Leucht­turm 2017 für Armin Wolf

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 23. Mai 2017 | Lese­zeit ca. 9 Min.

„Der Leucht­turm für beson­dere publi­zis­ti­sche Leis­tungen der Jour­na­lis­ten­ver­ei­ni­gung Netz­werk Recherche geht in diesem Jahr an den öster­rei­chi­schen TV-​Jour­na­listen Armin Wolf. Er mode­riert seit 2002 das Nach­rich­ten­ma­gazin „ZiB 2“ im ORF und ist seit 2010 stell­ver­tre­tender Chef­re­dak­teur der TV-​Infor­ma­tion des öffent­lich-​recht­li­chen Sen­ders.

Wolf erhält den Preis für seine uner­schro­ckene und hart­nä­ckige Art der Inter­view­füh­rung. Er akzep­tiert keine Flos­keln oder aus­wei­chende State­ments, son­dern besteht auf kon­krete Ant­worten. Sein Credo: „Ich sehe mich als Stell­ver­treter unserer Zuseher – und kon­fron­tiere Poli­tiker mit kri­ti­schen Fragen, Gegen­ar­gu­menten und Wider­spruch. Danach sind wir im Ide­al­fall alle infor­mierter: über das Thema und auch den Poli­tiker.“ Das miss­fällt man­chem Poli­tiker, aber auch Funk­tio­nären seines eigenen Sen­ders, die den Poli­ti­kern nahe­stehen. Immer wieder atta­ckieren sie Wolf in aller Öffent­lich­keit. Den­noch bleibt er seinem Stil treu und lässt sich nicht ein­schüch­tern.

So wurden er – und seine Sen­dung – nicht nur in Öster­reich zu einer Insti­tu­tion für kri­ti­schen und unab­hän­gigen Jour­na­lismus. In den sozialen Medien erreicht Wolf mit seinen Tweets und Face­book-​Ein­trägen so viele Men­schen wie kein anderer Jour­na­list in Öster­reich.

Julia Stein, die Vor­sit­zende von Netz­werk Recherche: „Wir ehren Armin Wolf für seine klare Hal­tung, seine Kom­pe­tenz, aber auch seinen per­ma­nenten Dialog mit seinen Zuschaue­rinnen und Zuschauern in den sozialen Medien. Des­halb steht er in vor­bild­li­cher Weise für Trans­pa­renz und Glaub­wür­dig­keit im Jour­na­lismus. Und leistet damit einen wert­vollen Bei­trag gegen den Ver­trau­ens­ver­lust von Medien.“

Ver­geben wird die Aus­zeich­nung auf der zwei­tä­gigen Jah­res­kon­fe­renz von Netz­werk Recherche beim NDR in Ham­burg. Die Ver­lei­hung findet am 9. Juni 2017 um 14 Uhr statt, die Lau­datio hält die Jour­na­listin Fran­ziska Aug­stein von der Süd­deut­schen Zei­tung.

Der Leucht­turm wird seit 2002 jähr­lich ver­geben. Im ver­gan­genen Jahr ging er an den tür­ki­schen Jour­na­listen Can Dündar für seinen Kampf um die Pres­se­frei­heit in der Türkei.

Lau­datio von Fran­ziska Aug­stein

Leucht­turm­preis­träger 2017: Armin Wolf, öster­rei­chi­scher TV-​Jour­na­list
Lau­da­torin: Fran­ziska Aug­stein

Ham­burg, 9. Juni 2017

Lieber Armin Wolf, liebe Kol­legen, liebe Freunde!

Armin Wolf ist der Sohn eines Mannes, der von Beruf Haus­meister war, und seine Mutter war Lebens­mit­tel­ver­käu­ferin. Beide Eltern waren poli­tisch bzw. gewerk­schaft­lich enga­giert. Das hat auf den Sohn, der ver­mut­lich ein Schlüs­sel­kind war, abge­färbt. Wir können nicht raten, was es Armin Wolfs Eltern gekostet hat – weniger an Geld, son­dern mehr an see­li­schem Ein­satz – ihn etwas lernen zu lassen. Am Ende hat er sogar stu­diert und 2005 eine Dis­ser­ta­tion abge­legt. Sie trägt als Ober-​Titel das Wort „Promi-​Politik“.

Da, 2005, war Armin Wolf aber schon längst ein bekannter Jour­na­list in Öster­reich. Ja, er ist Öster­reichs bekann­tester Fernseh-​Mode­rator. Er befragt Gäste in der Sen­dung „Zeit im Bild“. Er twit­tert ohne Ende und ist auf Face­book ohne Ende. Macht ihm das Spaß? Nein, es macht ihm keinen Spaß. Das Telefon, findet er, war eine nütz­liche Erfin­dung – so wie das Fahrrad und die Cur­ry­wurst. Aber das Internet? Oje.

Armin Wolf fragt nach. Anders als deut­sche Fern­seh­mo­de­ra­toren hat er es geschafft, ein­zu­richten, was in Deutsch­land so gut wie aus­ge­schlossen ist, es sei denn, die Kanz­lerin wäre zu Gast: Gespräche eins zu eins. Ein Gast sitzt im Studio und redet mit Armin Wolf. Und der Mode­rator ist gut vor­be­reitet, sehr gut vor­be­reitet. Er fragt höf­lich, aber er insis­tiert.

Legendär wurde sein Gespräch mit Karl-​Heinz Grasser im Jahr 2003. Grasser war damals Finanz­mi­nister, er war bei der FPÖ und wech­selte im anste­henden Wahl­kampf über zur Öster­rei­chi­schen Volks­partei. Wolf fragt nach, welche Partei Grasser nun wählen werde. Grasser wollte nicht ant­worten. Armin Wolf fragte nach, mehr­mals – das kannte man bis dahin im öster­rei­chi­schen Fern­sehen eigent­lich nicht.

Nach­fragen: Das ist Armin Wolfs Sache. Er sagt: „Ich stelle ja keine Fragen, weil mir lang­weilig ist. Ich stelle Fragen, die ich mir lange vorher über­lege. Die würde würde ich nicht stellen, wenn mich nicht die Ant­wort inter­es­sieren würde. Wenn ich aber keine Ant­wort bekomme, ver­suche ich es noch mal.“

Armin Wolf ist in gewisser Weise die öster­rei­chi­sche Ant­wort auf Jeremy Paxman. Dieser bri­ti­sche Fern­seh­jour­na­list wurde 1997 berühmt damit, dass er in einem TV-​Inter­view dem dama­ligen bri­ti­schen Innen­mi­nister zwölf mal die­selbe Frage stellte. Gran­dios war das. Angeb­lich ver­hielt sich die Sache aller­dings damals so: Eine Ein­spie­lung eines Film­chens funk­tio­nierte nicht, wor­aufhin die Regie Paxman bat, das Gespräch hin­aus­zu­zö­gern – was er dann auch tat, indem er seine eine Frage mal um mal wie­der­holte. Ob diese Geschichte nun stimmt oder nicht: Armin Wolf fragt nach, weil er eine Ant­wort haben will. Und Wolf fragt nicht aggressiv. Er ist immer höf­lich zu seinen Stu­dio­gästen. Und er fragt immer zur Sache.

Und: Armin Wolf bereitet sich gewis­sen­haft vor auf seine Inter­views. Unzu­ver­läs­sigen Quellen zufolge macht er die Pla­nung für ein Gespräch im Kaf­fee­haus. Wenn nebenan eine Bombe ein­schlagen würde, wird erzählt: er würde es nicht mit­be­kommen. Des­halb kann er im Studio vor den Fern­seh­ka­meras einem Men­schen allein begegnen: Er weiß immer, wovon er redet. Er braucht keine von seiner Redak­tion, die er übri­gens nicht hat, für ihn prä­pa­rierten Kärt­chen, von denen er Fragen abliest. Statt­dessen hat er sich schon mal gegen Ende einer Mode­ra­tion auf seinen Tisch gelegt, oder er kam in Bade­schlappen. Das Publikum ist Wolf wichtig. Er will ihm zeigen: „Hey, das hat mit eurem Leben zu tun“, wovon wir hier reden. Also: Bade­schlappen.

Hinzu kommt, und das mag mit Armin Wolfs Kind­heit zu tun haben, mit seinen gewerk­schaft­lich inter­es­sierten Eltern, dass er alle Leute ernst nimmt, die ihm Kom­men­tare schreiben. Ja, wie er sagt, ant­wortet er ihnen allen. Das ist rar unter Jour­na­listen. Und das ist schön. Er wün­sche sich nur, hat er neu­lich geschrieben, dass die Leute ihn nicht beschimpfen. Das ist näm­lich nicht bloß gemein und unge­recht­fer­tigt, das ist fad.

In Deutsch­land wäre das, was Armin Wolf macht, kaum denkbar, da werden aller­meis­tens so viele Gäste in eine Talk­show ein­ge­laden, dass am Ende nur ein großes Sprech-​Tohu­wa­bohu dabei her­aus­kommt. ARD und ZDF – von den anderen rede ich jetzt gar nicht – pro­du­zieren Talk­shows, die von den Redak­tionen vor allem auf die Ein­schalt­quoten hin geprüft werden. Der Gehalt der Gespräche ist eher Neben­sache. Das ist ver­wun­der­lich ange­sichts der Tat­sache, daß jeder Bürger in Deutsch­land für Fern­sehen und Radio Geld zahlen muss, einerlei, ob er oder sie einen Fern­seher oder ein Radio­gerät besitzt. Man möchte denken: Mit dem vielen Geld wären die öffent­lich-​recht­li­chen Sender in der Lage ein gutes Pro­gramm zu machen, ein Pro­gramm mit Talk­shows, in denen nicht boß streit­haft gebrab­belt wird. Das ist offenbar nicht der Fall. Im Gegen­teil: Die Ein­nahmen aus Gebühren sind, so zum Bei­spiel beim NDR, gesunken. Nur aus Sicht des strikt ver­deckt arbei­tenden Minis­te­riums für ange­wandten Blöd­sinn, dessen Exis­tenz leider erst noch bewiesen werden muss, wurden mit dieser Neu­re­ge­lung der Gebüh­ren­zah­lungen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Sender müssen ihre Bud­gets zusam­men­strei­chen und viele Bun­des­bürger sind auf­ge­bracht.

Wenn man Armin Wolfs Sen­dungen anschaut, fragt man sich, warum so ein Inter­view: zu zweit, in Deutsch­land nicht mög­lich ist. Mög­li­cher­weise ist es eine Macht­frage. Mög­li­cher­weise reden in Deutsch­land so viele Leute drein, dass kein Mode­rator ver­nünftig arbeiten kann. In Öster­reich herrscht aber auch der fette Filz. Der­zeit herrscht in Öster­reich die Staat gewor­dene große Koali­tion, wo alle mit allen mau­scheln. Armin Wolf steht außer­halb der Mau­a­schel­struk­turen.

Einige Leute im ORF und etliche Poli­tiker haben keine Freude an Armin Wolf. Manche sähen ihn gern abge­setzt. Und hier erweist sich, dass das Internet doch seinen Nutzen hat. Armin Wolfs Ein­träge auf Twitter und Face­book errei­chen 600 000 Leser. Das ist unge­fähr soviel, wie die zwei füh­renden Bou­le­vard­zei­tungen an Auf­lage vor­weisen. So jemanden kann man nicht ein­fach absägen. Dann gäbe es so etwas wie den Auf­stand der Basis.

Es gibt ja viele Arten und Sorten von Jour­na­listen: solche, die wun­der­bare Repor­tagen schreiben, solche, die wun­der­bare Kom­men­tare schreiben, solche, die wun­der­bare Ent­hül­lungs­stücke schreiben. Der Leit­ar­tikel galt einmal als der Dia­mant des Jour­na­lismus. Heute werden die inves­ti­ga­tiven Stücke als Dia­manten gehan­delt. Und mit Repor­tagen ver­dient man sich immer noch die meisten Preise. Es ist gut, wenn es nun einen Preis für einen Inter­viewer gibt – nicht für irgend­einen Inter­viewer, son­dern für einen Inter­viewer, der zugleich Kom­men­tator und Reporter und Auf­de­cker ist. Ein guter Jour­na­list ist näm­lich nicht nur ein­fach ein Reporter, ein Kom­men­tator, ein Auf­de­cker – er ist, in ver­schie­denen Anteilen, alles dieses. Bei Armin Wolf kann man das beson­ders schön beob­achten: Er ist ein inves­ti­ga­tiver Inter­viewer, er ist ein kom­men­tie­render Inter­viewer, er ist repor­tie­render Inter­viewer – kurz: er ist ein Jour­na­list. Er ist kein Lehrer, der abfragt, kein Gschaftl­huber, der sich im Inter­view selbst pro­du­ziert, er macht sein Geschäft ad per­sonam, wie es das Wesen des Inter­views ist, aber er macht es um der Sache willen, also ad rem. Und er macht das des­halb so gut, weil er reden kann.

Dass Jour­na­listen schreiben können müssen, ist selbst­ver­ständ­lich. Dass sie auch reden können, ist nicht selbst­ver­ständ­lich. Armin Wolf kann es auf ganz selbst­ver­ständ­liche Weise. Wäre er eine Frau, dann dürfte man nicht sagen, dass er auch noch ganz gut aus­sieht. Weil er ein Mann ist und das Gut­aus­se­hehen in der Politik neu­er­dings ein Thema ist, darf man das sagen. Es schadet nicht – wenn man daraus kein sol­ches Trara macht wie etwa der Herr Kurz, Öster­reichs Außen­mi­nister von der ÖVP mit Aspi­ra­tion auf die Kanz­ler­schaft. Wolf ist glück­li­cher­weise schon um einiges älter als dieser Jung­spund, der hof­fent­lich nicht öster­rei­chi­scher Kanzler wird, und viel­leicht tragen ja ein paar gelun­gene Inter­views von Armin Wolf dazu bei. Armin Wolf hat näm­lich die Berufs-​ und Lebens­er­fah­rung, die Herrn Kurz fehlt. Lebens­er­fah­rung – sie gehört zu einem guten Jour­na­listen ebenso wie ein paar der soge­nannten Sekun­där­tu­genden, über die Wolf ver­fügt: Er ist fleißig, er ist aus­dau­ernd, er kniet sich in seine Arbeit; und man spürt und sieht, dass sie ihm Freude macht.

Des­halb ver­leihen wir von Netz­werk Recherche ihm mit Freude den Leucht­turm­preis. Ganz herz­li­chen Glück­wunsch, Herr Wolf!

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