Foto: Nikolia Apostolou. Idomeni, Griechenland. 2016 saßen Tausende von Geflüchteten, die nach Westeuropa wollten, an den Grenzen Nordgriechenlands fest.

Durch die russische Invasion in der Ukraine reden wir im öffentlichen Diskurs wieder über die unterschiedliche Behandlung von Geflüchteten und Asylbewerber:innen auf der ganzen Welt. In nur wenigen Monaten haben mehr als 6,5 Millionen Menschen außerhalb der Ukraine Zuflucht gesucht und konnten legal in Nachbarstaaten einreisen, in denen sie mit viel Unterstützung empfangen wurden.

Doch viele der rund 31 Millionen Geflüchteten und Asylsuchenden, die der United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) vor dem Einmarsch Russlands zählte – aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Südsudan, Venezuela und Myanmar – sind gezwungen, auf gefährlichen Routen zu flüchten, um Länder zu erreichen, in denen sie Schutz suchen können. Auf dem Weg dorthin sind sie oft Ausbeutung, Missbrauch und teils Menschenhandel durch Schlepper und kriminelle Gruppen ausgesetzt und erleben harte Grenzpolitik und Gewalt durch staatliche Sicherheitskräfte.

All das spielt sich oft in Grenzregionen ab, die schwer zugänglich sind. Die Betroffenen haben häufig weder einen klaren Rechtsstatus noch die Unterstützung ihrer Heimatländer. Gleichzeitig ist Migration ein polarisierendes Thema, das oft in bewussten Fehlinformationen und politischer Hysterie endet. Das Thema ist ebenso untrennbar mit Diplomatie und internationalem Dialog über die anhaltenden Auswirkungen von Rassismus und Kolonialismus verbunden und dem Machtungleichgewicht zwischen dem globalen Süden und Norden.

Die Möglichkeiten für Recherchen und Stories zum Thema Migration sind jedoch vielfältig: Korruption bei Programmen zur Neuansiedlung von Geflüchteten, Profiteure des Menschenschmuggels, das Schicksal von Menschen, die auf See vermisst werden oder Menschenrechtsverletzungen an (Außen-)Grenzen.

Bei dieser Art von Recherche kommen viele Tools und Techniken des Investigativjournalismus zum Einsatz: systematische, gründliche Berichterstattung, öffentliche Aufzeichnungen und Daten prüfen und zuverlässige Quellen suchen. Der Kontext, in dem diese Themen im Zusammenhang mit Flucht und Asyl stehen, birgt jedoch Herausforderungen und potenzielle Fallstricke. Deswegen hat der preisgekrönte Journalist Eric Reidy für uns die besten Tipps und Hinweise zum Thema zusammengetragen:

Beachte Richtlinien zum Thema Trauma

Dieser Punkt ist sowieso grundlegend, aber im Zusammenhang mit Geflüchteten und Asylbewerber:innen besonders wichtig: Die Erfahrungen, die Menschen dazu zwingen, aus ihrer Heimat zu fliehen, sind traumatisch, und Geflüchtete sind oft weiteren Traumata und Misshandlungen auf ihrer Fluchtroute ausgesetzt. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein und sensibel damit umzugehen.

Daher ist es wichtig, bei Interviews und Hintergrundgesprächen mit Geflüchteten und Asylsuchenden sogenannte trauma-informed Techniken zur Berichterstattung zu befolgen. Im Internet gibt es zahlreiche Leitfäden, Guides und Webinare, die als hilfreiche Ressourcen dienen können.

Realistische Erwartungen mit deinen Quellen besprechen

Dieser Punkt ist besonders wichtig, wenn man mit Menschen spricht, die sich in einer prekären Situation befinden – wie viele Asylbewerber:innen. Ich habe zum Beispiel sowohl sehr offene als auch zurückhaltende Geflüchtete angetroffen. Die Antworten, die ich zu hören bekommen habe, reichten von „Bitte erzähl unsere Geschichte, damit die Welt weiß, was passiert und uns helfen kann“ bis hin zu „Warum sollte ich meine Geschichte teilen?! Ich habe schon mit so vielen Journalist:innen gesprochen und es hat sich nichts geändert.“

Bei solchen Vorbehalten ist es verlockend, Versprechungen darüber zu machen, was für einen Unterschied eine Geschichte machen kann. In Wirklichkeit funktionieren die Dinge aber selten so. Wenn wir Ergebnisse versprechen, die wir nicht garantieren können, wecken wir nur falsche Hoffnungen – die zu Enttäuschung und Wut führen. Es ist viel besser, ehrlich zu sein, wenn auch nicht unverblümt. Sag ganz offen, dass du dein Bestes gibst, um den Erfahrungen, die deine Quellen mit dir teilen, gerecht zu werden, aber dass du dir auch der Grenzen unseres Berufs bewusst bist. In den meisten Fällen habe ich die Erfahrung gemacht, dass Offenheit Vertrauen schafft und dazu führt, dass die Menschen eher bereit sind, zu sprechen.

Ein Mann trägt Gemüse im Flüchtlingslager M’bera im Südosten Mauretaniens. Foto: Jose Cendon / EU-Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe (Creative Commons)
 

Mach dich mit dem rechtlichen Rahmen vertraut

Die Genfer Flüchtlingskonvention der UN von 1951 und das dazugehörige Protokoll von 1967 bilden die rechtlichen Grundlagen zum internationalen Schutz von Geflüchteten. Weitere wichtige Grundsätze sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und im humanitären Völkerrecht enthalten. Zusammengenommen geben diese Rechtsgrundsätze und -normen den Menschen ein klares Recht, vor Krieg und Verfolgung in ihrem Heimatland zu fliehen und in anderen Staaten Schutz zu suchen. Entscheidend ist auch, dass sie Staaten verbieten, Asylbewerber:innen und Flüchtende in Länder zurückzuschicken, in denen ihnen Gefahr oder Verfolgung droht.

Allerdings sind nicht alle Staaten den UN-Konventionen beigetreten, und einige Länder haben innerstaatliche Rechtsvorschriften entwickelt, um den Schutz unter verschiedenen Umständen zu erweitern oder einzuschränken. Insgesamt ist die Einhaltung des Flüchtlingsrechts aufgrund der begrenzten Zuständigkeit der nationalen Gerichte und der Unwirksamkeit internationaler Gerichte oft schwer durchzusetzen. Das bedeutet, dass sich Geflüchtete und Asylbewerber:innen trotz des vorgesehenen Schutzes häufig in einer rechtlichen Sackgasse wiederfinden. Die Befragung von Expert:innen, Anwält:innen und NGOs kann dir helfen, dich zurechtzufinden und festzustellen, ob gegen Konventionen oder Gesetze verstoßen wurde.

Lerne Terminologie und Begriffe

Laut der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 trifft der Begriff Flüchtling auf die Person zu, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.“ Umgangssprachlich wird der Begriff jedoch für jede:n verwendet, der:die vor Krieg oder Verfolgung flieht. Asylbewerber:innen hingegen sind Geflüchtete, die ihre Heimat auf der Suche nach Schutz verlassen haben, deren Status aber noch nicht von der UNO oder einem Aufnahmeland anerkannt wurde. Migrant:in hingegen ist ein Sammelbegriff für Menschen, die aus verschiedenen Gründen Staatsgrenzen überschreiten.

Die Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, sind jedoch komplex und lassen sich nicht so einfach kategorisieren. Die Terminologie, die sich auf Menschen bezieht, die Grenzen überschreiten, ist politisch aufgeladen und wird oft zur Entmenschlichung verwendet. Letzten Endes haben geflüchtete, Asylsuchende und Migrant:innen alle individuelle Erfahrungen und Geschichten, und es ist wichtig, die Terminologie, mit der sie kategorisiert werden, zu verstehen, um zu vermeiden, dass entmenschlichende Narrative fortgeschrieben werden.

people walking on street during daytimeSzenen aus Tijuana in Mexiko. Foto: @barbarazandoval // Unsplash Licence

Zuverlässige Daten ausfindig machen und kritisch untersuchen

Geflüchtete überschreiten Grenzen oft inoffiziell, wodurch es schwierig ist, verlässliche Daten von NGOs oder anderen unabhängigen Gruppen zu finden, die Auskunft darüber geben, wie viele Menschen auf der Flucht sind und was dabei mit ihnen geschieht. Das UNHCR sammelt Statistiken über Vertreibung und Flüchtlingsbewegungen weltweit, und die Internationale Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen sammelt Daten über Menschen, die während der Migration sterben oder verschwinden. Beide Organisationen veröffentlichen wöchentliche, monatliche und jährliche Übersichten und Berichte, um Migrations-„Trends“ zu verfolgen. Regierungsbehörden (wie Innenministerien) sammeln ebenfalls Informationen über irreguläre Migration und Grenzkontrollen.

Es ist jedoch wichtig, solche Daten kritisch zu betrachten, da sie oft nur eine Momentaufnahme des Geschehens darstellen, häufig Lücken enthalten und in einer Weise präsentiert werden können, die die Interessen der internationalen Organisationen oder Regierungsbehörden, die sie sammeln, fördert. So wird beispielsweise die Tatsache, dass es derzeit 100 Millionen gewaltsam vertriebene Menschen auf der Welt gibt, eine oft zitierte Statistik des UNHCR sein. Mehr als die Hälfte davon sind Binnenvertriebene, für die ein völlig anderer Rechtsrahmen gilt als für Geflüchtete und Asylbewerber:innen.

In ähnlicher Weise sammelt die US-Grenzpatrouille Daten über „Vollstreckungsbegegnungen“ (enforcement encounters), gibt aber nicht an, wie viele dieser Begegnungen Menschen betreffen, die mehr als einmal versuchen, die Grenze zu überqueren, was das Bild natürlich verzerrt.

Follow the Money

Sowohl für humanitäre Hilfe als auch für Bemühungen von Regierungen zur Kontrolle der Migration werden enorme Summen Geld ausgegeben. Das bedeutet unweigerlich, dass Korruption, Verschwendung, falsche Mittelverwendung und Betrug vorkommen können. Journalist:innen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Hilfsorganisationen, Regierungen und internationale Institutionen zur Rechenschaft zu ziehen. Das Aufspüren von Geldern in öffentlich zugänglichen Datenbanken, die viele Regierungen und Geberinstitutionen unterhalten müssen, kann ordentlich Material für Ermittlungen liefern. Es gibt auch zahlreiche NGOs und investigative Journalist:innen, wie z. B. StateWatch, The Transnational Institute und Lighthouse Reports, die als Watchdogs fungieren und Aufschluss darüber geben, wie Gelder (falsch) ausgegeben werden, wer davon profitiert und wie spezielle Interessengruppen die Politik beeinflussen.

So viel wie möglich vor Ort berichten

Zwar kannst du einen großen Teil der Recherchearbeit aus der Ferne leisten, indem du Daten sichtest und Quellen durchforstet, aber es ist auch wichtig, vor Ort zu berichten. Wie bereits erwähnt, sind Investigationen zum Thema Flucht oft mit Aktionen verbunden, die in abgelegenen Grenzregionen stattfinden. Aus der Ferne kann es aber schwierig sein, sich ein klares Bild von den Geschehnissen zu machen, und der Mangel an verlässlichen Daten oder „Fake News“ können das Bild noch weiter verschleiern. Der sicherste Weg, hier Abhilfe zu schaffen, ist, in die Grenzregionen zu reisen und direkt mit den Menschen zu sprechen, die das Geschehen aus erster Hand beobachten. Eine Reportage von Der Spiegel und Lighthouse Reports, die die Verwicklung europäischer Sicherheitskräfte in Menschenrechtsverletzungen an den EU-Außengrenzen aufgedeckt hat, ist ein gutes Beispiel für die Art von investigativer Arbeit, die vor Ort geleistet werden kann.

Syrischen Geflüchteten wird der Zugang zum Keleti-Bahnhof in Budapest, Ungarn, verwehrt. Bild: Michael Gubi (Creative Commons)
 

(Aggregierte) Daten sind dein Freund

Wenn es um Orte geht, von denen aus schwer zu berichten ist, zum Beispiel weil Regierungen Journalist:innen den Zugang verwehren oder bewaffnete Gruppen das Gelände bewachen, können aggregierte Daten ein äußerst hilfreiches Werkzeug sein, um herauszufinden, was vor sich geht. Aggregierte Daten (Makrodaten) fassen eine Vielzahl an Einzelbeobachtungen (Mikrodaten) in einem einzigen Wert zusammen. Es gibt tolle Beispiele für investigative Berichterstattung, bei der diese Technik eingesetzt wird, um Informationen über Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete und Asylbewerber:innen an den EU-Außengrenzen aufzudecken.

Eine einzelne Zeugenaussage aus einer abgelegenen Grenzregion kann schwer zu verifizieren sein. Aber Dutzende oder Hunderte ähnlicher Aussagen, die im Laufe der Zeit gesammelt werden, können ein klares Verhaltensmuster aufzeigen, das genutzt werden kann, um Missstände aufzudecken und darauf zu drängen, dass die Täter:innen zur Rechenschaft gezogen werden.

Bloß keine Analogien zu Naturkatastrophen herstellen

Ich bin bei weitem nicht die erste Person, die diesen Punkt anspricht, aber es lohnt sich, ihn zu wiederholen. Wenn Menschen gewaltsam vertrieben werden und beginnen, Grenzen zu überqueren, tauchen unweigerlich Schlagzeilen auf, in denen von „Fluten“ oder „Wellen“ die Rede ist, die Gebiete „überschwemmen“ oder „überwältigen“. Diese Analogien entmenschlichen Flüchtende und Asylsuchende, indem sie sie mit zerstörerischen Naturgewalten gleichsetzen und als ein Problem darstellen, das in Schach gehalten werden sollte. Dies wiederum kann flüchtlingsfeindliche Gefühle oder fremdenfeindlichen Extremismus schüren und den Weg für eine entsprechende Politik ebnen.

Wenn du dir der Sprache bewusst bist, die du bei der Berichterstattung über Geflüchtete verwendest und nicht voreingenommen bist oder Ängste schürst, kannst du die Menschen, über die du berichtest, auch menschlich darstellen und dazu beitragen, dass dein Journalismus die Einfluss hat oder dafür sorgt, dass Dinge sich zum Guten verändern.

 

Der Autor

Eric Reidy ist ein preisgekrönter Journalist und verantwortlicher Redakteur für das Thema Migration bei der gemeinnützigen Organisation New Humanitarian, einer unabhängigen Nachrichtenorganisation und GIJN-Mitglied, das sich auf die milliardenschwere Nothilfeindustrie konzentriert. Reidy hat in den letzten acht Jahren ausführlich über Migration berichtet, u.a. am Mittelmeer, an der Grenze der USA zu Mexiko, und weltweit.

Dieser Guide wurde übersetzt und redaktionell bearbeitet von Greta Linde.

Der Text wurde im Original auf Englisch bei GIJN unter den GIJN Creative Commons Richtlinien publiziert.