Leuchtturm 2025 an Robert Pausch für Enthüllung der „Operation D-Day“

veröffentlicht von Netzwerk Recherche | 10. Juni 2025 | Lesezeit ca. 12 Min.

Netzwerk Recherche verleiht den Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen an den ZEIT-Journalisten Robert Pausch. Die Journalistenvereinigung würdigt damit seine investigative Recherche „Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz“, die im November 2024 die Planung des FDP-Ausstiegs aus der Ampel-Koalition aufdeckte.

Recherche deckte Hintergründe des Regierungsbruchs auf

Am 6. November 2024 zerbrach die Ampelkoalition. Bundeskanzler Olaf Scholz informierte die Bevölkerung an diesem Abend über die Entlassung von FDP-Finanzminister Christian Lindner. Doch die eigentlichen Hintergründe des Koalitionsbruchs, Stichwort „Operation D-Day“, enthüllte wenige Tage später ZEIT-Reporter Robert Pausch.

In seinem am 15. November erschienenen Artikel legte Pausch detailliert offen, wie die FDP unter Lindner den Ausstieg aus der Regierung akribisch vorbereitet hatte, um ihre politische Zukunft zu sichern. In geheimen Sitzungen hatten führende FDP-Politiker:innen Szenarien diskutiert, Strategiepapiere erstellt und gezielte Provokationen geplant, um SPD und Grüne zu einer Reaktion zu zwingen.

Seltene Einblicke ins Innere einer Partei

Mit Hilfe von Insider-Gesprächen und Dokumenten-Zugang macht Pausch in seinem Text die Dynamik und Spannungen innerhalb der FDP und zwischen den Koalitionspartnern greifbar.​ Selten bekommen Journalist:innen so gute Einblicke in das Innere einer Partei.

„Der Artikel ist ein starkes Beispiel, wie enthüllender Politikjournalismus aussehen kann“, sagt Daniel Drepper, Vorsitzender von Netzwerk Recherche. „Robert Pausch hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Öffentlichkeit die wahren Hintergründe des Ampel-Aus verstehen konnte.“

Zu würdigen sind in diesem Zusammenhang auch die Recherchen und zeitnahen Veröffentlichungen der Süddeutschen Zeitung zum selben Thema, die das Gesamtbild der Ereignisse vervollständigten.

Preisverleihung auf der Netzwerk Recherche Jahreskonferenz

Die Preisverleihung findet auf der zweitägigen Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche am 13. Juni um 15:15 Uhr beim NDR in Hamburg statt. Sie wird wie weitere Veranstaltungen der Konferenz per Livestream übertragen. Die Laudatio hält Anna Lehmann, Leiterin des Parlamentsbüros der taz.

Pressebild hier herunterladen. Das Foto der Preisverleihung kann unter Nennung des Fotocredits (Foto: Nick Jaussi) kostenfrei verwendet werden.

Über den Leuchtturm

Einmal pro Jahr vergibt das Netzwerk Recherche den Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen. Er zeichnet außergewöhnliche Recherchen aus, die für den öffentlichen Diskurs von großer Bedeutung sind. Auch Medienprojekte oder Initiativen können gewürdigt werden, genauso wie eine journalistische Lebensleistung. Der Preis ist also nicht zwingend auf klassische investigative Leistungen beschränkt, sondern breiter angelegt – und spiegelt damit die Zielsetzung von NR, die Recherchekultur im deutschen Journalismus zu fördern.

Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderem das Team von Correctiv für die Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ (2024) und Arndt Ginzel für seine Berichterstattung aus der Ukraine (2022). Eine Übersicht der bisherigen Preisträger:innen gibt es hier.

Laudatio von Anna Lehmann

Leuchtturm-​Preisträger 2025: Robert Pausch (DIE ZEIT) für seine investigative Recherche „Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz“
Laudatorin: Anna Lehmann, Leiterin des Parlamentsbüros der taz

Die gesamte Laudatio von Anna Lehmann hier zum Lesen oder unten im Video:

Ich wette, viele von uns wissen noch, was sie am 6. November 2024 gemacht haben. Es war ein Mittwoch. Der Tag, an dem wir morgens mit Donald Trump aufwachten und am Abend mit dem Ende der Ampel-Koalition ins Bett gingen. Eine fast surreale Gleichzeitigkeit von Großlagen.

In den USA wird jemand zum Präsidenten gewählt, der den demokratischen Institutionen den Kampf ansagt.

Und am selben Tag gibt die demokratisch gewählte Regierung des größten Landes der EU ihre Selbstauflösung bekannt.

Gut, die Ampel-Koalition war nicht für ihre Stabilität bekannt.

Aber dass beide Ereignisse am gleichen Tag stattfinden – die Wahl Donald Trumps und das Ende der Ampel – das hätten viele nicht für möglich gehalten. Ich gehöre dazu.

Möglicherweise war das naiv. Es gibt Leute, und es wurden dann immer mehr, die es ganz genau wussten, dass es so kommt.

Viele Menschen, ich eingeschlossen, glauben eben dennoch, dass selbst in der Machtbubble Berlin so etwas wie Verantwortung für das große Ganze existiert.

Dass der Bruch der Ampel gar kein Zufall war, sondern akribisch und klandestin vorbereitet wurde, das zeigen die Recherchen von Robert Pausch, die heute mit dem Leuchtturm des Netzwerks Recherche ausgezeichnet werden. Völlig zu Recht. 

Sehr nüchtern, ohne Pathos, ohne Polemik, dabei sehr präzise und nachvollziehbar hast Du, Robert, rekonstruiert und aufgeschrieben, wie der kleinste der drei Ampelpartner, die FDP, über Wochen hinweg den Ausstieg aus der Regierung plante.

Nicht etwa, weil die anderen beiden Koalitionspartner, die SPD und die Grünen, die Freien Demokraten zuvor monatelang gemobbt oder übergangen hätten.

Oder weil beide eklatant gegen den Koalitionsvertrag verstoßen hätten.

Nein. Sondern weil es Protagonisten in der FDP am Ende nur noch um sich selbst ging und darum, das Beste für sich und die eigene Partei herauszuholen.

Du beschreibst es in Deiner Recherche, die neun Tage nach dem Ende der Ampel in der Zeit erschien, wie folgt:

Es geht um ein Treffen Ende September in einer Villa am Griebnitzsee:

„Schnell entsteht in der Runde ein klarer Eindruck, welches Szenario Lindner bevorzugt. Die Diskussionen kreisen um den kalkulierten Bruch. Und um das Überleben der FDP. Lindner macht deutlich, dass er für seine Partei keine Hoffnung sehe, wenn sie in der Regierung bleibe.”

Und Mitte Oktober bei einem weiteren Treffen soll Lindner gesagt haben:

„Die FDP müsse da raus, die Ampel müsse enden. Er könne diese Fressen einfach nicht mehr sehen, soll Lindner gerufen haben.“

In den folgenden Wochen erarbeitet die FDP Szenarien und ein Drehbuch, Du beschreibst es detailliert in einer zweiten Veröffentlichung, um den eigenen Rausschmiss zu provozieren.

Das sogenannte D-Day-Papier, das in vier Phasen einen Weg aus der Ampel skizziert – mit einer Terminologie, als ob sich die FDP im Bundestag verschanzt hätte und Krieg gegen die anderen Regierungsparteien führt: Torpedo, Zündung, Beginn der offenen Feldschlacht.

Als ich die Recherche der Zeit las, wurde mir vieles klarer.

Alles, was in den Wochen vor dem Ampel-Aus passierte – das ständige Hickhack um den Haushalt, das Wirtschaftswende-Papier – ergab vor diesem Hintergrund Sinn.

Aber ich fühlte mich einerseits aufgeklärt, andererseits vor allem empört.

Nicht, weil die FDP Machspielchen mit den Koalitionspartnern gespielt und versucht hatte, sich auf deren Kosten zu profilieren.

Das haben SPD und Grüne auch getan, wenn auch nicht in diesem Ausmaß.

Mich empörte vor allem, dass die FDP mit uns, der Öffentlichkeit, gespielt hatte – dass sie uns allen Regierung weiter vorgespielt hatte.

Und zwar bis zum Schluss.

Auch das beschreibst Du in Deinem Text, Robert.

Als Christian Lindner vom Journalisten Markus Feldenkirchen am 31. Oktober befragt wird, ob er es darauf anlege, aus der Regierung geschmissen zu werden, antwortet er: „Wir sind in einer ernsten Situation für unser Land, und ich finde, dass es auch eine Aufgabe für den politischen Journalismus ist, die Ernsthaftigkeit durch Debatten zu begleiten, die argumentativ sind, und nicht mit oberflächlichen Gerüchten.“

Lindner kritisiert also den Journalisten für dessen angeblich unangebrachte Fragen, die oberflächliche Gerüchte thematisierten.

Er versucht, ihn so zu beschämen und einzuschüchtern.

Ich war am Abend, als die Ampel zerbrach, im Bundestag.

Ich hörte Christian Lindner zu.

Der mit Tränen in den Augen sagte: „Sein genau vorbereitetes Statement am heutigen Abend zeigte, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition ging.“

Durch die Recherche von Robert Pausch wissen wir, dass der Bruch längst geplant und beschlossen war. Und zwar von Lindner selbst.

Sein Auftritt war ein Schauspiel. Der Begriff Schauspiel fällt ja auch in Deinem Text.

Warum empört einen das so?

Weil Christian Lindner so dreist gelogen hatte?

Weil er auch im Anschluss jegliche Verantwortung abstritt, von einem Praktikantenpapier sprach, das er angeblich nicht zur Kenntnis genommen hatte? Ja auch.

Aber mehr wegen des Satzes von ihm, den Du, Robert, am Schluss Deiner Recherche zitierst:

„Wir treffen in diesem Moment auch eine Entscheidung über unsere politische Kultur.“

Genau. Es geht eben im Kern um unsere politische Kultur.

Es geht um die Demokratie.

Denn diese lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen kann – so der oft zitierte Satz des Staatsrechtlers Wolfgang Böckenförde.

Und eine der wichtigsten Voraussetzungen ist Vertrauen.

Das Vertrauen, welches die Bürger:innen, wir alle, in die politische Ordnung und die handelnden Akteure setzen.

Dass diese nämlich mit der Verantwortung, die wir ihnen übertragen haben, auch verantwortungsvoll umgehen.

Doch dieses Vertrauen ist fragil.

Einer Umfrage der Körber-Stiftung vom Frühjahr 2024 zufolge hatten zum damaligen Zeitpunkt nur rund 46 Prozent der Menschen großes oder sehr großes Vertrauen in die Demokratie und ihre Prozesse.

Eine knappe Mehrheit hatte dagegen wenig oder geringes Vertrauen.

Das lässt sich auch konkret im politischen Alltag beobachten.

Es gibt Parteien, deren Gründungszweck ist es, dieses Vertrauen zu zersetzen und letztendlich die liberale Demokratie in ihrer gegenwärtigen Form zu beseitigen.

Und diese Parteien haben Zulauf.

Die Gewinner des Leuchtturms im vergangenen Jahr, das Recherchekollektiv Correctiv, gewannen diesen für ihre Recherchen zum Remigrationstreffen von Rechtsextremen und AfD-Politikern.

Nun wird in diesem Jahr ein Beitrag ausgezeichnet, der illustriert, dass eben auch Parteien der Mitte nicht vor der Freude an der Destruktion gefeit sind.

„Es ist fatal, wenn demokratische Parteien die Übernahme von Verantwortung verweigern, nur weil sie nicht alleine entscheiden können.“

Ich zitiere Volker Wissing, seinen Gastbeitrag in der FAZ, den Du, Robert, auch in Deinem Text zitierst.

Volker Wissing ist aus der FDP ausgetreten oder vielleicht ist es treffender zu sagen: Die FDP hat sich von den Wissings in ihren Reihen entfernt.

Der damalige Verkehrsminister hat später im Interview mit der Zeit zum Bruch der Ampel gesagt:

„Ich bin überzeugt, dass wir als Demokraten die Aufgabe haben, Kompromisse zu erarbeiten, Brücken zueinander zu bauen. An diesem Abend war davon nichts zu spüren, das hatte für mich etwas Destruktives und hat mich sehr enttäuscht. Unsere Demokratie ist an diesem Abend ärmer geworden.“

Genau das war auch mein Gefühl am Abend, als die Ampel platzte – aber vor allem, nachdem ich gelesen hatte, wie es dazu kam.

Dass das Gebaren der FDP der Demokratie geschadet hat.

Es geht etwas verloren, wenn wir nicht mehr in der Lage sind, Kompromisse zu schließen.

Unser gesamtes Zusammenleben basiert auf Kompromissen.

Diese Veranstaltung könnte ohne Kompromisse nicht stattfinden. Es gibt in diesem Saal wahrscheinlich so viele unterschiedliche Bedürfnisse wie Anwesende.

Die einen würden jetzt gern ihre Nachrichten auf dem Handy lesen.

Andere einen Kaffee trinken.

Wieder andere fragen sich, was redet die da?

Aber wir haben uns eben verabredet zuzuhören.

Danke für diesen Konsens.

Und so wie es im Kleinen funktioniert, so kann es eben auch im Großen nur gehen.

Und Demokratie basiert auf Aushandlung von unterschiedlichen Interessen, auf Konsens und darauf, dass man sich an einmal getroffene Vereinbarungen hält.

Das ist oft langatmig und langweilig.

Und auch wir, als Journalist:innen, sind nicht davor gefeit, diese Prozesse und ihre Ergebnisse klein zu machen und zuweilen ins Lächerliche zu ziehen.

Wir kritisieren „zähe Verhandlungen“ und mokieren uns darüber, dass sich unterschiedliche politische Parteien mal wieder nur auf „kleinsten gemeinsamen Nenner“ geeinigt haben.

Wir tadeln Politiker:innen dafür, dass sie Wahlkampfversprechen nicht eingelöst und Zugeständnisse gemacht haben an die politische Konkurrenz.

Wir beschreiben, wer sich wo durchgesetzt hat, wer an welcher Stelle verloren hat und stellen so vor allem das Trennende und nicht das Verbindende in den Vordergrund.

Das erweckt manchmal den Eindruck, als ob Politik vor allem ein Nullsummenspiel wäre, in dem es nur ums Gewinnen oder Verlieren geht.

Und nicht etwa darum, dass am Ende für alle etwas Gutes herauskommt.

Ich halte es für gefährlich, wenn wir als Medien Kompromisse permanent schlecht machen.

Denn uns herum erleben wir lauter politische Akteure, die suggerieren, dass Kompromisse etwas für Schwächlinge sind. Donald Trump in den USA, der sich über Recht und Gesetz und die Bundesstaaten hinwegsetzt.

Geert Wilders in den Niederlanden, der die Regierung an der Migrationsfrage scheitern lässt, weil es für seine Partei gerade nicht so läuft.

Und in Polen ist mit Karol Nawrocki ein Präsident gewählt worden, der angekündigt hat, jedes Vorhaben der liberalen Regierung zu blockieren.

Klar, wir sind als Journalistinnen und Journalisten nicht die Pressestelle der Regierungsparteien, sondern das Korrektiv.

Aber: Der Grat zwischen notwendiger Kritik in der Demokratie und grundsätzlicher Kritik an der Demokratie ist heute schmaler geworden.

Das merken auch wir als Journalisten.

Die taz wurde mal als Zeitung des Antiestablishments gegründet.

Wir waren es, die die Regierenden kritisieren. Wir waren das Sprachrohr der Gegenöffentlichkeit.

Tja, die Gegenöffentlichkeit informiert sich heute in Telegram-Gruppen und auf alternativen Medien.

Die taz gehört heute zur „Systempresse“, wie es verächtlich heißt.

Wie geht man also diesen Grat zwischen notwendiger, konstruktiver Kritik an demokratischen Prozessen und Parteien und systematischem Schlechtreden – ohne abzustürzen oder sich selbst zu verleugnen?

Vielleicht, indem man beherzigt, was die langjährige Herausgeberin der Zeit, Marion Gräfin Dönhoff, 1989 in einem Fernsehinterview mit dem Journalisten Frank A. Mayer zum Charakter ihrer Zeitung sagte, die auch Deine ist, Robert:

„Für uns geht es darum, Meinung zu bilden und nicht Stimmung zu machen. Wir müssen Argumente bringen, wir müssen uns mit Argumenten auseinandersetzen.“

Genau das hast Du in Deinem Beitrag getan, Robert.

Du hast Argumente zusammengetragen und aufbereitet. Und es so vielen Menschen ermöglicht, sich eine Meinung zu bilden.

Nicht mehr und nicht weniger.

Aber umso wichtiger. Vielen Dank!

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