Kran­ken­haus­sta­tistik unter der Lupe: der Ope­ra­ti­ons­ex­plorer

ver­öf­fent­licht von Gast­bei­trag | 3. Sep­tember 2014 | Lese­zeit ca. 5 Min.

Herz­in­farkte, Hüft­ge­lenke, HIV: Jede Woche werden neue medi­zi­ni­sche Stu­dien über die Deut­schen und ihre Krank­heiten vor­ge­stellt. Wer deren Aus­sagen unab­hängig über­prüfen will, stößt häufig auf Hin­der­nisse: Zwar sind viele Daten bei­spiels­weise beim Sta­tis­ti­schen Bun­desamt gegen Gebühr erhält­lich, aber ohne gute Sta­tis­tik­kennt­nisse und Spe­zi­al­soft­ware kommt man in den ewig langen Tabellen nicht sehr weit.

Vor ähn­li­chen Pro­blemen stand auch Wis­sen­schafts­jour­na­list Volker Stol­lorz.

„Wir bekamen einen regel­rechten „Excel-​Krampf“ bei der Über­prü­fung von Daten­sätzen über Hys­te­rek­to­mien“, berichtet er über ein Recher­che­pro­jekt zu der Frage, wie häufig und warum Frauen die Gebär­mutter ent­fernt wird. Das Pro­jekt aus dem Jahr 2011 wurde im Rahmen der an der TU Dort­mund ange­sie­delten Initia­tive Wis­sen­schafts­jour­na­lismus geför­dert. Schon damals hatte er das Gefühl, so etwas müsse ein­fa­cher werden, um an der Geschichte zu arbeiten. Sein Glück: Als „Jour­na­list in Resi­dence“ beim Hei­del­berger Institut für theo­re­ti­sche Stu­dien (HITS) und mit finan­zi­eller Unter­stüt­zung der Robert Bosch Stif­tung ent­wi­ckelte Jour­na­list Stol­lorz gemeinsam mit dem Pro­gram­mierer Meik Bitt­kowski den Ope­ra­ti­ons­Ex­plorer. Der Ope­ra­ti­ons­Ex­plorer ist ein medizin-​jour­na­lis­ti­sches Ana­ly­se­tool. Er soll einen ver­ein­fachten Über­blick über 18 Mil­lionen Daten­sätze zu Dia­gnosen und Behand­lungen in deut­schen Kran­ken­häu­sern bieten und noch im Jahr 2014 starten.

Hinter den Daten­sätzen ver­bergen sich die Dia­gnosen, Ope­ra­tionen und Pro­ze­duren nahezu aller Kli­nik­pa­ti­enten in Deutsch­land, klas­si­fi­ziert nach ICD-10- (Inter­na­tional Clas­si­fi­ca­tion of Diseases) und OPS-​Codes (Ope­ra­tionen-​ und Pro­ze­du­ren­schlüssel). Außerdem lassen sich die vor­han­denen Daten­sätze aus knapp 2000 deut­schen Kran­ken­häu­sern nach Wohnort des Pati­enten, Geschlecht und 18 Alters­gruppen auf­ge­schlüs­selt betrachten. Damit die Daten trotz unter­schied­li­cher Alters­struk­turen in unter­schied­li­chen Regionen ver­gleichbar werden, nor­miert der Ope­ra­ti­ons­Ex­plorer die Fall­zahlen auf Fälle pro 100.000 Ein­wohner und sorgt auf Knopf­druck für eine Alters­stan­dar­di­sie­rung.

Gut für den Nicht-​Sta­tis­tiker, der zum Bei­spiel nach Daten über eine bestimmte Krank­heit in ver­schie­denen Regionen sucht: Man spart viel Zeit und zusätz­lich werden Fehler durch das Nicht-​Beherr­schen eines sta­tis­ti­schen Hand­werks ver­mieden.

Nut­zungs­mög­lich­keiten für den Explorer sind zum Bei­spiel Ana­lysen über medi­zi­ni­sche Trends und Ent­wick­lungen. Egal, ob es um die Ver­brei­tung von Masern-​Epi­de­mien oder die nicht mehr zeit­ge­mäße Nut­zung von über­holten Behand­lungen geht – mit dem pas­senden Code lassen sich die Daten schnell aus­wählen und auf einer Deutsch­land­karte dar­stellen.

Volker Stol­lorz weist aller­dings darauf hin, dass diese Ana­lysen nur so gut sein können „wie die Daten halt sind“. Denn diese werden von den Kodie­rern der Kli­niken ins Abrech­nungs­system der Kran­ken­kassen ein­ge­tragen. Und es ist nicht aus­zu­schließen, dass dieser Vor­gang feh­ler­haft ist oder sogar mani­pu­liert wird – etwa um den Ertrag einer Klinik zu erhöhen. Das geflü­gelte Wort „Traue keiner Sta­tistik, die du nicht selbst gefälscht hast“ hat also auch hier eine gewisse Berech­ti­gung. Ande­rer­seits gilt: Es gibt eben keine bes­seren Daten. Auch die Kran­ken­kassen mit ihren Stu­dien nehmen die Abrech­nungs­sta­tistik als Grund­lage für ihre Dar­stel­lungen, wie gut die Kran­ken­ver­sor­gungs­lage in ver­schie­denen Regionen Deutsch­lands ist.

Und manche Daten können oder dürfen auch gar nicht genauer erfasst werden. So wird immer nur die ein­zelne Behand­lung und nicht der Patient als sol­cher kodiert. Dadurch steigt die Gesamt­zahl der Daten­sätze. Erreicht jemand mit einer Grippe das Kran­ken­haus und ver­lässt es zusätz­lich nach einer Lun­gen­ent­zün­dung, taucht er somit zweimal in der Sta­tistik auf.

Das aber hat bereits mit dem Daten­schutz für den ein­zelnen Pati­enten zu tun. Wenn man über das Zusam­men­legen ver­schie­dener Infor­ma­tionen einen bestimmten Pati­enten de-​anony­mi­sieren könnte, wäre für Volker Stol­lorz eine ethi­sche Grenze erreicht. Aus diesem Grund sind die Daten im Ope­ra­ti­ons­Ex­plorer auch nur dann ange­geben, wenn Dia­gnosen oder Ope­ra­tionen in min­des­tens drei Fällen vor­handen sind. So soll der direkte Bezug auf einen Pati­enten erschwert werden. Um zusätz­lich den ver­ant­wor­tungs­vollen Umgang mit den Daten zu stärken, ist das Pro­jekt nicht als Open­Data-​Pro­jekt gedacht. Statt­dessen muss man sich inner­halb eines Club­mo­dells regis­trieren und die Nut­zungs­be­din­gungen akzep­tieren.

„Ziel meiner Bericht­erstat­tung ist die Qua­lität der Behand­lung und der gene­rellen medi­zi­ni­schen Qua­lität in Deutsch­land trans­pa­rent zu machen und zu ver­bes­sern.“, sagt Volker Stol­lorz. Zunächst aber befindet sich der Explorer in einer Test-​Phase, um den Umgang damit zu üben, später soll er dann über das Regis­trie­rungs­mo­dell mehr Leuten zugäng­lich gemacht werden. Bisher sind im auch nur die Daten von sta­tio­nären Behand­lungen auf­ge­führt, eine Erwei­te­rung um Daten aus dem ambu­lanten Ver­sor­gungs­be­reich ist noch Zukunfts­musik. Und es gibt wei­tere Pläne: Die Daten­bank soll um ein wei­teres Thema, eine regional auf­ge­schlüs­selte Todes­ur­sa­chen­sta­tistik, ergänzt werden.

Ebenso hoffen die Ent­wickler auf eine zukünftig schnel­lere Ein­spei­sung der Daten. Da bisher nur die Daten bis 2012 ein­ge­pflegt sind, ent­steht eine Zeit­dif­fe­renz, in der manche Trends längst nicht mehr aktuell sind. Aber trotzdem gibt Volker Stol­lorz sich zuver­sicht­lich, mit dem neuen Tool so man­chen künf­tigen Excel-​Krampf lösen zu können: „Ich habe das Gefühl, dass da recht coole Geschichten zu finden sind.“

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