Der Interdisziplinäre
„Ich bin Informatiker geworden, weil ich einfach faul bin“, erzählt Kristian Kersting. Schon als Kind hat er sich gerne davor gedrückt, sein Zimmer aufzuräumen. Und fand die Vorstellung toll, irgendjemandem oder irgendetwas beizubringen, die Arbeit für ihn zu erledigen.
Was wie ein lustiger Kindheitstraum klingt, tut Kersting heute tatsächlich in gewisser Weise: Das Forschungsgebiet des Informatik-Professors ist das Data Mining, die Extraktion von Wissen aus großen und komplexen Datenmengen. 2006 hat Kersting auf diesem Gebiet in Freiburg promoviert, es folgte ein Aufenthalt am Massachusetts Institute of Technology (MIT), am Fraunhofer-Institut in Sankt Augustin und an der Universität Bonn, bis er eine Professur an der Technischen Universität in Dortmund annahm.
Dort kam er zum ersten Mal in direkten Kontakt mit dem Journalismus. Beim Antrittsbesuch im Rektorat lernte er Henrik Müller kennen, damals ebenfalls neu ernannter Professor am Lehrstuhl für wirtschaftspolitischen Journalismus. Man kam ins Gespräch und so wurde ein neues Projekt erdacht: Unter dem Namen „ECONIM“ (Economic Narratives in the Media) soll die internationale Berichterstattung um die Finanzkrise betrachtet werden. Dabei werden aus dem Repertoire von Online-Datenbanken mehrere Tausend Artikel unter die Lupe genommen, für einen Menschen ohne maschinelle Hilfe wäre in diesen Mengen ein „Aufräumen“ unmöglich. Welche Themen dabei dominant sind und welche Wörter in Verbindung miteinander auftreten, lässt sich mit Methoden aus dem Data Mining feststellen – und lässt möglicherweise Rückschlüsse auf Sichtweisen in den jeweiligen Ländern zu. Aus der Entwicklung können auch Prognosen für den weiteren Verlauf der Kriseabgeleitet und mögliche Erschütterungen im Voraus erkannt werden, sagt Kersting.
Aber egal wie viele Daten man aufräumt und sortiert, lässt sich die Zukunft überhaupt sicher vorhersagen?„Klar gibt es keine Sicherheiten, nur Wahrscheinlichkeiten. Irgendwann treffen Mensch und Maschine aber gemeinsam informierte Entscheidungen“, sagt der 40-Jährige. Für Kersting ergänzen sich die beiden kooperierenden Disziplinen aus Wissenschaft und Medien jedenfalls hervorragend: „Es gibt eine ganz natürliche Beziehung zwischen Informatikern und Journalisten“ – was die einen technisch besser finden könnten, verpackten die anderen in Worte.
Für die Zukunft wünscht sich Kersting jedenfalls eine bessere Aufklärung zum Umgang mit Daten schon in der Schule – und das auch außerhalb des Informatikunterrichts. Jeder solle wissen, dass er digital Daten hinterlässt. Aus den Vorteilen neuer Technologien kann nämlich nur der schöpfen, der auch mit den Risiken vertraut ist und diese umfassend im Blick behält. Das muss auch ein Informatiker wie Kersting – bei aller sympathischen Faulheit.