Podi­ums­dis­kus­sion „Die Rolle der Medien“

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 24. Mai 2003 | Lese­zeit ca. 42 Min.

24. Mai 2003 beim Jah­res­treffen des Netz­werk Recherche im NDR-​Kon­fe­renz­zen­trum in Ham­burg

Podiumsteilnehmer:
Gerhard Schröder, Bundeskanzler
Jürgen Leinemann, Der Spiegel
Michael Jürgs, Ex-Stern-Chefredakteur

Lei­ne­mann: Herr Bun­des­kanzler, lassen Sie uns gleich anfangen, Sie heißen all­ge­mein der Medi­en­kanzler. Was sagt Ihnen dieser Begriff und was glauben Sie, was die, die Sie so nennen, damit ver­binden?

Schröder: Also zunächst ist das so, ich habe den Begriff nicht geprägt, aber er wird ja benutzt als eine abträg­liche Bezeich­nung, ein biss­chen seltsam für Jour­na­listen, denn was er eigent­lich aus­drückt, ist eine gewisse Offen­heit gegen­über denen, die beob­achten und das Beob­ach­tete zu beschreiben haben oder zu senden, dar­über sollten Sie eigent­lich nicht ent­täuscht sein, son­dern eher im Gegen­teil. Aber ganz offen­kundig gebären solche Begriffe so ganz eigene Eigen­tüm­lich­keiten. Und das ist ja so, ich habe ein­fach ver­sucht, auch als ich in dieses Amt gewählt worden bin, mein Infor­ma­ti­ons­ver­halten nicht zu ver­än­dern. Und die Tat­sache, dass da Medi­en­kanzler gesagt worden ist, mit so einem leicht abträg­li­chen Neben­ge­schmack, hat mich immer wirk­lich über­rascht, muss ich sagen. Was dann dazu geführt hat, ich weiß nicht, was die ein­zelnen damit ver­bunden haben, aber jeden­falls nicht nur den Respekt vor einer Offen­heit, was Infor­ma­tionen angeht, son­dern auch das Gegen­teil dessen. Und die Kon­se­quenz dessen ist, dass man dar­über nach­denkt, ob man sich richtig ver­hält und viel­leicht ver­schlos­sener wird, das kann schon sein.

Jürgs: Hat sich das geän­dert in den letzten fünf Jahren? Hat sich geän­dert, dass die Nähe zur Medi­en­macht zur Distanz geworden ist in letzter Zeit?

Schröder: Ich glaube das Ver­halten der Öffent­lich­keit gegen­über – und Öffent­lich­keit wird ja her­ge­stellt nicht nur durch den poli­ti­schen Pro­zess – nicht nur durch Ent­schei­dungen derer, die unmit­telbar am poli­ti­schen Pro­zess betei­ligt sind, son­dern Öffent­lich­keit wird ja nicht zuletzt durch Sie her­ge­stellt. Klar ändert sich das. Und zwar kann man sehr viel unbe­fan­gener mit Öffent­lich­keit umgehen, wenn man bei­spiels­weise Vor­sit­zender der Jung­so­zia­listen in Deutsch­land ist oder einer Arbeits­ge­mein­schaft der SPD ange­hört oder auch „ein­fa­cher Bun­des­tags­ab­ge­ord­neter“, weil die Wir­kungen dessen, was man sagt, begrenzter sind als die Wir­kungen dessen, was ich so sage. Das hat weniger mit der Person als mit dem Amt zu tun und inso­fern ver­än­dert sich das Infor­ma­ti­ons­ver­halten und natür­lich auch die Bezie­hungen zum Jour­na­lismus ins­ge­samt, aber auch zu Jour­na­listen als ein­zelne, je nachdem welche Wir­kung eine mit­ge­teilte Infor­ma­tion hat oder nicht. Das ver­sucht man natür­lich abzu­schätzen, fällt häu­figer dabei rein, aber aus diesem Rein­fallen lernt man eine Menge, kann ich Ihnen sagen.

Jürgs: Von wem könnte dann der Satz sein: „Es ist mir egal, wer unter mir Bun­des­kanzler ist?“ Wel­cher Medi­en­mäch­tige könnte diesen Satz gesagt haben? Was glauben Sie wohl? Stefan Aust, Kai Dieck­mann?

Schröder: Ich will hier nie­manden in Schwie­rig­keiten bringen, aber ich würde sagen, die­je­nigen, die das behaupten, die über­schätzen die Wir­kung ihres Berufes und meis­tens auch sich selbst und soweit würde ich jeden­falls nicht gehen, das ist mir egal, wer unter mir Chef­re­dak­teur ist.

Lei­ne­mann: Sie haben gesagt, das Amt hat den Begriff ver­än­dert oder die Bedeu­tung dieses Begriffes und den Stel­len­wert. Was ist eigent­lich anders geworden in Bonn als es in Han­nover war? Sie hatten ja auch ein öffent­li­ches Amt und das, was Sie Infor­ma­ti­ons­po­litik und Umgang mit Jour­na­listen nennen, das haben Sie ja alles schon vor­ge­druckt.

Schröder: Also sagen wir mal, was sich geän­dert hat, ist zunächst einmal die eigene Sicht­weise. Damals hatte ich noch jemanden, den ich kri­ti­sieren konnte, heute ist das fast über­haupt nicht mehr so.

Lei­ne­mann: Sie haben doch ihre Partei! (Gelächter)

Schröder: Da haben Sie ja ganz Recht (wieder Gelächter), nur die Frage ist ja, in wel­cher Funk­tion? Aber jetzt mal ganz im Ernst. Es ist natür­lich anders, wenn man als jemand, der sicher als Minis­ter­prä­si­dent auch gehört wird, auch ein Stück poli­ti­sche Ver­ant­wor­tung mit hat, wenn da immer noch eine Instanz ist oder eine Insti­tu­tion, die man gele­gent­lich auch mal kri­ti­sieren kann, und sagen, das haben die aber viel­leicht doch etwas besser hätten machen können. In dem Stil habe ich das ja getan, wie man weiß, also immer positiv (Gelächter).

Lei­ne­mann: Das ist rüber­ge­kommen.

Schröder: Aber das ist wirk­lich ein Unter­schied, und jetzt sind Sie fast aus­schließ­lich Kritik aus­ge­setzt. Das ist eine andere Befind­lich­keit, in der man dann ist. Und was hat sich geän­dert? Das hat sich geän­dert. Aber es hat sich noch mehr geän­dert, weil, sagen wir mal, die poli­ti­schen Fragen, mit denen man kon­fron­tiert ist und über die oder die dann, also wenn sie in Ent­schei­dungen umge­setzt werden, kri­ti­siert werden, die sind natür­lich viel­fäl­tiger in Bonn bzw. in Berlin. Und dann ist da etwas, das wissen sie besser als ich, ich glaube, dass sich in den Medien eine ganze Menge ver­än­dert hat. Das ist alles sehr viel wett­be­werbs­ori­en­tierter geworden und des­wegen ver­mut­lich auch schnell­le­biger, mehr ori­en­tiert auf kurze Quotes, die, zu geben sind und weniger auf ein Gespräch, das auf­klärt über Hin­ter­gründe des eigenen Den­kens und man wird jeden Tag kon­fron­tiert mit Fragen, wie eben auch „Was sagen Sie zu dem, was sagen Sie zu jenem?“

Jürgs: Dahin kommen wir noch!

Schröder: Das ist wirk­lich ein Unter­schied ver­gli­chen zu früher. Die klarsten Ver­treter dieser neuen Art, in den Medien zu arbeiten, sind die­je­nigen, die mor­gens kommen, wenn man irgendwo hin­geht, es ist auch am ein­fachsten und die halten einem das Mikrofon vor die Nase und sagen: „Herr Bun­des­kanzler und ….?“. Dann können Sie glei­cher­maßen zu wich­tigen Fragen der Außen­po­litik wie zu der Tat­sache ant­worten, dass Han­nover 96 natür­lich nicht abge­stiegen ist, alles ist mög­lich.

Lei­ne­mann: Ist das eigent­lich in Berlin anders geworden oder schlimmer geworden oder war das etwas, was Sie in Bonn auch schon erlebt hatten?

Schröder: In Berlin ist das, glaube ich, auf die Spitze getrieben worden bzw. hat sich so ent­wi­ckelt. Es ist ein­fach viel viel schneller. In Berlin ist das des­halb noch ein biss­chen anders, weil in Bonn war man so eng auf­ein­ander geworfen, sozu­sagen, wo immer man hin­ging, in wel­ches Restau­rant, in welche Kneipe auch immer, irgend­wann stieß man auf Jour­na­listen und umge­kehrt und ich glaube, in Berlin ver­läuft sich das natür­lich mehr, obwohl es auch da Orte gibt, wo man immer sicher sein kann, dass man was abge­nommen kriegt. Ich natür­lich nicht mehr, weil ich ja diese Orte inzwi­schen meiden muss. Früher bin ich da auch hin­ge­gangen, das gebe ich zu.

Jürgs: Wo ist eigent­lich inzwi­schen die Grenze, wann atta­ckieren Sie, wann schweigen Sie ein­fach, wann sagen Sie, ach lasst sie kri­ti­sieren, ich kenn die auch lang genug und weiß woher das kommt und wann schlagen Sie dann zurück? Oder hat man dazu inzwi­schen eine zu dicke Haut gekriegt?

Schröder: Dicke Haut ist falsch. Aber ich glaube nie­mand, dass würde ich auch von den Kol­legen behaupten, aber ich soll ja über mich reden. Ich habe keine dicke Haut in dem Sinne, dass ich mich über schlechte Bericht­erstat­tung, nach meiner Mei­nung schlechte Bericht­erstat­tung, nicht ärgerte. Und wenn sie beson­ders ver­let­zend ist, dann tut das auch noch weh, so ist das ja nicht, man soll ja nicht glauben, dass Poli­tiker und Poli­ti­ke­rinnen so Leute wären, die, wenn es gele­gent­lich weit in die Bewer­tung intel­lek­tu­eller Qua­li­täten geht, dass nicht auch für unge­recht hielten auch für schmerz­lich ansehen. Dann kuckt man, und dann werd’ ich mal wieder als nicht ganz zurei­chend qua­li­fi­ziert bezeichnet und über­legt dann, wenn man fest­ge­stellt hat, wer es war, ob man es so ganz ernst nimmt. Aber es ist immer, dass muss man sagen, immer noch ein Stück Emp­find­sam­keit da, auch gegen­über einer als unge­recht­fer­tigt begrif­fenen Kritik und erst Recht, wenn sie weit ins Per­sön­liche geht und vor Fragen dann, die die Familie betreffen, auch keinen Halt macht. Das ist dann beson­ders miss­lich. Ansonsten will ich nicht sagen dickes Fell, aber diese Schnell­le­big­keit, von der ich geredet habe, hat natür­lich eine Kehr­seite, dass man das, was an einem Tag oder in wenigen Stunden gesendet, gesagt wird, auch nicht mehr als Ehernes und für die Ewig­keit gleichsam in Stein Gemei­ßeltes Gesetz nimmt. Und dann sagt man ja morgen kommen die ja schon mal wieder auf was anderes.

Lei­ne­mann: Also das finde ich jetzt schon inter­es­sant, denn da bekomme ich so ein neues Medi­en­ge­fühl, als wenn wir immer hinter Ihnen her sind und Sie treiben, wäh­rend Sie so das Opfer sind, das sich dem aus­ge­lie­fert fühlt.

Schröder: Nein, das wäre ja ganz falsch. Was ist ein poli­ti­scher Pro­zess? Ein poli­ti­scher Pro­zess defi­niert sich durch Ent­schei­dungen, die ich zu treffen habe, die das Par­la­ment zu treffen hat, die die Oppo­si­tion zu treffen hat. Aber Teil des poli­ti­schen Pro­zesses ist doch auch die Ver­mitt­lung dessen, und Ver­mitt­lung heißt ja nicht ein­fach, Leuten zu sagen, das ist ja alles prima was die machen, son­dern inten­diert Kritik ja auch. Inso­fern fühl ich mich nicht als Opfer, aber ich bin ja gefragt worden, ob die nicht geringe Kritik sozu­sagen abprallt oder nicht abprallt. Ich will ein­fach sagen, ohne dass ich mich als Opfer begriffe, prallt es nicht ab, das will ich nur deut­lich machen. Aber das hat nichts mit Jam­mern zu tun. Ich habe immer nach dem Prinzip gear­beitet: „Wem es in der Küche zu heiß ist, der soll nicht Koch werden.“

Jürgs: Dann nehme ich ja gleich diesen Zusam­men­hang auf, denn in der letzten Woche stand in der News­week eine wun­der­bare kleine Mel­dung, … schreibt, den Sie ja auch ganz gut kennen, dass der Kanzler Schröder, so lange er Kanzler ist, auf diesem Stuhl im Weißen Haus nicht mehr erwünscht ist. Wie reagiert man auf solche Mel­dungen oder nimmt man die gar nicht zur Kenntnis?

Schröder: Die habe ich gar nicht gelesen. Jetzt haben Sie mir’s erzählt und wie soll ich darauf reagieren? Gar nicht. Weil, wenn ich da begänne, darauf zu reagieren, da wird jetzt ja viel geheim­nist. Da werden Offi­zi­elle zitiert und alles so etwas, da habe ich mir wirk­lich zu Prinzip gemacht, gar nicht darauf zu reagieren.

Jürgs: Was lesen Sie eigent­lich selbst, was wird Ihnen vor­ge­legt? Gibt es einen Pres­se­spiegel oder lesen Sie selbst ganz bewusst?

Schröder: Ich lese einen Packen Zei­tungen jeden Morgen. Ich sollte jetzt nicht die ein­zelnen Titel nennen, weil die­je­nigen, die nicht genannt sind, sich dann viel­leicht belei­digt fühlen, aber das sind so 6 oder 8 Zei­tungen. Und dann gibt es natür­lich jeden Morgen so eine Aus­wahl von Pres­se­be­richt­erstat­tungen gedruckter Medien. Was gesendet wird, wird sicher auch mit­ge­schrieben, aber das ist so wenig direkt dann, dass, wenn man es ließt, man sich über­haupt fragt, warum es gesendet worden ist (Gelächter). Das ist wirk­lich ein Unter­schied. Wenn Sie ein Hör­funk­in­ter­view oder ein Fern­seh­state­ment nach­lesen, ist das völlig anders, als wenn Sie es selber hören oder gar selber spre­chen. Inso­fern, das wollte ich damit sagen, lese ich nicht Inter­views, es sei denn, da ist ein Bolzen drin, den ich zur Kenntnis nehmen muss, den krieg ich dann vor­ge­legt.

Lei­ne­mann: Ergibt sich die Rei­hen­folge ihrer Lek­türe aus der Größe der Buch­staben?

Schröder: Nee, soll ich mal sagen, was oben liegt? Das ist Finan­cial Times Deutsch­land (Gelächter). Jetzt gibt es schon eine Schlag­zeile.

Jürgs: Davon lebt die eine Woche jetzt.

Schröder: Darum habe ich das ja gesagt.

Jürgs: Und die berühmte Zei­tung, die Sie früher nannten, das ist wichtig, Bil­dung, BAMS und Glotze. Ist die BILD-​Zei­tung etwas, was Sie täg­lich ärgert, ist die BILD-​Zei­tung etwas …

Lei­ne­mann: Lassen Sie ihn ruhig kon­kret werden!

Jürgs: … was Sie mon­tags beson­ders ärgert, wenn dort bestimmte Kolum­nisten schreiben?

Schröder: Nein, das wäre ganz falsch. Ich lese das, ich über­fliege das. Das muss man ja auch nicht lesen. Wenn man das über­fliegt, dann weiß man ja, welche Ten­denz das hat und mit ein­zelnen For­mu­lie­rungen muss man sich ja nicht aus­ein­an­der­setzen. Natür­lich lese ich dieses Blatt, das ist doch gar keine Frage. Muss man lesen. Was heißt lesen? Zur Kenntnis nehmen. Und das gehört zu dem selbst­ver­ständ­li­chen Packen, den man sich da jeden Morgen auf­lädt.

Jürgs: Kann eine Kam­pagne in BILD etwas ändern an Macht­ver­hält­nissen oder muss man das hin­nehmen?

Schröder: Also jetzt, ich glaube, dass diese Art von Jour­na­lismus Ein­stel­lungen ver­stärken kann. Aber ich glaube, es ist ein Irrtum, wenn man dort glaubt, dass man welche schaffen könnte. Wann immer man das ver­sucht, muss man ganz beson­ders auf die Auf­la­gen­kurven kucken.

Lei­ne­mann: Ist denn für Sie die Lek­türe von Zei­tungen oder das Gewicht von Pres­se­mel­dungen wich­tiger als das Fern­sehen oder kann man das über­haupt nicht ver­glei­chen?

Schröder: Das kann man nicht sagen. Also zunächst einmal ist ja klar, das Fern­sehen ist ein Medium, das gut ist und gefähr­lich in glei­cher Weise. Gut des­wegen, weil man sehr direkt und sehr als indi­vi­du­elle Person fak­tisch ins Wohn­zimmer der Men­schen kommt. Diese Chance haben Sie ja sonst über­haupt nicht und Sie sind im Fern­sehen kaum zu mani­pu­lieren, wenn Sie sozu­sagen direkt inter­viewt werden. Weil die Direkt­heit, mit der Sie zu den Men­schen kommen, ist ja kaum zu über­bieten. Das ist ja bei gedruckten Medien anders, das ist ja viel ver­mit­telter als im Fern­sehen. Die Gefahr beim Fern­sehen ist, dass Sie sich natür­lich auch sehr viel schneller ver­ga­lop­pieren können, Fal­sches sagen können. Sie werden im Fern­sehen ja nicht nur nach dem, was Sie sagen, bewertet, son­dern viel­leicht sogar noch mehr, wie Sie’s sagen und wie das Erschei­nungs­bild ist, das Sie abgeben. Und das hat ein Pro­blem im Fern­sehen, das, glaube ich, ist so eine Leit­linie, wenn ich bei einer Poli­ti­ke­rinnen-​ oder einer Poli­ti­ker­schule zu refe­rieren hätte, wenn es so etwas gäbe, es gibt ja Jour­na­lis­ten­schulen bei uns, bei uns gibt es ja so was nicht.

Lei­ne­mann: Das merkt man übri­gens. (Gelächter)

Schröder: Die unter­schied­liche Qua­lität von Jour­na­lis­ten­schulen auch, Herr Lei­ne­mann. Ins Fern­sehen können Sie eigent­lich nur gehen, wenn Sie einer Sache völlig sicher sind. Wenn Sie nicht so ganz sicher wissen, was Sie da eigent­lich rüber­bringen wollen, emp­fiehlt es sich, das nicht zu tun, weil, das ist das direk­teste und des­wegen in diesem Sinne unbe­stech­lichste Medium, das es gibt. Sie können nichts zurück­holen, jeden­falls nicht in Live-​Sen­dungen und wenn sie kommen und sagen: „Lassen Sie uns die Auf­zeich­nungen noch mal machen“, wirkt das auch komisch. Das ist sicher der schwie­rigste Weg.

Jürgs: Wenn Sie nun dieses Spiel durch­schaut haben, Jour­na­lismus und Politik und Sym­biose, und mehr und mehr dazu gelernt haben, dann benutzt man es ja auch. Also ich erin­nere mich an einen „Spiegel“-​Titel „Blau­helme“, das kam im rich­tigen Moment zur rich­tigen Zeit.

Schröder: Das ist unter­schied­lich wahr­ge­nommen worden.

Jürgs: Ich nehme mal an, ich würde es so wahr­nehmen, dass man den „Spiegel“ benutzt hat, um am Montag eine Geschichte zu haben, die man sonst nicht gehabt hätte, um von anderen Dingen abzu­lenken. Das müssen Sie jetzt weder demen­tieren noch bestä­tigen, aber ich wollte nur hinaus darauf, das Spiel ist ein wech­sel­sei­tiges Spiel.

Schröder: Ich will jetzt nicht über den kon­kreten Fall reden, der hat viele Facetten. Wirk­lich wahr. (Gelächter)

Lei­ne­mann: Glaube ich auch. (Gelächter)

Schröder: Aber gut. Dahinter steht ja die Frage, ver­sucht man als poli­ti­scher Mensch, als jemand der ein Amt hat, die Medien zu instru­men­ta­li­sieren, für was auch immer? Das will ich nicht aus­schließen, dass das geschieht, nur das geht nicht lange gut. Dar­über muss man sich im Klaren sein.

Jürgs: Das geht nicht immer gut.

Schröder: Ja, es geht nicht immer gut und es geht nicht lange gut, wenn man es macht. So etwas spricht sich rum. Man kann ein Ergebnis erzielen wollen, das ist, glaube ich, auch zulässig mit einer bestimmten Infor­ma­tion. Aber die Infor­ma­tion muss richtig sein. Mani­pu­la­tion ist weniger, eine Bericht­erstat­tung her­vor­zu­rufen mit einer rich­tigen Infor­ma­tion. Das ist ja eher Pflicht von Ihnen, wenn Sie sie kriegen umso besser. Ich halte es für erlaubt, mit einer Infor­ma­tion die richtig ist, so umzu­gehen, dass man sie zur rich­tigen Zeit gibt, und zwar zu der Zeit, wie es einem selber ver­nünftig erscheint. Aber den Ver­such zu machen, eine Bericht­erstat­tung mit einer fal­schen Infor­ma­tion zu erzielen, das macht man einmal, glaube ich, oder auch zweimal, aber dann ist Schluss, weil das spricht sich rum, bei Ihnen, bei Ihren Kol­legen. Zu Recht im Übrigen und das beendet dann das, was Sie Spiel nennen, was ich nicht als Spiel begreife. Da gibt es auf beiden Seiten eine gewisse Ver­ant­wor­tung für das, was wir demo­kra­ti­schen poli­ti­schen Pro­zess nennen, und den muss ich genau so im Auge haben wie Sie übri­gens auch.

Lei­ne­mann: Spiel ist doch nur so ein Begriff, um einen gere­gelten Ablauf zu beschreiben. Wie würden Sie denn die Bezie­hung zwi­schen Poli­ti­kern und Jour­na­listen bezeichnen?

Schröder: Es gibt ja weder den Jour­na­listen noch den Poli­tiker. Inso­fern glaube ich, gibt es keine all­ge­meinen Grund­sätze. Aber ich habe Zweifel. Ich glaube, das Tempo, das heute so extrem zuge­nommen hat, legt nahe, dass man mehr an Infor­ma­tionen zu ver­ar­beiten hat und mehr mit­be­kommt. Aber es hat auch zu allen Zeiten, glaube ich, sehr enge Bezie­hungen zwi­schen han­delnden Poli­ti­kern und ein­zelnen Jour­na­listen gegeben. Und wenn mal die Geschichte, in Teilen ist ja geschrieben, des Ent­ste­hens der Ost­ver­träge sozu­sagen unter diesem Aspekt berichtet würde, dann würde man sicher, und zwar spe­ziell unter diesem Aspekt, dann würde man sicher fest­stellen, dass ein Teil der sei­ner­zeit so klaren und auch so his­to­risch not­wen­digen Unter­stüt­zung von Spiegel und Stern bei­spiels­weise, auch was mit Nähe der han­delnden Per­sonen zu tun gehabt hat, ich glaube das kann man nicht ernst­haft bestreiten, wenn man sich mal über­legt, wie diese gesell­schaft­liche Unter­stüt­zung, die so not­wendig und richtig war, zustande gekommen ist. Also das gibt es glaube ich immer wieder, und ich würde mein Ver­hältnis zu Jour­na­lismus als ein Arbeits­ver­hältnis beschreiben, bei dem jede Seite weiß, dass man auf­ein­ander ange­wiesen ist. Gleich­wohl ent­wi­ckeln sich in einem langen poli­ti­schen Leben zwi­schen Poli­ti­kern und Jour­na­listen auch Freund­schaften, das ist doch ganz klar. Man soll doch jetzt nicht so tun, als sei das Amt unab­hängig zu sehen vom Men­schen, und zwar auf beiden Seiten. Es kann so etwas sich ent­wi­ckeln, und dann soll man das auch zulassen. Nur muss man dann eine Kon­se­quenz daraus ziehen. Also wenn man über einen gewissen Zeit­raum enger mit­ein­ander ist, als es dieses Arbeits­ver­hältnis aus­drü­cken kann und soll, dann kann man immer noch Infor­ma­tionen ver­werten. Man muss beson­ders sen­sibel sein, wenn man sie aus Freund­schaft und wegen der Freund­schaft erlangt. Es muss klare Ver­hält­nisse zwi­schen denen geben, um die es da geht, aber man sollte nicht mehr schreiben müssen oder senden müssen, oder Por­träts machen müssen über den­je­nigen, dem man beson­ders freund­schaft­lich ver­bunden ist. Das geht schief, und zwar immer zu Lasten des Poli­ti­kers. Weil der­je­nige, der das als Freund schreibt, natür­lich beson­ders kri­tisch schreibt, weil er sich von den Kol­legen ja nicht dem Ver­dacht aus­setzen will, er sei sozu­sagen ver­ein­nahmt. Und des­wegen geht es immer schief, wenn Leute, die man seit langem kennt, denen man freund­schaft­lich ver­bunden ist, womög­lich noch psy­cho­lo­gi­sie­rend über einen schreiben.

Lei­ne­mann: Ich denke, wir sollten dieses ein biss­chen kon­kre­ti­sieren. (Gelächter)

Lei­ne­mann: Wir kennen uns jetzt 25 Jahre und in den Anfangs­zeiten sind wir uns in der Tat ziem­lich nahe gewesen, die Folge ist davon genau, das haben Sie so erkannt wie ich das auch erkannt habe, dass ich 10 Jahre über Sie über­haupt nicht geschrieben habe.

Jürgs: Das heißt aber, wenn ich das auf­nehmen darf, als einer, der ein biss­chen weiter außen steht und Sie nicht so lange kennt (Gelächter), dass man von zwei Seiten ange­griffen werden könnte: a) die, die gegen Sie poli­tisch sind in der Presse und b) die anderen, die zeigen müssen, dass Sie ganz kri­tisch sind.

Schröder: Ja, das erlebe ich ja gerade.

Jürgs: Aber jetzt ernst­haft zurück. Kam­pa­gnen­jour­na­lismus hieß ja auch früher die Kam­pagne gegen die Ost­po­litik, die ja von der BILD-​Zei­tung gefahren wurde, und die Kam­pagne, die heute gefahren wird, von anderen Blät­tern. Wo ist eigent­lich nach Ihrer Wahr­neh­mung der Unter­schied? Wird die SPD in Kam­pa­gnen genau so behan­delt wie die Kon­ser­va­tiven, oder gibt es da gewisse Tabus, die man bei der SPD eher ver­letzt als bei den Kon­ser­va­tiven. Was fiel Ihnen da so auf in letzter Zeit?

Schröder: Also wenn ich mir das so anschaue, dann gibt es Unter­schiede. Die haben sicher auch was mit einer Grund­aus­rich­tung der jewei­ligen Medien zu tun. Die sind sehr deut­lich und ich glaube, dass die SPD in alldem, was sie tut – auch die Grünen im Übrigen – kri­ti­scher beob­achtet werden als kon­ser­va­tive Par­teien und Poli­tiker, das könnte ich an vielen Bei­spielen der jüngsten Ver­gan­gen­heit fest­ma­chen. Also ich glaube zum Bei­spiel, dass die Bericht­erstat­tung über bestimmtes per­sön­li­ches Ver­halten im einen wie im anderen Fall anders ist. Wenn Sie mal sehen, bei­spiels­weise über die Frage, was ist da eigent­lich gewesen, beim Unter­gang und bei dem, was sich mit dem Kirch­me­dium ver­bindet. Ich denke mir mal, wenn die Zah­lungen, die offenbar, ich muss ja zurück­hal­tend sein, an Sozi­al­de­mo­kraten geleistet worden wären, die an kon­ser­va­tive Poli­tiker geleistet worden sind, hätte das eine andere Rolle gespielt in den Blät­tern, über die wir hier geredet haben. Ich bin da ganz sicher, dass das so gewesen wäre, aber das bringt ja nichts, wir müssen ja mit dem Umfeld umgehen, das es gibt und nicht das, das Sie sich wün­schen, und in inso­fern habe ich nicht zu denen gehört, die sozu­sagen gegreint haben des­wegen. Ich weiß das und ich stell mich darauf ein. Aber es ist nicht so, dass man sagen könnte, dass es eine Gleich­be­hand­lung gäbe, das, glaube ich, wäre wirk­lich beschö­nend, wenn man das so sehen würde.

Jürgs: Ist es auch ein Reiz zu sagen, jetzt erst recht, auch wenn sozu­sagen „Viel Feind viel Ehr“, nun kämpfe ich erst richtig.

Schröder: Man hätte ja manchmal lieber weniger Feind und dann, wenn das ein Zusam­men­hang ist, der kausal ist, dann auch mei­net­wegen weniger Ehr. Es ist schon so, dass die, die glauben, mit einer bestimmten Qua­lität von Bericht­erstat­tung, die bis weit ins per­sön­liche hin­ein­geht, könnten sie sozu­sagen desta­bi­li­sie­rende Wir­kungen erzielen bei der Person, gar bei mir, die irren gründ­lich, das ist nicht zu machen. Das hat man natür­lich auch gelernt in langen Jahren poli­ti­scher Arbeit, so eine gewisse innere Sta­bi­lität gegen­über Angriffen, zumal auch dann, wenn man sie als nicht gerecht­fer­tigt emp­findet. Die braucht man schon, die muss vor­handen sein. Wenn die nicht vor­handen ist, sollte man sich besser nicht um Ämter in dieser Qua­lität mit dem, was dran­hängt an Beob­ach­tung und auch an Kritik bewerben.

Lei­ne­mann: Hat eigent­lich die Tat­sache, dass Sie mit einer ehe­ma­ligen Kol­legin von uns ver­hei­ratet sind, Ihr Bild vom Jour­na­lismus und Jour­na­listen ver­än­dert?

Jürgs: Oder nur von einer?

Schröder: Also das ist, nee, das hat mein Bild nicht ver­än­dert, glaub ich. Aber natür­lich ist es hilf­reich, wenn jemand, der 16 Jahre in ihrem Beruf gear­beitet hat, in unter­schied­lichsten Berei­chen der Kom­mu­nal­po­litik, einer Regio­nal­zei­tung ebenso wie in Bou­le­vard und Maga­zin­jour­na­lismus, wie Sie wissen. Dar­über redet man, das ist doch klar. Und das erschließt einem auch neue Erkennt­nisse und Mög­lich­keiten, das ist doch gar keine Frage.

Jürgs: Ist es denn so, dass die Poli­tiker manchmal nicht selbst dran Schuld sind, wenn sie sich als Pop­stars gerieren in Wahl­kämpfen und sich dann wun­dern, dass plötz­lich alles, was sie selbst machen …

Schröder: Das stimmt. Wer zulässt – und ich bin auch nicht frei davon gewesen, muss man auch sagen, daraus habe ich gelernt – wer zulässt, dass es Homes­to­ries gibt, wer zulässt, dass Pri­vat­leben sozu­sagen feil­ge­boten wird zur Bericht­erstat­tung, der darf sich nicht beschweren, wenn das genutzt wird, das ist wahr. Aber wer genau hin­schaut, der wird finden, dass es das bei uns nicht gibt, zu uns kommt nie­mand ins Haus, nicht weil keiner will, son­dern weil wir keinen rein­lassen. Und da ist wieder so ein Punkt. Die­je­nigen, die Jour­na­listen sind und als Gäste ein­ge­laden werden, die sind da als Freunde und nicht als Jour­na­listen und halten sich auch daran. Da bin ich auch noch nie ent­täuscht worden. Der Punkt ist richtig, aber genau umge­kehrt muss gelten, wenn man das nicht tut, erwirbt man auch ein bestimmtes Recht, geschützt zu bleiben in dem Bereich. Ich würde sogar weiter gehen, was die Rechte der Presse angeht. Wer öffent­liche Ämter ab einer gewissen Stufe bekleidet, der muss damit rechnen, dass nicht nur das, was er in seinem Berufstag tut, beob­achtet wird, son­dern natür­lich auch sein Umfeld, das muss er akzep­tieren. Aber je mehr die Bericht­erstat­tung weg­geht von den beruf­li­chen Dingen, also von den poli­ti­schen Ent­schei­dungen, desto sorg­fäl­tiger muss sie sein. Und ein Recht, Lügen zu ver­breiten, das kann nie­mand für sich in Anspruch nehmen. Ich hoffe, dass das auch hier so gesehen wird, denn dann muss man sich mal fragen, was mit einem selber pas­siert, wenn solche erfun­denen Geschichten, die das Per­sön­liche betreffen und die ja dann nicht immer die eine Figur betreffen, son­dern das ganze Umfeld, das sich über­haupt nicht wehren kann, das fami­liäre Umfeld, ich glaube, das ist die Grenze, die muss ein­ge­halten werden. Ist manchmal schwierig. Das hat auch ein biss­chen was zu tun mit dem Beruf, mit dem was man Intus seines Berufes nennt, was heute gele­gent­lich weniger ernst genommen wird. Das sind meine Beob­ach­tungen, also in der Ver­gan­gen­heit, aber viel­leicht kriegt man ja wieder was …

Lei­ne­mann: Können Sie was mit dem Begriff „Her­den­jour­na­lismus“ anfangen?

Schröder: Ja gut, das hat ja nun ein Jour­na­list geschrieben oder ein Her­aus­geber, wenn ich das richtig sehe. Ich nehme an, dass er sich da auf Erfah­rungen stützt. Aber sagen wir mal so. Dass bestimmte Trends gesetzt werden, die man dann nach­voll­zieht, denen man dann die eine oder andere Ara­beske hin­zu­fügt, ich glaube das ist eine Beob­ach­tung, die man nicht völlig von der Hand weisen kann. Ob man das mit dem Begriff belegen sollte, das würde ich auch erst tun, wenn ich das Amt hinter mir hätte. (Gelächter)

Jürgs: Wie gezielt setzen Sie denn Trends? Gibt es da rich­tige Stra­te­gien, dass man sagt, dieses wollen wir jetzt rüber­bringen?

Schröder: Es gibt die mehr oder minder geglückten Ver­suche einer poli­ti­schen Ent­schei­dung, zumal wenn sie wichtig ist, einen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zess vor­aus­gehen zu lassen und natür­lich die Ent­schei­dung, selber geeignet zu kom­mu­ni­zieren. Also nehmen Sie mal so eine Rede wie am 14.3. mit der Agenda 2010. Da kam es darauf an, deut­lich zu machen, von diesem Zeit­punkt an ändert sich was. Dann gibt es aber immer eine Gefahr. Wenn sich der Zeit­punkt zu sehr ins Auge fassen lässt und dabei auch noch hilf­reich ist, wird man leicht über­for­dert mit dem

Lei­ne­mann: Sie pro­du­zieren Ent­täu­schung.

Schröder: Ja, pro­du­zieren Ent­täu­schung, aber ich bin ja nicht Herr­scher der Kom­mu­ni­ka­tion allein. Ich kann Anlass setzen und dann geht das ganze ja los, ohne das ich das noch in der Hand hätte. Aber das ist ja dann Ihre Geschichte, das ist die eine Gefahr und die andere Gefahr ist natür­lich, dass etwas, was Sie tun und nicht tun wollen, nicht hin­rei­chend wahr­ge­nommen wird. Einmal Sie pro­du­zieren Über­for­de­rung mit einer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie, wenn die ernst genommen wird und richtig dann noch weiter getrieben wird und das ist ja Sache von Jour­na­listen. Und die andere Gefahr ist, es ver­pufft. Weil Sie eine solche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie nicht hatten und im nach­hinein, etwas, was nicht richtig zur Kenntnis genommen worden ist, zur Kenntnis zu bringen. Das ist ein sehr schwie­riges Stück von Kom­mu­ni­ka­tion, glaube ich über­haupt, was es gibt, gelingt fast nie, es sei denn, Sie kriegen es hin, eine solche Ent­schei­dung zum zweiten Mal zu dra­ma­ti­sieren, über irgend­welche Per­so­nal­que­relen, die damit ver­bunden wären, über bestimmte andere Ereig­nisse, auf die man kommen könnte, aber das ist das schwie­rigste. Was ver­gessen ist, wieder vor­zu­holen, ist, glaube ich, der schwie­rigste Teil einer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie. Leichter ist es, zu einem Punkt Auf­merk­sam­keit zu lenken, an dem Sie das wollen.

Lei­ne­mann: Sie haben gesagt, es muss eine Situa­tion wirk­lich für alle ganz kata­stro­phal sein, bevor sich in diesem Lande etwas ändern lässt, so sinn­gemäß.

Schröder: Ja, sehr sinn­gemäß.

Lei­ne­mann: Also ich habe das so ver­standen.

Schröder: Darf ich mal sagen, Herr Lei­ne­mann, genau das ist auch einer der Geschichten, über die man mal reden muss (Gelächter). Also da gibt es ein Zitat, das so, wie er es jetzt gesagt hat, nie gefallen ist. Wenn ich das unwi­der­spro­chen ließe, dann wäre es eins.

Lei­ne­mann: Ich habe das aber nicht als Zitat gesagt.

Schröder: Ver­stehen Sie, was ich damit aus­drü­cken will, ist Fol­gendes. Man sagt, was den Reform­pro­zess in Deutsch­land angeht und das halte ich für richtig, wir sind unbe­weg­li­cher als wir sein dürften, weil wir ein rei­ches Land und nicht ein armes Land sind. Wir sind, und das hat damit zu tun, dass die Men­schen in einem rei­chen Land – natür­lich abge­stufte Formen von Mög­lich­keiten wirt­schaft­li­cher Art da sind und das soll ja auch so bleiben -, dass dort viel mehr als in anderen Län­dern etwas zu ver­lieren haben. Und also jeder meint, das halte ich jetzt fest, was wir viel­leicht zum ersten Mal in der deut­schen Geschichte machen, Wohl­stand dieser Art gibt, will jeder das, was erreicht worden ist, fest­halten, muss man ver­stehen, muss nur das argu­men­tieren, muss es nur behalten können, wenn du dich der Ver­än­de­rung, die not­wendig ist, nicht ent­ge­gen­stellst. Das ist aber ein anderes Thema, bezogen ist hier drauf, ich hab das immer so gesagt, wie hier, so wie Sie’s jetzt wie­der­ge­geben haben, sehr ver­kürzt, ich halte das für zulässig, habe ich sozu­sagen gesagt, es muss erst eine Kata­strophe kommen, bevor wir Politik machen können. Das ist aber gar nicht meine Auf­fas­sung, übri­gens erst recht nicht meine Auf­gabe.

Lei­ne­mann: Das war Strauß. Das war Franz Josef Strauß, der hat das so gemacht.

Jürgs: Aber es heißt doch, dass in sol­chen Momenten eine Presse hilf­reich wäre die sagt, ja es ist Zeit für eine Reform.

Schröder: Nein, nein, das geschieht ja auch. Und sagen wir mal, das, was dort an teil­weise auch zu weit­ge­hender Unter­stüt­zung sehr abs­trakt häufig aus­ge­drückt worden ist und des­wegen für die kon­kreten poli­ti­schen Ent­schei­dungen nicht immer hilf­reich ist, ist aber gene­rell nicht zu beklagen, weil ein­ge­for­dert worden ist, von den Jour­na­listen, also von einer der geliebten dieser Gesell­schaft in Über­ein­stim­mung

Jürgs: Das gilt aber auch für Poli­tiker.

Schröder: Das gilt auch für Poli­tiker, in der Tat. Und wenn dann so ein Ver­än­de­rungs­pro­zess ein­ge­for­dert wird, ist dagegen nichts ein­zu­wenden, ganz im Gegen­teil, das kann man als kom­mu­ni­ka­tive Unter­stüt­zung begreifen, wenn man es hin­be­kommt, das, was sozu­sagen dort so radikal ohne kon­kret zu sagen, wo und wer denn betroffen worden ist, ein­ge­for­dert wird, wenn man es schafft, sozu­sagen, die kon­kreten Ein­schei­dungen, die nötig und mög­lich und unter den Macht­struk­turen dieser Repu­blik durch­setzbar sind, in etwa in einem Kon­text zu halten, mit dem, was abs­trakt an Ver­än­de­rung ein­ge­for­dert wird, das ist ja dann die Kunst, die wir zu leisten haben. Das man das, was es an Stim­mung für einen Ver­än­de­rungs­pro­zess gibt, auf­fängt in den kon­kreten Ent­schei­dungen, hier in Agenda 2010, ohne dass der Ver­än­de­rungs­wille, der abs­trakt sichtbar geworden ist, Ent­täu­schung findet, in den kon­kreten Umset­zungen die man macht. Denn dann kriegt man wieder das Pro­blem, dass man eine all­ge­meine Unter­stüt­zung hat, aber an kon­kreten Dingen rum­ge­nör­gelt wird.

Jürgs: Dazu wäre es natür­lich sinn­voll, wenn man jeden Tag eine Regel abschafft und die der BILD-​Zei­tung exklusiv gibt, dass man immer dieses Echo hat.

Schröder: Irgendwie, Herr Jürgs, müssen Sie ein gebro­chenes Ver­hältnis zur BILD-​Zei­tung haben.

Jürgs: Wir hatten, Herr Schröder, um wieder ganz ernst­haft zu werden, davon gespro­chen, dass natür­lich früher es andere Tabu-​Grenzen gab, dass man­ches ein­fach nicht berichtet worden ist, und zwar diese Sym­biose von Jour­na­listen und Politik, die sich gemeinsam an gewisse Grenzen hielt, die nicht über­schritten worden sind. Wann hat sich das eigent­lich geän­dert nach Ihrer Wahl?

Schröder: Ich glaube, das hat sich in Deutsch­land langsam geän­dert. Ich erin­nere an Bericht­erstat­tung, die ins Per­sön­liche ging, die mich nicht betroffen hat, die ich aber amü­siert zur Kenntnis genommen habe sei­ner­zeit. Da gab es die einen, die schon länger, meis­tens Bou­le­vard-​Presse – es ist auch schwie­riger für die, was zu ver­schweigen, weil sie sehr stark von sol­chen Ereig­nissen natür­lich auch leben, auch wirt­schaft­lich leben – da gab es die, die das berich­teten und dann gab es die anderen, die schrieben Artikel, „was wir nie wieder lesen wollen“. Und dann wurde die ganze Chose in dem Artikel berichtet, das war nur eine andere Über­schrift, und das hat sich inzwi­schen bedau­er­li­cher­weise ange­gli­chen, aber nicht in Rich­tung, was wir nie wieder lesen wollen, son­dern in die andere Rich­tung. Das muss zu tun haben – aber das können Sie besser beur­teilen als ich – mit der doch härter gewor­denen Kon­kur­renz. Was mir jeden­falls rie­sige Sorgen macht, ist die wirt­schaft­liche Situa­tion von Zei­tungen, und zwar allen Zei­tungen, unab­hängig davon, ob mir die Leit­ar­tikel passen oder nicht. Ich denke, man wird in der nächsten Zeit, wir haben ja in Deutsch­land eine Zei­tungs­land­schaft, die so viel­fältig ist, wie es sie in keinem euro­päi­schen und auch in keinem außer­eu­ro­päi­schen Land gibt. Ich halte das für ein Stück Kultur in Deutsch­land, wir werden drüber reden müssen, wie kriegen wir hin, dass ange­sichts des Ent­zugs von Ein­nah­me­mög­lich­keiten, etwa in der Wer­bung, die struk­tu­rellen Ver­än­de­rungen von Anzeigen in Zei­tungen und der Weg zum Internet sind sichtbar und werden wahr­schein­lich voll­ständig auch nie wieder sich ändern und wir müssen uns ein­fach dar­über unter­halten, welche poli­ti­schen Rah­men­be­din­gungen müssen gesetzt werden, um das Über­leben einer mög­lichst viel­fäl­tigen Zei­tungs­land­schaft, auch wirt­schaft­li­ches Über­leben – daran müssen auch Jour­na­listen Inter­esse haben – zu ermög­li­chen. Ich hoffe, dass wir eine solche Dis­kus­sion, mit denen, die nicht nur Zei­tung machen, also mit Ihnen, son­dern auch mit denen, die sie ver­legen, in Gang setzen. Wir sind jeden­falls dazu bereit. Wenn man sich mal die Schwie­rig­keiten in den Zei­tungen unter­schied­lichster Cou­leur anschaut, dann ist das ein struk­tu­relles Pro­blem. Es mag bei dem einen oder anderen Fall auch Miss­ma­nage­ment dazu­kommen, das kann man nicht bestreiten, soll man auch nicht, aber ich glaube die struk­tu­rellen Pro­bleme über­wiegen und da müssen wir dann ran, ohne dass wir Sub­ven­ti­ons­töpfe auf­ma­chen könnten und wollten. Dass wollen ja auch die­je­nigen, die unab­hängig bleiben, sicher nicht. Aber ich glaube, wir haben in Deutsch­land einen Nach­hol­be­darf, was die Klä­rung dieser Frage angeht und ich hoffe, dass wir mög­lichst bald, mit denen, die da ver­ant­wort­lich sind, ins Gespräch kommen. Und so ein Gespräch sollte auch nicht zwi­schen Politik und Ver­le­gern allein geführt werden, son­dern es sollten die Jour­na­listen genauso betei­ligt sein. Ich habe jeden­falls ein großes Inter­esse daran, dass das mög­lichst schnell in Gang kommt. Ich will jetzt keine wei­ter­ge­henden Ankün­di­gungen machen, man wird auch über­prüfen müssen, ob die spe­zi­fi­schen Rechts­vor­schriften, die wir zum Schutze ein­zelner Titel gemacht haben, der gewan­delten Wirk­lich­keit, was die wirt­schaft­li­chen Fragen angeht, noch stand­halten. Ich hab da meine Zweifel, aber wie gesagt, dass wäre zu klären im Rahmen einer sol­chen Dis­kus­sion, zu der wir ein­laden werden.

Lei­ne­mann: Haben wir jetzt so Under­cover über die Situa­tion in Berlin geredet?

Schröder: Nein, über­haupt nicht. Das wäre auch wirk­lich töricht, wenn ich dar­über redete. Dass ist einer jener Fälle, wo es eine poli­ti­sche Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz nicht gibt und von daher ich auch aus guten Gründen nicht dar­über reden muss und auch nicht darf. Denn Ent­schei­dungen, die bean­tragt sind, sind Ent­schei­dungen des Wirt­schafts­mi­nis­ters als Behörde und nicht Ent­schei­dungen etwa, die im Kabi­nett zu erör­tern oder zu treffen wären oder wo ich eine Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz in Anspruch nehmen könnte. Täte ich das, würde ich den Anwälten auf allen Seiten wun­der­bare Muni­tion lie­fern. Des­wegen haben wir heute über alles geredet, nur dar­über nicht.

Lei­ne­mann: Sehen Sie eigent­lich eine ähn­lich Besorgnis erre­gende Ent­wick­lung auf dem Fern­seh­markt?

Schröder: Nein, dass kann ich nicht finden. Ich denke, dass wir in Deutsch­land ganz gut dran sind mit der Tat­sache, dass wir zwei öffent­lich-​recht­liche Pro­gramme haben. Ich über­schaue nicht die betriebs­wirt­schaft­li­chen Not­wen­dig­keiten dort, ich will jetzt keine Gebüh­ren­de­batten führen oder so, dafür bin ich auch völlig unge­eignet, weil ich über­haupt nicht zuständig für den ganzen Bereich bin, aber ich finde die Situa­tion ist ganz glück­lich. Und dann gibt’s zwei pri­vate Pro­gramme, die sind zufrieden. Dem einen geht’s ja wirk­lich gut, wenn ich die Zahlen zur Kenntnis nehme. Also RTL, denen geht’s ja glän­zend. Das zeigt, dass neben dem öffent­lich-​recht­li­chen Fern­sehen in zwei Pro­grammen Pri­vates über Wer­bung finan­ziert mög­lich und erfolg­reich sein kann und meine Hoff­nung ist, dass die andere sog. Sen­der­fa­milie unter den neuen Eig­nern ähn­lich erfolg­reich ist . Prin­zi­piell muss das mög­lich sein. Ich glaube auch nicht, dass diese Art von Wett­be­werb dem öffent­lich-​recht­li­chen Bereich schadet. Im Gegen­teil.

Jürgs: Gehen wir mal zurück zu Macht und Medien. Was glauben Sie eigent­lich, welche Macht Medi­en­mäch­tige haben. Natür­lich eine ver­lie­rende, weil Chef­re­dak­teure fliegen etwa so raus wie Bun­des­liga-​Trainer oder ver­lieren ihr Amt wie Poli­tiker. Welche Macht haben die? Wo ist die Macht für Sie so spürbar, dass Sie prak­tisch sagen, bei allem was ich glaube, machen zu müssen, ich glaube, ich muss das und das ändern, weil die sind zu starr. Gibt es da kon­krete Bei­spiele?

Schröder: Also das mag es geben, dass, wenn man bestimmte Wider­stände, die auf­ge­baut werden, sich so anschaut, dass man unter­be­wusst darauf reagiert. Aber ich würde keinem raten, eine Ent­schei­dung zu kor­ri­gieren, die er inner­lich für richtig hält zu kor­ri­gieren, nur weil sie uno sono oder in Berlin auf ein schlechtes Echo trifft. Wenn das ange­fangen wird, dass man sagt, also da macht einer eine Mut- oder Wut­kam­pagne, was auch immer gerade da ist, und man sagt, oh, dass kann aber schief gehen und da streich ich die Segel, das macht keinen Sinn, es sei denn, man kommt durch einen öffent­li­chen Dis­kurs zu der Auf­fas­sung, die Ent­schei­dung, die man getroffen hat, ist des­wegen zu kor­ri­gieren, weil sie falsch ist, also das muss mög­lich sein. Aber dann ist es nicht ein Ergebnis einer Kam­pagne, son­dern Ergebnis eines Pro­zesses des Nach­den­kens in einem öffent­li­chen Dis­kurs und das hat dann was mit diesem Begriff zu tun, der so ein biss­chen höh­nisch wie zynisch benutzt wurde, den der Nach­bes­se­rung. Ich selber glaube ja, dass man noch sehen wird, dass Gesetze, die zu tun haben mir der Reak­tion von Politik auf eine sich rasant ver­än­dernde öko­no­mi­sche Basis unserer Gesell­schaft, dass solche Gesetze kür­zere Lebens­dauer haben und haben müssen, als das in der Ver­gan­gen­heit der Fall war. Inso­fern glaube ich übri­gens auch, dass dieser Pro­zess, dass Politik sehr viel mehr Pro­zess­cha­rakter auch sichtbar haben wird in Zukunft als jemals zuvor. Denn wenn die Zyklen an der öko­no­mi­schen Basis einer Gesell­schaft Pro­dukt­zy­klen, Ent­wick­lungs­zy­klen, sich sehr viel schneller ver­än­dern als je zuvor in unserer Geschichte und das eher zunehmen als abnehmen wird, dann besteht die Auf­gabe, die poli­ti­schen Sub­sys­teme ent­lang dieser Ver­än­de­rung jeden­falls zu über­prüfen, per­ma­nent. Und dann kann es sein, muss nicht sein, aber dann kann es sein, dass die Anpas­sungs­vor­gänge auch schneller ablaufen müssen, als das je zuvor not­wendig gewesen ist. Und dann wird man natür­lich mehr und mehr Gesetze machen mit Ver­falls­fristen, weil man sie ein­fach aus­laufen lassen muss, wenn sie diese Funk­tion nicht mehr haben oder die Nach­bes­se­rung von Gesetzen kriegt dann eine neue und dann posi­tive Qua­lität, weil das objektiv not­wendig ist, nicht nach­zu­bes­sern, aber auf immer rascher ein­tre­tende neue Kon­stel­la­tionen zu reagieren.

Jürgs: Das würde aber bedeuten, dass Sie unent­wegt tätig sein müssten, um Auf­klä­rung in diese Rich­tung zu leisten.

Schröder: Ja, das bedeutet zunächst einmal, dass es die Sicher­heiten, die man früher als selbst­ver­ständ­lich ange­sehen hat, über Jahre und Jahr­zehnte, dass es die nicht mehr gibt. Das ist ja auch das Pro­blem, das wir gegen­wärtig haben, dass die Men­schen in Deutsch­land spüren, die Gewiss­heiten kommen ins Wanken und man spürt, dass sich was ver­än­dern muss. Man will sich auf der anderen Seite auf den Pro­zess der Ver­än­de­rung des­halb nicht ein­lassen, weil man genau nicht weiß, ob es besser oder schlechter wird, und das was gut ist, gern fest­halten möchte. Inso­fern, Herr Lei­ne­mann, ist dieser Pro­zess der Ver­än­de­rung in der Tat dau­er­hafter und damit der Pro­zess der Auf­klä­rung.

Lei­ne­mann: Also mir scheint im Augen­blick ja eine Haupt­schwie­rig­keit auch im Umgang zwi­schen Medien und Politik darin zu bestehen, dass die Wahr­neh­mungen der Wirk­lich­keit ganz weit aus­ein­an­der­gehen, dass die Medien in allen Medien eigent­lich ist es immer fünf vor zwölf. Bei ihnen ist es zwar schlimm, aber das kriegen die schon hin. Und bei den Leuten ist die Tat­sache, dass sich über­haupt was bewegt, schon Besorgnis erre­gend. Und zwi­schen diesen drei Ebenen – alle reagieren auf ihrer Ebene – kommt es immer mehr zur Dis­kre­panz.

Schröder: Das würde ich als zutref­fende Beschrei­bung ansehen. Aber die Frage ist ja, man kann ja nicht bei der Beschrei­bung stehen bleiben. Es ist richtig, was Sie kri­ti­sieren, dass in der Bericht­erstat­tung all zu sehr dra­ma­ti­siert wird. Das ist natür­lich auch eine, wie soll ich sagen, Zuspit­zung, ist Teil des Berufes denke ich, wäh­rend bei uns Zuspit­zung gele­gent­lich Teil des Berufes ist, aber natür­lich nicht immer, das ist auch ein Stück Ver­trauen und Hoff­nung in die Lös­bar­keit von Pro­blemen deut­lich werden lassen. Und sie sind ja auch lösbar, und das Dritte ist, ich glaube, es gibt die Men­schen, die Infor­ma­tionen bekommen und denen Sie bei der Ver­ar­bei­tung helfen, wissen schon genauer zu unter­scheiden, sonst würden ja alle Kam­pa­gnen „erfolg­reich“ sein. Sie sind es ja nicht, inso­fern gibt es schon ein Dif­fe­ren­zie­rungs­gebot. Aber das Grund­pro­blem ist in der Tat, dass wir zumal in Deutsch­land die Nei­gung haben, eine Ver­än­de­rung nicht nach­drück­lich und klar ein­zu­for­dern, son­dern sie zu ver­binden mit einer Welt­un­ter­gangs­stim­mung und da finde ich im Moment die Kritik an dieser Kritik berech­tigt. Das war sehr hilf­reich, dass mal gesagt worden ist, ver­dammt noch mal, in wel­chem Land leben wir eigent­lich. Wir beklagen Wachs­tums­raten zu Recht, wir beklagen hohe Arbeits­lo­sig­keit noch mehr zu Recht. Aber ver­gli­chen mit dem, was dem zugrunde liegt, z. B. dass wir seit zwölf Jahren, ohne zu murren vier Pro­zent unseren Brut­to­in­land­pro­duktes von West nach Ost trans­fe­rieren, dabei par­allel ein Viertel des euro­päi­schen Haus­haltes zu finan­zieren, ohne dass die deut­sche Wirt­schaft auf den Märkten der Welt etwa Ter­rain ver­loren hätte, im Gegen­teil, alle haben ja damit gerechnet, dass das der Fall sein würde. Das Gegen­teil ist ein­ge­treten, das zeigt eine unge­heure Kraft, und gele­gent­lich wäre es natür­lich hilf­reich, wenn in der Kritik auf diese Kraft hin­ge­wiesen würde. Dann kann man ja immer noch sagen, das habt ihr nicht schnell genug und nicht ent­schieden genug gemacht. Also dieses Wech­sel­spiel zwi­schen der Ver­mitt­lung, Lös­bar­keit der Pro­bleme und der Beschrei­bung der Pro­bleme, das klappt noch nicht so bei uns.

Jürgs: Hätten Sie manchmal Lust, die Maß­stäbe, die Jour­na­listen, also wir, anlegen, an Poli­tiker umge­kehrt anzu­legen?

Schröder: Ja, das werde ich machen, wenn ich, ja wann, kann ich Ihnen ja nicht sagen (Gelächter), das werde ich machen, wenn ich auf­ge­hört habe, aktiv poli­tisch zu arbeiten und dann so mit großer Freude.

Jürgs: Eine ganz per­sön­liche Frage zum Schluss. Sie wirkten auf mich in man­chen Monaten der letzten Zeit aus­ge­brannt. Nun habe ich nicht erst seit 14. März, seit der Agenda 2010, das Gefühl von Lust auf Kämpfen. Kann es also sein, dass Sie ent­weder sagen, ich ziehe die Karre nun aus dem Dreck und Ihr macht mit oder wenn Ihr nicht mit macht, mach ich mir einen schönen Sommer und bin weg.

Schröder: Das ist eine schöne Fang­frage.

Jürgs: So war das gedacht.

Schröder: Also ers­tens, was heißt aus­ge­brannt? Das Pro­blem des letzten Wahl­kampfes war, dass er in einer Weise per­so­na­li­siert worden ist, und zwar mit allen Kon­se­quenzen, wie wahr­schein­lich nie einer zuvor.

Lei­ne­mann: Und zwar auch von Ihnen.

Schröder: Ja klar, was sollte ich aber auch machen? (Gelächter) Ich will das begründen. Wir hatten, und ent­gegen dem, was ich gele­gent­lich gelesen habe, wir hatten diese Wahl auf der Ebene der Par­tei­en­kon­kur­renz fak­tisch ver­loren. So. Und wir haben sie dann auf der Ebene der Per­so­nen­kon­kur­renz gewonnen. Das war aller­dings seit April, Mai im letzten Jahr ziem­lich klar, dass man das auf der Ebene der Par­tei­en­kon­kur­renz nur noch schwer würde drehen können. Aber auf der Ebene der Per­so­nen­kon­kur­renz schon. Und so ist es uns sehr häufig ergangen. Was bedeutet das? Das bedeutet natür­lich, dass Sie nicht nur sich quälen müssen wie selten zuvor, dass müssen Sie in jedem Wahl­kampf, dass Sie nicht nur im Fokus eine erhöhte Auf­merk­sam­keit als Person haben. Aber wer genau hin­kuckt, der wird mit­be­kommen haben, dass die ganze Zeit über auch die Dinge begangen wurden, gegen die ich mich dann zu wehren hatte. Aus den Gründen, die ich Ihnen ein­gangs genannt habe. Das war eine neue Qua­lität, die sehr bewusst gesetzt worden ist, um auf der Ebene der Per­so­nen­kon­kur­renz eben nicht ver­lieren zu müssen. Das war schon sehr poli­tisch gemacht und sehr infam. Dass kann man gar nicht bestreiten. Und dann kam etwas hinzu, was so früher auch nicht da war, es wurde immer auf meinen Zylinder gekuckt, den ich gar nicht habe.

Lei­ne­mann: Aber das ist kein Mittel.

Schröder: Das war auch nie so per­so­na­li­siert. Ich habe immer ver­zwei­felt nach Zylinder und Kanin­chen gesucht.

Lei­ne­mann: Sie haben zu oft Hokus­pokus gesagt (Gelächter).

Schröder: Wir reden ja über die Frage, wenn Sie so einen Wahl­kampf hinter sich haben, dann möchte ich den mal sehen, der nicht – aus­ge­brannt ist das fal­sche Wort – aber der nicht auch erschöpft ist. Ist doch klar, wir sind doch auch keine Leute, die sol­chen ganz nor­malen Abnut­zungs­er­schei­nungen nicht erlägen. Und dann war eigent­lich der Rat, der mir da immer öffent­lich gegeben wurde, machen Sie doch erst einmal zwei Wochen Urlaub statt Koali­ti­ons­ge­spräche, eigent­lich ein rich­tiger Rat, im nach­hinein ein ganz rich­tiger. Denn ich behaupte, wenn ich zwei Wochen weg­ge­wesen wäre, wäre das auch nicht schlechter geworden als die Koali­ti­ons­ge­spräche abge­laufen sind. Aber das wusste ich natür­lich nicht, also konnte ich das auch nicht machen, gleich­zeitig gab es, das können Sie nicht über­sehen, diese sehr span­nungs­reiche inter­na­tio­nale Situa­tion, wo das Fest­halten an einer bestimmten Posi­tion auch Kraft kostet, auch sehr sehr stark per­sön­lich. Das hat sicher dazu bei­getragen, dass bei dem einen oder anderen so ein Ein­druck ent­stehen konnte, die Sache war nicht richtig, was mich per­sön­lich angeht, aber richtig bleibt natür­lich, dass der alte schöne Satz „Viel Feind viel Ehr“ schon eine Her­aus­for­de­rung im Grunde for­mu­liert. Eine Her­aus­for­de­rung, die dazu führt, dass man sagt, das wollen wir doch mal sehen.

Jürgs: Also doch noch einmal zuge­spitzt, Karren aus dem Dreck ziehen gemeinsam oder macht Euren Dreck alleine, ich bleib dabei bei der Frage.

Schröder: Und ich bleib dabei, dass alles richtig war, was ich bisher geant­wortet habe.

Ende der Podi­ums­dis­kus­sion

Ein Reporter vom NDR (X) fragt den Bun­des­kanzler im Anschluss der Podims­dis­kus­sion:

X: Herr Bun­des­kanzler, ein Heim­spiel beim Nord­deut­schen Rund­funk, wie fanden Sie denn die Ver­an­stal­tung?

Schröder: Ich fand sie munter, und was die beiden Mode­ra­toren angeht, auch auf den Punkt hin gefragt, ich hoffe, Sie waren mit den Ant­worten eini­ger­maßen zufrieden.

X: Wie kann es pas­sieren, dass Jour­na­listen wie in diesen schwie­rigen Zeiten sich beschränken auf das Thema Kanzler und Medien und nicht das dis­ku­tieren, was die Bevöl­ke­rung inter­es­siert?

Schröder: Also ich denke, dass war eine lange vor­be­rei­tete Debatte über ein bestimmtes Thema, das muss mög­lich sein. Die glei­chen Jour­na­listen fragen ja jeden Tag zu aktu­ellen Themen. Und ich glaube, wir kommen auch, so weit es geht, dem Infor­ma­ti­ons­be­dürfnis nach, so dass sich jeder, wie das ja sein soll, über Jour­na­lismus, aber auch über Politik ein eigenes Bild machen kann.

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