„Verschlossene Auster“ 2005 an Gerhard Mayer-Vorfelder

veröffentlicht von Netzwerk Recherche | 4. Juni 2005 | Lesezeit ca. 6 Min.

DFB-Präsident erhält „Auszeichnung“ des Netzwerks Recherche für seine restriktive Informationspolitik

Die „Verschlossene Auster“, der Kritik-Preis der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche für Info-Blocker, geht in diesem Jahr an den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Gerhard Mayer-Vorfelder. Er erhält den Preis für seine restriktive Informationspolitik bei der Bundestrainer-Suche und der DFB-Schiedsrichteraffäre sowie für seine sachlich unbegründete Klagefreudigkeit gegenüber dem Südwestrundfunk (SWR). Der Sender hatte sich in einer Satire mit dem Multifunktionär beschäftigt.

Nach Ansicht des Netzwerk Recherche ist der DFB-Präsident ein besonders würdiger Preisträger. „Gerhard Mayer-Vorfelder ist geradezu prädestiniert für die „Verschlossene Auster“. Er verkörpert den Typ des Sportfunktionärs, für den die Öffentlichkeit ein ärgerliches Hindernis und keine demokratische Selbstverständlichkeit ist. Er ist ein professioneller Vertuscher, der die Medien als williges Sprachrohr für seine Botschaften, aber nicht als unabhängige Instanz der Kritik begreift“, sagte der Vorsitzende des Netzwerks Recherche, Dr. Thomas Leif anlässlich der Preisverleihung.

Im vergangenen Sommer suchte Gerhard Mayer-Vorfelder im Alleingang und ohne die Öffentlichkeit zu informieren, einen Nachfolger für Rudi Völler als Bundestrainer. Selbst Franz Beckerbauer kritisierte dieses eigenmächtige Vorgehen als einen unakzeptablen Stil nach Gutsherrenart. Im Februar dieses Jahres machte er bei der DFB-Schiedsrichteraffäre eine mehr als unglückliche Figur. Statt offen die Missstände im DFB anzusprechen und aufzudecken, versuchte der DFB-Präsident, bis zuletzt möglichst vieles unter Verschluss und seinen Verband herauszuhalten. Der DFB-Präsident wälzte die Verantwortung für den Skandal auf den Wettanbieter Oddset ab.

Dabei teilt der DFB-Präsident gern aus, wenn es um seine Person geht – und selbst wenn es sich dabei nur um Satire handelt. Mayer-Vorfelder, der sich stets als „Opfer von gezielten Pressekampagnen“ sieht, verklagte im Mai 2005 den Südwestrundfunk (SWR). Der Hörfunksender SWR3 hatte in einer Comedy-Serie mit Stimmenimitatoren unter anderem Mayer-Vorfelders angebliche Neigung zum Alkohol aufs Korn genommen. Der SWR sieht im Vorgehen Mayer-Vorfelders einen schweren Eingriff in die Kunstfreiheit.

Die „Verschlossene Auster“ wird in diesem Jahr zum vierten Mal verliehen. Bisherige Preisträger waren Bundesinnenminister Otto Schily, der Lebensmittelkonzern ALDI und die HypoVereinsbank, stellvertretend für die meisten DAX-Unternehmen. Die Auster steht als mahnendes Symbol für mangelnde Offenheit und Kooperationsverweigerung von Personen oder Organisationen gegenüber den Medien. Die Preisträger erhalten zur Erinnerung und Mahnung zur Besserung eine Skulptur des Marburger Künstlers Ulrich Behner.

Die diesjährige Laudatio auf den Preisträger hielt Freddie Röckenaus (colourField), der für seine Recherchen zur Finanzkrise von Borussia Dortmund kürzlich den Henri-Nannen- Preis verliehen bekam.

Gerhard Mayer-Vorfelder war der Einladung des Netzwerk Recherche, den Preis auf der Jahrestagung in Hamburg in Empfang zu nehmen und eine „Gegenrede“ zu halten, nicht gefolgt. Über sein Büro ließ er dem Netzwerk Recherche mitteilen, „dass er die Gründe für die Auszeichnung nicht nachvollziehen könne.“

Der Sportfunktionär weilte stattdessen beim Länderspiel der Nationalelf in Nordirland. Dem Angebot, einen Vertreter des DFB zur Preisübergabe zu entsenden, folgte er ebenfalls nicht.

 

Laudatio von Freddie Röckenhaus

Austerpreisträger: Info-Blocker Gerhard Mayer-Vorfelder
Laudator: Henri-Nannen-Preisträger Freddie Röckenhaus

4. Juni 2005 auf der NR-Jahrestagung beim NDR in Hamburg

Wenn wir mal ehrlich sind: Auf den ersten Blick werden die meisten von uns den diesjährigen Preisträger ungefähr so sehr mit einer „verschlossenen Auster“ verbinden, wie wir das etwa bei der Quasselstrippe Hella von Sinnen tun würden.

Manche werden sagen: Wie soll ein Mann mit soviel ausschweifender Talkshow-Touristik und soviel bacchantem, geselligen Trollingertum ein Informationsvernichter sein? Ein Kollege, der es wissen muß, sagte mir: Der Preisträger sei zwar ein Despot – aber immerhin doch nur auf selbstgewähltem Regionalliga-Niveau. Und einen anderen Einwurf eines Sport-Kollegen möchte ich sinngemäß etwa so zusammen fassen: Lohnt es sich, einem abfahrenden Leichenwagen mit der Schreckschußpistole hinterher zu schießen?
Eine kleine Reminiszenz also an den neulich erst überlieferten Tobsuchstanfall vor versammeltem Vorstand des deutschen Fußball-Bundes, als unser Preisträger brüllte: „Wenn ihr mich loswerden wollt, müßt ihr mich schon erschießen.“

Nun ist von Gerhard Mayer-Vorfelder, genannt M.V., auch bekannt, dass er den den Deutschen Fußball-Bund vor ein paar Jahren ganz mit Sinn fürs Volkstümliche „eine riesige Bananenrepublik“ genannt hat – nur um sich dann kurze Zeit später zu dessen Präsident wählen zu lassen. Oder- was man so Wahlen nennt in Bananenrepubliken.

Zuletzt hat sich beim Umgang mit dem Bundesliga-Wettskandal noch einmal herausgestellt, wie M.V. stets wortreich und rhetorisch vertrackt die Wahrheit vernebelt und verschwurbelt und verschwallt. Sozusagen das redseligste Schweigen, nein, eigentlich viel schlimmer: Das Verhindern von Wahrheit durch eine gemütliche Aneinanderreihung von Halbwahrheiten.

Das ganze Leben ist dann nur noch feine Semantik: „Sind sie von Oddset darüber informiert worden, dass ein Manipulationsverdacht bei Bundesligaspielen besteht?“ – Antwort : „Von Manipulationsverdacht stand da nichts drin.“ – Frage: „Na, vielleicht die Vokabel nicht, aber das Schreiben legte doch überdeutlich nahe, dass manipuliert worden ist.“ – Antwort: „Für mich zu dem Zeitpunkt nicht. Heute sind wir alle schlauer.“ Meistens beginnen solche Ausflüchte mit einem altersweisen: „Ach, wissen Sie…“ – und wer sich bei diesen Worten an das Paralleluniversum eines sehr, sehr langjährigen Bundeskanzlers dieses Landes erinnert fühlt, ist selber schuld.

M.V. ist einer aus der alten Riege der Aussitzer, der Unter-den-Teppich-Kehrer. Sie werden es mir nachsehen, dass mir dazu der zweite ganz große Mann des deutschen Fußballs einfällt, Gerd Niebaum, ein Mann, der – gefühlt – mehrere Jahrzehnte Präsident von Borussia Dortmund war. Er sagte, wenige Tage vor seiner Demission im Vereins-Bunker: „Warum soll ich gehen? Der Mayer-Vorfelder ist doch auch noch im Amt.“ Und wenn man die Preissteigerungsrate abzieht, hat M.V. während seiner Präsidentschaft beim VfB Stuttgart ja auch ein ähnliches Finanzdebakel hinterlassen wie Niebaum in Dortmund.

Man darf gespannt sein, wieviele von dieser „old school“ der Politik und des Wirtschaftslebens in ein paar Jahren wohl noch übrig sind. Diese Spezies der Machtsüchtigen und Heimlichtuer und Wichtigtuer, die überhaupt nur aus einem Grunde mitmischen – nämlich, weil sie scharf auf die Posten sind und deren Privilegien. Und deshalb ist die Idee der Wahrheit und der Transparenz und der Nachvollziehbarkeit im Koordinatensystem des M.V. nicht vorhanden. In der Welt eines M.V. macht das Gespräch mit einem Journalisten wohl nur dann Sinn, wenn man glaubt, mit seiner Hilfe Politik machen zu können.

Mir fällt, wenn ich das so sage auf, dass es jede Menge gesprächiger, jovialer Wahrheitsverhinderer gibt. M.V. erhält den Preis auch als Stellvertreter. Für alle, die mit dieser Taktik durch Wahlkämpfe und Karrieren kommen.

Früher, in seinen herrschaftlich schwäbischen Zeiten, hat M.V. den zur Sitzung versammelten Vorstand des VfB Stuttgart bisweilen einfach mal vier oder fünf Stunden warten lassen. Wenn der Chef dann endlich seinen Auftritt hatte, war sämtlicher potentieller Widerstand bereits auf biologische Art und Weise ermattet.

Für soviel Kreativität im Umgang mit der Demokratie gebührt dem Mann eine Würdigung fürs Lebenswerk. Der Preisträger der verschlossenen Auster 2005 ist deshalb DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder.

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