etwas wie ein Notruf.

Haltung ist ein Begriff, mit dem sich viele Journalisten schwer tun. Ich bin vor knapp 20 Jahren bei der Allgäuer Zeitung zum Redakteur ausgebildet worden. Dass Journalisten „objektiv“ berichten sollten, sich „nicht gemein machen“ sollten – das wurde mir früh eingeimpft. Und das ist natürlich auch heute nicht falsch. Aber mein Eindruck ist: das reicht nicht mehr. Auch wir Journalisten müssen kämpfen. Kämpfen, damit uns die Feinde der Demokratie ein Grundrecht – die Presse- und Meinungsfreiheit – nicht Stück für Stück zerstören.

Jürgen Braun von der AfD sprach gestern im Bundestag. An den Grünen-Abgeordneten Konstantin von Notz gerichtet sagte er:

„Wie können Sie allen Ernstes bestreiten, dass es Medienfälschungen gröbster Art unmittelbar nach Chemnitz und in den Tagen danach gegeben hat? Die ARD-Tagesthemen haben diese Fälschungen selber zugegeben, sie aber verschwurbelt einen ‘Fehler’ nur genannt, ein ‘Versehen’. Wo gezielt gröhlende Horden zusammengeschnitten worden sind mit friedlichen Demonstranten, um übelste Propaganda gegen freiheitlich denkende Menschen zu machen, die sich über einen Mord beklagt haben.“

Ich weiß nicht, ob Braun diese „freiheitlich denkenden Menschen“ hier meint:

Standbild aus einem Video von Felix Huesmann

Was er als „Medienfälschungen gröbster Art“ bezeichnet, weiß ich sehr wohl – in den Tagesthemen vom 2. September 2018 sagte Moderatorin Caren Miosga:

„Bei der Berichterstattung über die Kundgebungen in Chemnitz in den Tagesthemen gestern haben wir irrtümlich auch Bilder von der Demonstration am vergangenen Montag verwendet, ohne dies kenntlich zu machen. Wir bitten dies zu entschuldigen.“

Natürlich kann man sagen: ein übler Patzer, hätte den Profis bei den Tagesthemen nicht passieren dürfen. Gerade bei diesem Thema, hätten sie besondere Vorsicht walten lassen müssen. Aber „Medienfälschung“? Eine „Fälschung“, die tags darauf vor einem Millionenpublikum korrigiert wird? Im Ernst? Oder geht es hier um etwas ganz anderes?

Und natürlich kann man auch darüber streiten, ob es richtig war, dass die Tagesschau nicht über die tödliche Attacke eines Asylbewerbers auf einen Arzt hier in Offenburg berichtet hat. Ich finde, Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke hat gute Argumente vorgebracht, warum sie das nicht getan hat. Man kann aber auch anderer Meinung sein.

Kritik an Medien gehört zur DNA von Netzwerk Recherche – es ist kein Zufall, dass unsere Konferenzzeitung „Nestbeschmutzer“ heißt. Damit wollen wir zum Ausdruck bringen, wie wichtig ein selbstkritischer Diskurs ist. Es gibt einige ausgezeichnete Online-Magazine für Medienkritik, Übermedien.de und Bildblog.de zum Beispiel. Hier wird mitunter heftig Kritik geübt, nicht nur an der Bild-Zeitung.

Aber – und das ist der große Unterschied zur AfD: Hier werden Medien kritisiert, nicht diffamiert.

Und hier brauchen wir als Journalisten Ihre Unterstützung. Das ist ein Thema, das uns alle angeht – hier geht es an eine Säule unserer demokratischen Gesellschaft:

Lassen wir nicht zu, dass ein transparenter Umgang mit Fehlern als Eingeständnis einer Fälschung verleumdet wird.

Lassen wir nicht zu, dass ein Verfassungsschutzpräsident Medien das Recht abspricht, zu berichten, was geschieht. (Statt dass er seine Stimme erhebt gegen die tatsächlichen „Fake News“, also gezielte Falschmeldungen, die es ja zuhauf gibt.)

Lassen wir nicht zu, dass sich dieser Verfassungsschutzpräsident hinterher damit herausreden kann, er habe das ja ganz anders gemeint.

Ein Verfassungsschutzpräsident übrigens, der es für richtig hält, vor Gericht zu ziehen, um Reportern Informationen über einen NS-Kriegsverbrecher vorzuenthalten – und offenbar sogar damit droht, dafür zu sorgen, das Bundesarchivgesetz zu ändern, wenn das Gericht zu seinen Ungunsten entscheidet.

In diesem Sinne bin ich sehr dankbar für die Auszeichnung mit dem Werkbund Label – und nehme sie stolz auch im Namen aller Journalisten entgegen, die nach bestem Wissen und Gewissen ihre Arbeit machen, ausgewogen berichten – aber kritisch, mit Rückgrat und Haltung und oft gegen Widerstände – und die damit einen wichtigen Beitrag für eine freiheitliche und lebendige Demokratie leisten.

Vielen Dank.