Großer Erfolg: Ver­fas­sungs­ge­richt erklärt welt­weite Mas­sen­über­wa­chung durch den Bun­des­nach­rich­ten­dienst für ver­fas­sungs­widrig

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 19. Mai 2020 | Lese­zeit ca. 4 Min.

Nach Klage von Bündnis aus Netz­werk Recherche, GFF und vier wei­teren Medi­en­or­ga­ni­sa­tionen stärkt Grund­satz­ur­teil inter­na­tio­nale Men­schen­rechte und Pres­se­frei­heit

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat die Über­wa­chung des welt­weiten Inter­net­ver­kehrs durch den Bun­des­nach­rich­ten­dienst (BND) für ver­fas­sungs­widrig erklärt. Das maß­geb­liche BND-​Gesetz miss­achte die Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­frei­heit in Artikel 10 des Grund­ge­setzes, weil es die Bin­dung der Aus­lands­über­wa­chung an das Grund­ge­setz nicht aner­kenne. Bei der Neu­fas­sung des BND-​Gesetzes müsse der Gesetz­geber beachten, dass eine anlass­lose Aus­lands­über­wa­chung nur in eng begrenzten Fällen mög­lich sei. Auch müssten ver­letz­liche Per­so­nen­gruppen wie Jour­na­list*innen beson­ders geschützt werden. Die gezielte Über­wa­chung Ein­zelner sei an höhere Hürden zu knüpfen. Weiter müsse die Aus­lands­über­wa­chung wesent­lich effek­tiver durch unab­hän­gige Gre­mien mit eigener Bud­get­ho­heit kon­trol­liert werden. Das Urteil setzt damit neue Stan­dards im inter­na­tio­nalen Men­schen­rechts­schutz und für die Frei­heit der Presse.

Anlass für die Ent­schei­dung war eine Ver­fas­sungs­be­schwerde, die ein Bündnis aus Netz­werk Recherche und der Gesell­schaft für Frei­heits­rechte (GFF) sowie vier wei­teren Medi­en­or­ga­ni­sa­tionen ein­ge­reicht hatte. Der Fall warf unter anderem die Grund­satz­frage auf, ob deut­sche Behörden im Aus­land über­haupt an die Grund­rechte des Grund­ge­setzes gebunden sind. Das hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt für Artikel 10 des Grund­ge­setzes nun unmiss­ver­ständ­lich bejaht. „Das Urteil ist ein Signal für die Pres­se­frei­heit und für den Schutz der Grund­rechte welt­weit“, so Julia Stein, Vor­sit­zende von Netz­werk Recherche. „Nun sind deut­sche Behörden auch im Aus­land an das Grund­ge­setz gebunden – eine über­fäl­lige Ent­schei­dung für den Schutz von Infor­manten und eine wich­tige Basis für eine ver­trau­ens­volle inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit von inves­ti­ga­tiven Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen.“

Neue Stan­dards für die Arbeit des BND

Gerade dass der BND sich im Aus­land nicht an die Grund­rechte gebunden sah, hatte die kla­genden aus­län­di­schen Jour­na­list*innen zu ihrer Ver­fas­sungs­be­schwerde moti­viert. Die umfas­sende Über­wa­chung durch Nach­rich­ten­dienste kann die Arbeit freier Medien behin­dern, weil Medi­en­schaf­fende und ihre Quellen kaum noch ver­trau­lich kom­mu­ni­zieren können. Die Jour­na­list*innen freuen sich dar­über, dass das Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts neue Stan­dards für die Arbeit des BND setzt, und hoffen auf eine inter­na­tio­nale Signal­wir­kung für die Tätig­keit der Nach­rich­ten­dienste anderer Länder.

Edward Snow­dens Ent­hül­lungen standen am Anfang

Über sieben Jahre, nachdem Edward Snowden ein glo­bales System geheim­dienst­li­cher Mas­sen­über­wa­chung ent­hüllt hat, hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt über die Recht­mä­ßig­keit der deut­schen Betei­li­gung daran höchst­rich­ter­lich ent­schieden. Im Zuge des NSA-​Skan­dals hatte ein Unter­su­chungs­aus­schuss des Bun­des­tages ans Licht gebracht, dass der BND als Steig­bü­gel­halter der NSA fun­gierte, wor­aufhin die dama­lige Große Koali­tion ein neues BND-​Gesetz ver­ab­schie­dete.

Doch anstatt dem Aus­lands­ge­heim­dienst klare Schranken zu setzen, wollte die Bun­des­re­gie­rung die prak­tisch flä­chen­de­ckende Aus­lands­über­wa­chung ein­fach pau­schal lega­li­sieren – trotz mas­siver Pro­teste aus der Zivil­ge­sell­schaft und ohne die Grenzen der Ver­fas­sung zu beachten. Die Gesell­schaft für Frei­heits­rechte koor­di­nierte dar­aufhin ein Bündnis aus inter­na­tional renom­mierten Jour­na­list*innen sowie fünf Medi­en­or­ga­ni­sa­tionen, dar­unter Netz­werk Recherche. Gemeinsam reichten sie Ende 2017 Ver­fas­sungs­be­schwerde gegen das BND-​Gesetz ein. Die Kläger*innen fürchten unter anderem eine Aus­höh­lung des Quel­len­schutzes.

Teil des Bünd­nisses sind neben der GFF und Netz­werk Recherche auch Reporter ohne Grenzen (RSF), der Deut­sche Jour­na­listen-​Ver­band (DJV), die Deut­sche Jour­na­lis­tinnen und Jour­na­listen Union dju in ver.di sowie das Jour­na­lis­ten­netz­werk n-ost. Zu den Beschwer­de­führer*innen gehört unter anderem die Trä­gerin des Alter­na­tiven Nobel­preises, Kha­dija Isma­ji­lova. Ver­fah­rens­be­voll­mäch­tigter ist der Mainzer Hoch­schul­lehrer Prof. Dr. Mat­thias Bäcker; Reporter ohne Grenzen wird daneben ver­treten von Rechts­an­walt Dr. Bijan Moini (GFF).

In Karls­ruhe sind meh­rere Ver­fas­sungs­be­schwerden der GFF anhängig, mit denen die Orga­ni­sa­tion seit 2016 ins­be­son­dere gegen ver­fas­sungs­wid­rige Über­wa­chungs-​ und Poli­zei­be­fug­nisse vor­geht. Mit dem heu­tigen Urteil hat die GFF ihren ersten großen Fall in Karls­ruhe gewonnen.

Mehr Infor­ma­tionen inklu­sive der Ver­fas­sungs­be­schwerde, über die ent­schieden wurde, unter www.not­rust­no­news.org

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