Leucht­turm 2013 für Michael Obert und Moises Saman

ver­öf­fent­licht von Netz­werk Recherche | 22. November 2013 | Lese­zeit ca. 7 Min.

Köln/Berlin, 22. November 2013

Der „Leucht­turm für beson­dere publi­zis­ti­sche Leis­tungen” der Jour­na­lis­ten­ver­ei­ni­gung netz­werk  recherche geht in diesem Jahr an den Jour­na­listen Michael Obert und den Foto­grafen Moises  Saman. In ihrer außer­ge­wöhn­li­chen Repor­tage “Im Reich des Todes”, erschienen im Juli im Magazin  der Süd­deut­schen Zei­tung, berichten sie über weit­ge­hend unbe­kannte Fol­ter­camps auf der Sinai-​  Halb­insel. Dort haben Bedui­nen­stämme einen mör­de­ri­schen Ent­füh­rungs­ap­parat auf­ge­baut,  gezeichnet von Gesetz­lo­sig­keit und Unmensch­lich­keit. Obert und Saman rekon­stru­ieren das  Schicksal eines ver­stüm­melten Opfers aus Eri­trea, spüren die Lager in der Wüste auf und  recher­chieren unter Lebens­ge­fahr in einem Gebiet, in dem kein Rechts­staat exis­tiert.

“In seiner beein­dru­ckenden Repor­tage beleuchtet Michael Obert einen Miss­stand, vor dem die Welt  die Augen ver­schließt. Dazu zeigt Magnum-​Foto­graf Moises Saman mit erdrü­ckenden Bil­dern,  welche Miss­hand­lungen die Über­le­benden ertragen haben”, so Lau­dator Egmont R. Koch, Mit­glied  im Vor­stand von Netz­werk Recherche. “Die Repor­tage von Obert und Saman ist gera­dezu ein  Para­de­bei­spiel für auf­rüt­telnden und mutigen Jour­na­lismus.”

Außerdem ver­leiht Netz­werk Recherche in diesem Jahr auch einen Son­der­preis an Jochen Wagner, stell­ver­tre­tend für alle Hono­rar­kläger.

Der “Leucht­turm für beson­dere publi­zis­ti­sche Leis­tungen” wird am 22. November um 18.15 Uhr im Rahmen der Weit­blick-​Kon­fe­renz von Netz­werk Recherche beim WDR in Köln ver­liehen. Die Fach­kon­fe­renz “Weit­blick – Die lange Form, die ganze Geschichte” widmet sich den langen Formen wie bei­spiels­weise Fea­ture, Doku­men­tar­filme und Dos­siers und dis­ku­tiert die Mög­lich­keiten und Grenzen für lange Recher­chen im Jour­na­lismus.

Netz­werk Recherche e.V. ist der Verein zur För­de­rung der Recherche in Deutsch­land, dem 600 Jour­na­listen aus allen Berei­chen der Medien ange­hören. Zu seinen Kern­auf­gaben zählt, Recherche zu för­dern und zu for­dern. Dazu ver­an­staltet das Netz­werk Fach­ta­gungen und Kon­fe­renzen, gibt Publi­ka­tionen heraus und ver­gibt Recherche-​Sti­pen­dien.

Berichte zum Leucht­turm:

taz „Zwei Leucht­türme”

Magnum Photos „Moises Saman Receives Receives 2013 Leucht­turm Award”

Schreiben als Beruf „Netz­werk Recherche ver­leiht zwei Leucht­türme 2013”

Lau­datio von Egmont R. Koch

Leucht­turm-​Preis­träger 2013: Michael Obert und Moises Saman
Lau­dator: Egmont R. Koch, Vor­stand Netz­werk Recherche

Liebe Kol­le­ginnen und Kol­legen,

Netz­werk Recherche ehrt in diesem Jahr Michael Obert und Moises Saman für eine außer­ge­wöhn­liche Repor­tage mit dem Leucht­turm. Ich darf Moises hier in Köln herz­lich begrüßen, Michael Obert ist leider ver­hin­dert, weil er heute auf dem Inter­na­tio­nalen Doku­men­tar­film-​Fes­tival in Ams­terdam seinen ersten Kino­do­ku­men­tar­film vor­stellt.
“Im Reich des Todes” heißt ihre Repor­tage, die nach auf­wen­digen Vor-​Recher­chen auf einer 18-​tägigen Reise durch den nörd­li­chen Sinai ent­stand.
Dort haben Bedui­nen­stämme einen mör­de­ri­schen Ent­füh­rungs­ap­parat auf­ge­baut, es herr­schen Gesetz­lo­sig­keit und Unmensch­lich­keit. Die Opfer sind vor allem Flücht­linge aus dem dik­ta­to­risch regierten Eri­trea am Roten Meer, die nach Norden in den Sudan fliehen, dort von bewaff­neten Banden ent­führt und wei­ter­ver­kauft, schließ­lich wie Vieh in Geflü­gel­trans­porter gepfercht über die Suez-​Kanal-​Brücke in den Sinai ver­schleppt werden. Sie landen in ver­steckten Camps der Beduinen, wo die Fol­ter­knechte ihnen glü­hende Nägel durch die Hände schlagen, sie mit kochendem Wasser über­giessen, mit Strom­schlägen quälen, ihre Extre­mi­täten ver­stüm­meln, die Frauen brutal ver­ge­wal­tigen. Sie sollen die Tele­fon­num­mern ihrer engsten Ange­hö­rigen in Eri­trea preis­geben. Die werden dann von den Men­schen­händ­lern ange­rufen und mit den Geräu­schen bre­chender Kno­chen und den mar­ker­schüt­ternden Schreien ihrer Brüder, Schwes­tern, Kinder kon­fron­tiert – und mit Löse­geld­for­de­rungen.
Es ist gewis­ser­maßen eine Live­schal­tung in die Hölle. Für 30.000 oder 40.000 Dollar, über­wiesen per Wes­tern Union aus Eri­trea, über­leben die Opfer als kör­per­liche Krüppel und mensch­liche Wracks – wenn sie über­leben. Falls keiner aus der Heimat zahlt oder zahlen kann, werden die Gei­seln getötet und ver­rotten in der Wüste. Bis zu 7.000 Flücht­linge sollen in den Fol­ter­kam­mern der Beduinen miss­han­delt worden, 4.000 davon umge­kommen sein; 1.000 Eri­treer sollen sich noch in der Gewalt der Banden befinden.
Wir bli­cken in der Geschichte, die uns Michael Obert und Moises Saman erzählen und für die das SZ-​Magazin dan­kens­wer­ter­weise ein kom­plettes Heft frei geräumt hat, in einen Abgrund. Wir hatten keine Ahnung davon, was sich dort im Sinai abspielt. “Weil die Welt diese Men­schen nicht zu Gesicht bekommt und kaum jemand ihre Geschichte kennt, können ihre Kid­napper sie unge­hin­dert weiter fol­tern”, schreiben die Autoren. Sie geben diesen Men­schen ein Gesicht. Ihnen ist es gelungen, das Ver­trauen von Opfern aber auch Tätern zu gewinnen, vor allem ihres Prot­ago­nisten, eines 28-​jäh­rigen Infor­ma­ti­kers, dem sie den Deck­namen Selomon gegeben haben. Er konnte sich nach Zah­lung eines Löse­geldes aus Eri­trea nach Israel durch­schlagen, lebt jetzt als unwill­kom­mener Migrant in Tel Aviv. Obert und Saman haben sein Schicksal rekon­stru­iert, haben die Camps der Beduinen auf­ge­spürt, sind unter Lebens­ge­fahr in die no-​go-​areas gefahren. Sie berichten dar­über in Wort und Bild – ohne Pathos, aber mit klarer Hal­tung. Das ist aller Ehren wert! Wir zollen höchsten kol­le­gialen und mensch­li­chen Respekt für diese Repor­tage, die gera­dezu ein Para­de­bei­spiel für auf­rüt­telnden und mutigen Jour­na­lismus dar­stellt.
Die Reso­nanz, so erzählte mir Michael Obert vor zwei Wochen, sei über­wäl­ti­gend gewesen. Das sagt auch etwas über die Rele­vanz der Repor­tage
aus. Das Aus­wär­tige Amt hat sich ein­ge­schaltet, viel­leicht kommt etwas in Bewe­gung, auch wenn die poli­ti­schen Ver­hält­nisse in Ägypten, in dessen
Hin­terhof sich das Drama abspielt, zur Zeit nicht ganz ein­fach sind. Hinzu kommt, dass die Beduinen ihr Hand­werk nach eigenem Bekenntnis in
Muba­raks Ver­liesen lernten, die Fol­ter­camps also ein Erbe des alten Regimes sind; und das scheint in Kairo ja gerade wieder Ober­wasser gewonnen zu haben.
Michael Obert erhielt unzäh­lige Spen­den­an­ge­bote für den Prot­ago­nisten Selomon, dar­unter eine Groß­spende von 100.000 Euro. Er bedarf mit seinen
ver­stüm­melten Händen drin­gend der Behand­lung und einem pro­the­ti­schem Ersatz seiner Hände. Ein deut­scher Chirurg hat ihn inzwi­schen in Tel Aviv getroffen und unter­sucht, er will ihn hier ope­rieren. Aber noch ist nicht geklärt, mit wel­chem Status Selomon als eri­tre­ischer Flücht­ling nach Deutsch­land ein­reisen und bleiben dürfte. Oder würde er nach über­stan­dener Ope­ra­tion zurück geschickt? In seiner Heimat gäbe es kein Mit­leid für sein Schicksal. Ihm drohten staat­liche Repres­sa­lien, weil er sich abge­setzt hat. Und auch seine Dorf­ge­mein­schaft hat ihn ver­stoßen, weil sie erst Geld für seine Flucht zusam­men­legte – und dann noch einmal Geld für seine Ret­tung zusam­men­legen musste. Er könne sich dort, sagt Obert, nicht mehr sehen lassen.

Wenn sich die beiden Reporter jetzt um Selo­mons Schicksal küm­mern und die Hilfe für ihren Prot­ago­nisten orga­ni­sieren, dann mag das zwar der
jour­na­lis­ti­schen Regel wider­spre­chen, sich nicht mit einer Sache gemein zu machen, auch nicht mit einer guten. Aber das dürfe kein Dogma sein, sagt
Obert. Für ihn sei das Enga­ge­ment nach der abge­schlos­senen Bericht­erstat­tung ganz ein­fach eine Frage der Mensch­lich­keit.
Herz­li­chen Glück­wunsch!

Let me add a few words in Eng­lish for Moises. Netz­werk Recherche honors your story about the tor­ture camps in the Sinai. We pay the hig­hest respect, that you managed to gain the trust of vic­tims and per­pe­tra­tors, that you tra­cked down the camps in the no-go areas of the Sinai, that you took the enor­mous risks for your own safety and that you ended up with a remar­kable insight into the world of the Bedouin tor­tu­rers and their vic­tims. Thank you – and con­gra­tu­la­tions!

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