Medien im Höhen­rausch – von Jürgen Lei­ne­mann (2005)

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 4. Juni 2005 | Lese­zeit ca. 20 Min.

Zum Span­nungs­ver­hältnis von Jour­na­listen und Poli­ti­kern

Rede von Jürgen Lei­ne­mann (DER SPIEGEL) auf der Jah­res­ta­gung des Netz­werk Recherche am 4. Juni 2005 beim NDR in Ham­burg

 

„Wir jagen sie“ – In ihrem span­nungs­ge­la­denen Ver­hältnis zu den Poli­ti­kern geraten auch die Medien in Gefahr, die Boden­haf­tung zu ver­lieren.

Vor zwei Wochen ist Carl Bern­stein hier in Ham­burg gewesen, der berühmte Kol­lege von der Washington Post, der zwi­schen 1972 und 1974 zusammen mit Bob Wood­ward die Water­gate-​Affäre auf­deckte, die den Prä­si­denten Richard Nixon schließ­lich sein Amt kos­tete. Ich war damals Kor­re­spon­dent in Washington, zunächst bei der dpa, später beim SPIEGEL, und ich ver­folgte gera­dezu fiebrig die Ergeb­nisse der beharr­li­chen Recher­chen dieser beiden Kol­legen, die noch jünger waren als ich.

Ja, so müsste eine freie Presse funk­tio­nieren, die sich als vierte Macht im Staat ver­stand. Mein Respekt, ach, meine Bewun­de­rung für die inves­ti­ga­tive Leis­tung der beiden Reporter und die auf­rechte Hal­tung der Washington Post hatte fast schwär­me­ri­sches Format.

Und nun kommt der­selbe Carl Bern­stein her und redet vom „Tri­umph der Idio­ten­kultur“, wenn er den Zustand der US-​Medien beschreibt. Nicht mehr Wahr­heits­suche sei häufig der Antrieb für die Bericht­erstat­tung im ame­ri­ka­ni­schen Jour­na­lismus, sagt er, son­dern Gerüchte, Pro­mi­nente und Sen­sa­tionen. Viel zu oft berichte die Presse ohne gesell­schaft­li­chen Kon­text, setze auf Klatsch und Tratsch und widme sich auf­ge­bla­senen Debatten. Bern­stein wun­dert es nicht, dass 45 Pro­zent der Ame­ri­kaner nichts oder nur noch wenig von dem glauben, was in der Zei­tung stehe.

Was sind wir doch fein raus. In Deutsch­land halten – Umfragen zufolge – immerhin noch 80 Pro­zent der Men­schen wenigs­tens die Zei­tungen für glaub­würdig. Und Stern-​Chef­re­dak­teur Andreas Pet­zold wird mit dem tri­um­p­fie­rend klin­genden Satz zitiert „Wir können hier in einer offe­neren Atmo­sphäre arbeiten, und das deut­sche Publikum gou­tiert die Wahr­heits­fin­dung“.

Das mag so sein. Wer könnte auch was gegen Wahr­heits­fin­dung haben? Aller­dings bezwei­fele ich, dass tat­säch­lich noch allzu viele unserer geneigten Leser die Wahr­heit aus­ge­rechnet in den Medien zu finden hoffen.

Seit Monaten tin­gele ich nun mit meinem Buch „Höhen­rausch“ zu Lesungen und Dis­kus­sionen durch die Lande. Und ob in Trier oder Weimar, Lüne­burg, Bot­trop oder Regens­burg – immer sind sich die Zuhörer ganz schnell dar­über einig, dass es zwei Schurken gibt im poli­ti­schen Spiel – die Poli­tiker und die Medi­en­men­schen. Die Bürger, die zu sol­chen Ver­an­stal­tungen kommen, ältere zumeist, sind poli­tisch inter­es­siert, infor­ma­ti­ons­hungrig, ziem­lich gebildet – und absolut ver­un­si­chert

Nein, sie trauen uns nicht wirk­lich mehr, glaube ich.

Und haben sie nicht Gründe genug? Es ist ja nicht nur der Bun­des­kanzler, der auch im deut­schen Jour­na­lismus „einen Trend in Rich­tung Bou­le­var­di­sie­rung, Per­so­na­li­sie­rung und auch Skan­da­li­sie­rung“ fest­stellt. Dass auch in der Bun­des­re­pu­blik die Medien in der Krise ste­cken, wird seit Jahren überall beklagt und dis­ku­tiert, nicht zuletzt von uns selbst.

Über die struk­tu­rellen Ursa­chen – den tech­ni­schen Wandel, die Abhän­gig­keit von Auf­lagen und Quoten, von Anzeigen und Wer­be­spots und der daraus resul­tie­rende Kos­ten­druck – will ich heute nicht reden. Dar­über wissen andere hier besser Bescheid. Ich möchte mich statt­dessen auf uns beschränken – auf uns Jour­na­listen – und auf die Frage, wie­viel wir wohl­mög­lich als Per­sonen zum dra­ma­ti­schen Qua­li­täts­ver­fall im Jour­na­lismus bei­tragen, über den sich bei­spiels­weise die Poli­tiker par­tei­über­grei­fend einig sind.

Und ich frage mich, ob es uns wirk­lich soviel anders ergeht als denen, über deren Gefähr­dung durch die Macht ich mich in meinem Buch aus­ge­lassen habe.

Drei Gründe hat der ehe­ma­lige tsche­chi­sche Staats­prä­si­dent Vaclav Havel einmal für die Sehn­sucht eines Men­schen nach poli­ti­scher Macht auf­ge­führt: die Vor­stel­lung von einer bes­seren Gesell­schafts­ord­nung, Selbst­be­stä­ti­gung und Pri­vi­le­gien. Sollten diese Kate­go­rien nicht auch in unserem beruf­li­chen Selbst­ver­ständnis eine Rolle spielen?

Sind es denn wirk­lich nur die Poli­tiker, die ihre enormen Mög­lich­keiten aus­kosten, sich selbst zu bestä­tigen , indem sie – wie Havel sagt – „weithin sicht­bare Abdrücke der eigenen Exis­tenz“ hin­ter­lassen? Und behaupten nur sie, dass die vielen Pri­vi­le­gien, die not­wen­diger-​ und erfreu­li­cher­weise ihr Berufs­leben begleiten, nichts anderes seien, als quasi unver­meid­liche Zugaben zur hehren Gemein­wohl-​Auf­gabe?

Es gehörte für mich zu den uner­wünschten Folgen und Neben­wir­kungen der Water­gate-​ Affäre vor mehr als dreißig Jahren, dass Richard Nixons ver­zwei­felter und erbar­mungs­loser Kampf um sein Amt mich zum ersten Mal auf solche Par­al­lelen auf­merksam machte. O ja, ich ver­mochte mich so gut ein­zu­fühlen in die Lebens­lügen des gehetzt wir­kenden ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­denten, dass ich sein Schei­tern früh vor­aus­sagte. Aber warum? Heute weiß ich, was ich damals ver­drängte – ich tickte wie er und die meisten poli­ti­schen Kar­rie­risten.

Ich teilte ihren uner­sätt­li­chen Hunger nach Aner­ken­nung und Bestä­ti­gung. Wie sie sah auch ich mich bald nicht nur auf der Erfolgs­leiter, son­dern zugleich auf der Flucht vor der immer unan­ge­nehmer wer­denden Rea­lität aus Selbst­zwei­feln, Furcht vor dem Schei­tern und quä­lenden Fragen nach dem per­sön­li­chen Preis für die Kar­riere. Aus beschei­denen Ver­hält­nissen stam­mend war ich schnell weit gekommen. Mit 34 Jahren wurde ich Büro­leiter des SPIEGEL in der ame­ri­ka­ni­schen Haupt­stadt.

Da war damals zwar noch nicht viel zu leiten, aber zu viel für mich: ich begann zu ahnen, dass ich meinem Auf­stieg nur unzu­rei­chend gewachsen war. Zwar hatte ich gelernt, die Erwar­tungen meiner Umwelt zu erkennen, und ich war auch talen­tiert und fleißig genug, sie zu erfüllen. Doch meinem äußeren Auf­stieg fehlte das innere Gegen­ge­wicht. Ich brauchte Erfolg, um meine Selbst­zweifel zu kom­pen­sieren. Ich war hungrig nach Lob und Zustim­mung, um meine Ängste zu ersti­cken. Und ich arbei­tete bis zur Bewusst­lo­sig­keit, um meinen Auf­stieg zu recht­fer­tigen und meinem Leben einen Sinn zu geben.

Dabei half mir zunächst, dass ich – ohne je ein Jour­na­lis­mus­se­minar besucht zu haben – eine ziem­lich ver­läss­liche Vor­stel­lung von den Erfor­der­nissen und Regeln meines Berufes zu haben glaubte. In meinen Phan­ta­sien sah ich mich auf der Tri­büne des Welt­ge­sche­hens sitzen, auf­merksam und objektiv die Ereig­nisse pro­to­kol­lieren und diese Infor­ma­tionen an urteils­fä­hige, mün­dige Bürger wei­ter­geben. Keiner sollte mich mani­pu­lieren können, strikt wollte ich der Wahr­heit dienen – kurz, ich hatte ein so kit­schig edles Selbst­bild von mir und meinem Beruf, dass ich eigent­lich nur schei­tern konnte. Und das pas­sierte ja auch.

Ich ver­sackte in Depres­sionen, quälte mich beim Schreiben und ver­suchte, meine Ängste mit Alkohol zu betäuben. Erst nach einer inten­siven und schmerz­haften The­rapie, mit deren Hilfe ich mein Leben – und meine Arbeit – anders zu gestalten lernte, konnte ich neu anfangen.

Das ist jetzt fast drei Jahr­zehnte her. Ich bin noch immer Jour­na­list, aber die Medi­en­land­schaft, zu der ich gehöre, ist eine völlig andere. Sie ist bunt geworden, viel­fältig, voller Tral­lala und Albern­heiten, der Wer­bung nahe und dem Show­ge­schäft und immer auf Ren­dite bedacht. Wenn ich heute Publi­zis­tik­stu­denten frage, wie sie sich ihre Zukunft vor­stellen, sagt kaum noch einer, dass er Jour­na­list werden möchte. Die meisten wollen „irgendwas mit Medien“ machen. Und das reicht dann vom Sport­mo­de­rator bis zum Pres­se­spre­cher von Attac oder der Dresdner Bank, vom Fil­me­ma­cher bis zum Wer­be­texter. Und viele schwärmen von Medi­en­jobs im Internet, von denen ich noch nie gehört habe.

Gewiss, auch den guten alten klas­si­schen Jour­na­listen gibt es noch, sonst wären wir heute nicht hier. Aber in der Familie der Medi­en­be­rufe stellen wir – die poli­tisch inter­es­sierten, für öffent­liche Ange­le­gen­heiten enga­gierten Kol­le­ginnen und Kol­legen, die melden, erklären, recher­chieren und kom­men­tieren, ob auf Papier , im Radio, im Fern­sehen oder online – eine Min­der­heit dar.

Die coolen Smar­ties aus der Spass­kultur-​Branche des Feuil­le­tons und der Froh­sinns-​Wellen halten uns – Sie werden es erfahren haben, meine Damen und Herren – für ziem­lich ange­staubt, obwohl es kaum noch ideo­lo­gi­sche Mis­sio­nare und Men­scheits­be­glü­cker unter uns gibt. Im Gegen­teil, die Nei­gung , auch Politik vor allem nach ihrem Unter­hal­tungs­wert zu beur­teilen, wächst auch in seriösen Redak­tionen.

Und so ist es wohl kein Wunder, dass selbst die etwas alt­ba­ckene Min­der­heit der klas­si­schen Jour­na­listen dort, wo sie Mehr­heit ist und als „Meute“ auf­tritt – in Berlin etwa, in den Lan­des­haupt­städten und wo sonst noch Politik gemacht wird – im Ver­gleich zu früher ein ziem­lich exo­ti­scher, bunter, mode­be­wusster Haufen geworden ist. Stil wird nicht nur geschrieben son­dern auch getragen.

Wir Jour­na­listen ver­kaufen uns – nicht einmal immer bewußt – selbst als Ware im Medium, gegelte Fri­suren und unüber­seh­bare Dekol­letee’s, Desi­gner Anzüge und kunst­voll deko­rierte Schlam­pig­keit sind Mar­ken­zei­chen von Akteuren, die sich im Promi-​Wett­be­werb mit den Show­stars der Politik erleben.

Sind wir ihnen nicht auch sonst bis zur Aus­tausch­bar­keit ähn­lich? Ich habe in meinem Buch dar­zu­stellen ver­sucht, wie die Wahr­schein­lich­keit, dem Suchtsog des Poli­tik­be­triebs zu ver­fallen und damit die Wirk­lich­keit neben der Kar­riere aus den Augen zu ver­lieren, im Nach­kriegs­deutsch­land von Jahr­zehnt zu Jahr­zehnt gewachsen ist. Hatten die Alten noch noch ein ereig­nis­rei­ches Leben vor dem Ein­tritt in die Politik, kennen die Jungen nur noch ihren Weg nach oben.

Im Medi­en­be­trieb ist es nicht sehr viel anders. Die der­zeit in Regie­rung und Oppo­si­tion ton­an­ge­bende Poli­ti­ker­ge­nera­tion von Erfolgs-​Jun­kies hat es in den Füh­rungs­etagen der Redak­tionen, Sen­dern und Fern­seh­an­stalten mit Gleich­alt­rigen zu tun, die der Mode-​Guru Wolf­gang Joop – Jahr­gang 44, so alt wie Ger­hard Schröder und nur ein Jahr älter als Ex-​Stern-​Chef­re­dak­teur und Erfolgs-​Buch­autor Michael Jürgs – einmal so beschrieben hat: „Ohne Ver­an­ke­rung in Ver­gan­gen­heit oder Zukunft passen wir uns der Chance des Augen­blicks an. Unser Ego hat Prio­rität vor Par­teien, Politik und den Parolen von ges­tern“.

Auch bei den Jün­geren sehe ich keine mar­kanten Unter­schiede zwi­schen Poli­ti­kern und gleich­alt­rigen Jour­na­listen. Noch haben die zwi­schen 1960 und 1980 gebo­renen Deut­schen – ob Ost oder West – keine gemein­same Phy­sio­gnomie, allen­falls in ihrer iro­nisch-​lar­moy­anten Selbst­be­spie­ge­lung ähneln sie ein­ander. Flo­rian Illies machte diesen Mangel an gene­ra­tio­neller Ori­gi­na­lität, das feh­lende Schicksal, selbst zum zen­tralen Merkmal der Beschrei­bung. „Wir sind“, schreibt er, „wahr­schein­lich die erste Gene­ra­tion, die ihr Leben nicht mehr als authen­tisch emp­findet, son­dern als ein ein­ziges Zitat“. Der Sozio­loge Heinz Bude äußerte sogar die Sorge, dass diese Gene­ra­tion am Ende ein­fach weg­zu­denken sein könnte. Ich zitiere: „Sie ist ganz geschickt, ganz reflexiv, gar nicht blöd – aber spurlos“.

Solche Gene­ra­ti­ons­ge­mein­sam­keiten ver­stärken natür­lich die Gefahr, dass Poli­tiker und Jour­na­listen ein­ander unge­bühr­lich nahe kommen. Bun­des­kanzler Schröder hat im ver­gan­genen Jahr an dieser Stelle sein Ver­hältnis zu mir mit dem Satz beschrieben: „We had rocky times in our mariage“, und da kann ich ihm zustimmen, wenn­gleich der Ehe­be­griff mir als Bild nicht glück­lich erscheint. Nicht, weil Gerd Schröder so oft ver­hei­ratet war, son­dern weil er eine Inti­mität sug­ge­riert, die wir beide – bei aller anfäng­li­chen, fast noch jugend­li­chen Freund­schaft­lich­keit unserer Bezie­hung vor dreißig Jahren – nie emp­funden haben. Wir haben uns einen ver­trau­ens­vollen Abstand erar­beitet.

Zwi­schen den beiden Flü­geln der poli­ti­schen Klasse hat immer schon ein sym­bio­ti­sches Ver­hältnis bestanden, in Bonn wurde es durch die räum­liche Nähe zusätz­lich begüns­tigt. Der Kol­lege Peter Zudeick hat damals vor einem „Schmier­geld namens Nähe“ gewarnt, wobei beide Seiten sowohl als Emp­fänger wie als Zahler auf­treten können. Wer in dieser engen Bezie­hung wessen Parasit ist, ent­scheidet sich von Fall zu Fall. Für beide Seiten gilt die schöne ame­ri­ka­ni­sche Faust­regel: „If you can not beat them – join them“. Wobei es natür­lich immer viel schöner ist, den anderen zu besiegen, als sich an ihn ran­zu­wanzen.

Nicht nur die Schrö­ders, Fischers und Stoi­bers betrachten die Art ihrer Medi­en­prä­senz als eine schiere Macht­frage. Auch Jour­na­listen in ver­ant­wort­li­cher Posi­tion – und ich spreche jetzt natür­lich über alle außer den SPIEGEL – bekennen sich heute unge­nierter den je zu ihrem Anspruch, im poli­ti­schen Geschäft als gleich­be­rech­tigter Macht-​Mit­streiter agieren zu wollen, obwohl sie von nie­manden gewählt und legi­ti­miert sind.

Sie fühlen sich „im Zen­trum der Macht“, wie der Leiter eines Ber­liner Zei­tungs­büros einen Kol­legen wissen ließ, der sich dessen Mei­nungs­schelte verbat. Und sie leiten daraus Jagd­rechte ab. Ein erfah­rener Aus­lands­kor­re­spon­dent, der seinen Büro­chef um Geneh­mi­gung für ein Poli­tiker-​Por­trät bat, erfuhr von dem her­ab­las­send, dass die Zeiten, in denen Reporter Poli­tiker beglei­teten, um sie beob­achten, ver­stehen und beschreiben zu können, nun wirk­lich vorbei seien. Ach, sagte da der Berlin-​Neu­ling, und was machen wir jetzt? Ant­wort: „Wir jagen sie“.

Der Her­aus­geber der New York Times, Arthur Sulz­berger, hat als Rezept gegen sol­chen Hochmut vor­ge­schlagen, dass kein Nach­wuchs­jour­na­list das Col­lege ver­lassen sollte, ohne wenigs­tens einmal selbst von den Medien an den Pranger gestellt zu werden.

Poli­tiker fürchten solche Treib­jagd-​Kam­pa­gnen nicht wirk­lich. Sech­zehn Jahre lang hat uns Helmut Kohl aus­ge­lacht, jetzt mopst sich Joschka Fischer: „Zwölf­ein­halb Stunden Prime­time-​Fern­sehen, der Traum jedes Poli­ti­kers“ .

Was ihnen die Stars der Medien inhalt­lich ent­ge­gen­zu­setzen haben – detail­lierte Kennt­nisse von Sach­ver­halten und Per­sonen, poli­ti­sche Urteils­fä­hig­keit und Erfah­rung, schreckt die Schrö­ders, Wes­ter­welles , Pflü­gers und Co auch nicht. Ego-​Gerangel sind sie gewohnt.

Aber dass die Medi­en­fuzzis dar­über hinaus mit Schlag­zeilen, Bild­schirm­prä­senz und Sen­de­zeiten locken, ver­giftet das Klima. Denn damit sind sie nicht nur auf­dring­liche Kon­kur­renten beim Promi-​ Schau­laufen, son­dern leider auch die Ver­treiber der unver­zicht­baren Wich­tig­keits­droge „öffent­liche Auf­merk­sam­keit“. Dass sie davon abhängig sind, ver­zeihen die Poli­ti­profis den Medi­en­men­schen nie.

Nicht zuletzt des­wegen ist in Berlin das Ver­hältnis zwi­schen den gewählten Amts­in­ha­bern und der „plap­pernden Zunft“, wie Joschka Fischer die Jour­na­listen abschätzig nennt, zuneh­mend gespannter geworden. Viele der ein­ge­spielten Selbst­ver­ständ­lich­keiten zwi­schen den beiden Flü­geln der poli­ti­schen Klasse haben sich ver­flüch­tigt, der Ton wurde wech­sel­seitig aggres­siver, ja ver­ächt­lich.

Das unver­kenn­bare Bedürfnis, es ein­ander wenigs­tens einmal heim­zahlen zu können, lässt nicht nur auf ver­gan­gene Krän­kungen schließen. Es signa­li­siert einen Macht­kampf. Denn die Medi­en­leute ver­fügen einer­seits über die Bühnen, die selbst Bun­des­kanzler zu ihrer öffent­li­chen Insze­nie­rung brau­chen. Sie insze­nieren ande­rer­seits aber auch selbst poli­ti­sches Geschehen, indem sie kom­plexe Sinn­zu­sam­men­hänge in Mini-​Dramen zer­legen, durch Per­sonen ver­kör­pern oder in sym­bo­li­schen Schlüs­sel­szenen gip­feln lassen. Damit geraten sie nahezu unaus­weich­lich in Kon­flikte mit den Poli­ti­kern um die Deu­tungs­ho­heit. „So dürfen Sie das nicht sehen“ heißt deren Standart-​Mah­nung an Jour­na­listen seit Gen­schers Zeiten.

Zuneh­mend wird die Kluft tiefer zwi­schen den Dar­stel­lungen, die Poli­tiker – vor allem die jeweils ver­ant­wort­li­chen – von der Welt und den aktu­ellen wirt­schaft­li­chen und sozialen Pro­blemen geben, und den Bil­dern, die Medi­en­men­schen dage­gen­setzten. Es ent­stehen getrennte Welten mit unter­schied­li­chen Geschwin­dig­keiten. „Die Lang­sam­keit der Politik lie­fert wenig sicht­bare Gestal­tungs­kraft“, sagt Wolf­gang Thierse. Im hek­ti­schen Tempo der Medi­en­welt nehmen die Bürger das selbst dann als Unfä­hig­keit war, wenn ihre eigene Erwar­tung oder die von den Medien sug­ge­rierte ganz und gar absurd ist.

Auf die Bil­der­sturz­bäche, die täg­lich über sie her­ein­bre­chen, hoch­ge­jazzt zu Sen­sa­tionen oder ein­ge­sülzt als Bei­träge zur unter­hal­tenden Wis­sens­be­rei­che­rung, auf die Wort­la­winen und Papier­massen, die Internet-​Ströme und die Bücher­stapel reagieren die Bürger offen­kundig mit einer wach­senden inneren Müdig­keit. Viele schalten ab. Oder sie lassen den Infor­ma­ti­ons­strom durch sich hin­durch­rau­schen.

Das idea­li­sierte „Prinzip Öffent­lich­keit“ – seit der Auf­klä­rung gedacht als eine Art über­grei­fende Gesamt­ver­nunft – funk­tio­niert nicht mehr. Längst hat es seine dis­kurs­för­dernde und sinn­stif­tende Funk­tion für Staat und Gesell­schaft ver­loren und sich auf­ge­löst in eine neue Unver­bind­lich­keit unter­schied­li­cher Teil-​Öffent­lich­keiten. Das Publikum macht davon nach Belieben seinen eigen­stän­digen Gebrauch.

Dem ein­zelnen Jour­na­listen, der es nach wie vor ernst meint mit der Funk­ti­ons­fä­hig­keit einer demo­kra­ti­schen und sozial gerechten Ord­nung, ver­langt diese Lage immer aufs Neue den öffent­li­chen Nach­weis seiner pro­fes­sio­nellen Kom­pe­tenz und seiner intel­lek­tu­ellen Red­lich­keit ab. Er trägt als Person Ver­ant­wor­tung für das Bild der Welt, das er dem Publikum anbietet. Auf einen eta­blierten ver­bind­li­chen Überbau kann er nicht mehr zurück­greifen. Wenn er im öffent­li­chen Dis­kurs mit seinen Infor­ma­tionen und Mei­nungen gehört oder gesehen werden will, muss er sich und seine Wert- und Ziel­vor­stel­lungen zu erkennen geben.

Ich selbst bin – davon habe ich in meinem Buch erzählt – bei dem Ver­such, meine jour­na­lis­ti­sche Zuschau­er­po­si­tion zu ver­lassen und mich auch als Zeit­ge­nosse und Bürger zu ver­stehen, der gegen­über dem Viet­nam­krieg, der Ras­sen­dis­kri­mi­nie­rung und der Water­gate -​Affäre kei­nes­wegs neu­tral war, in eine lebens­be­droh­liche Krise geraten. Ich wollte kennt­lich werden, aber ich hatte Zivil­cou­rage nie geübt, nur gefor­dert.

Des­halb rede aus eigener Erfah­rung, aber ich spreche nicht nur von mir. Denn ich habe die per­sön­liche Krise durchaus auch zugleich als eine poli­ti­sche und eine jour­na­lis­ti­sche Krise erlebt habe. Und wäh­rend ich gezwungen war, mich intensiv mit mir selbst, meinen Prä­gungen, Gefühlen und Erfah­rungen zu befassen, habe ich auch viel über andere gelernt. Das hat nicht nur mein Schreiben ver­än­dert, son­dern auch meinen Blick auf die Politik und auf meine Pro­fes­sion.

In jedem Jahr sterben in vielen Teilen der Welt weit über hun­derte Kol­legen in Kriegen und Fol­ter­stätten, weil sie ernst­haft ihren Beruf aus­üben, auch Deut­sche. Viele werden getötet, weil sie irgend­wel­chen Macht­ha­bern kennt­lich wurden als Beob­achter der Welt­öf­fent­lich­keit. „Zensur durch Mord“ hat Freimut Duve, der Medien-​Ombuds­mann der Osze, solche Ver­bre­chen genannt – einer wird umge­bracht, hun­derte schweigen.

Hier­zu­lande ist Kennt­lich­keit eher ehren­voll und ein­träg­lich für Jour­na­listen als ris­kant oder gar lebens­ge­fähr­lich. Der Medi­en­star gehört zu den Pri­vi­le­gierten der Gesell­schaft.

Unbe­quem wird Kennt­lich­keit bei uns weniger dann, wenn sich ein Jour­na­list als Kri­tiker gegen die Mäch­tigen der Regie­rung her­vortut als dann, wenn er den poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Inter­essen seines Arbeit­ge­bers und dessen Freunden schadet. Und unbe­quem kann es auch sein, die eigenen Freunde zu ent­täu­schen, von Geg­nern Applaus zu bekommen, oder aus kon­kreten Gründen gegen all­ge­meine hehre Prin­zi­pien zu ver­stoßen

Die Jour­na­lis­ti­sche Frei­heit wird in der Bun­des­re­pu­blik heute – davon bin ich nach mehr als vierzig Jahren jour­na­lis­ti­scher Praxis über­zeugt, auch wenn es immer Aus­nahmen gibt – viel weniger durch obrig­keits­staat­liche Pres­sionen bedroht als durch die weiche Knecht­schaft einer eitlen Selbst­ver­liebt­heit.

György Konrad, der vor dem Fall des Eisernen Vor­hangs als unga­ri­scher Dis­si­dent Jahr­zehnte unter staat­li­cher Bevor­mun­dung gelitten hat und bis vor kurzem der Prä­si­dent der Aka­demie der Künste in Berlin war, behauptet: „Jetzt ist es nicht mehr die Geheim­po­lizei, die bei den Bür­gern Gehirn­wä­sche betreibt, son­dern die als Abfolgen von Moden dahin­wo­gende Ober­fläch­lich­keit“.

Es ist ja wahr, dass die Frei­heit der Jour­na­listen – wie der Kol­lege Sieg­fried von Kortz­fleisch einmal geschrieben hat – „nicht schon dadurch ange­fochten ist, dass es Ver­suche gibt, auf sie Ein­fluss zu nehmen oder ihnen Infor­ma­tionen vor­zu­ent­halten und so fort“. Solche Ver­suche sind sozu­sagen normal.

Ange­fochten wird die Frei­heit erst wirk­lich, wenn Redak­tionen oder Jour­na­listen nicht den Anfängen wehren, wenn sie leicht­fertig hin­nehmen, was man mit ihnen macht oder wenn sie gar in vor­aus­ei­lendem Gehorsam gegen­über irgendwem vor­weg­nehmen, was irgend­welche Mäch­tigen viel­leicht tun könnten. Ist nicht die viel­be­klagte „Schere im Kopf“ oft eher ein Sofa im Kopf? Aus­druck von Bequem­lich­keit und nicht von berech­tigter Furcht vor Risiken ?

Ich weiß, liebe Kol­le­ginnen und Kol­legen, dass ich nach 35 Jahren Fest­an­stel­lung beim SPIEGEL leicht reden habe. Aber sie sollten mir auch abnehmen, dass ich nicht wie ein Blinder von der Farbe spreche. Dass Jour­na­lismus auch bei uns schon mal ein­fa­cher war, ist mir nicht ver­borgen geblieben. Die Angst um den Arbeits­platz ermu­tigt nicht zu Mut­proben.

Aber wie auch immer – ein biss­chen Selbst­be­wusst­sein sollte schon sein. Wenn wir unsere Arbeit als öffent­li­chen Auf­trag ver­stehen – und davon gehe ich in diesem Kreis aus – dann kann eine auf­rechte Hal­tung nicht schaden. Red­li­cher Jour­na­lismus ist auch eine Cha­rak­ter­frage.

Wer sich den auf­rechten Gang erhalten will, der braucht ein reflek­tiertes Ver­hältnis zu sich selbst und seinen Beruf, einen ver­ant­wort­li­chen, bewussten Umgang mit der eigenen Sub­jek­ti­vität. Sich dem Leben zu öffnen und Erfah­rungen zu sam­meln, wird nicht auf Uni­ver­si­täten und Jour­na­lis­ten­schulen gelehrt, es wird aber auch nicht offi­ziell behin­dert.

Sach­kenntnis, Wissen um Zusam­men­hänge und eine ver­läss­liche Per­sonen-​ und Insti­tu­tionen-​Kom­pe­tenz sind unver­zicht­bare Vor­aus­set­zung für eine gut recher­chierte Geschichte. Um sie jedoch erzäh­le­risch „rund“ zu kriegen, sie richtig zu gewichten und ein­zu­klinken in den Lebens-​ und Ver­ständ­nis­kon­text der Leser oder Zuschauer sollte noch eine ganz spe­zi­elle Fähig­keit zur Urteils­kraft hin­zu­kommen, wie sie der bri­ti­sche Phi­lo­soph Isaiah Berlin neben guten Repor­tern auch erfolg­rei­chen Staats­män­nern, Domp­teuren, Diri­genten, Dich­tern und Müt­tern zuschreibt. „Wirk­lich­keits­sinn“ nennt er diese Gabe. Sie hat eher mit Ver­stehen zu tun als mit Wissen, und sie ist durch nichts zu ersetzen. Jour­na­listen ermög­licht sie, bewusst oder halb­be­wusst die Grund­muster mensch­li­cher oder his­to­ri­scher Situa­tionen auf­zu­nehmen und Fakten als Sym­ptome ver­gan­gener und zukünf­tiger Mög­lich­keiten zu sehen.

Was er damit meint, beschreibt Berlin so: „Es han­delt sich um eine gewisse Ver­traut­heit mit den rele­vanten Tat­sa­chen, die sie erkennen lässt, was zu ein­ander passt, was unter den gegeben Umständen getan werden könnte und was nicht, welche Mittel in wel­cher Situa­tion und in wel­chem Umfang anzu­wenden sind, ohne dass sie zwangs­läufig erklären können, warum sie dies wissen, oder worin dieses Wissen über­haupt besteht.“ Diese Fähig­keit, die eher eine der Syn­these als der Ana­lyse ist, läßt sich nicht am Schreib­tisch oder Com­puter erlernen, wohl aber im rich­tigen Leben aus­bilden.

Und damit komme ich abschlie­ßend noch einmal zurück auf die Water­gate-​Affäre, die sich ja gerade wieder in unser aller Erin­ne­rung zurück­ge­meldet hat, weil der geheim­nis­volle Infor­mant „Deep Throat“ sich selbst ent­tarnt hat. Bei aller schon anfangs aus­ge­drückter Bewun­de­rung für die Ent­hüller des Kri­minal-​Falls „Water­gate“ – dass es den ame­ri­ka­ni­schen Kol­legen an Isaja Ber­lins Syn­these-​Fähig­keit gebrach, war mir schon damals auf­ge­fallen. Denn den poli­ti­schen Stel­len­wert der Affäre erkannten alle aus­län­di­schen Kor­re­spon­denten besser als die ame­ri­ka­ni­schen Kol­legen. Die ver­zet­telten sich in der Ana­lyse von Ana­lo­gien in Ein­zel­aspekten zu frü­heren Prä­si­dent­schaften, alle Aus­länder sahen Nixons kri­mi­nellen Ver­schleie­rungs­ver­such als eine Art ver­kappten Staats­streich, als Ver­such , von der Spitze aus die demo­kra­ti­schen Grund­re­geln außer Kraft zu setzen.

Ich nahm mir daher vor, in Bonn mit dem Abstand eines Aus­lands­kor­re­spon­denten auf das Geschehen zu bli­cken. Das miss­lang. Als ein­hei­mi­scher Beob­achter muss man ein­fach dichter an die Akteure her­an­rü­cken, weil das Publikum mehr wissen will. Aber die Pro­ble­matik von Nähe und Distanz habe ich seither ver­in­ner­licht. Nur so konnte ich mich bei meinen Por­träts emo­tional so dicht an die Akteure her­an­wagen, ohne Sorge zu haben, dass ich den Abstand völlig ver­lieren würde.

Das ist des­halb meine wich­tigste Erfah­rung, die ich zur Ver­viel­fäl­ti­gung anbiete; So wie jeder Mensch die Mög­lich­keit hat, so sollte es für jeden Jour­na­listen selbst auf­er­legte Pflicht sein, sich durch reflek­tierte Erin­ne­rung eine Hal­tung zu erwerben, eine für ihn ganz per­sön­lich cha­rak­te­ris­ti­sche beweg­liche Beharr­lich­keit im Umgang mit dem Leben.

In seiner Hal­tung hat die Frei­heit des Jour­na­listen ihren Rück­halt. Wie er auf Ereig­nisse und auf Men­schen reagiert, wie er sich zur Macht und gegen­über Mäch­tigen ver­hält, das ist nicht nur indi­vi­duell rele­vant, son­dern das hat auch poli­ti­sche Folgen. Für mich sind dabei zwei Sätze leit­mo­ti­visch geworden. Der erste heisst: Wirk­lich­keit ist alles, wo man durch muss. Und der zweite ist eine Gedicht­zeile von Peter Rühm­korff: „Bleib erschüt­terbar und wider­steh“.

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