Leuchtturmpreisträger 2019: Juan Moreno, Spiegel
Laudatorin: Julia Friedrichs, freie Autorin
Hamburg, 14. Juni 2019
Es gab im Reporterleben von Juan Moreno sicherlich schönere Erlebnisse, als das, für das er heute diesen Preis erhält.
Mir fällt da sofort das Interview mit Zlatan Ibrahimović ein, in dem dieser unvergleichlich gegen Pep Guardiola wütet. Nicht nur für Zlatan-Fans wie mich noch immer legendär.
Ich kenne Juan Moreno nicht persönlich. Nur seine Texte – vor allem die über Fußball.
Es ist also der Blick von außen, der hier lobt.
Vielleicht der Blick, der für diesen Preisträger der richtige ist.
Denn Juan Morenos große Leistung ist, dass er, der als freier Reporter mit einem Fuß außerhalb der SPIEGEL-Gemeinschaft stand, den ehernen Grundsatz des Reporterlebens verteidigt hat, einen Grundsatz, der bis zum vergangenen Jahr banal klang: Journalismus ist keine Literatur. Er ist die Schilderung recherchierter Wirklichkeit. Unser Reporterauftrag ist: Zuzuhören, zu fragen, zu beobachten. Um dann mit etwas zurückzukehren, dass man einen winzigen, bescheidenen Ausschnitt der Wirklichkeit nennen könnte. Nicht mehr und nicht weniger.
Reporterinnen, die ihre Arbeit ernst nehmen, betrachten die Welt nicht als Material, das man der eigenen Kunstfertigkeit erlegen, nach Belieben formen kann.
Sie wissen, dass Erzählungen, die am Schreibtisch komponiert werden, sich selten – ach was: nie mit der Realität decken. Und dass Redakteure, die erwarten, dass man die Wirklichkeit ihrem Wunsch unterwirft, keine guten sind.
All dies hat Juan Moreno verteidigt. Gegen erhebliche Widerstände.
Wie groß die waren, zeigt die Chronologie:
Es begann gewöhnlich. Da waren zwei Kollegen, die von der Redaktion zu einem Team zusammengeschmiedet wurden. Sie sollten vom Flüchtlingstrack durch Lateinamerika erzählen, der auf die US-Grenze zulief. Moreno auf Seiten der Ankommenden, Claas Relotius aus Sicht einer Miliz, die die Eindringlinge abwehren will.
Man liest in der Rekonstruktion, dass die beiden Reporter Schwierigkeiten bei der Teamwerdung hatten. Moreno wollte die Geschichte erst alleine machen, entschuldigte sich später dafür. Als der Rohentwurf des Textes vorlag, lobte er Relotius zwar für seine Zugänge, kritisierte aber Details und Stil. Ein Scharmützel.
Der Ressortleiter griff ein, maßregelte einen der beiden: den freien Reporter Juan Moreno – und machte, so liest es sich zumindest im Abschlussbericht, früh klar, wessen Wort in diesem Fall mehr Gewicht hat.
Tage später erneuerte Moreno seine Vorwürfe. Der Redakteur will laut Abschlussbericht am Telefonat gesagt haben: „Juan, ich möchte einmal festhalten, worum es hier geht: Entweder richtest du gerade einen Kollegen hin, oder du richtest dich selber hin.“
Juan Moreno selbst erinnert sich an den Satz ein wenig anders. „Du weißt schon, was du da gerade tust?“, sei er gefragt worden. „Du versuchst, das Leben eines jungen, talentierten Kollegen zu zerstören.“
Eine Passage des detaillierten Berichts der Aufklärungskommission, die ich mehrmals gelesen habe.
Mit einer Frage: Wie kann das sein?
Wieso geht eine Redaktion Vorwürfen, die ein eigener Autor macht, nicht entschlossener nach?
Es gibt Erklärungshilfen: Morenos Gemaule am Anfang der Zusammenarbeit. Relotius ausführliche Entgegnungen auf die Zweifel. Aber vor allem waren die Fälschungen und damit natürlich auch Morenos Vorwürfe zu diesem Zeitpunkt etwas, das unglaublich klang.
Aber es bleibt ein ungutes Gefühl.
Dieses ungute Gefühl, setzt sich fort, wenn viele Redaktionen nun als Reaktion auf diesen Skandal schnellstmöglich ihre Regeln für den Umgang mit freien Autoren nachschärfen. Das macht da Sinn, wo es tatsächlich Versäumnisse gegeben hat.
Aber ein guter Text kann nur im Miteinander von Reporterinnen und Redakteurinnen entstehen. Dazu gehören Vertrauen und Respekt auf beiden Seiten. Kontrollen auch, ja.
Aber ich fürchte, dass in wenigen dieser neuen Regelwerke stehen wird: Hört denen, die mit einem Fuß draußen stehen, gut zu. Manchmal sehen sie Dinge, die ihr nicht wahrhaben wollt.
Denn genauso war es bei Juan Moreno.
Moreno sagt, er habe nach diesem Telefonat den Eindruck gehabt, gefeuert worden zu sein.
Das erzählte laut Abschlussbericht auch Claas Relotius Kollegen: Moreno habe sich in etwas verrannt und würde deswegen wohl entlassen werden.
Das Verrennen allerdings, das sich Festbeißen, das nicht Übergehen von Zweifeln ist eine der Eigenschaften von guten Reportern. Zum Glück hat sich Juan Moreno in diesem Fall verrannt.
Und er tat das, was einen Reporter ausmacht: Er fuhr an den Ort seiner Zweifel.
Nach Arizona, dorthin, wo Claas Relotius die Miliz getroffen haben wollte.
Um seinen Ruf zu retten? Mit Sicherheit. Aber eben auch, um zu beweisen, dass das, was der Kollege der Welt als Wahrheit verkaufte, nichts war als eine Fälschung.
Denn solche Erfindungen beleidigen jeden Reporter.
Wirklichkeit so wahrhaftig wie möglich zu erzählen, macht viel Arbeit. Wie viele Telefonate und Treffen sind nötig, um Menschen von Gesprächen zu überzeugen? Wie schwierig ist es, das Verhältnis zwischen Distanz und Nähe zu halten? Wie viel kann schief gehen?
Aber wie groß die Euphorie, wenn es gelingt, mit all dieser Arbeit einen Ausschnitt echten Lebens erzählen zu können. Den Lesern und Zuschauern einen Blick auf eine Realität zu ermöglichen, die ihm sonst verschlossen geblieben wäre. Im seltenen Falle: Aufzuklären, was verborgen bleiben sollte.
All das ist Juan Moreno gelungen. Er hat eine schier unglaubliche Facette der Realität aufgedeckt.
Am 30. November fuhr er gemeinsam und auf eigene Rechnung mit einem Fotografen nach Arizona. Er fand zwei der vermeintlichen Protagonisten und nahm Videos auf, in denen die Männer bestätigten, Relotius nie gesehen zu haben.
Die Videos lagen Anfang Dezember den Vorgesetzten vor. Noch immer zweifelte man an Moreno. Ihm wurde vorgeworfen, Partei zu sein, „schmierig“ zu argumentieren, wie aus einem Mafiafilm zu klingen. Aus dem Scharmützel war längst ein Duell geworden.
Ein Duell, das klingt, wie bester Story-Stoff: auf der einen Seite, der stets als höflich beschriebene, junge Held: Claas Relotius, das Jahrhunderttalent, 4-facher Reporterpreisträger.
Auf der anderen Seite Juan Moreno, über 40, einer der, wie er seine Frau zitiert, die besten Zeiten schon hinter sich hat. Ex-Kolumnist, Ex-Fernsehredakteur, Schriftsteller, freier Reporter.
Er habe seine Vorwürfe schlecht vorgetragen, so werden sich die Verantwortlichen später vor der Abschlusskommission rechtfertigen. Aufgeregt und ungeordnet.
Er war nicht glatt, geschliffen, wie sein Kontrahent.
Nun wäre man versucht, daraus die große Metapher zu stricken: Man hätte schon ahnen können, wer lügt, denn die Wahrheit ist selten glatt und gefällig. So etwas. Aber wir sollten jetzt nicht denselben Fehler begehen und diesen Plot drehen und aus Juan Moreno den Helden machen, aus Claas Relotius den isolierten Schurken. Ich bin sicher, dass würde ihm, dem Reporter nicht gefallen, denn er weiß, dass Helden und Schurken eher in Romanen zu finden sind als in der Realität.
Wir sollten uns ermuntert fühlen, auch auf Missstände innerhalb unserer Redaktionen hinzuweisen. Egal, ob wir Redakteure sind, Reporterinnen, Fotografen, Kamerfrauen oder Cutter.
Und wir sollten vielleicht einfach „Danke“ sagen, dass Moreno die Arbeit eines Reporters getan hat. Dass er auch nach den Zweifeln an seinen Videos nicht aufgegeben hat. Dass er weitere Indizien für Fälschungen in anderen Texten sammelte, Kontaktdaten von Zeugen lieferte. Was schließlich dazu führte, dass ihm Mitte Dezember 2018, knapp einen Monat nach den ersten Hinweisen, endlich geglaubt wurde.
Herzlichen Glückwunsch zum Leuchtturm-Preis 2019, Juan Moreno.