Quellen, Hintergrundinformationen und Öffentliche Datenbanken finden, Informationsfreiheit nutzen

Illustration: Smaranda Tolosano für GIJN

Zum Original auf Englisch

Von Karol Ilagan

Die indische Journalistin Srishti Jaswal kannte ihre Quellen bereits zwei Jahre, bevor sie zu Schlüsselfiguren für die Interviews ihrer Recherche zu Propaganda von Indiens Regierungspartei wurden.

Um zu recherchieren, wie Narendra Modi’s Bharatiya Janata Partei (BJP) WhatsApp dazu nutzte, um Wahlkampf abseits öffentlicher Kontrolle zu führen, arbeitete die freie Journalistin und Pulitzer Center AI Accountibility Stipendiatin mit dem Digital Witness Lab der Princeton University zusammen. Obwohl die Recherche sich vor allem auf Daten stützte, profitierte sie von Jaswals langjähriger Beziehung mit ihren Quellen – denjenigen, die die Kampagne auf WhatsApp führten.

Quellen zu finden bedeutet nicht nur, nach Interviewpartner*innen zu suchen, sondern auch Vertrauen aufzubauen und Beziehungen zu pflegen.

„Ich denke viele Menschen haben nicht die Geduld, Quellen für einen langen Zeitraum zu pflegen. Aber Geduld und Zeit sind das Wichtigste. Indien ist derzeit so stark polarisiert, dass viele Journalist*innen sich nicht trauen, mit BJP-Quellen zu sprechen”, sagt die Journalistin auf die Frage, wie sie Quellen für ihre Recherche fand.

Jaswal nahm sich nicht nur Zeit, um mehr Informationen von Quellen zu erhalten, sondern auch, um eine professionelle Beziehung zu ihnen aufzubauen. Als sie die BJP-Mitarbeiter*innen kennenlernte, hatte sie die Recherche eigentlich noch gar nicht im Kopf – immerhin läuft die politische Propaganda in Indien, wie in vielen anderen Ländern auch, das ganze Jahr über. Sie war neugierig auf die Arbeit, die sie machen, und warum sie sie machen. Allmählich gewann sie ihr Vertrauen, und im Gegenzug erhielt sie Insiderwissen, die Art von Informationen, die investigative Reporter*innen haben wollen. Zu diesem Zeitpunkt standen die Wahlen, ein wichtiges politisches Ereignis, kurz bevor. Jaswal war perfekt positioniert, um über dieses Thema zu berichten.

Jaswals Erfahrung zeigt, dass es bei der Suche nach Quellen nicht nur darum geht, Interviewpartner*innen zu finden, sondern auch darum, Vertrauen aufzubauen und Beziehungen zu Menschen zu pflegen. Je mehr sie über die Welt dieser Menschen wusste, desto mehr Vertrauen und Respekt erwarb sie und desto leichter fiel es ihr, mehr über ihre Arbeit zu erfahren.

Letztlich ist die Beschaffung ein Prozess, der damit beginnt, dass wir uns Gedanken über unsere Ziele bei der Suche nach einer Quelle machen, und der auch dann noch weitergeht, wenn wir die Aufnahmetaste ausgeschaltet haben. In diesem Kapitel stellen wir eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Suche nach Quellen für eine Recherche und die Tipps und Werkzeuge für jede Phase vor.

 

Personen und Papierquellen identifizieren

Setze dir sich ein Ziel für die Suche nach einer Quelle. Nach der Definition von Mark Lee Hunter – die später von Eva Constantaras und Anastasia Valeeva für datengestützte Recherchen angepasst wurde – besteht eine Recherche aus folgenden Elementen:

  • Die Gegenwart (was jetzt geschieht oder das „Problem“);
  • Die Vergangenheit (wie wir zu diesem Punkt gekommen sind oder die „Ursache“); und
  • Die Zukunft (was passiert, wenn sich nichts ändert… und wie wir die Dinge zum Besseren wenden können, oder die Auswirkungen und Lösungen).

Diesem Rahmen folgend können wir Menschen und dokumentarische Quellen nach der Art der Informationen oder Beweise betrachten, die sie liefern können. Fallstudien, oft von Mitgliedern einer Community, die von Programmen und politischen Maßnahmen betroffen sind, werden häufig herangezogen, um die Auswirkungen einer Regierungspolitik oder eines Programms zu verstehen. Regierungsbeamte, Geschäftsinhaber*innen oder Personen, die zur Verantwortung gezogen werden müssen, werden unter die Lupe genommen, um die Ursachen zu ermitteln. Es können auch Expert*innen befragt werden, um die Auswirkungen und die Lösung des Problems in einer Geschichte zu erläutern.

Ein Beispiel: Die ehemalige Multimedia-Reporterin Cherry Salazar vom Philippine Center for Investigative Journalism (PCIJ) verbrachte mehrere Tage mit den Fischern der Küstendörfer in Batangas City, Philippinen, um zu erfahren, wie sich ihre Lebensweise durch Flüssigerdgasprojekte (LNG), die in ihren Fischgründen gebaut werden, verändert oder beeinträchtigt wird. Die LNG-Projekte werden in der Recherche als das Problem betrachtet.

Ihre Strategie, wie sie die Personen für ihre Interviews auswählt: „Ich versuche immer, eine überzeugende Persönlichkeit zu finden, die die Geschichte repräsentiert und vermenschlicht“. Wann immer möglich, bevorzuge ich auch Interviews, bei denen man ‚zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen’ kann.“

Salazars Hauptfigur in „Die letzten Fischer von Ilijan” war ein ortsansässiger Fischer, dessen Vorfahren ebenfalls Fischer waren, so dass er die Fischfänge vor und während des Baus der LNG-Terminals beschreiben und vergleichen konnte. Derselbe Interviewpartner sprach auch darüber, dass er aufgrund seines Alters nicht von den angebotenen Baujobs im Rahmen des Projekts profitieren konnte.

„Dieses Interview zeigte sowohl die Auswirkungen der LNG-Projekte auf die Fischer als auch die Tatsache, dass die alternativen Lebensgrundlagen, die sie angeblich bieten würden, praktisch nur symbolisch sind“, so die Journalistin.

Anschließend legte sie die „Ursache“ dar, indem sie Dokumente und Daten mit Interviews mit Expert*innen und Regierungsbeamten verknüpfte, um zu beschreiben, wie die philippinische Regierung sich um erneuerbare Energien herum windet.

Die Idee ist einfach, aber die Festlegung klarer Ziele oder das Wissen um die Art der Informationen, die wir von Quellen erhalten können, kann uns helfen, Strategien für die Suche und den Umgang mit ihnen zu entwickeln.I nterviews, wie sie Salazar mit Fischern und Jaswal mit Arbeitern geführt haben, erfordern viel Zeit, damit sich die Quellen darauf einstellen können, mit den Reporter*innen zu sprechen. Expert*inneninterviews hingegen können während der gesamten Recherche geführt werden, insbesondere dann, wenn neue Erkenntnisse vorliegen.

Interviews zur Konfrontation Verantwortlicher hingegen müssen wie Interviews von Regierungsbeamten oder privaten Unternehmen durchgeführt werden, nachdem eine umfangreiche Recherche stattgefunden hat.

 

Sucht nach ‘Aktuellen’, ‘Ehemaligen’ und Whistleblowern, aber seid vorsichtig damit.

In dem Buch „The Investigative Reporter’s Handbook: A Guide to Documents, Databases, and Techniques“ (Handbuch für investigative Reporter: Dokumente, Datenbanken und Techniken) unterteilt Brant Houston potenzielle Quellen in ‘Aktuelle’ und ‘Ehemalige’. Aktuelle sind Personen, die einer Organisation angehören oder mit ihr in geschäftlichem Kontakt stehen, z. B. aktuelle Sekretär*innen, Mitarbeiter*innen oder Lieferant*innen, Auftragnehmer*innen und Berater*innen. ihr sind relativ leicht über Website-Verzeichnisse oder durch Journalist*innen, die täglich über Agenturen berichten, zu finden. Ehemalige sind diejenigen, die einer Organisation angehörten oder mit ihr zu tun hatten.

Die Kenntnis über Umfang und Grenzen der Informationen, die diese beiden Quellen liefern könnten, sowie ihre Beweggründe, sich zu äußern, sollten den*die Journalist*innen bei der Planung und Durchführung der Interviews helfen.

Ein Beispiel: Wir recherchieren zum Vorwurf der Angebotsmanipulation bei staatlichen Straßenbauprojekten, die in den Zuständigkeitsbereich eines hochrangigen Beamten fallen. Ehemalige Auftragnehmer*innen sind viel eher bereit, frei über ihre Erfahrungen bei der Ausschreibung von Projekten zu sprechen, aber sie sind möglicherweise nicht in die aktuellen Entwicklungen im Vergabeverfahren eingeweiht. Derzeitige Auftragnehmer*innen hingegen sind wahrscheinlich vorsichtig, wenn sie mit Journalist*innen sprechen, oder sie stimmen zu, nur „im Hintergrund“ zu sprechen oder wenn sie nicht namentlich genannt werden. Das Wissen um diese Szenarien bzw. darum, was Menschen durch ein Interview gewinnen oder verlieren könnten, hilft Journalist*innen, sich an Quellen zu wenden.

Eine andere Art von Quelle sind Whistleblower, die entweder ein*e „aktuelle*r“ oder ein*e „ehemalige*r“ Informant*in sein kann. Houston beschreibt sie als Personen, die entweder „Aufmerksamkeit suchen oder sich selbst unfreiwillig im Rampenlicht wiederfinden, weil sie von Fehlverhalten wissen“. Die Aufdeckung von Fehlverhalten von Regierungen oder Unternehmen ist wichtig, aber das Ausmaß des Whistleblowing in den einzelnen Ländern ist unterschiedlich, da nicht alle Länder über Gesetze zum Schutz von Whistleblowern verfügen, insbesondere in Demokratien mit beschränkten Rechten.

Altruistische Whistleblower können tatsächlich korrekte Informationen liefern, aber wie bei allen Belegen muss man diese mit mehreren Quellen verifizieren. Andere wiederum könnten ihre Behauptungen absichtlich falsch oder irreführend formulieren, weil sie Hintergedanken haben. Sie wollen sich entweder rächen, sind verärgert oder deinen Ruf schädigen. In jedem Fall müssen Journalist*innen, die auf diese Art von Quellen stoßen oder von ihnen angesprochen werden, sich klar machen, dass sie ihre Behauptungen überprüfen müssen.

Eine „Denkweise der Dokumente”. Investigative Berichterstattung ist eine ständige Übung in mehrfacher Beschaffung und Verifikation. Wenn Journalist*innen Personen befragen, müssen sie Unterlagen einsehen. Gleichzeitig müssen die Journalist*innen bei der Durchsicht von Dokumenten ihre Ergebnisse mit Hilfe von Expert*innen verifizieren. So baut man gewissermaßen eine „Mauer“ aus Beweisen, bei der Dokumente und Daten wie die Ziegelsteine sind, die zum Bau der Mauer benötigt werden, während Interviews der Mörtel sind, der die Ziegelsteine zusammenhält und die Mauer intakt hält. Recherchen können sich in der Regel nicht alleine auf Aussagen oder Anektoden aus Interviews stützen. Das gleiche gilt für Dokumente – denn wie Menschen können auch Dokumente lügen.

Der von dem investigativen Reporter-Duo Donald L. Barlett und James B. Steele geprägte Begriff „documents state of mind“ bedeutet, dass man weiß, dass irgendwo ein Dokument existiert, das jeden Punkt einer Recherche erforscht, widerlegt oder bestätigt.

Wenn ein Beamter auf einer Pressekonferenz behauptet, dass Straßenbauprojekte die Landwirte aus der Armut befreit haben, muss ein*e Journalist*in in der Lage sein, die Unterlagen zu finden und zu beschaffen, die für den Nachweis oder die Widerlegung dieser Behauptung erforderlich sind. Do kann man zum Beispiel Dokumente wie Verträge, landwirtschaftliche Erträge, Profile von Landwirten und Daten zur Armutsinzidenz einholen.

Im Folgenden sammeln wir einige Ideen, wie man Dokumente beschafft. Man kann diese nach Quellen entweder von der Regierung oder von Nichtregierungsorganisationen (NGO) oder von Privatpersonen unterteilen.

Zugang zu Informationen ist ein Menschenrecht. Obwohl es rechtlich keine Garantien dafür gibt, schaffen einige Journalist*innen es, Zugang zu Dokumenten zu bekommen.

Regierungsebene

  • Lokale Regierungsbehörden oder Ministerien
  • Strafverfolgungsbehörden
  • Gerichte
  • Nationale Archive
  • Aktienmärkte oder Agenturen, die Unternehmen regulieren

Andere gesellschaftliche Gruppen

  • Zivilgesellschaftliche Gruppen
  • Internationale Organisationen oder Non-Profits
  • Akademische Wissenschaftler*innen
  • Kommerzielle Datenbanken
  • Eigentums-Datenbanken

Und natürlich über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG).

Von Beamt*innen zur Verfügung gestellte Dokumente sind zwar prinzipiell gut, aber man darf sich nicht ausschließlich auf sie verlassen. Denkt daran, dass es sich dabei um Dokumente handelt, die uns zur Verfügung gestellt werden und die für unsere Recherche oft nur von geringem Wert sein können. Investigativ arbeitende Reporter*innen müssen darüber hinaus die benötigten Unterlagen recherchieren und entsprechende Anträge stellen. Dies kann in Form von Anfragen nach öffentlichen Unterlagen oder in Ländern, in denen es Gesetze zur Informationsfreiheit gibt, in Form von IFG-Anfragen geschehen. In vielen Ländern ist dies vielleicht eine der grundlegendsten und dennoch unterschätzten Fähigkeiten von Journalist*innen.

David Cuillier und Charles N. Davis haben in ihrem Buch „The Art of Access: Strategies for Acquiring Public Records“ einen umfassenden Leitfaden zusammengestellt. Für Anfänger*innen ist es wichtig, die Rechte der Informationsfreiheit zu kennen. Zwar gibt es nicht in allen Ländern IFG-Gesetze, aber das Recht auf Information ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verankert. Der Zugang zu Informationen ist also ein grundlegendes Menschenrecht. Obwohl es rechtlich keine Garantien dafür gibt, schaffen einige Journalist*innen es, Zugang zu Dokumenten zu bekommen. Die Versuche sind nicht immer erfolgreich, aber Journalist*innen sollten sich davon nicht abhalten lassen, es zu versuchen.

Weitere Informationen finden ihr im globalen Leitfaden von GIJN zu Freedom of Information (FOI)  sowie im Praxishandbuch Auskunftsreche von Netzwerk Recherche.

 

Quellen finden

Sobald das Ziel einer Recherche klar ist, kann man sich auf verschiedene Arten auf die Suche nach Quellen machen. Welche Tools und Vorgehensweisen man nimmt, ist je nach Art der Recherche unterschiedlich, aber hier findet ihr einige allgemeine Tipps, die für angehende investigative Reporter*innen nützlich sein können.

Andere Rechechen lesen. Schaut euch sowohl lokale als auch internationale Recherchen an, um Quellen zu finden. Auch wenn die aktuelle Recherche sich mit einem lokalen Thema beschäftigt, können Beispiele aus anderen Ländern Hinweise darauf geben, welche Arten von Quellen andere Journalist*innen genutzt haben. Auf diese Weise kann man auch herausfinden, was bereits über das Thema berichtet wurde.

Eine Bestandsaufnahme des aktuellen Forschungsstandes machen und akademische Quellen suchen. In den meisten Fällen haben Wissenschaftler*innen bereits ausführlich über das gleiche oder ein ähnliches Thema geschrieben. Die Forscher*innen selbst sind potenziell gute Quellen, weil sie helfen können, den Stand der Dinge zu verstehen, oder neue Erkenntnisse liefern, die andere Quellen nicht liefern können. Dies gilt natürlich auch für Geschichten, die technisches Wissen erfordern.

Bei der Zusammenarbeit zwischen PCIJ und NBC News, die eine Verbindung zwischen der Gefährdung der unberührten Regenwälder in Palawan, Philippinen, und Autoherstellern in den USA aufdeckte, sprachen Andrew W. Lehren und sein Reporter*innenteam in New York City mit einem Experten für Wasserqualität und einem Professor für Bodenkunde, um das Risiko eines hohen Chromatgehalts im Wasser zu erklären. Damit konnten sie Berichte von Menschen, die mit dem Wasser in Berührung gekommen waren, bestätigen und so dazu beitragen, dass etwas gegen die Kontamination unternommen wird.

Zivilgesellschaft als Ansprechpartner nutzen. Organisationen der Zivilgesellschaft oder NGOs recherchieren in der Regel für ihre eigenen Kampagnen. Das können Quellen sein, aber sie können Journalist*innen auch dabei helfen, mit Mitgliedern der Communities in Kontakt zu treten, die von einem Regierungsprojekt oder -programm betroffen sind. Auch wenn nichts dagegen spricht, sich direkt an eine Quelle zu wenden, kann eine kurze E-Mail oder ein Text, in dem ein*e Reporter*in mit einem Vorsitzenden des Bauernvereins oder einem Mitglied einer indigenen Gruppe bekannt gemacht wird, sehr hilfreich sein und dazu beitragen, dass man Journalist mit der richtigen Person in Kontakt kommt – insbesondere bei Themen, bei denen die Mitglieder der Community gespalten sind. Organisationen der Zivilgesellschaft sind längst zu einer beliebten Quelle für Reporter*innen geworden, aber es gilt immer noch die allgemeine Regel, dass alle Informationen überprüft werden müssen.

 

Tipp: In Ländern, in denen es schwierig ist, öffentliche Informationen zu erhalten, sollten man sich an Mitglieder von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder NGOs wenden, die von Regierungsbehörden zu einer bestimmten Politik oder einem bestimmten Programm konsultiert wurden. Diese können ihrerseits Informationen oder Einblicke geben, die sonst nur schwer durch formelle Anfragen bei der Regierung zu erhalten wären.

 

Falls möglich Crowdsourcing nutzen. Bei Geschichten, die eine bestimmte Bevölkerungsgruppe betreffen, z. B. Wanderarbeiter*innen, Radfaher*innen, etc., kann der Beitritt zu entsprechenden Gruppen auf Facebook oder Messaging-Plattformen eine gute Möglichkeit sein, Quellen zu finden, die sonst schwer zu finden wären. Die Strategien für Crowdsourcing unterscheiden sich je nach Art der Geschichte. In Fällen, in denen ein*e Journalist*in geografisch eingeschränkt ist, funktioniert Crowdsourcing im Internet am besten – aber Journalist*innen müssen sich in diesem Szenario in der Regel richtig vorstellen und ihren Zweck offenlegen. Bei Geschichten, die mit Cyberkriminalität oder illegalen Online-Aktivitäten zu tun haben, müssen Journalist*innen bei der Suche nach Gesprächspartner*innen jedoch Vorsicht walten lassen. Dazu kann auch die Verwendung von Pseudo-Konten gehören, um die Privatsphäre der Interviewpartner*innen zu schützen. Reporter*innen, die an einer cross-border Recherche zur Aufdeckung digitaler Sexualverbrechen in Asien beteiligt waren, verwendeten beispielsweise alternative Benutzerprofile, um Quellen zu finden und Online-Aktivitäten zu beobachten.

Wenn man eine solche Recherchen machen will, sollte man zunächst mit dem*der zuständigen Redakteur*in oder Anwält*in Rücksprache halten, bevor man Dummy-Konten erstellt, um sicherzustellen, dass dies nicht gegen lokale Vorschriften verstößt.

Tipp: Mach dir die Grenzen des Crowdsourcing bewusst. Die Online-Suche nach Quellen funktioniert nicht immer. Einige Quellen werden entmutigt, sobald sie erfahren, dass man Journalist*in sind. Es empfiehlt sich daher, Crowdsourcing mit anderen Methoden der Quellensuche zu kombinieren

Netzwerk an Quellen erweitern. Es ist großartig, ein Netzwerk von Quellen aufbauen zu können. Aber auch wenn sich die Dinge überschlagen, sollten Reporter*innen danach streben, nach Quellen zu suchen, die neue und differenzierte Perspektiven zu einem Thema bieten können. Es hilft, die Komfortzone der üblichen Quellen auch mal zu verlassen.

Man sollte bei jedem Rechercheschritt darauf achten, die Gleichstellung der Geschlechter und der sozialen Inklusion (GESI-Ansatz) mitzudenken um sicherzugehen, dass die Recherche ungehörte Stimmen verstärkt. So sind beispielsweise die Ansprechpartner*innen für infrastruktur- und technologiebezogene Geschichten oft männlich. Aber Inklusion verleiht einer Geschichte Tiefe, macht sie vollständiger oder verändert sie sogar zum Besseren.

Nehmen wir an, ein*e Journalist*in arbeitet an einer Geschichte über den Aufstieg von „Smart Cities“ im globalen Süden, wo die meisten grundlegenden Bedürfnisse der lokalen Community noch immer nicht erfüllt sind (Smart Cities nutzen moderne Informations- und Kommunikationstechnologie, um ihre Infrastruktur zu verbessern). Die Anwendung des GESI-Ansatzes auf diese Geschichte könnte bedeuten, dass man sich bemüht, eine Bauingenieurin zu finden, auch wenn männliche Bauingenieure leichter zu erreichen sind. Beide können zwar umfangreiches Fachwissen zu diesem Thema vorweisen, aber es gibt Probleme, die eine Ingenieurin in der Regel sofort erkennen kann, ein Ingenieur jedoch nicht, wie z. B. den Bedarf an mehr Platz für Toiletten in einer Einrichtung oder an geeigneten Gehwegen. Mütter benötigen geräumige öffentliche Toiletten, um die Bedürfnisse ihrer Kinder bequem zu erfüllen, und da in vielen Kulturen die Mehrheit der Frauen kein Auto fährt, sind geeignete Gehwege wichtig.

Tipp: Überprüfe und erweitere deine Kontaktliste. Suche nach Expert*innen aus unterrepräsentierten Gruppen.

Hintergrundquellen

Hintergrundinformationen über Quellen sind der Schlüssel zum Erfolg eines Interviews. Wenn man eine Quelle gefunden oder ein Interview mit ihr vereinbart hat, können Recherchen und die Erstellung eines Profils über diese Quelle für die Interviewstrategie hilfreich sein. In vielen Fällen kann eine solide Hintergrundrecherche dem*der Journalist*in helfen, die von den Quellen gelieferten Informationen zu überprüfen.

Hintergrundinformationen lassen sich am besten erstellen, wenn die Online-Recherche durch Informationen ergänzt wird, die von anderen Personen oder aus dokumentarischen Quellen stammen, die nicht online verfügbar sind.

Im Folgenden zeigen wir euch einige allgemeine Hilfsmittel und Tipps für die Hintergrundrecherche von Quellen:

Sucht online nach mehreren Quellen. Das Schlüsselwort ist hier „mehrere“. Wir wissen, dass nicht alles, was im Internet verbreitet wird, korrekt ist. Wenn wir uns also nicht auf eine einzige Quelle verlassen, haben wir einen guten Start für unsere Hintergrundrecherche. Das bedeutet, dass wir Informationen über unsere Quellen in offenen Netzwerken sammeln, z. B. in Artikeln oder anderen Materialien, die im Internet veröffentlicht wurden, einschließlich Konten in sozialen Medien, Kommentarabschnitten eines Nachrichtenartikels oder sogar an unüblichen Orten wie Spieleplattformen.

Die Journalistin Salazar empfiehlt Boolesche Suchen (Suchen nach Wahrheitswerten) in sozialen Medien und Suchmaschinen, um die Profile, Zugehörigkeiten und öffentlichen Äußerungen von Interviewpartner*innen zu überprüfen.

„Hintergrundrecherchen helfen dabei, potenzielle Vorurteile und Motivationen zu erkennen. Welchen Nutzen hätte die Quelle von dem Interview? Will sie das Bewusstsein für ihre Anliegen schärfen oder in den Medien präsent sein, um ihre Karriere oder ihr politisches Ansehen zu verbessern? Auch das sind wichtige Überlegungen“, sagt Salazar.

Einige grundlegende Tools, die Journalist*innen in ihrem Werkzeugkasten für Hintergrundrecherchen haben sollten:

 

Who posted what?

Whopostedwhat.com ist ein Tool zur Stichwortsuche, mit dem Reporter*innen nach Posts, Bildern und Videos nach Datum und Thema auf Facebook suchen können. Das von Henk van Ess, Daniel Endresz, Dan Nemec und Tormund Gerhardsen entwickelte Tool bietet eine Möglichkeit, Facebook systematisch zu durchsuchen, das aufgrund der Nutzeraktivitäten riesige Mengen an Daten erhält. Man sollte es als Filter nutzen um zu suchen,wer über ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Frage gepostet hat.

 

WhatsMyName

Diese App sucht nach einem Benutzernamen auf fast 600 verschiedenen Online-Plattformen. Im folgenden Beispiel erscheint der Benutzername „@MannyPacquiao“ des ehemaligen philippinischen Senators Manny Pacquiao auf mindestens 63 Websites. Man sollte diese App mit Vorsicht nutzen, da wir nicht davon ausgehen können, dass alle angezeigten Konten tatsächlich mit dem pensionierten Profiboxer in Verbindung stehen, aber sie kann nützlich sein, um Hintergrundinformationen zu erhalten und Verbindungen über seine politischen oder sportlichen Aktivitäten hinaus zu finden.

Wayback-Machine

Das gemeinnützige Internet Archive hat die Wayback Machine entwickelt, um eine digitale Bibliothek von Internetseiten aufzubauen. Die 1996 eingerichtete Website archiviert jeden Tag mehr als eine Milliarde Webseiten. Dies ist für Journalist*innen nützlich, wenn sie nach Informationen zu einem Thema suchen, die möglicherweise gelöscht wurden.

Durchsucht die sozialen Medien. GIJN hat verschiedene Ressourcen für die Hintergrundrecherche von Personen zusammengestellt. Ein aktueller Leitfaden für die Online-Recherche ist der siebenteilige Leitfaden von Hank van Ess, der beschreibt, wie man Facebook, Instagram, LinkedIn, TikTok, Telegram und X nutzt, um Informationen über Personen und Personengruppen online zu sammeln. Van Ess hat auch ein Kapitel über den Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien und bewährte Verfahren für die Kombination dieser Tools zur Überprüfung von Online-Ansprüchen verfasst.

 

Recherchiert offline und stellt Anfragen für Unterlagen. Hintergrundinformationen lassen sich am besten ermitteln, wenn die Online-Recherche durch Informationen ergänzt wird, die von anderen Personen oder aus dokumentarischen Quellen stammen, die nicht online verfügbar sind. Wenn ihr mit Journalist*innen sprecht, die über das gleiche Thema berichtet haben oder sich mit einem bestimmten Thema befasst haben, kann das zusätzliche Erkenntnisse über die persönlichen und beruflichen Angelegenheiten einer Person liefern, zum Beispiel zu ihrem familiären Hintergrunds, geschäftlichen Verbindungen, Freund*innen oder persönlichen Interessen.

Je nach Art der Recherche ist das Einreichen von Anträgen auf Einsicht in öffentliche Unterlagen ebenfalls eine gute Möglichkeit, ein Profil einer Person zu erstellen. Hier findet ihr einen GIJN-Leitfaden zum Einreichen von IFG-Anfragen. Hier gibt es außerdem ein Handbuch von Netzwerk Recherche zum Thema. Bei Amtsträger*innen sollten Reporter*innen zumindest Vermögenserklärungen, Lebensläufe, Gerichtsverfahren und Berichte über Wahlkampffinanzen einholen. Wenn die Personen geschäftliche Verbindungen haben, sollten die Reporter*innen auch Unternehmensunterlagen, Finanzberichte und Kopien von Verträgen anfordern.

 

GIJN-Redakteur Rowan Philp hat einen hervorragenden Leitfaden für die Recherche zu  Wahlkandidat*innen zusammengestellt.

Über Privatpersonen, die ein Unternehmen besitzen oder geschäftliche Beziehungen haben, können einige Informationen durch die Beschaffung von Unterlagen über die Aktivitäten ihrer Unternehmen oder Geschäftseinheiten gefunden werden, wenn diese über die Regierung reguliert werden. Dazu gehören Unternehmenslizenzen und -registrierungen, allgemeine Informationsblätter, Jahresabschlüsse, Gerichtsakten und schwarze Listen. In der Regel sind diese Informationen bei den für die Regulierung von Unternehmen zuständigen Behörden, Gerichten oder Beschaffungsämtern erhältlich, sofern diese Unterlagen öffentlich zugänglich sind.

 

Beziehungen zu Quellen aufbauen

Die Beziehung, die ein*e Journalist*in zu seinen/ihren Quellen aufbaut, ist für den Erfolg einer Recherche von entscheidender Bedeutung und hängt weitgehend von der Art der Geschichte ab, über die wir berichten. Die Beziehung von Journalist*innen zu Quellen aus der Community ist in der Regel anders als zu Personen, die zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Journalistin Jaswal empfiehlt, sich bei der Suche nach Quellen von Neugier leiten zu lassen. Als sie für ihre Geschichte „Inside the BJP’s WhatsApp Machine“ mit BJP-Mitarbeitern sprach, hat sie ihren Quellen nie unmittelbar eine Verantwortung unterstellt: „Ich bin immer mit Neugier an sie herangegangen. Wann immer ich sie traf, sagte ich ihnen, dass ich einfach nur neugierig auf [ihre] Arbeit bin. Ich habe nie versucht, sie zu belehren. Ich habe nie versucht, ihnen zu sagen, dass es falsch sei, was sie tun. Ich habe sie also nie dafür verurteilt, dass sie ihre Arbeit machen.”

Denjenigen, die zur Verantwortung gezogen werden müssen, muss man eine faire Chance geben, indem man ihnen ausreichend Zeit für eine Antwort gibt – ohne Überraschungen. Keine Überraschungen bedeutet, dass die betreffenden Personen genau wissen, was in der Story enthüllt wird.

Die Journalistin Cherry Salazar, sagt, dass oft unterschätzt wird, wie wichtig es ist, eine angenehme Interviewatmosphäre zu schaffen. Quellen, die bereit sind, vertrauliche Informationen weiterzugeben, müssen sich in einer Umgebung befinden, die sie als sicher empfinden. Quellen, die möglicherweise im Umgang mit Journalist*innen zurückhaltend sind, müssen das Gefühl haben, dass das Interview für sie notwendig ist, um Informationen weiterzugeben oder auf Fragen zu antworten. Das bedeutet nicht, dass das Interview herablassend oder unkritisch sein muss, aber es sollte frei von Vorurteilen und Feindseligkeit sein.

„Dies gilt auch für normale Bürger*innen die sich die Zeit nehmen, einen privaten Aspekt ihres Lebens zu teilen. Zugang zu den Kämpfen einer Person [durch Interviews] zu haben, bedeutet für mich auch, Zeugnis abzulegen. Und das ist ein Privileg, das wir als Journalist*innen haben. Sie verdienen es, dass man ihnen zuhört“, so Salazar.

Beispiele

Blind Trust, von Kateryna Rodak und Nataliya Onysko, NGL.media, März 2023

Diese Recherche von Kateryna Rodak und Nataliya Onysko von NGL.media deckte ärztliche Fehler auf, die zum Verlust des Augenlichts von 22 Ukrainer*innen führten. Angetrieben durch zahlreiche Interviews nutzten die Reporterinnen ihre beruflichen und sozialen Fähigkeiten, um Ärzt*innee und andere Zeug*innen zum Reden zu bewegen. Damit konnten sie aufdecken, dass Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens in einigen Fällen Geld einsteckten, indem sie teure Medikamente durch billigere oder gefälschte Versionen ersetzten und den Patienten die Originalmedikamente in Rechnung stellten.

 

Geheime Korridore, von Joseph Poliszuk, Ma. Antonieta Segovia, und María de los Ángeles Ramírez, Armando.info, Januar 2022

Im Jahr 2022 setzten das venezolanische investigative Nachrichtenportal Armando.info und die spanische Publikation El País maschinelles Lernen ein, um ein riesiges Netzwerk illegaler Bergbauunternehmen im Süden Venezuelas zu identifizieren und aufzudecken. Die Recherche wurde auf der 13. Global Investigative Journalism Conference, die im September 2023 in Schweden stattfand, mit dem Global Shining Light Award (Kategorie Large Outlets) ausgezeichnet. Der Einsatz innovativer Tools wurde bei der Recherche hervorgehoben, aber die sorgfältige Spurensuche bon Maria de los Angeles Ramirez vor Ort war ebenso entscheidend für die Geschichte und konnte überprüfen, was das Team in der Datenbank entdeckte.

 

Stolen Privacy: The Rise of Image-Based Abuse in Asia, von Raquel Carvalho, South China Morning Post, Mai 2023

Diese Serie von Recherchen untersucht die verschiedenen Ebenen des Missbrauchs von Bildern in mehreren asiatischen Ländern. Die Reporterin der South China Morning Post, Raquel Carvalho, wägt sorgfältig ab, ob es notwendig ist, Informationen von Opfern und Überlebenden einzuholen und zu überprüfen, und stellt gleichzeitig sicher, dass sie nicht erneut viktimisiert werden.

—-

Karol Ilagan ist eine philippinische Journalistin und Dozentin für Journalismus. Bevor sie der Fakultät der University of the Philippines Diliman beitrat, leitete sie Recherchen und Kooperationsprojekte am Philippine Center for Investigative Journalism, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Manila. Gegenwärtig unterrichtet sie investigative Recherche und Datenjournalismus. Ihr Forschungsinteresse gilt der digitalen Disruption, der Nachhaltigkeit der Medien und der journalistischen Innovation in eingeschränkten Demokratien. Ilagan ist Mitglied des International Consortium of Investigative Journalists und war Stipendiatin in den Netzwerken Rainforest Investigations und AI Accountability des Pulitzer Centers. Sie ist außerdem Absolventin der University of Missouri Columbia, wo sie Fulbright-Stipendiatin war.