Ein langer Weg – Datenjournalismus im Lokalen
Feste Arbeitszeiten und ausreichend Budget – der Alltag von Lokalredakteuren sieht anders aus. Gearbeitet wird solange, bis die Seiten voll sind, schließlich muss am nächsten Morgen etwas im Blatt stehen. Geschrieben wird für die unmittelbare Veröffentlichung. Die Integration von datenjournalistischen Projekten auf lokaler Ebene scheint da hinsichtlich Zeit, Geld und Kompetenz schwer möglich. Wie kann sie trotzdem gelingen?
Mit drei Kollegen sitzt Vanessa Wormer in der Online-Redaktion der Lokalzeitung Heilbronner Stimme. „Wir arbeiten in Schichten. Besonders wenn man Spätdienst bis 22 Uhr hat, bleibt wenig Zeit und Nerv für die Datenanalyse. Das Tagesgeschäft geht vor“, sagt die Redakteurin. Seit Ende 2013 versucht Wormer zusammen mit ihrem Team, Datenjournalismus bei der Heilbronner Stimme „nebenbei“ zu etablieren. Ein Projekt ist die interaktive Grafik Was steckt in meinem Leitungswasser?: Leser können ihren Wohnort eingeben und sehen, wie sich ihr Trinkwasser zusammensetzt. „Das ist ein Bürgertool. Mit mehr Zeit könnte man die Daten im Hinblick auf die Qualität noch weiter analysieren“, so Wormer. Datenjournalist Lorentz Matzat sieht hier noch ungenutzte Möglichkeiten. „Mit Datenjournalismus können wir etwas sichtbar machen, was nur sichtbar wird, wenn man Daten hat.“
Viele Lokalredaktionen kommen aber nur schwer an Datensätze. Die Skepsis der örtlichen Behörden ist groß. Hinzu kommt, dass fünf Bundesländer noch kein eigenes Informationsfreiheitsgesetz haben. Das betrifft auch die Arbeit der Heilbronner Stimme. „Wir müssen uns bei den Behörden persönlich vorstellen und zeigen, was wir mit den Daten machen wollen. Das ist ein langer Weg, aber es lohnt sich“, sagt Wormer. Hat die Redaktion einmal die Rohdaten, wird oft abgewogen. „Die meisten Geschichten sind es wert, Geld in die Hand zu nehmen. Das bei lokalen Zeitung durchzusetzen, ist schwierig. Die finanziellen Grenzen sind auf jeden Fall da“, sagt Wormer. Ihre Redaktion arbeitet mit einem externen Programmierer zusammen, um datenjournalistische Projekte zu realisieren. Ein Kostenpunkt, der immer wieder mit dem Verlag verhandelt wird.
Dabei wird vor allem in Zukunft spezialisiertes Personal entscheidend sein, um die Lokalzeitungen gut zu positionieren. „Ökonomisch würde ich jeder Redaktion raten, einen Programmierer und einen Grafiker zu beschäftigen. Der Journalist übernimmt eine Schnittstellenfunktion. Er ist ein Produzent, der weiß, wie Webtechnologie funktioniert und was im Datenjournalismus möglich ist“, sagt Matzat. In der Online-Redaktion der Dortmunder Ruhr Nachrichten ist man ähnlicher Ansicht. Bislang arbeitet die Zeitung ohne Programmierer. „Wir experimentieren viel mit Daten, aber sind auch an unseren Grenzen. Es ist nur logisch, dass irgendwann Programmierer kommen werden. Das kostet aber Geld und Zeit“, sagt Redakteur Thomas Thiel. Auch das Projekt „Datenspezial-Schule“ war für die Ruhr Nachrichten arbeits- und kostenintensiv. Über zwei Wochen wurden Daten über das Dortmunder Schulsystem analysiert, die im Anschluss aber mehrfach verwertet werden konnten. „Wir haben eine Sonderseite zum Thema Schule gedruckt. Datenjournalismus online macht auch Print besser“, sagt der Dortmunder Redaktionsleiter Philipp Ostrop in einem Interview.
Datenjournalismus im Lokalen, wie wir ihn bis jetzt erleben, ist noch ausbaufähig. Dennoch lässt sich die Arbeit von Lokalredakteuren mit datenjournalistischen Ansätzen vereinen. „Man kann auch aus kleineren Projekten und mit kleineren Mitteln interessante Geschichte machen. Wenn man sich mit den Programmen auskennt, schafft man viele Visualisierungen oft in einer Stunde“, so Wormer von der Heilbronner Stimme. Eine „Dialekt-Map“ hat ihr Team zum Beispiel erstellt: Auf der Karte kann man Tonaufnahmen von Lesern aus verschiedenen Regionen anklicken, die alle das Wort Eimer in ihrem Dialekt aussprechen. Eine innovative Idee, die die Leser miteinbezieht. „So etwas wird gut angenommen und viel geklickt“, sagt Wormer. Im Datenjournalismus sieht sie eine Möglichkeit, den Bedeutungsverlust der Lokalmedien abzuwenden. „Mit der Offenlegung valider Daten können wir wieder Vertrauen aufbauen und Transparenz signalisieren.“ Davon ist auch Matzat überzeugt. „Die Lokalzeitungen können mit Datenjournalismus punkten. Auf lokaler Ebene gibt es so viele Daten, die man so vielfältig und gewinnbringend umsetzten kann. Das Potenzial ist riesig.“
Wer sich traut, den Datenjournalismus aufzubauen, hat gute Chancen auf ein Alleinstellungsmerkmal. Denn Geschichten dieser Art kann die Konkurrenz nicht so leicht kopieren.