(Manuskript – es gilt das gesprochene Wort)
“Ich habe auch nicht den Eindruck, dass der Durchschnittsbürger Akten wälzen will. Das würde ja gerade den Normalbürger eher überfordern. Ich kann dem da nämlich 100 Aktenordner hinschieben und was macht der Normalbürger dann damit? Da kann er gar nichts anfangen. Der einfache Bürger hat eine konkrete Frage und will wissen: Wie ist das so? Oder: Warum ist das so?”
Sehr geehrte Damen und Herren,
Alleine für diese Aussage, die der bayerische Innenminister Joachim Herrmann vor drei Jahren gegenüber dem BR abgab, hat das Bundesland Bayern eine Verschlossene Auster verdient. Während es im Bund seit inzwischen 13 Jahren ein Informationsfreiheitsgesetz gibt, in den USA seit 53 Jahren, in Schweden gar seit 253 Jahren, lässt der Süden der Republik weiter auf sich warten.
Vor allem die CSU wehrt sich beständig dagegen, die Aktenschränke der
Exekutive zu öffnen. Dabei geht es natürlich um Macht. Wer den Zugang zu Wissen kontrolliert, kann auch eine Gesellschaft kontrollieren. Es ist kein Zufall, dass das erste Informationsfreiheitsgesetz der Welt, nämlich das in Schweden, nicht nur den Zugang zu amtlichen Informationen regelte, sondern gleichzeitig die staatliche Zensur abschaffte. Und es ist kein Zufall, dass in den vergangenen Monaten so heftig um das Urheberrecht gestritten wurde – denn auch da geht es letztlich um die Frage des Zugangs zu und der Weiterverwendung von Informationen.
In Europa gibt es heutzutage nur noch fünf Regierungen, die kein Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt haben: Bayern, Sachsen, Niedersachsen, Österreich und Weißrussland. Und das sollte man sich tatsächlich öfters vor Augen führen: Bayern ist hier wirklich auf einer Linie mit Österreich.
Natürlich ist das Bild in Sachsen und Niedersachsen auch traurig. Die große Koalition in Sachsen hatte bis Herbst ein IFG versprochen und liefert nicht. Rot-Schwarz in Niedersachsen will erstmal bisherige Informationsfreiheitsgesetze “evaluieren”, bevor es tätig wird.
Aber vor einem halben Jahr hätte die frisch gewählte bayerische
Regierung die Möglichkeit gehabt, ihr Dasein als Transparenzschlusslicht
zu beenden. Aber vor einem halben Jahr hätte die frisch gewählte bayerische Regierung die einzigartige Möglichkeit gehabt, sein Dasein als Transparenzschlusslicht zu beenden. Die Koalitionspartner der CSU, die Freien Wähler, hatten in ihrem Wahlprogramm ein IFG versprochen. Am Ende der Verhandlungen gab es im Koalitionsvertrag allerdings eine Leerstelle. Üblich geblieben ist der hohle Titel des Koalitionsvertrags: “Für ein bürgernahes Bayern”.
Wie es gute Praxis ist, hat Netzwerk Recherche Innenminister Herrmann natürlich zu dieser Preisverleihung eingeladen. Aus Termingründen sagte er allerdings ab. Und der Pressesprecher seines Ministeriums, Oliver Platzer – übrigens ehemaliger Journalist – konterte mit Rückfragen: Warum denn das Verbraucherinformationsgesetz nicht ausreiche und das Bundesdatenschutzgesetz und das Umweltinformationsgesetz – übrigens alles Gesetze, die auf den Bund oder die EU zurückgehen, nicht auf Bayern selbst. Tatsächlich hat Bayern es geschafft, beim Umweltinformationsgesetz die höchste Gebührenordnung Deutschlands durchzusetzen, sodass Anfragen dort bis zu 2500 Euro kosten können und damit faktisch unbrauchbar werden. Und dann fragte der Pressesprecher Platzer noch, wie ein politisch neutraler Verein wie netzwerk recherche sich denn “dermaßen auf eine Seite schlagen” könne und einen Negativ-Preis verleihen.
Ich finde, diese Antwort zeigt zum einen – und der Hinweis an den Vorsitzenden des DJV sei mir erlaubt – dass PR keineswegs “eine Spielart des Journalismus” ist, sondern das Gegenteil. Und zum anderen, dass es für eine starke Demokratie starke Demokraten braucht. Es braucht keine Personen, die Gesetzentwürfe absichtlich kompliziert machen und die den Staat vor der Öffentlichkeit abschirmen.
Statt zum Vorbild für Transparenz zu werden, strahlt die bayerische Haltung zur Informationsfreiheit jetzt auch in den Bund aus. Das CSU-geführte Bundesinnenministerium bereitet derzeit eine Reform des Informationsfreiheitsgesetzes im Bund vor. Da sind heftige Verschlechterungen zu erwarten, zumal der für die Reform zuständige Referatsleiter im BMI gleichzeitig dieselbe Person ist, die einem im Gerichtssaal gegenüber sitzt, wenn man das BMI auf Auskunft verklagt. Dass die Verwaltung für ein Gesetz zur Verwaltungstransparenz zuständig ist, ist ungefähr so, als würden die Banken sich die Gesetze für die Bankenregulierung selbst schreiben.
Insofern liegt es in der Natur der Sache, dass Impulse für mehr Transparenz von außen kommen müssen. In Bayern gibt es inzwischen mehr als 80 Kommunen, die zumindest für ihren eigenen Wirkungskreis Informationsfreiheitssatzungen beschlossen haben, weil das Land nicht mitzieht. Und das bisher fortschrittlichste IFG Deutschlands, das Hamburgische Transparenzgesetz, ist auf Basis einer Volksinitiative entstanden.
In Berlin wird in einem Monat ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis, das auch von Netzwerk Recherche unterstützt wird, mit der Unterschriftensammlung für ein Berliner Transparenzgesetz beginnen. Der Gesetzentwurf, den das Bündnis vorgelegt hat, würde nicht nur den Staat transparenter machen, sondern auch unabhängigen Journalismus stärken.
Wie man hört, sind Volksbegehren ja durchaus auch in Bayern en vogue. Vielleicht wäre das eine Möglichkeit. Und vielleicht trägt dieser Negativpreis dazu bei, dass sich demnächst noch mehr Menschen “auf eine Seite schlagen”. Nämlich die Seite einer offenen Gesellschaft, von Transparenz, unabhängigem Journalismus und einer starken Demokratie. Vielen Dank.