Ver­schlos­sene Auster 2024 geht an Ver­kehrs­mi­nister Wis­sing

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 20. Juli 2024 | Lese­zeit ca. 16 Min.

Netz­werk Recherche ver­leiht die „Ver­schlos­sene Auster“ für den Infor­ma­ti­ons­blo­ckierer des Jahres an Volker Wis­sing und das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­rium. Wis­sing erhält den Nega­tiv­preis für seinen pro­ble­ma­ti­schen Umgang mit Recher­chen des Han­dels­blatt-​Repor­ters Daniel Delhaes zu Inter­es­sen­kon­flikten in seinem Minis­te­rium.

Im ver­gan­genen Sommer hatte Delhaes in meh­reren Arti­keln auf­ge­deckt, dass der für Was­ser­stoff-​För­de­rungen zustän­dige Abtei­lungs­leiter im Ver­kehrs­mi­nis­te­rium einem per­sön­li­chen Freund eine Mil­lio­nen­för­de­rung zuge­teilt hatte – dem Vor­sit­zenden des Deut­schen Was­ser­stoff-​ und Brenn­stoff­zel­len­ver­bandes. Statt nach den kri­ti­schen Berichten für Auf­klä­rung zu sorgen, ging Wis­sings Minis­te­rium aggressiv gegen den Reporter vor und leug­nete die Miss­stände.

„Das Vor­gehen von Volker Wis­sing und seinen Mit­ar­beiter*innen hat gezeigt, dass der Minister die eigenen Inter­essen und die seines Minis­te­riums über die Inter­essen der Bevöl­ke­rung und einer freien Presse stellt. „Die Affäre zeigt auch, wie wichtig hart­nä­ckiger inves­ti­ga­tiver Jour­na­lismus ist“, sagt Daniel Drepper, Vor­sit­zender von Netz­werk Recherche. „In diesem Fall hätte es Wis­sing durch sein aggres­sives Vor­gehen fast geschafft, die Affäre ohne Kon­se­quenzen für sein Minis­te­rium zu über­stehen. Zum Glück haben andere Medien wie der Spiegel die Arbeit des von der Recherche abge­zo­genen Han­dels­blatt-​Repor­ters Delhaes fort­ge­setzt.“

Der Spiegel hatte durch Anfragen nach dem Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz interne E-​Mails des Ver­kehrs­mi­nis­te­riums erhalten, die Monate später die Recher­chen von Han­dels­blatt-​Reporter Delhaes bestä­tigten und erwei­terten. Das Minis­te­rium hatte darin jedoch trotz der kri­ti­schen Berichte aus dem Sommer 2023 mehr als ein halbes Jahr lang kein Pro­blem gesehen. Im Gegen­teil: Die Recher­chen von Delhaes hatte das Minis­te­rium zunächst noch abge­stritten und das Han­dels­blatt dazu gebracht, eine inhalt­lich nicht gerecht­fer­tigte, lange Kor­rektur zu ver­öf­fent­li­chen.

Die Preis­ver­lei­hung findet auf der zwei­tä­gigen Jah­res­kon­fe­renz von Netz­werk Recherche am 20. Juli beim NDR in Ham­burg statt. Sie wird unter dem Link nrch.de/nr24live über­tragen und bleibt danach abrufbar. Die Lau­datio hält Spiegel-​Reporter Serafin Reiber.

Die Auf­zeich­nung der Ver­lei­hung kann hier ange­sehen werden:

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Lau­datio von Serafin Reiber

Ver­lei­hung der Ver­schlos­sene Auster an das Bun­des­mi­nis­te­rium für Digi­tales und Ver­kehr

Aus­ter­preis­träger 2024: Volker Wis­sing und das Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­rium
Lau­dator: Serafin Reiber, DER SPIEGEL

20. Juli 2024, 
es gilt das gespro­chene Wort.

Guten Mittag, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kol­le­ginnen und Kol­legen,

Es freut mich, dass Sie und Ihr mir heute die Gele­gen­heit gebt, diesen Preis – die ver­schlos­sene Auster 2024 – an Sie, lieber Ver­kehrs­mi­nister Volker Wis­sing und Ihr Haus, das Bun­des­mi­nis­te­rium für Digi­tales und Ver­kehr, zu ver­leihen.

Dass das jetzt pas­siert und ich heute hier stehen darf, ist nicht selbst­ver­ständ­lich.

Vor ein paar Tagen habe ich die Folgen deut­scher Ver­kehrs­po­litik am eigenen Leib erfahren. Ich wurde näm­lich vor dem Haus unseres heu­tigen Preis­trä­gers – dem Ver­kehrs­mi­nis­te­rium in der Ber­liner Inva­li­den­straße – auf einem bekannt­lich eher sym­bo­li­schen Fahr­radweg vom Rad gerem­pelt.
Der Unfall­ver­ur­sa­cher, ein Rentner, ist, und das ver­si­cherte er mir, weder in Ihrem Minis­te­rium beschäf­tigt noch han­delte er in Ihrem Auf­trag. Eine mög­liche Behin­de­rung der freien Bericht­erstat­tung – um die soll es ja heute gehen — kann also aus­ge­schlossen werden.

Weh­getan hat es trotzdem, und das aus­ge­rechnet in der Inva­li­den­straße.

Ich will das hier nicht näher aus­breiten. Doch bevor ich Ihnen hier gleich einen Nega­tiv­preis ver­leihe, möchte ich mich noch einmal auf­richtig und herz­lich bei Ihnen bedanken.

Ihr Stab, mit dem ich an diesem Tag eigent­lich zum Gespräch ver­ab­redet war, hat mich nach dem Crash ver­ständ­nis­voll betreut und mein zu diesem Zeit­punkt nur­mehr bedingt funk­ti­ons­tüch­tiges Bein gekühlt.

Umso mehr hätte es mich gefreut, wenn Sie, lieber Herr Minister, heute hier wären – oder wenigs­tens jemanden geschickt hätten, um diesen Preis ent­ge­gen­zu­nehmen. Ihre Gegen­rede hätte mich – und das meine ich ebenso ernst! – inter­es­siert.

Als kri­ti­scher Beob­achter Ihres Minis­te­riums will es mir näm­lich nicht in den Kopf, warum Sie es als erster eini­ger­maßen ambi­tio­nierter Ver­kehrs­mi­nister schaffen, sich so oft und ohne jeg­liche Not unbe­liebt zu machen: Weil sie es vor­ziehen, nicht oder zu spät zu kom­mu­ni­zieren, selbst wenn eigent­lich alles gar nicht so schlimm wäre. Oder, noch ärger­li­cher, es wenn es um ihre doch beacht­li­chen Erfolge, denken Sie an das Deutsch­land­ti­cket, geht.

Dieses Pro­blem ist leider auch der Grund, warum Sie heute diesen Preis bekommen. In der soge­nannten Was­ser­stoff-​Affäre haben sie mit Ihrer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie nicht nur ihrem eigenen Haus, son­dern vor allem auch einem unserer Kol­legen schweren Schaden zuge­fügt.

Daniel Delhaes vom Han­dels­blatt war es näm­lich gewesen, der im ver­gan­genen Sommer zuerst über einen Ver­dacht in ihrem Minis­te­rium berichtet hatte. Ein kurzer Rück­blick.

Im Juli 2023 deckt Daniel Delhaes auf, dass der wich­tigste Abtei­lungs­leiter des Ver­kehrs­mi­nis­te­riums mit dem Chef des Was­ser­stoff-​ und Brenn­stoff­zel­len­ver­bands offenbar so gut bekannt ist, dass die beiden Männer regel­mäßig gemeinsam in den Ski­ur­laub in die Alpen fahren.

Das Pro­blem bei dieser Män­ner­freund­schaft: Klaus Bon­hoff, der Abtei­lungs­leiter im Ver­kehrs­mi­nis­te­rium, ist Herr über die wich­tige Grund­satz­ab­tei­lung im Minis­te­rium und damit ver­ant­wort­lich für die För­de­rung von zahl­rei­chen Was­ser­stoff-​Pro­jekten im Ver­kehrs­be­reich. Bon­hoff, in der Branche aner­ken­nend Mr. Was­ser­stoff genannt, ist fest davon über­zeugt, damit das Kli­ma­pro­blem im Ver­kehrs­sektor lösen zu können. Ex-​Minister Scheuer hat ihn des­wegen aus der freien Wirt­schaft ins Minis­te­rium geholt. Und so ver­hält sich Bon­hoff auch, hemds­är­melig, prag­ma­tisch. Und der Staat för­dert üppig.
Auf genau diese För­de­rungen hat es sein Freund, der Ver­bands­chef Werner Diwald, abge­sehen. Und, das sei hier ver­raten: Er hat sie auch bekommen. Eben­falls pro­fi­tiert haben soll laut Delhaes Dar­stel­lung ein baye­ri­scher Unter­nehmer, der auch mit Bon­hoff befreundet sein soll.

Es geht um Mil­lio­nen­be­träge, bezahlt aus Steu­er­geld – und um einen »unan­ge­nehmen Ver­dacht«, einen Ver­dacht der Vet­tern­wirt­schaft, wie Kol­lege Delhaes Ende Juli zum ersten Mal im Han­dels­blatt schreibt.

Der Zeit­punkt ist bri­sant. Wenige Wochen davor näm­lich hatte der grüne Wirt­schafts­mi­nister Robert Habeck in seinem Minis­te­rium gleich gegen­über, auf der anderen Seite des Inva­li­den­parks, seinen Staats­se­kretär Patrick Grai­chen ent­lassen, weil dieser seinen Trau­zeugen zum Chef der bun­des­ei­genen Energie-​Agentur hatte machen wollen. Bei Grai­chen ging es um den Ein­druck von Befan­gen­heit. Geld war keines geflossen.

Beim Abtei­lungs­leiter aber, so zeigen es zumin­dest die Recher­chen von Daniel Delhaes, geht es um Geld. Viel Geld. Hat das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium, das über einen der größten Etats inner­halb der Bun­des­re­gie­rung ver­fügt, ein Kor­rup­ti­ons­pro­blem?

Daniel Delhaes kon­fron­tiert den Abtei­lungs­leiter, den Ver­bands­chef, das Minis­te­rium mit den Vor­würfen. Der Ver­bands­chef bestreitet die Vor­würfe, alle anderen schweigen oder wollen sich nicht kon­kret äußern.

Dann ver­öf­fent­licht das Han­dels­blatt seine Recherche, andere Medien, dar­unter auch DER SPIEGEL, also mein Arbeit­geber, steigen ein. Der Druck auf das Minis­te­rium steigt. Es kün­digt dann doch an, die Vor­würfe ernst zu nehmen, intern zu prüfen. Später wird das Minis­te­rium behaupten, mit der Über­prü­fung der Vor­würfe bereits vor der Ver­öf­fent­li­chung des Han­dels­blatts begonnen zu haben.

Am 24. August schließ­lich lädt das Minis­te­rium zu einem Pres­se­ge­spräch ins Ver­kehrs­mi­nis­te­rium ein. Man sei den »Behaup­tungen gegen den Abtei­lungs­leiter Grund­satz in einer internen Prü­fung nach­ge­gangen« und wolle nun einen Zwi­schen­be­richt vor­legen.

In einem Hin­ter­zimmer spricht Stefan Schnorr, Wis­sings Staats­se­kretär. Das Pres­se­ge­spräch hat zwei Teile: einen »unter eins«, aus dem zitiert werden darf – und einen Hin­ter­grund »unter drei«.

Im öffent­li­chen Teil bestreitet Staats­se­kretär Schnorr sämt­liche Vor­würfe. Alles in Ord­nung, keine Spur von Günst­lings­wirt­schaft. Im Hin­ter­grund aber, aus dem nicht zitiert werden darf und aus dem ich selbst­ver­ständ­lich hier nicht zitieren werde, klingen die Dinge kom­pli­zierter.

Fern­seh­jour­na­listen bekommen dar­aufhin die Gele­gen­heit, ein kurzes State­ment zu drehen. Eine Repor­terin des ZDF nutzt die Chance und fragt hart nach. Und siehe da: Vor lau­fender Kamera erwähnt Stefan Schnorr nun plötz­lich gemein­same Urlaube, E-​Mails, die wei­ter­ge­leitet worden sein sollen.

Ich saß damals in diesem Pres­se­ge­spräch und hatte, wie wohl viele Kol­le­ginnen und Kol­legen, ein mas­sives Stör­ge­fühl.

Irgend­etwas konnte da nicht stimmen. Warum wollte der Staats­se­kretär erst auf Nach­frage hin von gemein­samen Urlauben, ja mög­li­cher­weise belas­tenden E-​Mails spre­chen?

Warum legte das Minis­te­rium nichts Schrift­li­ches vor? Und warum war die Prü­fung scheinbar abge­schlossen, bevor sie über­haupt begonnen hatte?

Ich fahre zurück in die Redak­tion – und beschließe, gemeinsam mit meinem Kol­legen Gerald Trau­fetter eine Anfrage nach Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz auf­zu­setzen und an das Minis­te­rium zu schi­cken.

Schon vor dem bizarren Pres­se­ge­spräch geht Abtei­lungs­leiter Bon­hoff mit voller Härte gegen Daniel Delhaes und das Han­dels­blatt vor. Noch vor der Pres­se­kon­fe­renz reicht er Klage ein und bezieht sich dabei auf das Ergebnis der Innen­re­vi­sion des Minis­te­riums, das keine Beweise gefunden haben will.

Am 28. August erreicht das Han­dels­blatt ein Schreiben von Bon­hoffs Anwalt, Kanzlei Irle Moser, Unter den Linden, Klage auf Unter­las­sung. Bon­hoff sagt unter Eid, weder mit einem baye­ri­schen Unter­nehmer befreundet noch För­der­gelder auf­grund von Freund­schaften ver­teilt zu haben.

Als Beweis führt er auch die Prü­fung des Minis­te­riums an sowie eine dpa-​Mel­dung mit einer Erklä­rung des Minis­te­riums.

Das Han­dels­blatt lässt sich davon offenbar beein­dru­cken. Die Rechts­ab­tei­lung in Düs­sel­dorf, die sämt­liche davor zu dieser Affäre erschie­nenen Texte über­prüft hatte, scheint auf­zu­geben. War Delhaes Quel­len­lage doch zu schlecht?

Dann die Über­ra­schung: Im Herbst zieht das Han­dels­blatt seine Bericht­erstat­tung über die Affäre weit­ge­hend zurück. »Wir haben den Ver­dacht ver­breitet, dass die Ver­gabe von För­der­mit­teln auf Freund­schaften und gemein­samen Urlauben von Herrn Prof. Dr.-Ing Bon­hoff zu diesem Unter­nehmer zurück­zu­führen sei. An dieser Dar­stel­lung halten wir jedoch nicht weiter fest – auf­grund uns nun­mehr vor­lie­genden Erkennt­nissen«.
Die nun­mehr vor­lie­genden Erkennt­nisse, das ist die eides­statt­liche Ver­si­che­rung von Abtei­lungs­leiter Bon­hoff, der »Beweis«, nicht mit dem Unter­nehmer befreundet zu sein.

Die Freund­schaft mit dem Ver­bands­chef bestreitet er nicht, wohl aber, dass er sich in die För­de­rung ein­ge­mischt habe. Da habe das Minis­te­rium in der vor­läu­figen Prü­fung nichts fest­stellen können.

Das Minis­te­rium wie­derum sagt, dass Bon­hoff nur als Pri­vater gegen das Han­dels­blatt vor­ge­gangen sei. Unter­stüt­zung habe es keine gegeben, man habe nur auf den Rückzug des Han­dels­blatts hin­ge­wiesen.

Dieser wird dann von der Nach­rich­ten­agentur dpa auf­ge­griffen. Der Deutsch­land­funk meldet: »Das ›Han­dels­blatt‹ hat einen Bericht über angeb­liche Unre­gel­mä­ßig­keiten im Ver­kehrs­mi­nis­te­rium bei der Ver­gabe von För­der­mit­teln für ein Was­ser­stoff­pro­jekt kom­plett zurück­ge­zogen« – was auch nicht ganz stimmt, doch dann ist die Nach­richt in der Welt, und auch die Pres­se­stelle des Ver­kehrs­mi­nis­te­riums ver­schickt die Nach­richt eil­fertig an alle Medien, die über den Fall berichtet haben.

Seine Vor­ge­setzten beim Han­dels­blatt weisen Daniel Delhaes nach Recher­chen des Busi­ness Insider dar­aufhin an, nicht weiter über den Fall und das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium zu berichten. Und sie geben bei einer externen Kanzlei ein Gut­achten in Auf­trag.

Es soll klären, inwie­weit Daniel Delhaes gezwungen werden kann, seine Quellen gegen­über der Chef­re­dak­tion offen­zu­legen.

»Ob ein Aus­kunfts­an­spruch auf die interne Offen­le­gung seiner Quellen im kon­kreten Ein­zel­fall gegen Herrn Dr. Delhaes besteht, richtet sich nach dem Ergebnis einer Abwä­gung zwi­schen den jeweils betrof­fenen Grund­rechts­po­si­tionen auf der Seite des Han­des­blattes sowie auf der Seite des Herrn Dr. Delhaes«, heißt es darin. Das Ergebnis der beauf­tragten Gut­ach­ters ZITAT:

»Im Ein­zelnen, so meinen wir, dass es gute Argu­mente gibt, die für einen Aus­kunfts­an­spruch spre­chen«, heißt es in der Stel­lung­nahme.

Delhaes arbeitet zu diesem Zeit­punkt seit sech­zehn Jahren beim Han­dels­blatt. Seine Glaub­wür­dig­keit, das höchste jour­na­lis­ti­sche Gut, scheint rui­niert.

Und so hätte diese Geschichte enden können. Doch dann kommt alles anders.

Nach vielen Monaten, an einem trüben Win­ter­abend, an dem ich eigent­lich schon nach Hause fahren wollte, finde ich plötz­lich eine E-​Mail in meinem Post­fach. Betreff: IFG 1848, emp­fangen um 17 Uhr 46, an einem Freitag. Unge­wöhn­lich.

Es ist die Ant­wort auf die IFG-​Anfrage aus dem Spät­sommer. Darin ent­halten: sämt­liche Kor­re­spon­denzen zwi­schen dem Abtei­lungs­leiter Bon­hoff und Ver­bands­chef Diwald.

Sie legen den Schluss nahe, dass Wis­sings Abtei­lungs­leiter seinem Freund beim Lob­by­ver­band einen großen Gefallen getan hat. Noch in der Nacht beginnen mein Kol­lege Gerald Trau­fetter, zu diesem Zeit­punkt bereits Kor­re­spon­dent in Bra­si­lien, und ich, die Doku­mente aus­zu­werten.

Die archi­vierten E-​Mails belegen, wie Bon­hoff gleich zweimal die in ver­trautem Ton abge­fassten För­der­an­fragen seines Freundes an einen Unter­ge­benen wei­ter­lei­tete. Mehr noch: er soll sie »münd­lich befür­wortet haben«.

Die Affäre nahm ihren Lauf mit einer E-​Mail vom 18. April 2021, einem Sonntag. Um 12.43 Uhr schreibt Diwald, der Vor­stands­vor­sit­zende des Deut­schen Was­ser­stoff-​ und Brenn­stoff­zel­len­ver­bands, an seinen Freund Bon­hoff. »Hallo Klaus, anbei unser För­der­an­trag, den ich auf den ersten Seiten exem­pla­risch schon mal auf den Ver­kehr ange­passt habe.« Der Lob­byist scheint sich seiner Sache sicher zu sein. Er ver­weist auf frü­here För­der­an­träge der Was­ser­stoff­lobby und darauf, wie groß­zügig man vom Staat finan­ziell aus­ge­stattet worden war.

Von seinem Freund wünscht sich Diwald Unter­stüt­zung bei der Markt­ein­füh­rung von Was­ser­stoff-​ und Brenn­stoff­zel­len­technik im Ver­kehr. »Wir brau­chen unbe­dingt eine unter­neh­mens­über­grei­fende Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie« Diwalds Pro­blem: die Zeit.

Schon fünf Monate später, im Sep­tember 2021, würde der Bun­destag neu gewählt, eine neue Regie­rung, ein neuer Minister – viel­leicht auch ein neuer Abtei­lungs­leiter würden dann über seinen För­der­an­trag ent­scheiden. Des­halb hat er es wohl beson­ders eilig. »In Anbe­tracht der anste­henden Wahlen wäre es sicher­lich gut, wenn ein Zuwen­dungs­be­scheid noch in dieser Legis­la­tur­pe­riode erteilt wird«, schreibt er.

Die Kam­pagne solle schon im Oktober 2021 starten und bis Ende Dezember 2023 laufen. Seine E-​Mail schließt er an diesem Tag mit einem ver­trauten: »Viele Grüße, Werner«.

Bon­hoff zögert nicht lange, sich des Anlie­gens seines Freundes anzu­nehmen. Am Abend des dar­auf­fol­genden Mon­tags leitet er die Mail an das Referat G25 weiter, das sich mit dem Ein­satz von Was­ser­stoff in der Mobi­lität befasst. »Wie bespro­chen – können wir analog zu BMU (Bun­des­um­welt­mi­nis­te­rium, Anmer­kung der Redak­tion) Ver­net­zung und Kom­mu­ni­ka­tion för­dern? HG Klaus«, schreibt der Abtei­lungs­leiter.

Zu Weih­nachten ist es dann soweit. Ex-​Ver­kehrs­mi­nister Andi Scheuer hält im großen Atrium des Minis­te­riums seine Abschieds­rede, dann über­nimmt Wis­sing die Geschäfte. Der Ver­kehrs­mi­nister hält an den meisten Abtei­lungs­lei­tern fest. Bon­hoff darf bleiben, auch der För­der­an­trag von Diwald bleibt unbe­schadet.

Am Abend des 16. Dezem­bers schreibt der Refe­rats­leiter an seinen Chef Bon­hoff und einen wei­teren Vor­ge­setzten: »Zum Abend eine gute Nach­richt. Kurz vor Kas­sen­schluss konnte das Inno­va­ti­ons­cluster HyMo­bi­lity des DWV bewil­ligt werden.«

Für Diwald und seinen Ver­band ist es ein schönes Weih­nachts­ge­schenk: 1,5 Mil­lionen Euro, bezahlt vom Steu­er­zahler.
Selbst­ver­ständ­lich hat auch der SPIEGEL das Minis­te­rium im Februar mit den Vor­würfen kon­fron­tiert. Mehr­fach gewähren wir dem Minis­te­rium eine Ver­län­ge­rung der Ant­wort­frist.

Dann doch eine Ant­wort: nichts zu bean­standen. »Die Prü­fung kommt wie auch schon der Zwi­schen­be­richt zu dem Ergebnis, dass keine unzu­läs­sige Ein­fluss­nahme oder ein sons­tiges Fehl­ver­halten des Abtei­lungs­lei­ters Grund­satz im Zusam­men­hang mit För­der­ent­schei­dungen des BMDV fest­zu­stellen war«.

Den Abschluss­be­richt hat das Minis­te­rium zu diesem Zeit­punkt schon längst fer­tig­ge­stellt. Wie kann das sein? Wusste das Minis­te­rium über­haupt von den E-​Mails?
Tat­säch­lich, und das sollte unserem heu­tigen Preis­träger zu denken geben, kannten weder Ver­kehrs­mi­nister Wis­sing noch sein Staats­se­kretär noch die vier internen Kon­trol­leure die E-​Mails, über die der SPIEGEL berichtet hat.
Der Innen­re­vi­sion lagen tau­sende E-​Mails sowie 14 Giga­byte Daten­ma­te­rial offenbar nicht vor.

Anders als uns, dem SPIEGEL. Unsere IFG-​Anfrage wurde voll­ständig und sorg­fältig bear­beitet. Der zustän­dige Refe­rats­leiter hat alles richtig gemacht und in sorg­samer Klein­ar­beit alles raus­ge­sucht, wonach wir gefragt hatten. Das, liebes Ver­kehrs­mi­nis­te­rium, ver­dient hier Aner­ken­nung.

Denn wir alle wissen: nicht immer werden IFG-​Anfragen so beant­wortet.

Im Umgang mit der kri­ti­schen Öffent­lich­keit, aber auch bei der Kon­trolle der eigenen Abläufe hat das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium ver­sagt.

Der im Dezember fer­tig­ge­stellte und nur in der Geheim­schutz­stelle des Bun­des­tages – warum eigent­lich? – ein­seh­bare Abschluss­be­richt: Durch die SPIEGEL-​Recher­chen im Winter wurde er auf einen Schlag wertlos.
15. Februar, wieder eine eilends ein­be­ru­fene Pres­se­kon­fe­renz im Hin­ter­zimmer. Wis­sings Staats­se­kretär Schnorr ver­kündet die frist­lose Ent­las­sung von Abtei­lungs­leiter Klaus Bon­hoff.

Der Refe­rats­leiter, der auch unsere IFG-​Anfrage bear­beitet hat, wird in die Eisen­bahn­ab­tei­lung ver­setzt, im Minis­te­rium kommt das einer Höchst­strafe gleich. Selbst die Sach­be­ar­bei­terin muss ihren Arbeits­platz wech­seln.

Es drängt sich der Ver­dacht auf, dass die Haus­lei­tung ein Bau­ern­opfer brauchte. Denn sie war es, die die Öffent­lich­keit über ein halbes Jahr über das Ausmaß des Skan­dals im Unklaren gelassen hatte. Jetzt ist Ruhe ein­ge­kehrt. Bon­hoff ist ent­lassen, die Was­ser­stoff-​För­de­rung ein­ge­froren und auch auf­grund knapper Kassen zusam­men­ge­stri­chen.

Doch was sonst noch über den Schreib­tisch von Klaus Bon­hoff gelaufen ist, ist bis heute unklar. Es gibt keinen neuen Abschluss­be­richt, kein belast­bares Doku­ment, keine Erklä­rung des Minis­te­riums.

Was, wenn Ver­kehrs­mi­nister Wis­sing und seine Haus­lei­tung auch in anderen Berei­chen eine ähn­liche Sorg­falt walten lassen? Etwa bei der För­de­rung von Flug­taxis? Was, wenn die Alt­lasten der Ära Scheuer weiter ihr Unwesen treiben?

Was bedeuten diese Zustände für die Glaub­wür­dig­keit eines FDP-​Ver­kehrs­mi­nis­ters, der zu Recht immer wieder einen spar­samen Umgang mit öffent­li­chem Geld anmahnt? Was heißt das für den Rück­halt für drin­gend benö­tigte Infra­struk­tur­pro­jekte?

Das Minis­te­rium scheint aus der ganzen Sache wenig gelernt haben. Eben vor ein paar Tagen berich­teten die Kol­legen von »Frontal über Abspra­chen des Minis­te­riums mit einem Lob­by­ver­band für Kraft­stoffe. Der Ver­band soll Minis­ter­ter­mine gegen Geld ange­boten haben.
Das alles erweckt einen schlechten Ein­druck. Einen Ein­druck, dass einer der größten und wich­tigsten Etats im Bun­des­haus­halt von einem Selbst­be­die­nungs­laden ver­waltet wird. Das sollte uns allen zu denken geben, gerade nach der Maut-​Affäre. 
Das Gute daran: Die Wahr­heit liegt viel­leicht nur eine IFG-​Anfrage und ein paar Nächte Lek­türe ent­fernt.

Mit der Gerech­tig­keit, in diesem Fall für unseren Kol­legen Daniel Delhaes, ist es schwie­riger. Noch immer unter­sagt ihm das Han­dels­blatt, über das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium zu berichten.

Eine Reha­bi­li­tie­rung hat er nie erfahren. Sein Chef­re­dak­teur, Sebas­tian Mat­thes, wurde unlängst aus­ge­zeichnet: mit dem »Wirt­schafts­jour­na­listen des Jahres« 2023. Glück­wunsch nach­träg­lich – genauso wie an das Ver­kehrs­mi­nis­te­rium – für die ver­schlos­sene Auster 2024.

Ant­wort des Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­riums

Sehr geehrter Herr Prell,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne möchten wir die Gele­gen­heit nutzen und auf Ihre vor­ge­brachten Kri­tik­punkte ein­gehen, da uns eine per­sön­liche Teil­nahme nicht mög­lich ist:

  • Ihre Vorwürfe können nicht nachvollzogen werden.
  • Das BMDV hat vielmehr frühzeitig eine umfassende interne Aufklärung vorangetrieben und zwar bereits ab dem Zeitpunkt als erstmals Compliance-Vorwürfe im Raum standen (d.h. noch bevor ein erster Artikel im Handelsblatt am 27. Juli 2023 dazu erschienen ist).
  • Der damalige Abteilungsleiter Grundsatz ist als Privatperson gegen die Berichterstattung des Handelsblattes vorgegangen. Das Handelsblatt hat daraufhin an seinen erhobenen Vorwürfen (Fördermittelvergabe beruhe auf privaten Freundschaften und gemeinsamen Urlauben, Honorarprofessur) nicht länger festgehalten und eine Korrektur dazu veröffentlicht. Das BMDV hat lediglich auf die darauf erfolgte Korrektur des Handelsblattes hingewiesen.
  • Im Sinne einer umfassenden Aufklärung, war es dem BMDV leider nicht möglich, während der laufenden Untersuchungen zu einzelnen Fragen öffentlich detailliert Auskunft zu geben. Dies hätte die unabhängige Untersuchung der Innenrevision beeinträchtigt.
  • Das BMDV hat stets über Zwischenschritte zum Stand der Untersuchungen informiert.

Mit freund­li­chen Grüßen

Simone Nieke

Spre­cherin

Bun­des­mi­nis­te­rium für Digi­tales und Ver­kehr

Inva­li­den­straße 44

10115 Berlin

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