Altes Prinzip im neuen Gewand: Das „Experiment“ Recherchekooperation – Redaktionsübergreifende Recherche ist derzeit en vogue. Aber ist sie wirklich journalistisches Neuland? Bericht aus zwei Veranstaltungen

Podium: „Mafia-in-Deutschland.de -eine Recherchekooperation von Spiegel, WAZ, WDR und IRPI“

Panel „Mafia-in-Deutschland.de – Eine Recherchekooperation von Spiegel, WDR, WAZ & IRPI“ mit Anna Maria Neifer, Cecilia Anesi, Jörg Diehl, David Schraven und Moderator Jochen Becker (v.l.n.r., Foto: Wulf Rohwedder)

Stellen zwei Journalisten unterschiedlicher Medien bei ihrer Recherche fest, dass sie am selben Thema dran sind, haben sie zwei Möglichkeiten: gegeneinander arbeiten, oder miteinander. Jörg Diehl und David Schraven haben sich entschlossen, die Geschichte „Mafia in Deutschland“ miteinander zu machen – „weil wir uns so gut kannten“, sagt Jörg Diehl, Chefreporter bei Spiegel Online. Beide Journalisten waren in der Recherche schon weit fortgeschritten. Gemeinsam mit WDR-Volontärin Anna Neifer hat Schraven im Recherchepool der Funke-Mediengruppe ein Dokument mit Mitgliedern und Kontakten der Mafia in Deutschland zusammengestellt. Diese Datenbank hat der Spiegel ausgewertet. Gemeinsam mit dem WDR-Format „die story“ konnten Neifer, Schraven und Diehl ihre Geschichte um die Mafia in Deutschland auf allen Kanälen streuen – im Internet, im Spiegel, im WDR. Als sich die Recherchen nach Italien ausweiteten, holte man Cecilia Arnesi von „Investigative Reporting Project Italy“ (IPRI) dazu.
„Mafia in Deutschland“ ist das Ergebnis einer einmaligen Kooperation zwischen befreundeten Journalisten, die zufällig am gleichen Thema dran waren. Die Komplexität der Geschichte forderte mehrere Köpfe, die exklusive Geschichte sollte multimedial aufbereitet werden.

 

Podium: Kooperationen: SZ, NDR und WDR – (un)Sinn und (Un(Zuverlässigkeit) von Recherchepartnerschaften

Panel „Kooperationen: SZ, NDR, WDR – (Un)Sinn und (Un)Zuverlässigkeit von Recherchepartnerschaften“ mit Hans Leyendecker, Jörg Eigendorf, Jakob Augstein, Lutz Marmor und Moderator Torsten Zarges (v.l.n.r.; Foto: Wulf Rohwedder)

Auch Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR wollen bei komplexen Geschichten „nicht mehr alleine marschieren“, wie Hans Leyendecker, Investigativ-Chef der SZ, es beschreibt. Sie wollen ihre Kräfte, die Zeit und Kompetenzen bündeln. „Wir wollen möglichst viel rauskriegen“, sagte Lutz Marmor, NDR-Intendant auf der nr-Jahrestagung. Ein löblicher Vorsatz. Doch in den vergangenen Wochen tauchte immer wieder Kritik an dieser Zusammenarbeit auf. Der Medienrechtler Thomas Hoeren warf der Kooperation im Focus vor, den Wettbewerb zu verzerren und sich gegenseitig zu subventionieren – ohne Geld, aber mit teuren, exklusiven Informationen. Auch Jörg Eigendorf, Chefreporter der WELT, und Jakob Augstein, Chefredakteur des Freitag, stellten wiederholt die Frage nach der juristischen Legitimation der Kooperation. „Wenn wir besser davon werden, ergibt das Sinn“, rechtfertigte Marmor die Kooperation.
Die Kooperation von SZ, NDR und WDR wurde mit Ernennung von Georg Mascolo zum Leiter im Februar festgezurrt – wenn auch ohne gemeinsamen Etat und ohne Vertrag, wie Marmor und Leyendecker immer wieder betonen. Der einzige Vertrag sei der von Mascolo, und dieser sei auf drei Jahre befristet, erklärt Marmor. Juristisch sei das völlig in Ordnung.

Recherchekooperationen sind ein fachlicher Austausch von Informationen, wie es ihn auch früher schon gegeben hat, wenn Journalisten aufeinander trafen. Heute wird dieser Austausch öffentlich gemacht, für eine höhere Aufmerksamkeit, weil die Entscheider in Redaktion und Verlag „sehen wollen, was sie für ihren Austausch kriegen“, sagte David Schraven von correctiv.org. Für Lutz Marmor vom NDR sind Kooperationen ein Experiment. „Nicht mehr und nicht weniger.“