Leuchtturm-Preisträger 2013: Michael Obert und Moises Saman
Laudator: Egmont R. Koch, Vorstand Netzwerk Recherche

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Netzwerk Recherche ehrt in diesem Jahr Michael Obert und Moises Saman für eine außergewöhnliche Reportage mit dem Leuchtturm. Ich darf Moises hier in Köln herzlich begrüßen, Michael Obert ist leider verhindert, weil er heute auf dem Internationalen Dokumentarfilm-Festival in Amsterdam seinen ersten Kinodokumentarfilm vorstellt.
“Im Reich des Todes” heißt ihre Reportage, die nach aufwendigen Vor-Recherchen auf einer 18-tägigen Reise durch den nördlichen Sinai entstand.
Dort haben Beduinenstämme einen mörderischen Entführungsapparat aufgebaut, es herrschen Gesetzlosigkeit und Unmenschlichkeit. Die Opfer sind vor allem Flüchtlinge aus dem diktatorisch regierten Eritrea am Roten Meer, die nach Norden in den Sudan fliehen, dort von bewaffneten Banden entführt und weiterverkauft, schließlich wie Vieh in Geflügeltransporter gepfercht über die Suez-Kanal-Brücke in den Sinai verschleppt werden. Sie landen in versteckten Camps der Beduinen, wo die Folterknechte ihnen glühende Nägel durch die Hände schlagen, sie mit kochendem Wasser übergiessen, mit Stromschlägen quälen, ihre Extremitäten verstümmeln, die Frauen brutal vergewaltigen. Sie sollen die Telefonnummern ihrer engsten Angehörigen in Eritrea preisgeben. Die werden dann von den Menschenhändlern angerufen und mit den Geräuschen brechender Knochen und den markerschütternden Schreien ihrer Brüder, Schwestern, Kinder konfrontiert – und mit Lösegeldforderungen.
Es ist gewissermaßen eine Liveschaltung in die Hölle. Für 30.000 oder 40.000 Dollar, überwiesen per Western Union aus Eritrea, überleben die Opfer als körperliche Krüppel und menschliche Wracks – wenn sie überleben. Falls keiner aus der Heimat zahlt oder zahlen kann, werden die Geiseln getötet und verrotten in der Wüste. Bis zu 7.000 Flüchtlinge sollen in den Folterkammern der Beduinen misshandelt worden, 4.000 davon umgekommen sein; 1.000 Eritreer sollen sich noch in der Gewalt der Banden befinden.
Wir blicken in der Geschichte, die uns Michael Obert und Moises Saman erzählen und für die das SZ-Magazin dankenswerterweise ein komplettes Heft frei geräumt hat, in einen Abgrund. Wir hatten keine Ahnung davon, was sich dort im Sinai abspielt. “Weil die Welt diese Menschen nicht zu Gesicht bekommt und kaum jemand ihre Geschichte kennt, können ihre Kidnapper sie ungehindert weiter foltern”, schreiben die Autoren. Sie geben diesen Menschen ein Gesicht. Ihnen ist es gelungen, das Vertrauen von Opfern aber auch Tätern zu gewinnen, vor allem ihres Protagonisten, eines 28-jährigen Informatikers, dem sie den Decknamen Selomon gegeben haben. Er konnte sich nach Zahlung eines Lösegeldes aus Eritrea nach Israel durchschlagen, lebt jetzt als unwillkommener Migrant in Tel Aviv. Obert und Saman haben sein Schicksal rekonstruiert, haben die Camps der Beduinen aufgespürt, sind unter Lebensgefahr in die no-go-areas gefahren. Sie berichten darüber in Wort und Bild – ohne Pathos, aber mit klarer Haltung. Das ist aller Ehren wert! Wir zollen höchsten kollegialen und menschlichen Respekt für diese Reportage, die geradezu ein Paradebeispiel für aufrüttelnden und mutigen Journalismus darstellt.
Die Resonanz, so erzählte mir Michael Obert vor zwei Wochen, sei überwältigend gewesen. Das sagt auch etwas über die Relevanz der Reportage
aus. Das Auswärtige Amt hat sich eingeschaltet, vielleicht kommt etwas in Bewegung, auch wenn die politischen Verhältnisse in Ägypten, in dessen
Hinterhof sich das Drama abspielt, zur Zeit nicht ganz einfach sind. Hinzu kommt, dass die Beduinen ihr Handwerk nach eigenem Bekenntnis in
Mubaraks Verliesen lernten, die Foltercamps also ein Erbe des alten Regimes sind; und das scheint in Kairo ja gerade wieder Oberwasser gewonnen zu haben.
Michael Obert erhielt unzählige Spendenangebote für den Protagonisten Selomon, darunter eine Großspende von 100.000 Euro. Er bedarf mit seinen
verstümmelten Händen dringend der Behandlung und einem prothetischem Ersatz seiner Hände. Ein deutscher Chirurg hat ihn inzwischen in Tel Aviv getroffen und untersucht, er will ihn hier operieren. Aber noch ist nicht geklärt, mit welchem Status Selomon als eritreischer Flüchtling nach Deutschland einreisen und bleiben dürfte. Oder würde er nach überstandener Operation zurück geschickt? In seiner Heimat gäbe es kein Mitleid für sein Schicksal. Ihm drohten staatliche Repressalien, weil er sich abgesetzt hat. Und auch seine Dorfgemeinschaft hat ihn verstoßen, weil sie erst Geld für seine Flucht zusammenlegte – und dann noch einmal Geld für seine Rettung zusammenlegen musste. Er könne sich dort, sagt Obert, nicht mehr sehen lassen.

Wenn sich die beiden Reporter jetzt um Selomons Schicksal kümmern und die Hilfe für ihren Protagonisten organisieren, dann mag das zwar der
journalistischen Regel widersprechen, sich nicht mit einer Sache gemein zu machen, auch nicht mit einer guten. Aber das dürfe kein Dogma sein, sagt
Obert. Für ihn sei das Engagement nach der abgeschlossenen Berichterstattung ganz einfach eine Frage der Menschlichkeit.
Herzlichen Glückwunsch!

Let me add a few words in English for Moises. Netzwerk Recherche honors your story about the torture camps in the Sinai. We pay the highest respect, that you managed to gain the trust of victims and perpetrators, that you tracked down the camps in the no-go areas of the Sinai, that you took the enormous risks for your own safety and that you ended up with a remarkable insight into the world of the Bedouin torturers and their victims. Thank you – and congratulations!