Leuchtturmpreisträger 2017: Armin Wolf, österreichischer TV-Journalist
Laudatorin: Franziska Augstein
Hamburg, 9. Juni 2017
Lieber Armin Wolf, liebe Kollegen, liebe Freunde!
Armin Wolf ist der Sohn eines Mannes, der von Beruf Hausmeister war, und seine Mutter war Lebensmittelverkäuferin. Beide Eltern waren politisch bzw. gewerkschaftlich engagiert. Das hat auf den Sohn, der vermutlich ein Schlüsselkind war, abgefärbt. Wir können nicht raten, was es Armin Wolfs Eltern gekostet hat – weniger an Geld, sondern mehr an seelischem Einsatz – ihn etwas lernen zu lassen. Am Ende hat er sogar studiert und 2005 eine Dissertation abgelegt. Sie trägt als Ober-Titel das Wort „Promi-Politik“.
Da, 2005, war Armin Wolf aber schon längst ein bekannter Journalist in Österreich. Ja, er ist Österreichs bekanntester Fernseh-Moderator. Er befragt Gäste in der Sendung „Zeit im Bild“. Er twittert ohne Ende und ist auf Facebook ohne Ende. Macht ihm das Spaß? Nein, es macht ihm keinen Spaß. Das Telefon, findet er, war eine nützliche Erfindung – so wie das Fahrrad und die Currywurst. Aber das Internet? Oje.
Armin Wolf fragt nach. Anders als deutsche Fernsehmoderatoren hat er es geschafft, einzurichten, was in Deutschland so gut wie ausgeschlossen ist, es sei denn, die Kanzlerin wäre zu Gast: Gespräche eins zu eins. Ein Gast sitzt im Studio und redet mit Armin Wolf. Und der Moderator ist gut vorbereitet, sehr gut vorbereitet. Er fragt höflich, aber er insistiert.
Legendär wurde sein Gespräch mit Karl-Heinz Grasser im Jahr 2003. Grasser war damals Finanzminister, er war bei der FPÖ und wechselte im anstehenden Wahlkampf über zur Österreichischen Volkspartei. Wolf fragt nach, welche Partei Grasser nun wählen werde. Grasser wollte nicht antworten. Armin Wolf fragte nach, mehrmals – das kannte man bis dahin im österreichischen Fernsehen eigentlich nicht.
Nachfragen: Das ist Armin Wolfs Sache. Er sagt: „Ich stelle ja keine Fragen, weil mir langweilig ist. Ich stelle Fragen, die ich mir lange vorher überlege. Die würde würde ich nicht stellen, wenn mich nicht die Antwort interessieren würde. Wenn ich aber keine Antwort bekomme, versuche ich es noch mal.“
Armin Wolf ist in gewisser Weise die österreichische Antwort auf Jeremy Paxman. Dieser britische Fernsehjournalist wurde 1997 berühmt damit, dass er in einem TV-Interview dem damaligen britischen Innenminister zwölf mal dieselbe Frage stellte. Grandios war das. Angeblich verhielt sich die Sache allerdings damals so: Eine Einspielung eines Filmchens funktionierte nicht, woraufhin die Regie Paxman bat, das Gespräch hinauszuzögern – was er dann auch tat, indem er seine eine Frage mal um mal wiederholte. Ob diese Geschichte nun stimmt oder nicht: Armin Wolf fragt nach, weil er eine Antwort haben will. Und Wolf fragt nicht aggressiv. Er ist immer höflich zu seinen Studiogästen. Und er fragt immer zur Sache.
Und: Armin Wolf bereitet sich gewissenhaft vor auf seine Interviews. Unzuverlässigen Quellen zufolge macht er die Planung für ein Gespräch im Kaffeehaus. Wenn nebenan eine Bombe einschlagen würde, wird erzählt: er würde es nicht mitbekommen. Deshalb kann er im Studio vor den Fernsehkameras einem Menschen allein begegnen: Er weiß immer, wovon er redet. Er braucht keine von seiner Redaktion, die er übrigens nicht hat, für ihn präparierten Kärtchen, von denen er Fragen abliest. Stattdessen hat er sich schon mal gegen Ende einer Moderation auf seinen Tisch gelegt, oder er kam in Badeschlappen. Das Publikum ist Wolf wichtig. Er will ihm zeigen: „Hey, das hat mit eurem Leben zu tun“, wovon wir hier reden. Also: Badeschlappen.
Hinzu kommt, und das mag mit Armin Wolfs Kindheit zu tun haben, mit seinen gewerkschaftlich interessierten Eltern, dass er alle Leute ernst nimmt, die ihm Kommentare schreiben. Ja, wie er sagt, antwortet er ihnen allen. Das ist rar unter Journalisten. Und das ist schön. Er wünsche sich nur, hat er neulich geschrieben, dass die Leute ihn nicht beschimpfen. Das ist nämlich nicht bloß gemein und ungerechtfertigt, das ist fad.
In Deutschland wäre das, was Armin Wolf macht, kaum denkbar, da werden allermeistens so viele Gäste in eine Talkshow eingeladen, dass am Ende nur ein großes Sprech-Tohuwabohu dabei herauskommt. ARD und ZDF – von den anderen rede ich jetzt gar nicht – produzieren Talkshows, die von den Redaktionen vor allem auf die Einschaltquoten hin geprüft werden. Der Gehalt der Gespräche ist eher Nebensache. Das ist verwunderlich angesichts der Tatsache, daß jeder Bürger in Deutschland für Fernsehen und Radio Geld zahlen muss, einerlei, ob er oder sie einen Fernseher oder ein Radiogerät besitzt. Man möchte denken: Mit dem vielen Geld wären die öffentlich-rechtlichen Sender in der Lage ein gutes Programm zu machen, ein Programm mit Talkshows, in denen nicht boß streithaft gebrabbelt wird. Das ist offenbar nicht der Fall. Im Gegenteil: Die Einnahmen aus Gebühren sind, so zum Beispiel beim NDR, gesunken. Nur aus Sicht des strikt verdeckt arbeitenden Ministeriums für angewandten Blödsinn, dessen Existenz leider erst noch bewiesen werden muss, wurden mit dieser Neuregelung der Gebührenzahlungen zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Sender müssen ihre Budgets zusammenstreichen und viele Bundesbürger sind aufgebracht.
Wenn man Armin Wolfs Sendungen anschaut, fragt man sich, warum so ein Interview: zu zweit, in Deutschland nicht möglich ist. Möglicherweise ist es eine Machtfrage. Möglicherweise reden in Deutschland so viele Leute drein, dass kein Moderator vernünftig arbeiten kann. In Österreich herrscht aber auch der fette Filz. Derzeit herrscht in Österreich die Staat gewordene große Koalition, wo alle mit allen mauscheln. Armin Wolf steht außerhalb der Mauaschelstrukturen.
Einige Leute im ORF und etliche Politiker haben keine Freude an Armin Wolf. Manche sähen ihn gern abgesetzt. Und hier erweist sich, dass das Internet doch seinen Nutzen hat. Armin Wolfs Einträge auf Twitter und Facebook erreichen 600 000 Leser. Das ist ungefähr soviel, wie die zwei führenden Boulevardzeitungen an Auflage vorweisen. So jemanden kann man nicht einfach absägen. Dann gäbe es so etwas wie den Aufstand der Basis.
Es gibt ja viele Arten und Sorten von Journalisten: solche, die wunderbare Reportagen schreiben, solche, die wunderbare Kommentare schreiben, solche, die wunderbare Enthüllungsstücke schreiben. Der Leitartikel galt einmal als der Diamant des Journalismus. Heute werden die investigativen Stücke als Diamanten gehandelt. Und mit Reportagen verdient man sich immer noch die meisten Preise. Es ist gut, wenn es nun einen Preis für einen Interviewer gibt – nicht für irgendeinen Interviewer, sondern für einen Interviewer, der zugleich Kommentator und Reporter und Aufdecker ist. Ein guter Journalist ist nämlich nicht nur einfach ein Reporter, ein Kommentator, ein Aufdecker – er ist, in verschiedenen Anteilen, alles dieses. Bei Armin Wolf kann man das besonders schön beobachten: Er ist ein investigativer Interviewer, er ist ein kommentierender Interviewer, er ist reportierender Interviewer – kurz: er ist ein Journalist. Er ist kein Lehrer, der abfragt, kein Gschaftlhuber, der sich im Interview selbst produziert, er macht sein Geschäft ad personam, wie es das Wesen des Interviews ist, aber er macht es um der Sache willen, also ad rem. Und er macht das deshalb so gut, weil er reden kann.
Dass Journalisten schreiben können müssen, ist selbstverständlich. Dass sie auch reden können, ist nicht selbstverständlich. Armin Wolf kann es auf ganz selbstverständliche Weise. Wäre er eine Frau, dann dürfte man nicht sagen, dass er auch noch ganz gut aussieht. Weil er ein Mann ist und das Gutaussehehen in der Politik neuerdings ein Thema ist, darf man das sagen. Es schadet nicht – wenn man daraus kein solches Trara macht wie etwa der Herr Kurz, Österreichs Außenminister von der ÖVP mit Aspiration auf die Kanzlerschaft. Wolf ist glücklicherweise schon um einiges älter als dieser Jungspund, der hoffentlich nicht österreichischer Kanzler wird, und vielleicht tragen ja ein paar gelungene Interviews von Armin Wolf dazu bei. Armin Wolf hat nämlich die Berufs- und Lebenserfahrung, die Herrn Kurz fehlt. Lebenserfahrung – sie gehört zu einem guten Journalisten ebenso wie ein paar der sogenannten Sekundärtugenden, über die Wolf verfügt: Er ist fleißig, er ist ausdauernd, er kniet sich in seine Arbeit; und man spürt und sieht, dass sie ihm Freude macht.
Deshalb verleihen wir von Netzwerk Recherche ihm mit Freude den Leuchtturmpreis. Ganz herzlichen Glückwunsch, Herr Wolf