Die “Verschlossene Auster”, der Negativ-Preis der Journalistenvereinigung netzwerks recherche e.V. für den „Informationsblockierer des Jahres“, geht 2011 an die vier großen Atomkonzerne RWE, EnBW, Vattenfall und E.ON. Stellvertretend für sie nehmen Volker Heck, Sprecher des Energiekonzerns RWE sowie Guido Knott, Sprecher beim Energiekonzern E.ON den Preis entgegen. Die Laudatio hält Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung.
nr-Vorstandmitglied Tina Groll verleiht die “Verschlossene Auster” 2011, für die “Informationsblockierer des Jahres” an die vier großen, deutschen Atomkonzerne RWE, EnBW, Vattenfall und EON (Fotograf: Bastian Dincher):
„Der Lobbyeinfluss der Atomkraftbefürworter war beispielhaft. Die Atomkonzerne haben Jahrzehnte lang die Wahrheit in ihrem Sinne verdreht, Politik massiv unter Druck gesetzt und die Gefahr von Atomkraft gegenüber der Öffentlichkeit unter dem Deckmäntelchen des Klimaschutzes heruntergespielt“, so die Jurybegründung. Entscheidend für die Juryentscheidung war vor allem der Stellenwert der gesellschaftlichen Debatte zum Thema Atomkraft.
„Die Erkenntnis lautet: Die Zeit der Atomenergie ist abgelaufen. Die Atomverstromung hat ihre gesellschaftliche Akzeptanz verloren. Nur unsere Preisträger, die Atomenergiekonzerne E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall, wehren sich dagegen“, sagt der Journalist Heribert Prantl in seiner Laudatio.
Alle vier Konzerne haben Jahrzehnte lang Atomkraft als sichere und saubere Chance zur Energieversorgung angepriesen. Das belegt beispielsweise das Strategiepapier “Kommunikationskonzept Kernenergie – Strategie, Argumente und Maßnahmen” der Unternehmensberatung PRGS für Politik und Krisenmanagement aus dem Jahr 2009. Darin schlägt die Agentur dem Energiekonzern E.ON Argumente für die öffentliche Kommunikation vor – die fast 1 zu 1 von den Konzernen und später auch von Politikern aufgegriffen wurden. Obgleich E.ON das Strategiepapier als Akquiseversuch der Agentur herunterspielte, sind die Übereinstimmungen zwischen vorgeschlagenem Kommunikationskonzept und verwendeter Kommunikationslinie frappierend. Da wird Kernkraft positiv als Brücken-Technologie bezeichnet, die den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien ebnen soll und somit die Laufzeitverlängerung quasi schon moralisch notwendig macht. Dabei kann Atomkraft das Klima überhaupt nicht retten: Gerade einmal zwei Prozent des Weltenergieverbrauchs werden durch diese Nischentechnik gedeckt, und Kernkraftwerke können gar nicht verlässlich Strom liefern.
Da wird auf auf die deutsche Technologieführerschaft verwiesen, für die ein Know-how-Verlust angesichts neuer Kernkraftwerke in Osteuropa fatal wäre, dabei würde keines der 17 Atomkraftwerke heute noch eine Genehmigung bekommen. Und ein sicheres Endlager für hochradioaktiven Atommüll gibt es weltweit nicht.
Kritische Fragen von Journalisten beantworten die Kommunikationsexperten der Energiekonzerne mit beschönigenden, weichgespülten Phrasen. Fakten werden einfach umgedeutet und verdreht, öffentliche Meinung versucht man zu manipulieren – und unterdessen kassieren die vier Atomkonzerne mit überhöhten Strompreisen bei den Bürgern ab, während sie gleichzeitig Milliardensubventionen in Anspruch nehmen.
Mit der „Verschlossenen Auster“ würdigt Netzwerk Recherche e.V. das Kommunikationsverhalten der Energiekonzerne. „Der Preis wurde bisher immer verliehen dafür, dass der Öffentlichkeit nichts oder wenig gesagt wurde. Das kann man von der Atomindustrie wirklich nicht sagen. Die Atomindustrie kommuniziert wie der Teufel” sagt Laudator Heribert Prantl, „Die Atomindustrie schreibt mehr Pressemitteilungen als ein Birkenbaum Blätter hat. Ihre Manager und Lobbyisten drängen in jeder Talkshow. Und wenn die Atomindustrie der Meinung ist, dass das nicht reicht, dann veröffentlicht sie ganzseitige Anzeigen mit potenten Unterschriften, in denen sie die Kanzlerin zum Diktat bittet und der Politik erklärt, was sie zu tun hat.“
So bewiesen die vier Atomkonzerne mit ihrem “Energiepolitischen Appell” im Sommer 2010 eine bis dahin nie da gewesene organisierte Lobbyfront, die ihre beschönigenden Argumente mit Macht in die Öffentlichkeit bringen sollte. Die vier Energiechefs Johannes Teyssen (E.on), Jürgen Großmann (RWE), Hans-Peter Villis (EnbW) und Tuomo Hatakka (Vattenfall) hatten zahlreiche Dax-Vorstände überzeugt, sich dem Appell an die Bundesregierung für eine Laufzeitverlängerunganzuschließen. Josef Ackermann (Deutsche Bank) war mit dabei, Werner Wenning (Bayer) oder Ekkehard Schulz (Thyssen-Krupp).
„Die Atomkonzerne werden ausgezeichnet für gefährlich einseitige, marktmächtige Information, sie werden ausgezeichnet für die Verharmlosung von Gefahren, für exzessiven Lobbyismus“, sagt Prantl in seiner Laudatio.
Weil selbst Fukushima nichts an der Lobby- und Kommunikationsstrategie der Energiewirtschaft verändert, man sogar verfassungsrechtliche Klagen gegen Atomausstieg plant, haben sich die vier Konzerne den Preis verdient. „Verantwortung und Respekt vor dem Bürgerwillen sehen anders aus, so die Jury.
Der Kritik-Preis wird in diesem Jahr zum zehnten Mal verliehen. Er steht als mahnendes Symbol für mangelnde Offenheit und Behinderung der Pressefreiheit durch Personen oder Organisationen. Die Preisträger erhalten zur Erinnerung und als Mahnung zur Besserung eine Skulptur des Marburger Künstlers Ulrich Behner.
Preisträger der vergangenen Jahre waren die katholische Kirche, der Bundesverband der Banken, der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, der Lebensmittelkonzern ALDI, die Hypo-Vereinsbank (stellv. für die DAX-Unternehmen), der damalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, der ehemalige Chef der Deutschen Bahn AG, Hartmut Mehdorn, der ehemalige russische Präsident Wladimir Putin, das Internationale Olympische Komitee und stellvertretend IOC-Vizepräsident Thomas Bach.
Die ausgezeichneten Preisträger erhalten das Recht auf Gegenrede oder Stellungnahme vor der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche, an der in diesem Jahr mehr als 800 Medienvertreter teilnehmen. Die vier Atomkonzerne werden durch RWE-Sprecher Volker Heck und E.ON-Sprecher Guido Knott vertreten, die auf der Jahrestagung von Netzwerk Recherche eine Gegenrede halten werden. Diese Herausforderung haben vor ihnen nur Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Manfred Weber, der Geschäftsführer des Bankenverbandes, Otto Schily und Hartmut Mehdorn übernommen. Andere Preisträger hatten auf die Kritik schriftlich reagiert.
Gegenrede von Dr. Guido Knott (EON)
Pressefotos (honorarfrei für Berichterstattung zur Verleihung der Verschlossenen Auster bei Nennung der Fotografen)