Leuchtturmpreisträger 2009: Reporterpool von NDR Info
Laudator: Georg Mascolo, Spiegel-Chefredakteur

Ich bedanke mich für die Gelegenheit, hier heute die Laudatio auf die diesjährigen Preisträger des „Leuchtturms” halten zu dürfen.

Das gibt mir Gelegenheit, ein paar Dinge loszuwerden, die mir besonders am Herzen liegen. Allzu lange, das kann ich Ihnen versprechen, wird es nicht dauern. 2:30 sind im Radiojournalismus bekanntlich das Maß der Dinge. Ich werde mir erlauben, die Zeit zu verdoppeln.
Zu ehren habe ich heute die Journalisten des NDR-Reporterpools, die seit vier Jahren für den Hörfunk im Norden arbeiten.

Sechs fest angestellte Redakteure und eine Anzahl freier Mitarbeiter gehören dem Pool an. Die Freien werden, um umfassend recherchieren zu können, pauschal und nicht per Beitrag bezahlt. Das ist ungewöhnlich, aber gerecht, notwendig und vernünftig. Denn allzu häufig werden noch immer jene Journalisten finanziell belohnt, die ganz bequem Pressemitteilungen umformulieren und – wenn überhaupt – dazu noch schnell die Stimmen von Betroffenen einholen. Damit lassen sich auch Sendeminuten füllen ohne großen Aufwand, aber dennoch gut bezahlt. Deshalb ist es so wichtig, dass all die Journalisten ermuntert werden, die abseits des Mainstreams, abseits der lancierten Meldungen, abseits der Wünsche von PR-Leuten eigene Themen suchen, Zusammenhänge finden und den Hörer mit eigenen Geschichten überraschen.

Das tut der Reporterpool und deshalb hat er sich diese Auszeichnung verdient. Die Recherchen über Waffenhandel in Afghanistan, rechtsextremistische Umtriebe in Norddeutschland, Bluttests bei Firmen oder Skandale der HSH Nordbank haben bundesweit Schlagzeilen gemacht.

Als Hörer des Programms war ich häufig gefesselt von diesen Geschichten. Als Chefredakteur habe ich mehr als einmal gedacht: Warum haben wir das eigentlich nicht? Herzlichen Glückwunsch also, liebe Kollegen, seien Sie stolz auf Ihre Arbeit. Ich bin es.

Damit könnte ich zum versprochenen schnellen Ende kommen, wenn es nicht noch eine weitere Gratulation vorzunehmen gäbe. Und auch eine Ermahnung auszusprechen.

Die Ehrung geht an den Norddeutschen Rundfunk, der Mut und Weitblick besessen hat, etwas Ungewöhnliches zu wagen. Journalisten einfach machen zu lassen, ohne sie per Organigramm und Stellenausschreibung in ein von Redaktionsmanagern erdachtes Format zu pressen. Herausgekommen sind übrigens mehr – vor allem aber bessere Beiträge. Wenn es doch nur immer so vernünftig im öffentlich-rechtlichen System zugehen würde …

Die Ermahnung gilt unserem Berufsstand. Ein Reporterpool wie jener des NDR gehörte bislang in diesem Land nicht automatisch zu den Favoriten einer Auszeichnung wie dem Leuchtturm. So erinnert uns der Erfolg der diesjährigen Preisträger an unsere ureigenste Aufgabe.

Der Journalist muss neugierig, er muss gründlich und ehrgeizig sein.

Er darf die wahre Aufgabe seines Berufes nicht vernachlässigen – und das ist, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wir bekommen unser Geld für unsere Neugierde.

Ja, manchmal mag es an Zeit fehlen. Aber zu oft ist es auch nur Bequemlichkeit. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum heute so gern vom „investigativen Journalismus” geschwärmt wird, ein Begriff der inzwischen so inflationär genutzt wird, dass damit auch schon ein zweites Telefonat gemeint sein könnte.
Die Suche nach Unbekanntem, die Aufklärung eines Sachverhaltes, die nötige Distanz und Skepsis braucht es immer. Ich nenne das Recherche. Ohne diese Leidenschaft, den Wunsch Nachrichten zu machen anstatt ihnen hinterherzulaufen, geht es nicht. Nur wer sich für den mühsamen Weg entscheidet, wird dafür auch belohnt. Er wird zum Anlaufpunkt für Informanten, zum Empfänger brisanter Unterlagen. Egal ob es die Süddeutsche Zeitung ist oder jetzt der NDR-Reporterpool oder mein Haus, der SPIEGEL, – wir alle profitieren vom Engagement und der Leidenschaft der einzelnen Mitarbeiter.

Die Fleißigen, die Hartnäckigen, die Unerbittlichen sind es, die den Erfolg unserer Unternehmungen ausmachen. Nachrichten seien heute nichts mehr wert, frei verfügbar, heißt es inzwischen gern. Das ist falsch. Fakten sind der Rohstoff unserer Branche und sie sind schwer zu ermitteln, sie müssen mühsam zusammengetragen werden, sie taugen nicht zur Massenproduktion.

So bitte ich alle hier, Intendanten und Chefredakteure, Kollegen, Verlagsmanager und Volontäre von der Auszeichnung heute Abend etwas zu lernen. Was der NDR-Reporterpool geleistet hat, das müssen Sie auch wollen. Das müssen auch Sie können. Und Sie müssen es möglich machen. Schon damit hier im nächsten Jahr ein anderer geehrt werden kann.

Zum Laudator:

Der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Georg Mascolo, hält 2009 die Laudatio auf die Träger des von Netzwerk Recherche e.V. vergebenen „Leuchtturms”.
Georg Mascolo, geboren am 26. Oktober 1964 in Stadthagen, ist seit Februar 2008 gemeinsam mit Mathias Müller von Blumencron Chefredakteur des Spiegel. Er trat damit die Nachfolge für Stefan Aust an.
Mascolo begann seine Arbeit in der Spiegel-Gruppe 1988. Damals verfasste er für Spiegel TV Berichte und Dokumentationen, vor allem über das Ende der DDR und die Wiedervereinigung. 1992 wechselte er zum Magazin, wo er später stellvertretender Leiter des Berliner Büros und danach Leiter des Deutschland-Ressorts in Hamburg war. Im August 2004 ging er als politischer Korrespondent für den Spiegel nach Washington. Von Juli 2007 an leitete er zusammen mit Dirk Kurbjuweit das Hauptstadtbüro in Berlin.
Zu seinen bedeutendsten Recherche-Ergebnissen zählt die Plutonium-Affäre des Bundesnachrichtendienstes (1995). Mascolo ist Gründungsmitglied der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche e.V.