Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Hinter uns liegen verrueckte Tage: der islaendische Ministerpraesident ist zurueckgetreten. In England kaempft David Cameron um seine politische Zukunft. Gegen den argentinischen Praesidenten ermittelt die Staatsanwaltschaft. Die UEFA-Zentrale wurde durchsucht. In China arbeitet die Zensurbehoerde auf Hochtouren, damit niemand mitbekommt, dass die chinesische Elite zu den Stammkunden Mossack Fonsecas zaehlt, der nunmehr beruehmten Kanzlei in Panama. Und vermutlich war das noch lange nicht alles an Reaktionen und Ermittlungen, die die PanamaPapers hervorgerufen haben. Wahnsinn.

All das vollzog sich schlagartig, wie beim Domino. Ein Stein folgte auf den naechsten, schneller als man gucken konnte. Taeglich gab es neue Nachrichten zu dem Datenleck. Am allerschnellsten aber hatten sich die Kritiker zu Wort gemeldet. Die PanamaPapers waren noch nicht einmal 24 Stunden lang veroeffentlicht, da wurde schon gemeckert, ob das jetzt schon alles sei, warum es so intransparent laufe, warum nicht einfach alle Daten sofort vollstaendig veroeffentlicht wuerden, warum man ueberhaupt Namen nenne, warum, warum, warum. Auf dem direkten Weg erreichten uns diese Fragen allerdings nicht.

Zur Transparenz: Ich bin befangen, denn ich habe mit vielen anderen Kolleginnen und Kollegen mitgearbeitet an der Auswertung der PanamaPapers in Deutschland. Als ich die Kritik im Netz erst Tage spaeter realisierte, habe ich gestaunt: Wie schnell einige Kollegen in der Lage sind, ihr Urteil zu faellen. Wie reflexhaft in der Sekunde der Veroeffentlichung schon bewertet wird. Daumen hoch, Daumen runter. Es ist offenbar ein Wert, sofort alles besser zu wissen.

Ein bisschen verlogen ist diese Attitude aber schon. Jahrein, jahraus beklagen wir aller Orten das Tempo unserer Arrbeit. Die Nachrichtenmaschine dreht sich regelrecht im Schleudergang. Wir beklagen, dass uns die Zeit fehlt fuer Recherchen, fuer Fehlereingestaendnisse. Dass wir stattdessen immer sofort weiterjagen muessen. Und nun sehe ich am Beispiel der PanamaPapers, wie sehr wir dieses Tempo verinnerlicht haben, sogar selbst beschleunigen.

Warum eigentlich? Kann man nicht erst einmal zuhoeren, bevor man richtet ueber Geschichten oder womoeglich sogar ueber Menschen? Damit kein Missverstaendnis aufkommt – es geht nicht darum, sich Kritik zu verbitten. Es geht nur um das Tempo, die Radikalitaet des Urteils, die Atemlosigkeit, in der Bewertungen vergeben werden.

Der Vergleich hinkt sicherlich – aber wie bloss geht es Politikern, die sich jeden Tag von uns anhoeren muessen, was sie alles wieder falsch gemacht haben. Die von uns wie die Schulkinder die Leviten gelesen bekommen, weil wir uns anmassen, es ohnehin alles besser zu wissen. Bei der letzten Tagung von Netzwerk Recherche in Tutzing haben uns einmal Politiker ihre Sicht auf den Journalismus geschildert: Susanne Gaschke und Peer Steinbrueck, aber auch viele andere Menschen, die einmal im Fokus der Medien standen, haben uns den Spiegel vorgehalten. Am Ende standen keine Patentrezepte und keine Pauschalschelte, sondern einfach nur die Erkenntnis, dass es sich lohnt, sich zuweilen in den anderen hineinzuversetzen, ueber den man gerade berichtet. Eine Erkenntnis, so schlicht – aber offenbar schwierig umzusetzen.

Zurueck zu den PanamaPapers: Man koennte an ihnen kritisieren, dass sie am Ende so bombastisch wirkten. Es wirkt ja womoeglich wie eine Trutzburg, wie ein “Kartell”, wenn knapp 400 Journalisten und das Internationale Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) unvorstellbare 11,5 Millionen Dokumente auswerten. Superlative wohin man blickt. Aber der Weg bis zu dieser Veroeffentlichung und ihren Folgen, war eigentlich wie jeder andere Weg einer Recherche. Harte Arbeit, viel einsamer als es die ueber hundert Medien suggerieren. Die PanamaPapers sind langsam gewachsen. Und am Anfang waren sie klein – eine Nachricht, ein paar Daten zu einem Argentinien-Fall. Die Bedeutung dieser Daten sofort verstanden zu haben, ohne zu wissen, was daraus werden koennte, und den langen Weg zum grossen Leak mit unfassbarer Disziplin gegangen zu sein – das ist die grosse Leistung der beiden Reporter Bastian Obermayer und Frederik Obermaier.

Es gruessen
Julia Stein

und Albrecht Ude

## Inhaltsverzeichnis.

01: Editorial

Abschnitt Eins: In Eigener Sache
02: nr-Stammtisch mit Hans-Martin Tillack
03: nr-Stipendium abgeschlossen
04: nr-Jahreskonferenz am 8./9. Juli

Abschnitt Zwei: Veranstaltungen
05: Kontext Wochenzeitung feiert Fuenfjaehriges und sucht Mitarbeiter
06: Aktuelles zur Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung
07: Himmel-und-Hoelle-Preis des Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten Freischreiber
08: Verleihung der Big Brother Awards 2016
09: Jetzt anmelden fuer die Dataharvest
10: Antibiotika in der Tiermast
11: BILDblog analog im Heimathafen Neukoelln
12: 2. Forum fuer Journalismuskritik

Abschnitt Drei: Nachrichten
13: Wikipedia in Echtzeit: Panama Papers
14: EU-Richtlinie zu Geschaeftsgeheimnissen betrifft auch Journalisten
15: Kundendaten des DuMont-Verlages frei im Web abgreifbar
16: Die dunkle Seite …der eigenen Nutzerkommentare
17: Der Ursprung des “Steinbach-Bildes”
18: Das Internet der Dinge und die digitale Selbstverteidigung
19: 20 Jahre heise Newsticker
20: Rangliste der Pressefreiheit
21: International Journalism Festival

Abschnitt Vier: Seminare, Stipendien, Preise
22: Schnell bewerben: “Kartographen”-Recherchestipendien ausgeschrieben
23: Otto Brenner Preis fuer kritischen Journalismus
24: Medienpreis Bildungsjournalismus der Telekom Stiftung
25: Grenzgaenger China – Deutschland
26: Traineeprogramm fuer Journalisten mit Einwanderungsgeschichte
27: Kostenlose Bilanz-Seminare in Frankfurt, Hamburg und Muenchen
28: Seminare mit Recherchebezug

Abschnitt Fuenf: Pressespiegel
29: Panama Papers 1: Uebersichten
30: Panama Papers 2: Hintergrundberichte
31: Panama Papers 3: Weitere Berichte
32: Journalismus
33: Journalismus und PR
34: Ueberwachung

35: Link-Index
36: Technische Hinweise
37: Impressum

 

Nr. 136 vom 21.04.2016 [TXT]