Keine Pres­se­frei­heit ohne Men­schen­rechte – Bar­bara Loch­bihler

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 15. Juni 2007 | Lese­zeit ca. 14 Min.

Vor­trag von Bar­bara Loch­bihler auf der Jah­res­kon­fe­renz des Netz­werk Recherche, 15. Juni 2007

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bedanke mich sehr für die Gele­gen­heit, heute zu Ihnen über die Pres­se­frei­heit spre­chen zu dürfen. Sie alle sind Frauen und Männer der jour­na­lis­ti­schen Praxis, und es wird in den nächsten zwei Tagen auch darum gehen, wie ganz prak­tisch die Pres­se­frei­heit ver­letzt wird, nament­lich in Ost­eu­ropa. Das mir gestellte Thema „Keine Pres­se­frei­heit ohne Men­schen­rechte“ ver­langt hin­gegen nach Grund­sätz­lich­keit, und ich will auch gleich ein paar grund­sätz­liche Anmer­kungen machen. Doch auch wir von amnesty inter­na­tional sind Frauen und Männer der Praxis, uns inter­es­siert zunächst und vor allem die kon­krete Men­schen­rechts­ver­let­zung und das davon betrof­fene Opfer, und auch davon soll in den nächsten 15 Minuten die Rede sein.

Der Euro­päi­sche Gerichtshof für Men­schen­rechte stellte erst kürz­lich in einer Ent­schei­dung fest1: „Die Mei­nungs­frei­heit ist eine der wesent­li­chen Grund­lagen einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft und eine der Grund­vor­aus­set­zungen für ihren Fort­schritt und für die Selbst­be­stim­mung eines jeden Indi­vi­duums … Die Frei­heit gilt nicht nur der ‚Infor­ma­tion’ und den ‚Ideen’, die als vor­teil­haft, genehm oder pro­blemlos emp­funden werden; son­dern auch jenen Infor­ma­tionen und Ideen, die belei­digen, scho­ckieren und stören. Dies ver­langen die Gebote des Plu­ra­lismus, der Tole­ranz und der Offen­heit, ohne die es eine demo­kra­ti­sche Gesell­schaft nicht geben kann.“

Der Gerichtshof hätte hier auch sagen können: Das ver­langt der Gedanke der Men­schen­rechte. Ich habe dieses Zitat aus zwei Gründen an den Anfang gestellt. Ers­tens, weil es von der über­ra­genden Bedeu­tung der Mei­nungs­frei­heit für frei­heit­liche und demo­kra­ti­sche Gesell­schaften spricht. Und zwei­tens, weil es den Grund­ge­danken der Men­schen­rechts­idee benennt: Die Rechte kommen einem jeden Men­schen unver­äu­ßer­lich zu, egal, ob jemand anderem das nun passt oder nicht, egal, ob sich Herr­schende geschockt oder gestört fühlen, und auch weit­ge­hend unab­hängig davon, ob sich der Betref­fende selbst an die gesell­schaft­li­chen Normen und Regeln hält oder nicht. Und ich will gleich zu Beginn daran erin­nern, dass dieser Gedanke noch immer kei­nes­wegs selbst­ver­ständ­lich ist. Er hat, schaut man auf die all­täg­liche welt­weite Praxis, noch immer viel im besten Sinne revo­lu­tio­näres Poten­tial.

Die Pres­se­frei­heit als Men­schen­recht: Über­springen wir die gesamte ideen­ge­schicht­liche und kämp­fe­ri­sche Geschichte der Men­schen­rechte vor 1945 und betrachten wir die für uns wesent­li­chen Basis­do­ku­mente, die nach der Bar­ba­rei­er­fah­rung des Zweiten Welt­kriegs ent­standen. Man stellt zunächst erstaunt fest: Von Pres­se­frei­heit ist da gar nicht so sehr die Rede. Noch im ganzen 19. Jahr­hun­dert war die „Press­frei­heit“ ein umkämpfter und zen­traler Begriff eman­zi­pa­to­ri­scher Anstren­gungen. Doch weder in der All­ge­meinen Erklä­rung der Men­schen­rechte von 1948 (AEMR) noch in der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­tion von 1950 (EMRK) noch im Inter­na­tio­nalen Pakt über die bür­ger­li­chen und zivilen Rechte von 1966 (Zivil­pakt) kommt der Begriff direkt vor – und dies, obwohl nun indi­vi­du­elle Abwehr und Anspruchs­rechte erst­mals völ­ker­recht­li­chen Rang und Ver­bind­lich­keit erfuhren, d.h. das Indi­vi­duum als Rechts­träger im supra­na­tio­nalen Kon­text aner­kannt wurde.

Ganz anders im deut­schen Grund­ge­setz. Artikel 5 schützt min­des­tens fünf Frei­heits­rechte ganz aus­drück­lich, näm­lich die Mei­nungs­äu­ße­rungs und ver­brei­tungs­frei­heit, die Infor­ma­ti­ons­frei­heit (aus all­ge­mein zugäng­li­chen Quellen), die Pres­se­frei­heit, die Rund­funk­frei­heit, die Film- bzw. Fern­seh­frei­heit. Und er ver­fügt, eben­falls ganz aus­drück­lich, ein Zen­sur­verbot.

Dass die men­schen­recht­li­chen Texte hier zurück­hal­tender sind, mag auch mit unter­schied­li­chen Rechtsstra­di­tionen zu tun haben, worauf ver­ein­zelt ver­wiesen wird. Doch der Grund scheint mir ein anderer zu sein, sozu­sagen ein men­schen­recht­li­cher. Pres­se­frei­heit ist ohne einen grö­ßeren men­schen­recht­li­chen Kon­text gar nicht zu denken, und auf diesen kommt es an. Sie wird näm­lich aus einem umfas­senden Men­schen­recht auf freie Kom­mu­ni­ka­tion abge­leitet. Artikel 19 der AEMR lautet: „Jeder­mann hat das Recht auf Frei­heit der Mei­nung und der Mei­nungs­äu­ße­rung; dieses Recht umfasst die unbe­hin­derte Mei­nungs­frei­heit und die Frei­heit, ohne Rück­sicht auf Staats­grenzen Infor­ma­tionen und Gedan­kengut durch Mittel jeder Art sich zu beschaffen, zu emp­fangen und wei­ter­zu­geben.“ Die EMRK, Art. 10, behan­delt das Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung – das, als Grund­lage, das Recht auf freie Mei­nung („Geis­tes­frei­heit“) ein­schließt. Medien werden eher implizit bzw. negativ behan­delt: Absatz 1 stellt fest, dass Staaten die Rund­funk-​ oder Fern­seh­un­ter­nehmen einem Geneh­mi­gungs­ver­fahren unter­werfen können. Die Print­me­dien sind nicht genannt. Der völ­ker­recht­lich ver­bind­liche Zivil­pakt greift die Mei­nungs­frei­heit eben­falls in seinem Artikel 19 auf und spe­zi­fi­ziert sie als die Frei­heit, ohne Rück­sicht auf Staats­grenzen Infor­ma­tionen und Gedan­kengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunst­werke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu emp­fangen und wei­ter­zu­geben.“ Hier immerhin ist das gedruckte Wort genannt. Aber auch hier ist deut­lich: Es geht um einen grö­ßeren Gesamt­zu­sam­men­hang.

Pres­se­frei­heit ist also als Teil der Mei­nungs­frei­heit ein Men­schen­recht. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt bewertet die Mei­nungs­frei­heit in seiner ersten grund­le­genden Ent­schei­dung zum Artikel 5 GG in kaum zu über­bie­tender Weise: „Das Grund­recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung ist als unmit­tel­barer Aus­druck der mensch­li­chen Per­sön­lich­keit in der Gesell­schaft eines der vor­nehmsten Men­schen­rechte über­haupt…. Für eine frei­heit­lich-​demo­kra­ti­sche Staats­ord­nung ist es schlechthin kon­sti­tu­ie­rend (….) Es ist in gewissem Sinn die Grund­lage jeder Frei­heit über­haupt.“ (BverfGE 7, 198 (208), v. 15.1.1958).

Die Mei­nungs­frei­heit – oder auch Mei­nungs­äu­ße­rungs­frei­heit – wie­derum steht im Kon­text und in Bezie­hung zu anderen Men­schen­rechten. Schaut man auf die unmit­tel­bare Nach­bar­schaft des Artikel 19 der AEMR und des Zivil­pakts, so finden wir in Art. 18 die Gedanken-​, Gewis­sens-​ und Reli­gi­ons­frei­heit, in Artikel 20 (bzw. 21 und 22 im Zivil­pakt) die Ver­samm­lungs-​ und Ver­ei­ni­gungs­frei­heit. Der Zivil­pakt schiebt übri­gens als Artikel 20 das Verbot jeder Kriegs­pro­pa­ganda sowie von Hass­reden dazwi­schen, genau jene Ein­schrän­kung, die amnesty inter­na­tional im Zwei­fels­fall an die Mei­nungs­frei­heit anlegt.

Beide „Nach­bar­rechte“ – die Gedanken-​, Gewissen-​ und Reli­gi­ons­frei­heit wie die Ver­ei­ni­gungs-​ und Ver­samm­lungs­frei­heit zählen sowohl im pri­vat­per­sön­li­chen wie im öffent­lich­keits­be­zo­genen Ver­ständnis zu den fun­da­men­talen Men­schen­rechten.

Ich will noch kurz auf einen anderen Kon­text ver­weisen. Ab Artikel 22 benennt die AEMR eine ganze Reihe von wirt­schaft­li­chen und sozialen Rechten: Das Recht auf soziale Sicher­heit (Art. 22); Das Recht auf Arbeit und gerechte Ent­loh­nung (Art. 23); Das Recht auf Gesund­heit (25), auf Bil­dung (Art. 26). Diese „Wirt­schaft­li­chen, Sozialen und Kul­tu­rellen Rechte“ bezeichnen Juristen gerne als Anspruchs­rechte, im Unter­schied zu den Abwehr­rechten, zu denen die vor­ge­nannten, dar­unter die Mei­nungs­frei­heit gehören. Die AEMR stellt bis heute den umfas­sendsten Katalog frei­heit­lich-​poli­ti­scher und wirt­schaft­lich-​sozial-​kul­tu­reller Rechte dar. Und dieses Zusam­men­gehen ver­weist auch darauf, dass die einen ohne die anderen nicht funk­tio­nieren können. Wer sein Recht auf Bil­dung nicht wahr­nehmen kann, also nicht lesen kann, zudem so arm ist, dass Zei­tungen zu einem Luxus zählen, der für ihn finan­ziell uner­reichbar ist, für den ist die Pres­se­frei­heit mate­riell wertlos, solange nicht seine anderen Men­schen­rechte ver­wirk­licht sind.

Wie steht es um die Pres­se­frei­heit in der Welt? Nicht gut, das wissen Sie aus Ihrer Arbeit. Es würde meine Zeit und Ihre Geduld über­for­dern, wollte ich hier umfas­send Aus­kunft geben. Mit Ost­eu­ropa vor allem werden Sie sich ohnehin aus­führ­lich befassen. Ich greife mal eine Region heraus, die wir im kürz­lich vor­ge­stellten Jah­res­be­richt 2007 unter dem Stich­wort Mei­nungs-​ und Pres­se­frei­heit im Fokus hatten: Den Nahen Osten.

Die meisten Regie­rungen im Nahen Osten waren im Jahr 2006 darauf bedacht, die Kon­trolle über die öffent­liche Mei­nung zu behalten, und setzten der Äuße­rung abwei­chender Mei­nungen enge Grenzen. Medien ris­kierten straf­recht­liche Ver­fol­gung, wenn sie Ver­treter der Regie­rung oder anderer staat­li­cher Stellen kri­ti­sierten. In Alge­rien, Ägypten und Marokko wurden Jour­na­listen auf der Grund­lage von Gesetzen über Ver­leum­dung straf­recht­lich ver­folgt, wäh­rend im Iran nach wie vor Zei­tungen ihr Erscheinen ein­stellen mussten oder Jour­na­listen inhaf­tiert oder miss­han­delt wurden. Die staat­li­chen Kon­trollen erstreckten sich auch auf das Internet. Die Regie­rung von Bah­rain verbot meh­rere Web­seiten, und die syri­schen Behörden blo­ckierten den Zugang zu Home­pages, auf denen Nach­richten und Kom­men­tare über Syrien ange­boten wurden. In Ägypten und im Iran wurden Blogger, die die Behörden kri­ti­siert hatten, in Haft genommen. Men­schen, die ihr Recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung ein­for­derten, ris­kierten ihre Fest­nahme und Inhaf­tie­rung sowie Schi­kanen und Ein­schüch­te­rungs­maß­nahmen. Beson­ders groß war diese Gefahr im Iran, in Syrien, Tune­sien und der West­sa­hara.

Der Rück­schlag, den die Men­schen­rechte seit 9/11 erfahren haben, hat auch die Pres­se­frei­heit berührt. Konnte man vor 2001 von einem zumin­des­tens theo­re­ti­schen und zumin­dest unter Rechts­staaten vor­find­li­chen Kon­sens spre­chen, dass inter­na­tio­nale Politik den Leit­sätzen der Men­schen­rechte zu folgen habe, so ist dieser Kon­sens ver­loren gegangen. Im Gegen­teil, es scheint so, als sei heute der­je­nige begrün­dungs­pflichtig, der genau darauf pocht – auch im Kampf gegen Ter­ro­rismus. Der Primat einer mili­tä­risch ver­stan­denen Sicher­heits­po­litik hat zu Gesetzen geführt, die auch in west­li­chen Demo­kra­tien die Pres­se­frei­heit ein­schränken – und zu For­de­rungen, die Pres­se­frei­heit müsse hinter dem Erfor­dernis der Ter­ror­be­kämp­fung zurück­stehen. In vielen Län­dern nehmen Regie­rungen den Anti­ter­ror­kampf als will­kom­mene Legi­ti­mie­rung, die ohnehin betrie­bene Unter­drü­ckung poli­ti­scher Oppo­si­tion und Mei­nungs­frei­heit zu inten­si­vieren. In Usbe­ki­stan hat sich das Klima für unab­hän­gigen Jour­na­lismus derart ver­schlech­tert, dass die BBC im November ihr Büro in Tasch­kent schließen musste. In Paki­stan sind auch Jour­na­listen unter den Hun­derten, die in den letzten Jahren im Zuge des Anti­ter­ror­kampfes „ver­schwunden“ sind. Andere sind noch da, werden aber immer wieder schi­ka­niert und will­kür­lich ver­haftet.

Die Zahl getö­teter Jour­na­listen in Kriegs­ge­bieten ist in den letzten Jahren stark gestiegen; allein im Irak kamen seit Beginn des Krieges 2003 min­des­tens 139 Jour­na­listen gewaltsam ums Leben. Immer öfter sterben Jour­na­listen nicht nur im Kreuz­feuer oder durch Unfälle, son­dern durch gezielte Angriffe bewaff­neter Gruppen. Stell­ver­tre­tend für alle erin­nere ich an die Kor­re­spon­dentin des ara­bi­schen Nach­rich­ten­sen­ders Al-​Ara­biya, Atwar Bahjat, ihren Kame­ra­mann Adnan Khai­rallah und den Ton­tech­niker Khaled Mohsen. Sie wurden im Februar 2006 in Samarra nörd­lich von Bagdad ent­führt und umge­bracht. Ständig steigt auch die Zahl ent­führter Jour­na­listen, was unter­streicht, dass Jour­na­listen zuneh­mend Opfer gezielter Maß­nahmen werden. amnesty inter­na­tional unter­stützt die For­de­rung, dass inter­na­tio­nale Schutz­maß­nahmen ergriffen werden müssen. amnesty inter­na­tional hat den UN-​Sicher­heitsrat auf­ge­rufen,solche Maß­nahmen zu ergreifen. Der Sicher­heitsrat hat am 23.12.2006 die Angriffe auf Jour­na­listen ver­ur­teilt und alle Kon­flikt­par­teien auf­ge­rufen, solche Angriffe zu beenden. amnesty inter­na­tional hat mit anderen Orga­ni­sa­tionen eine Kam­pagne für ein Pro­tec­tive Press Emblem (PEM­BLEM) für Medi­en­ver­treter in Kon­flikt­ge­bieten begonnen. Das alles reicht natür­lich nicht. Wie alle Zivi­listen müssen Jour­na­listen im Krieg geschützt werden, so sieht es das Völ­ker­recht vor, und wie bei allen völker-​ und men­schen­recht­li­chen Bestim­mungen müssen wir unab­lässig daran arbeiten, das die Bestim­mungen in sub­stan­ti­ellen Schutz umge­setzt werden.

In vielen Län­dern erlauben natio­nale Bestim­mungen, dass Jour­na­listen ein­ge­schüch­tert und ver­folgt werden. In der Türkei gibt es unge­achtet zahl­rei­cher sub­stan­ti­eller Reformen wei­terhin den Straf­be­stand der „Ver­un­glimp­fung des Tür­ken­tums“, nun­mehr Artikel 301 des tür­ki­schen Straf­ge­setz­bu­ches. Diese Bestim­mung dient seit Jahr­zehnten dazu, kri­ti­sche Jour­na­listen zu ver­folgen. Im Iran sind es Bestim­mungen zur „Belei­di­gung“ der Reli­gion wie Artikel 513 des ira­ni­schen Stra­ge­setz­bu­ches, die den­selben Effekt haben. Dieser Artikel sieht sogar die Mög­lich­keit vor, die Todes­strafe zu ver­hängen. amnesty inter­na­tional for­dert seit langem die ersatz­lose Strei­chung des Arti­kels 301 in der Türkei und anderer ver­gleich­barer Bestim­mungen.

Die Nach­rich­ten­technik ver­än­dert sich, die Ver­let­zungen der Pres­se­frei­heit auch. Wir haben es heute zuneh­mend mit dem Phä­nomen der Inter­net­re­pres­sion zu tun. Der­zeit hoch im Kurs ist das „Chi­ne­si­sche Modell“: ein regie­rungs­kon­trol­liertes Internet, das wirt­schaft­li­chem Wachstum alle Frei­heiten, der freien Mei­nung hin­gegen keine Chance ein­räumt. 25 Staaten sind es min­des­tens, die der­zeit im Staats­auf­trag inhalt­liche Filter für das Internet ein­setzen. In China selbst sind Hun­derte von Web­seiten gesperrt. Angeb­lich über­wa­chen mehr als 30.000 Poli­zisten das Internet rund um die Uhr. Wer in China „Demo­kratie“, „Men­schen­rechte“ oder „amnesty inter­na­tional“ in eine Such­ma­schine ein­gibt, erhält prak­tisch keine Treffer. Die Tech­no­logie für das Fil­tern von Such­be­griffen oder das Blo­cken von web­sites kommt von aus­län­di­schen Unter­nehmen wie Yahoo, Google, Micro­soft oder Cisco. In der deut­schen amnesty-​Sek­tion läuft zur Zeit eine erfolg­reiche Kam­pagne, die die Schick­sale einiger ver­folgter Jour­na­listen her­aus­stellt. Shi Tao ist einer von ihnen, ein 38-​jäh­riger chi­ne­si­scher Jour­na­list und Dichter. Er bekam eine Redak­ti­ons­sit­zung mit, in der kurz vor dem Jah­restag des Mas­sa­kers auf dem Tia­nanmen-​Platz ein Richt­linie der Partei zur Kenntnis gegeben wurde. Sie sah strikte Ver­hal­tens­vor­schriften für die Bericht­erstat­tung rund um den Jah­restag vor. Shi Tao mailte die Inhalte dieser Richt­linie unter Pse­du­onym an die Stif­tung „Asia Democracy“ in New York. Monate später stand die Polizei vor seiner Tür. Yahoo hatte die IP-​Adresse von Shi Taos Rechner wei­ter­ge­geben und ihn damit an die Behörden aus­ge­lie­fert. Shi Tao erhielt 10 Jahre Haft. Man habe eine Selbst­ver­pflich­tung unter­schreiben müssen, um in China tätig sein zu können, heißt es bei Yahoo. amnesty inter­na­tional hat im letzten Jahr die Kam­pagne „irre­pres­sible dot info“ gestartet, die sich gegen die wach­sende Zensur im Internet richtet. Auf http://irre­pres­sible.info können Sie online dagegen pro­tes­tieren.

Erlauben Sie mir zum Schluss ein anlass­ge­mäßes Wort zu meiner Orga­ni­sa­tion. Wollte man es etwas über­spitzen, könnte man sagen: der Embryo von amnesty inter­na­tional ist ein Zei­tungs­ar­tikel. Jeden­falls setzen wir unser Geburts­datum auf den 28. Mai 1961, auf den Tag also, an dem in der bri­ti­schen Zei­tung „The Observer“ ein ganz­sei­tiger Artikel des Rechts­an­walts Peter Benenson erschien. Darin rief Benenson dazu auf, sich der Initia­tive „Appeal for Amnesty“ anzu­schließen. Bei der Schil­de­rung der Schick­sale stützte sich Benenson wie­derum auf Zei­tungs­be­richte. Binnen weniger Wochen wurde Benen­sons Artikel ganz oder in Aus­zügen von rund 30 Zei­tungen in Europa und den USA über­nommen. In diesem Kreis sei noch darauf hin­ge­wiesen, dass zu den 14 Grün­dern der deut­schen amnesty-​Sek­tion, die sich noch im selben Jahr 1961 kon­sti­tu­ierte, sieben Jour­na­listen und Publi­zisten gehörten, dar­unter Carola Stern und Gerd Ruge.

Men­schen­rechte sind eine öffent­liche Ange­le­gen­heit. Men­schen­rechts­ar­beit – auch zum Schutz der Pres­se­frei­heit – kann nicht nur den Weg der stillen Diplo­matie gehen. Men­schen­rechts­ar­beit ist des­halb not­wendig Öffent­lich­keits­ar­beit. Es liegt in der Idee der Men­schen­rechte selbst, dass sie Gegen­stand einer welt­öf­fent­li­chen Debatte sind. Öffent­lich­keit ist aber auch für die kon­krete Arbeit zum Schutz von und Gerech­tig­keit für Opfer unver­zichtbar. Es ist banal, aber immer wert, sich ins Gedächtnis zu rufen: Der schlimmste Feind der Men­schen­rechts­ver­let­zung ist Öffent­lich­keit. Öffent­lich­keit ist Prä­ven­tion. Öffent­li­cher Druck ist oft das wich­tigste, zu oft das ein­zige Mittel im Kampf gegen Men­schen­rechts­ver­let­zungen. Doch die Öffent­lich­keits­ar­beit von Orga­ni­sa­tionen wie amnesty inter­na­tional, von Anwälten oder anderen Men­schen­rechts­ver­tei­di­gern allein reicht nicht aus. Die Unter­stüt­zung durch die Medien ist unab­dingbar. Des­wegen ist unab­hän­giger Jour­na­lismus aus Sicht der Men­schen­rechts­ar­beit so unver­zichtbar, und des­halb gehören Jour­na­listen zu den gesell­schaft­li­chen Gruppen, die Men­schen­rechts­ver­letzer beson­ders im Visier haben. Kri­ti­sche Jour­na­listen sind für sie näm­lich gleichsam exis­tenz­be­dro­hend.

Wir von amnesty inter­na­tional würden Sie nie auf­for­dern, sich mit uns „gemein zu machen“, auch wenn es natür­lich „eine gute Sache“ ist, für die wir ein­treten. Sie merken, ich spiele auf Ihr Podium morgen Vor­mittag an. Im Gegen­teil, wir wollen, dass Sie unser Mate­rial zum Anlass nehmen, selbst über Men­schen­rechts­ver­let­zungen und Men­schen­rechts­themen zu recher­chieren um dann unab­hängig dar­über zu berichten. Wir sind bemüht, seriöse Infor­ma­tionen zu geben, die Ihre Arbeit unter­stützen. Wir wün­schen uns aller­dings, dass Sie viel­leicht ein biss­chen öfter und pro­mi­nenter die Themen auf­greifen, die wir „anzu­bieten“ haben. Denn in der Tat sind wir der Mei­nung, dass das Thema Men­schen­rechte nicht beliebig ist, son­dern eines, das im Zen­trum jeder Politik steht. Denn Men­schen­rechte sind, um noch einmal den Euro­päi­schen Gerichtshof auf­zu­greifen, „die wesent­li­chen Grund­lagen einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft und eine der Grund­vor­aus­set­zungen für ihren Fort­schritt und für die Selbst­be­stim­mung eines jeden Indi­vi­duums“. Men­schen­rechte sind also Vor­aus­set­zung und Leit­linie für all das, was Politik sinn­vol­ler­weise errei­chen soll. Und inso­fern ein Muss für den Jour­na­lismus, den Sie hier ver­treten.

Ich bedanke mich für Ihre Auf­merk­sam­keit.

1) Albert Engel­mann-​Gesell­schaft vs. Öster­reich, Ent­schei­dung vom 19. Januar 2006, der Vor­fall – der Gene­ral­vikar der Erz­diö­zese Salz­burg war 1996 in einer katho­li­schen Zeit­schrift u.a. als „Rebell“ bezeichnet worden und hatte auf Ver­leum­dung geklagt und in zwei Instanzen Recht erhalten; die beklagte Zeit­schrift wer­tete die Urteile als Ver­let­zung der Presse-​ und Infor­ma­ti­ons­frei­heit nach Art. 10 EMRK und bekam beim EGMR Recht.

 

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