Baden-​Würt­tem­berg: Bündnis for­dert Trans­pa­renz­ge­setz

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 19. Oktober 2022 | Lese­zeit ca. 5 Min.

Ver­wal­tungen sollen rele­vante Infor­ma­tionen im Internet ver­öf­fent­li­chen

Grün-​schwarze Koali­tion soll ihr Ver­spre­chen ein­lösen – Um auf Trans­pa­renz-​Defi­zite hin­zu­weisen, werden regel­mäßig „Heim­lich­tuer“ gekürt

Ein zivil­ge­sell­schaft­li­ches Bündnis aus fünf Verbänden hat heute (19.10) auf einer gemein­samen Pres­se­kon­fe­renz die For­de­rung nach einem lan­des­weiten Trans­pa­renz­re­gister für alle Behörden und Ver­wal­tungen bekräftigt. Damit stützt die Gruppe den Vor­stoß des Lan­des­da­ten­schutz­be­auf­tragten Stefan Brink, der Anfang Oktober auf den IFG Days trans­pa­ren­tere Behörden ange­mahnt hatte. Unter dem Motto „Trans­pa­renz-​Revo­lu­tion jetzt“ for­dern die Landesverbände von Mehr Demo­kratie, Trans­pa­rency Deutsch­land, NABU sowie Frag­den­Staat und das Netz­werk Recherche eine Trend­wende von der Ein­zel­in­for­ma­tion auf Anfrage hin zur auto­ma­ti­schen Veröffentlichung aller rele­vanten Behördeninformationen im Internet.

„Unter dem aktuell gel­tenden Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz des Landes sind Bürgerinnen und Bürger, Umwelt-​ und Verbraucherschutzverbände oder Medi­en­schaf­fende Bitt­stel­le­rinnen und Bitt­steller und bleiben mit ihren Fragen oft im schwerfälligen Behördennetz hängen. Bei auto­ma­ti­scher Veröffentlichung aller Infor­ma­tionen im Trans­pa­renz­re­gister können wich­tige Fragen jeder­zeit ohne Kosten und Zeit­ver­lust recher­chiert werden. Wir for­dern die Lan­des­re­gie­rung daher ein­dring­lich auf, ihr Ver­spre­chen aus dem Koali­ti­ons­ver­trag umzu­setzen und unter breiter Betei­li­gung der Zivil­ge­sell­schaft ein Trans­pa­renz­ge­setz zügig auf den Weg zu bringen“, sagt der NABU-​Lan­des­vor­sit­zende Johannes Enssle im Namen der fünf Verbände.

Freier Zugang zu Infor­ma­tion: Digi­ta­li­sie­rungs­schub und Stärkung der Demo­kratie

In den Keller steigen, um auf Anfrage eines Bürgers nach einer ver­staubten Akte zu fischen? Dazu hätten die meisten Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­tenden nach­voll­zieh­barer Weise weder Zeit und noch Lust. „Unsere Ver­wal­tungen müssen oft noch unter den Bedin­gungen des letzten Jahr­hun­derts arbeiten. Über ein Trans­pa­renz­ge­setz kann das Land drin­gend nötige Anreize für einen Digi­ta­li­sie­rungs­schub setzen. Dies erleich­tert die Arbeitsabläufe in den Ver­wal­tungen und ermöglicht zugleich umfas­sende Trans­pa­renz gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern“, so Sieg­fried Gergs, Lan­des­vor­sit­zender von Trans­pa­rency Deutsch­land.

In Zeiten von Fake-​News könne eine trans­pa­rente und bürgernahe Ver­wal­tung dem um sich grei­fenden Ver­trau­ens­ver­lust in öffentliche Insti­tu­tionen etwas ent­ge­gen­setzen. „Dabei hat Trans­pa­renz nicht nur eine wich­tige Kon­troll­funk­tion, sie ist auch eine Ein­la­dung zur demo­kra­ti­schen Teil­habe. Bürgerinitiativen zum Bei­spiel können so Ver­wal­tungs­han­deln besser nach­voll­ziehen, aber auch leichter eigene Vorschläge recht­zeitig in die öffentliche Debatte ein­bringen. So wird kon­struk­tives demo­kra­ti­sches Enga­ge­ment ermöglicht“, sagt Sarah Händel von Mehr Demo­kratie.

Auch für den Jour­na­lismus wäre ein Trans­pa­renz­ge­setz von Vor­teil. „Die Bericht­erstat­tung gewinnt eine neue Tiefe, wenn sie sich nicht nur auf Auskünfte der Pres­se­stelle stützen muss, son­dern wenn Gut­achten, Stu­dien und Verträge der öffentlichen Hand direkt zugänglich sind“, betont Man­fred Redelfs von der Jour­na­lis­ten­or­ga­ni­sa­tion Netz­werk Recherche. „Wenn Baden-​Württemberg mit diesem Gesetz mehr Trans­pa­renz wagt, ist das nicht nur eine überfällige Reform, son­dern ein Booster für die Demo­kratie und die Qualität der öffentlichen Debatte.“

„Heim­lich­tuer 2022“: Stadt Blum­berg ver­wei­gert Aus­kunft über Berech­nung der Abwassergebühren

Dass im Südwesten das Recht auf Infor­ma­tion nicht immer ernst genommen wird, zeigen ver­schie­dene Fälle von Aus­kunfts­ver­wei­ge­rung. Ein Bei­spiel ist der lang­wie­rige Streit zwi­schen der Land­wirt­schafts­ver­wal­tung und dem NABU zum Ein­satz von Pes­ti­ziden in Natur­schutz­ge­bieten, der schließ­lich erst vor Gericht zugunsten des NABU ent­schieden wurde.

Einen beson­ders erstaun­li­chen Fall von Aus­kunfts­ver­wei­ge­rung durch eine Stadt­ver­wal­tung hat Diet­rich Kuntz, Bürger der Gemeinde Blum­berg (Schwarz­wald-​ Baar-​Kreis), erlebt. „Ich wollte die Kal­ku­la­ti­ons­grund­lagen der Abwassergebühren der Stadt ein­sehen und werde seit sechs Jahren schlicht igno­riert. Selbst ein Beschluss des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs in Mann­heim wird von der Stadt­ver­wal­tung ein­fach miss­achtet“, fasst Kuntz den Sach­stand zusammen. „Jetzt müsste ich als Pri­vat­person kost­spielig klagen, um mein vom Gericht bestätigtes Recht auf Infor­ma­ti­ons­zu­gang durch­zu­setzen. Das kann doch nicht sein!“

Für das Bündnis ist die Stadt Blum­berg damit ein geeig­neter Kan­didat, um als „Heim­lich­tuer“ die Liste der Aus­kunfts­ver­wei­gerer anzuführen. Der „Heim­lich­tuer“ ist ein von den Verbänden neu ins Leben geru­fene, zwei­fel­hafte Ehrung für öffentliche Insti­tu­tionen, die das Infor­ma­ti­ons­recht der Bürgerinnen und Bürger miss­achten oder blo­ckieren. Wei­tere Fälle wird das Bündnis in den nächsten Monaten suk­zes­sive vor­stellen, um zu zeigen, warum ein Trans­pa­renz­ge­setz für alle Betei­ligten die bes­sere Lösung wäre.

Dass es auch anders geht, zeigt die Stadt Hei­del­berg, bei der Diet­rich Kuntz inner­halb weniger Tagen die gewünschten Infor­ma­tionen bekam. Aller­dings musste er hier eine Bearbeitungsgebühr von rund 100 Euro für die Aus­kunft bezahlen. „Solche Gebühren schre­cken jene Bürgerinnen und Bürger, die etwas wissen wollen, oft ab. Mit einem Trans­pa­renz­ge­setz wären diese Gebühren hinfällig”, erläutert Sarah Händel.

Hin­ter­grund:

Der Koali­ti­ons­ver­trag der grün-​schwarzen Lan­des­re­gie­rung führt auf S. 95 zur Trans­pa­renz aus: „Wir werden auf Basis der Eva­lua­ti­ons­er­geb­nisse das Lan­des­in­for­ma­ti­ons­frei­heits­ge­setz zu einem Trans­pa­renz­ge­setz wei­ter­ent­wi­ckeln, das einen ange­mes­senen Zugang zu Infor­ma­tionen der öffentlichen Ver­wal­tung gewährleistet und eine sach­ge­rechte, pro­ak­tive Veröffentlichung von Daten vor­sieht. Die Regie­rungs­frak­tionen setzen hierzu eine ent­spre­chende Arbeits­gruppe ein.“

Bisher ist es noch nicht zur Ein­set­zung einer sol­chen Arbeits­gruppe gekommen.

Wei­tere Infor­ma­tionen zum Thema, zum Bündnis, einen eigenen Gesetz­ent­wurf von Trans­pa­rency Deutsch­land und Mehr Demo­kratie e.V. sowie Infos zu den Heim­lich­tuern unter bw-​blickt-​durch.de

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