Geht es dem Journalismus noch zu gut?
Eine kleine Medientagung auf dem Hammerhof in Mittelfranken suchte Antworten auf die großen Fragen zur Zukunft des Lokaljournalismus. Der ungewöhnliche Tagungsort lud dazu ein, die ausgetretenen Pfade der Debatte zu verlassen und neue Ideen zu diskutieren.
Die Diskussion über die Zukunft des Journalismus kann ziemlich deprimierend sein. Vor allem im Lokalen. Dort teilt sich der Markt der Zeitungsleser in die Älteren, die ihr Abo „mit ins Grab nehmen“, wie es Frank Lobigs, Journalistik-Professor an der TU Dortmund, nennt, und so den Verlagen noch ein paar Jahre Luft verschaffen, ehe ihr traditionelles Geschäftsmodell implodiert, und in die Jüngeren, deren grundlegend anderer Medienkonsum genau dafür verantwortlich ist.
Experten sind ratlos, wie es gelingen soll, die vielfältigen Probleme, die der digitale Wandel mit sich bringt, zu lösen. Es geht dabei ja nicht nur darum, den fast vollständigen Verlust des Werbegeschäfts im Internet an Facebook und Google irgendwie zu kompensieren. Es geht auch darum, Inhalte überhaupt an den Nutzer zu bringen, damit der Journalismus seine gesellschaftliche Funktion erfüllen kann.
Man kann der Branche nicht vorwerfen, dass sie über all dies nicht nachdenkt. Kein Medienkongress, auf dem Schlagworte wie Innovation, Disruption oder Start-up fehlen. Aber vielleicht geht es den Medienhäusern ein wenig wie den deutschen Autobauern. Klar forscht man im Autoland Nr. 1 an den Antrieben der Zukunft. Aber so richtig eilig scheint man es nicht zu haben, solange der Absatz von Autos mit Verbrennungsmotor das Überleben erst einmal noch sichert.
Andreas Franke, Leiter Lokalredaktion der Nürnberger Nachrichten, beobachtet Ähnliches im Journalismus. Er stellt die These auf, „dass es uns allen noch viel zu gut geht“. Und das, obwohl die Auflagen der deutschen Tageszeitungen seit dem Jahrtausendwechsel um mehr als ein Drittel und die Werbeerlöse um mehr als die Hälfte zurückgegangen sind. Franke äußert die ehrliche wie erschreckende Vermutung, dass es seine Zeitung noch 10 bis 15 Jahre geben wird. Aber noch gehe es Verlag und Redaktion eben gut, liege die Auflage am Wochenende bei 260.000 Exemplaren und arbeiteten 150 Redakteure im Haus. Aber das ist natürlich nur eine Momentaufnahme – wie ein letzter schöner Herbsttag vor dem langen kalten Winter.
Andreas Franke war einer von ein paar Dutzend Diskutanten und Teilnehmern der Veranstaltung „Lokaljournalismus und Demokratie – wenn Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist“ im mittelfränkischen Neuhof an der Zenn bei Nürnberg. Passend zum Thema hatte der Veranstalter, die gemeinnützige Organisation Kreatives Unternehmertum aus München, in die Provinz eingeladen. Genauer: auf den Hammerhof, eine zum Tagungszentrum umgebaute ehemalige Dorfgaststätte samt gemütlich eingerichteter Scheune. Unterstützt wurde die Medientagung von der Schöpflin Stiftung und der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius.
Weil mittlerweile (fast) die gesamte Medienlandschaft die eigene Not erkannt hat (die Nürnberger Nachrichten arbeiten z.B. mit der Fraunhofer-Gesellschaft an der Frage, wie das eigene Informationsangebot im Sinne des Publikums optimiert werden kann), zerbricht sich die Branche seit Jahren den Kopf, wie man diese Abwärtsspirale aufhalten kann. Ideen gibt es viele, vielversprechende Projekte auch – aber genauso viele Rückschläge.
Auch auf dem Hammerhof diskutierten Vertreter aus Redaktionen, dem Verlagswesen, von Stiftungen und dem Bankensektor über alternative Geschäftsmodelle aber auch strukturelle Möglichkeiten zur Förderung und Aufrechterhaltung von Berichterstattung im Lokalen.
So ging es etwa um die Frage, ob ein genossenschaftlich organisiertes Geschäftsmodell (taz, Republik) auf den Lokaljournalismus übertragen werden kann. Als Rettung der Lokalzeitung taugt das Modell zwar vermutlich nicht, weil die Zahl potenzieller (zahlungswilliger) Unterstützer in der Fläche zu klein ist. Correctiv-Geschäftsführer David Schraven gab jedoch zu bedenken, dass für kleine Recherchebüros mit wenigen Mitarbeitern deutlich weniger Unterstützer nötig seien. Ihm schwebt aber noch eine ganz andere Art indirekter Journalismusförderung vor: Öffentliche Aufträge sollten in der Kalkulation ihrer Budgets einen kleinen Anteil „zur öffentlichen Kontrolle“ enthalten, der der Förderung der 4. Gewalt zugutekäme. Schon bei einem Anteil von 0,2 Prozent kämen bei Millionenprojekten tausende Euro zusammen, um die sich Redaktionen bewerben könnten, so Schraven. Ähnlich tollkühn war die Idee einer freiwilligen Medienabgabe lokaler Unternehmen zur Demokratieförderung, die in einer Arbeitsgruppe auf dem Hammerhof erörtert wurde.
Auch die Kooperation verschiedener Akteure der Lokal- und Regionalberichterstattung wurde diskutiert. Während die Vernetzung von Lokalzeitungen und lokalen Bloggern häufig an gegenseitiger Ablehnung scheitert, sind Kooperationen zwischen Verlagen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk „rechtlich möglich und denkbar“, so das Urteil von Matthias Kurp von der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Was bei den großen Rechercheverbünden bereits vollzogen ist, könnte auf lokaler Ebene zum Beispiel dann funktionieren, wenn die Öffentlich-Rechtlichen externe lokaljournalistische Inhalte in die eigenen Webplattformen integrieren und so einem breiteren Publikum zugänglich machen würden.
ZDF-Digitalstratege Robert Amlung sieht eine mögliche Rolle seines Hauses als „Infrakstrukturprovider“. Entsprechende Kooperationen erprobt das ZDF aktuell mit Partnern aus dem Kulturbereich, die eigene Videobeiträge in der ZDF-Mediathek veröffentlichen können. Ein ähnliches Angebot für lokale Videoblogger wäre technisch leicht umsetzbar. Da das ZDF – anders als die ARD – keine Regionalberichterstattung macht, müsste man allerdings noch über die thematische Anbindung an die übrigen Inhalte der Mediathek und die Auffindbarkeit der Lokalnachrichten nachdenken. Aber könnte nicht das Nachrichtenportal des WDR lokalen Bloggern eine Rubrik „freiräumen“?
Stiftungen könnten über gezielte Projektförderung die Vernetzung der verschiedenen Akteure vorantreiben. Bisher engagieren sie sich vor allem in der Qualifizierung von Journalisten, der Finanzierung von Recherchen sowie der Format- und Organisationsentwicklung. Als Innovationstreiber sollten sie aber nicht da „einspringen, wo der Markt versagt“, warnte Kurp vor übertriebenen Erwartungen an den philanthropischen Sektor. Stattdessen könnten Stiftungen über Initiativen dafür sorgen, dass die Gesellschaft über den Wert von Journalismus nachdenkt.
Was in der mittelfränkischen Scheune einmal mehr klar wurde, war die Orientierungslosigkeit der Branche bei gleichzeitiger Zielstrebigkeit, eine Lösung für die vielen Probleme zu finden. Mittelfristig hilft vermutlich nur das, was Bestseller-Autor Felix Plötz gegen Ende der Veranstaltung propagierte: „Einfach mal machen!“
Fotos: Malte Werner und Josef Krieg