Krankenhausstatistik unter der Lupe: der Operationsexplorer
Herzinfarkte, Hüftgelenke, HIV: Jede Woche werden neue medizinische Studien über die Deutschen und ihre Krankheiten vorgestellt. Wer deren Aussagen unabhängig überprüfen will, stößt häufig auf Hindernisse: Zwar sind viele Daten beispielsweise beim Statistischen Bundesamt gegen Gebühr erhältlich, aber ohne gute Statistikkenntnisse und Spezialsoftware kommt man in den ewig langen Tabellen nicht sehr weit.
Vor ähnlichen Problemen stand auch Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz.
„Wir bekamen einen regelrechten „Excel-Krampf“ bei der Überprüfung von Datensätzen über Hysterektomien“, berichtet er über ein Rechercheprojekt zu der Frage, wie häufig und warum Frauen die Gebärmutter entfernt wird. Das Projekt aus dem Jahr 2011 wurde im Rahmen der an der TU Dortmund angesiedelten Initiative Wissenschaftsjournalismus gefördert. Schon damals hatte er das Gefühl, so etwas müsse einfacher werden, um an der Geschichte zu arbeiten. Sein Glück: Als „Journalist in Residence“ beim Heidelberger Institut für theoretische Studien (HITS) und mit finanzieller Unterstützung der Robert Bosch Stiftung entwickelte Journalist Stollorz gemeinsam mit dem Programmierer Meik Bittkowski den OperationsExplorer. Der OperationsExplorer ist ein medizin-journalistisches Analysetool. Er soll einen vereinfachten Überblick über 18 Millionen Datensätze zu Diagnosen und Behandlungen in deutschen Krankenhäusern bieten und noch im Jahr 2014 starten.
Hinter den Datensätzen verbergen sich die Diagnosen, Operationen und Prozeduren nahezu aller Klinikpatienten in Deutschland, klassifiziert nach ICD-10- (International Classification of Diseases) und OPS-Codes (Operationen- und Prozedurenschlüssel). Außerdem lassen sich die vorhandenen Datensätze aus knapp 2000 deutschen Krankenhäusern nach Wohnort des Patienten, Geschlecht und 18 Altersgruppen aufgeschlüsselt betrachten. Damit die Daten trotz unterschiedlicher Altersstrukturen in unterschiedlichen Regionen vergleichbar werden, normiert der OperationsExplorer die Fallzahlen auf Fälle pro 100.000 Einwohner und sorgt auf Knopfdruck für eine Altersstandardisierung.
Gut für den Nicht-Statistiker, der zum Beispiel nach Daten über eine bestimmte Krankheit in verschiedenen Regionen sucht: Man spart viel Zeit und zusätzlich werden Fehler durch das Nicht-Beherrschen eines statistischen Handwerks vermieden.
Nutzungsmöglichkeiten für den Explorer sind zum Beispiel Analysen über medizinische Trends und Entwicklungen. Egal, ob es um die Verbreitung von Masern-Epidemien oder die nicht mehr zeitgemäße Nutzung von überholten Behandlungen geht – mit dem passenden Code lassen sich die Daten schnell auswählen und auf einer Deutschlandkarte darstellen.
Volker Stollorz weist allerdings darauf hin, dass diese Analysen nur so gut sein können „wie die Daten halt sind“. Denn diese werden von den Kodierern der Kliniken ins Abrechnungssystem der Krankenkassen eingetragen. Und es ist nicht auszuschließen, dass dieser Vorgang fehlerhaft ist oder sogar manipuliert wird – etwa um den Ertrag einer Klinik zu erhöhen. Das geflügelte Wort „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“ hat also auch hier eine gewisse Berechtigung. Andererseits gilt: Es gibt eben keine besseren Daten. Auch die Krankenkassen mit ihren Studien nehmen die Abrechnungsstatistik als Grundlage für ihre Darstellungen, wie gut die Krankenversorgungslage in verschiedenen Regionen Deutschlands ist.
Und manche Daten können oder dürfen auch gar nicht genauer erfasst werden. So wird immer nur die einzelne Behandlung und nicht der Patient als solcher kodiert. Dadurch steigt die Gesamtzahl der Datensätze. Erreicht jemand mit einer Grippe das Krankenhaus und verlässt es zusätzlich nach einer Lungenentzündung, taucht er somit zweimal in der Statistik auf.
Das aber hat bereits mit dem Datenschutz für den einzelnen Patienten zu tun. Wenn man über das Zusammenlegen verschiedener Informationen einen bestimmten Patienten de-anonymisieren könnte, wäre für Volker Stollorz eine ethische Grenze erreicht. Aus diesem Grund sind die Daten im OperationsExplorer auch nur dann angegeben, wenn Diagnosen oder Operationen in mindestens drei Fällen vorhanden sind. So soll der direkte Bezug auf einen Patienten erschwert werden. Um zusätzlich den verantwortungsvollen Umgang mit den Daten zu stärken, ist das Projekt nicht als OpenData-Projekt gedacht. Stattdessen muss man sich innerhalb eines Clubmodells registrieren und die Nutzungsbedingungen akzeptieren.
„Ziel meiner Berichterstattung ist die Qualität der Behandlung und der generellen medizinischen Qualität in Deutschland transparent zu machen und zu verbessern.“, sagt Volker Stollorz. Zunächst aber befindet sich der Explorer in einer Test-Phase, um den Umgang damit zu üben, später soll er dann über das Registrierungsmodell mehr Leuten zugänglich gemacht werden. Bisher sind im auch nur die Daten von stationären Behandlungen aufgeführt, eine Erweiterung um Daten aus dem ambulanten Versorgungsbereich ist noch Zukunftsmusik. Und es gibt weitere Pläne: Die Datenbank soll um ein weiteres Thema, eine regional aufgeschlüsselte Todesursachenstatistik, ergänzt werden.
Ebenso hoffen die Entwickler auf eine zukünftig schnellere Einspeisung der Daten. Da bisher nur die Daten bis 2012 eingepflegt sind, entsteht eine Zeitdifferenz, in der manche Trends längst nicht mehr aktuell sind. Aber trotzdem gibt Volker Stollorz sich zuversichtlich, mit dem neuen Tool so manchen künftigen Excel-Krampf lösen zu können: „Ich habe das Gefühl, dass da recht coole Geschichten zu finden sind.“